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Eva Haacke
Mäuse zählen, Streichliste
auspacken
Wie sich die Kommunen aus ihrer schweren
Finanzkrise befreien können, bleibt ein Rätsel
Die Städte und Gemeinden in Deutschland
stecken in ihrer schwersten Finanzkrise seit Bestehen der
Bundesrepublik. Die Einnahmen stagnieren, die Ausgaben steigen, und
ein Ausweg ist nicht in Sicht. Die für vergangenes Jahr
vorgesehene große Gemeindefinanzreform bleibt bisher Kosmetik,
und von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) haben die Kommunen
nichts zu erwarten.
Der Essener Stadtkämmerer Günter
Berndmeyer lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen,
aber ein Blick auf die Kassenlage genügt, um ihn zu
düsteren Prognosen hinzureißen: "Keine Ahnung, wie lange
das noch gut gehen kann. Die Stadt gibt nur für die laufenden
Kosten täglich fast eine Million Euro mehr aus, als sie
einnimmt. Das wird noch ganz bitter." Essen ist mit 1,1 Milliarden
Euro verschuldet, allein die Kassenkredite für die laufenden
Verwaltungskosten beliefen sich für 2004 auf 800 Millionen
Euro. Berndmeyer zahlt jährlich 88 Millionen Euro Zinsen an
die Banken. Die Kommunalverwaltung zeigt den Stadtvätern
mittlerweile die rote Karte und fordert ein
Haushaltsicherungskonzept.
Wie Kämmerer Berndmeyer geht es
bundesweit den meisten städtischen und kommunalen
Kassenwarten. Das Prinzip heißt: Mäuse zählen und
Streichlisten auspacken. Der Deutsche Städtetag erwartet
für das vergangene Jahr ein Gesamtdefizit der kommunalen
Haushalte von über 8,5 Milliarden Euro. Dabei sieht die
Einnahmenseite der von Finanznot geplagten Städte und
Gemeinden gar nicht schlecht aus: Im ersten Halbjahr 2004 stiegen
die Gewerbesteuereinnahmen brutto um 12,8 Prozent, das entspricht
mehr als 1,5 Milliarden Euro. Die ostdeutschen Länder haben
sogar rund 27 Prozent mehr eingenommen. Bis Ende des vergangenen
Jahres sollte das Gesamt-Gewerbesteueraufkommen bis zu 23
Milliarden Euro betragen. "Von leeren Kassen kann da nicht
gesprochen werden", erklärt Karl Heinz Däke, der
Präsident des Bundes der Steuerzahler, gegenüber "Das
Parlament". "Die übrigen Einnahmen, also die kommunalen
Gebühren und Schlüsselzuweisungen, sind in den ersten
Monaten 2004 bundesweit um fast drei Prozent gewachsen."
Nörgelei seitens der klammen Kommunen
wehrt auch Bundesfinanzminister Hans Eichel gerne mit dem Hinweis
auf weitere 2,5 Milliarden Euro aus der Reform der Gewerbesteuer
ab. Bislang mussten 28 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen als so
genannte Gewerbesteuerumlage an den Bund abgeführt werden.
Jetzt sind es nur noch 20 Prozent. 2005 spüle dies den
Kommunen über drei Milliarden Euro in die Kassen, so Eichel.
Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Einnahmequelle. Sie muss von
den ansässigen Unternehmen je nach Ertrag bezahlt werden; ihre
Höhe wird von den Kommunen über einen Hebesatz
festgelegt. Allzu fest dürfen die Stadtväter allerdings
nicht an dieser Einnahmeschraube drehen, weil ihre Kommune sonst
unattraktiv werden würde.
Weitere Einnahmequellen sind die laufenden
Zuweisungen von Bund und Ländern - sie betragen für 2004
etwa 38 Milliarden Euro - sowie Investitionszuweisungen in
Höhe von 8,6 Milliarden Euro. Die Einnahmen aus Gebühren
ärgern zwar die Bürger - 2004 werden es etwa 16
Milliarden Euro sein -, sie dürfen im Stadtsäckel aber
nicht als Gewinn verbucht werden, sondern dienen lediglich der
Kostendeckung der Verwaltung. Trotzdem versuchen viele Städte
immer wieder, erhöhte Abfall- oder
Stadtreinigungsgebühren und Kita-Kosten in bare Münze
für den Stadthaushalt zu verwandeln. "Das heißt bei uns
neuerdings griechische Buchhaltung", erklärt ein
Stadtkämmerer aus Rheinland-Pfalz. Die Tricks: Fantasievoll
werden immer neue Kostenpositionen zur Begründung der
Gebührenerhöhungen herangezogen. Zudem neigen die
Kämmerer dazu, etwa bei einer Müllverbrennungsanlage
nicht die reine Abschreibung bei den Kosten mit ein zu berechnen,
sondern den aktuellen Wiederbeschaffungswert - der natürlich
jedes Jahr steigt.
Tatsächlich müssen Städte und
Gemeinden jährlich beträchtliche Ausgaben stemmen: In den
alten und neuen Ländern belaufen sich die Gesamtausgaben 2004
voraussichtlich auf 152,5 Milliarden Euro. Den Löwenanteil
davon machen Personalkosten (knapp 41 Milliarden Euro) und
Sachaufwand für die Verwaltung (29 Milliarden Euro) aus. Das
kommunale Finanzierungsdefizit erklärt der Deutsche
Städtetag vor allem durch die um rund acht Prozent gestiegenen
Ausgaben für soziale Leistungen (alte Länder: 27,6
Milliarden Euro, neue Länder: 4,5 Milliarden Euro). Weitere
große Ausgabeposten sind der Schuldendienst mit bundesweit
über fünf Milliarden Euro für Zinsen im Jahr 2004
sowie schließlich die für die Zukunft zentralen
Sachinvestitionen (alte Länder: 16,5 Milliarden Euro, neue
Länder: fünf Milliarden Euro). Ein Preis der Finanzkrise
und des Sparzwangs: Die kommunalen Investitionen sind von 2002 auf
2003 um 9,3 Prozent gesunken. Das sind 38 Prozent oder zwölf
Milliarden Euro weniger für Investitionen als noch
1992.
Trotz solcher Sparmaßnahmen sind die
Städte mehr denn je gezwungen, laufende Ausgaben und
Sozialtransfers mit Kassenkrediten zudecken: Sie stiegen seit 2003
um über fünf Milliarden Euro auf 16,25 Milliarden Euro.
"Die Kassenkredite dienen eigentlich nur zur Überbrückung
kurzfristiger Finanzierungsengpässe", erklärt Volker
Bestlein, Sprecher des Deutschen Städtetages, "mittlerweile
sind sie Dauerzustand."
Ende 2003 sollte eine Gemeindefinanzreform
die Kommunalfinanzen auf sichereren Boden stellen. Finanzminister
Eichel wollte, dass künftig auch Freiberufler Gewerbesteuer
zahlen, diese aber mit der Einkommensteuer verrechnen können.
Außerdem sollte die Bemessungsgrundlage für die
Gewerbesteuer auf Mieten, Pachten und Zinserträge ausgedehnt
werden, mit dem Ziel, mehr Geld in die Kommunalkassen zu
spülen. Das Ergebnis wäre eine wirtschaftlich
problematische Substanzsteuer gewesen. Trotzdem sprachen sich
hunderte Bürgermeister und der Deutsche Städtetag
dafür aus. Doch das Modell scheiterte im Vermittlungsausschuss
an der Union. Dort einigte man sich nur auf eine Art
Nothilfeprogramm: 2,5 Milliarden Euro für die Kommunen durch
die Senkung der Gewerbesteuerumlage zu Lasten des
Bundes.
Außerdem stellte sich zu Beginn des
vergangenen Jahres bei der im Hartz IV-Gesetz geplanten
Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe heraus, dass es
nicht zu der versprochenen Entlastung der Gemeinden um 2,5
Milliarden Euro kommen würde. Weil die Regierung auf die
Reform des Arbeitsmarkts noch eine des Wohngeldes drauf gesattelt
hatte, sahen sich die Gemeinden Mehrkosten in Milliardenhöhe
gegenüber. Wirtschaftsminister Clement musste nachbessern: Per
Revisionsklausel stellt der Bund nun einen "zeitnahen und
kassenwirksamen Ausgleich" im Falle "unerwarteter Mehrbelastungen
durch Hartz IV" in Aussicht. "Möglich war das nur, weil der
Bund die Städte zur Umsetzung seiner Arbeitsmarktreformen
dringend braucht", erklärt ein Vertreter des Deutschen
Landkreistages "diesen Kuhhandel".
Politischer "Kuhhandel" um
Finanzen
Jedenfalls kann von einer echten
Gemeindefinanzreform keine Rede sein. Alle Bemühungen dazu
scheinen auf Eis gelegt. Der Deutsche Städtetag sieht
Reformbedarf, klammert sich prinzipiell aber noch an der unsicheren
Haupteinnahmequelle der Städte, der Gewerbesteuer, fest. Die
Union sei über lediglich kurzfristige
"Übergangslösungen" nicht hinausgekommen, so die
Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, selbst
CDU-Mitglied. Und die Bundesregierung mag das Thema nach dem
Scheitern im Vermittlungsausschuss nicht so schnell wieder auf die
Tagesordnung bringen.
Derweil dringt der Bund der Steuerzahler auf
Abschaffung der Gewerbesteuer: "Auf der Einnahmeseite muss die
konjunkturanfällige und steuersystematisch bedenkliche
Gewerbesteuer vollständig abgeschafft werden", erklärt
Steuerzahler-Präsident Däke. "Sie ist durch eine
höhere Beteiligung an der Umsatzsteuer und durch
Hebesatzrechte auf die Einkommen- und Körperschaftsanteile der
Kommunen zu ersetzen." Dies seien verlässlichere
Einkommensquellen, sie vergrößerten die kommunale
Selbstverwaltung in Deutschland. Auf der Ausgabenseite fordert
Däke "strenge Ausgabendisziplin, Einsparungen bei den
Verwaltungskosten" und "verstärkt Privatisierungserlöse
zum Abbau des kommunalen Schuldenbergs".
Viele andere Möglichkeiten, um der
Finanzmisere zu entkommen, haben die Kommunen bisher nicht. Was die
Finanzausstattung angeht, bleiben sie Bittsteller bei Bund und
Ländern. Ernsthafte Personaleinsparungen sind angesichts der
beschlossenen Arbeitsmarktreformen mit neuen kommunalen Aufgaben
mittelfristig eher unwahrscheinlich. Was bleibt, sind sinkende
Investitionen, Schließung von Schwimmbädern, Schulen,
Theatern, Bürgerdiensten - nichts davon macht Städte
wirtschaftlich attraktiv. Einige setzen auf den Verkauf von
Tafelsilber, aber hier gilt: wie gewonnen, so zerronnen. In der
Regel fließen solche Erlöse zwar direkt in die
Schuldentilgung, reichen aber bei weitem nicht zu einer echten
Entlastung.
An die Erschließung mancher neuer
Sparvarianten trauen sich viele Stadtväter nicht heran -
Bedenken sind dabei durchaus berechtigt. Eine Form sind die so
genannten "Public-Private-Partnerships (PPP): Darüber lassen
sich etwa Immobilienprojekte mit der Unterstützung privater
Investoren realisieren. Das kann erfolgreich klappen. Allerdings
muss dafür das Risiko von Anfang an zwischen den Partnern
geteilt werden und darf nicht als Bürgschaft oder
Risikoübernahme bei der Stadt hängen bleiben. In jedem
Fall wird es den Städten und Gemeinden in Deutschland nur
gelingen, durch eine Mischung aus harten Einsparungen und
sinnvollen Investitionen wieder auf einen grünen Zweig zu
kommen - und auch das nur in Kombination mit einer echten
Gemeindefinanzreform.
Eva Haacke ist Korrespondentin im Berliner
Büro der "WirtschaftsWoche".
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