Sylke Wagner
Das Rathaus ist nur geborgt
Cross Border Leasing gilt als profitable
Geldquelle - doch sie birgt Risiken
Not macht erfinderisch. Und die Finanznot ist groß in
deutschen Kommunen. In dieser angespannten Finanzlage haben
Städte und Gemeinden eine wundersame Geldvermehrung entdeckt:
das so genannte Cross Border Leasing. Ein Geschäft mit
Steuerschlupflöchern, das, scheinbar frei von Nebenwirkungen,
den Kommunen in den vergangenen fünf Jahren so manche Million
in die leeren Kassen gespült hat. Allein den 20 Gemeinden in
Nordrhein-Westfalen, die solche Cross Border-Verträge
abgeschlossen haben, hat dies ein Plus von rund 350 Millionen Euro
beschert. Doch ist Cross Border Leasing ein lukratives
Geschäft oder vielmehr ein finanzpolitisches Hasardeur-Spiel?
Schließlich gibt es auch andere Arten, kommunale Betriebe zu
privatisieren.
Es klingt einfach: Ein großer US-amerikanischer Investor
mietet für 99 Jahre die Abwasserkanäle, die
Müllverbrennungsanlage, das U-Bahnnetz oder gar das Rathaus
einer deutschen Kommune. Die Stadt least die Immobilien und Anlagen
zurück - mit einer Laufzeit von 25 bis 30 Jahren. Was sich so
verlockend für beide Seiten anhört, ist eine lupenreine
Scheininvestition. Denn der US-Investor hat kein wirkliches
Interesse an der Immobilie in Deutschland. Er ist lediglich an der
Abschreibung interessiert, die er beim amerikanischen Fiskus
geltend machen kann. Die deutschen Städte kassieren für
ihre freundliche Mithilfe bei der Steuervermeidung in den USA einen
Millionenbetrag. In der Regel beträgt dieser Barwertvorteil
vier Prozent der Vertragssumme. Rund 36 Milliarden Euro haben
deutsche Kommunen in den vergangenen Jahren nach Übersee
verleast. Das jedenfalls hat das nordrhein-westfälische
Innenministerium ausgerechnet.
Für den amerikanischen Geschäftspartner ist der Deal
ungleich lohnender. Für ihn springt allein durch die
Steuerersparnis ein Gewinn von rund 300 Prozent heraus. Häufig
lässt er sich auch noch eine garantierte Verzinsung seiner
Gebühreneinnahmen mit in die Verträge schreiben - so
geschehen bei den Berliner Wasserbetrieben, die teilweise verleast
wurden. Kommt der vereinbarte Gewinn nicht zustande, haftet
schlimmstenfalls sogar das Land. In Berlin könnte dies zu der
absurden Situation führen, dass ein sinkender Verbrauch die
Wasserkosten steigen lässt. Schließlich muss der Vertrag
erfüllt werden.
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) warnt
Städte und Gemeinden vor dieser Art der Geldbeschaffung, und
die bayerische Landesregierung hatte sogar überlegt, diese
Geschäfte per Gesetz zu unterbinden. Da die Steuereinsparungen
von 20 bis 35 Prozent der US-Trusts vor allem zu Lasten der
amerikanischen Steuerzahler gehen, hat der Gesetzgeber in
Washington gehandelt und das Steuerschlupfloch dicht gemacht. Am
17. Juni des vergangenen Jahres stimmte der US-Kongress einer
entsprechenden Gesetzesänderung zu. Denn ursprünglich
wurde diese Steuerregelung geschaffen, um den Absatz der
US-Flugzeugindustrie im Ausland abzukurbeln und nicht, um klamme
deutsche Kommunen zu sanieren.
Die Gesetzesänderung in den USA kann auch Auswirkungen auf
bereits bestehende Verträge haben, warnen Kritiker wie der
Bundesrechnungshof. Haben die Kommunen beispielsweise keine
Rückversicherung für Risiken durch Änderungen im
Steuerrecht abgeschlossen, müssen sie bei etwaigen
Vertragsausstiegen der amerikanischen Investoren mit
Regressansprüchen rechnen. Gerichtsstand im Falle einer Klage
sind stets die USA. Deutsches Recht hat keine Gültigkeit. Die
Kommunen liefern sich letztlich durch die Cross
Boarder-Geschäfte amerikanischem Recht mit all seinen
finanziellen Unwägbarkeiten aus.
Die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) hält die
Risiken beim Cross Border Leasing trotzdem für "beherrschbar".
Vermutlich werde dieser Lösungsansatz zur Sanierung der
Kommunalfinanzen "aus Unkenntnis als hochriskant dargestellt",
glaubt die Kammer. Die IHK übersieht bei ihrem Lob für
die kreative Haushaltspolitik der Städte und Gemeinden jedoch,
dass diese ihren politischen Gestaltungsspielraum für viele
Jahre aufgeben. Denn die Kommunen sind verpflichtet, die verleaste
Anlage für die gesamte Leasingzeit von durchschnittlich 25 bis
30 Jahren zu betreiben. Niemand kann jedoch wissen, ob
beispielsweise die Kapazitäten der Müllverbrennungsanlage
in einem Jahrzehnt noch benötigt werden, oder ob
Kläranlagen aufgrund neuer Technologien in der Zwischenzeit
modernisiert werden könnten. Die Kommunen müssten dann
zum Nachteil ihrer Bürger an den bestehenden Anlagen
festhalten. Zudem sind Städte und Gemeinden verpflichtet, ihre
Klär- oder Müllverbrennungsanlage im gleichen Zustand wie
bei Vertragsabschluss zu erhalten. Sind sie dazu nicht in der Lage,
drohen Schadensersatzforderungen, die schnell über dem
eingespielten Barwertvorteil liegen können.
Widerstände aus der Bürgerschaft
In der Bürgerschaft hat sich inzwischen häufig
Widerstand gegen die Geschäfte mit amerikanischen Trusts
formiert. Viele Steuerzahler in betroffenen Städten und
Gemeinden verlangen die Offenlegung der häufig mehr als 1.000
Seiten starken Verträge, die ausschließlich auf Englisch
formuliert sind. Nicht einmal die Stadträte erhielten bislang
Einsicht in die Unterlagen. Die Cross Border-Geschäfte gingen
an den gewählten Vertretern häufig schlicht vorbei. Im
Oktober 2003 sammelte eine Initiative in Frankfurt knapp 50.000
Unterschriften gegen die Verpachtung der U-Bahn und kippte die
Pläne der Stadt damit. In Bergisch-Gladbach sprachen sich mehr
als 96 Prozent der Bürger gegen Leasingverträge mit einem
US-Investor aus.
Zwar erkennen immer mehr Kommunen das Cross Border Leasing als
risikoreiches Geschäft mit zweifelhaftem Erfolg. Dennoch sind
die Not und das Bestreben in Städten und Gemeinden, die Kassen
zu füllen, ungebrochen. Die Stadt Essen zum Beispiel hatte im
Dezember 2003 ein Defizit von 340 Millionen Euro. Die Prognose
für 2006: 1,9 Milliarden Euro. "Grundsatz muss daher sein:
Effizientere Dienstleistungen durch mehr Wettbewerb", erklärt
die Bundes-CDU und verlangt als Konsequenz die Privatisierung
weiterer Aufgaben in den Kommunen. Bei allen nicht hoheitlichen
Aufgaben müssten sich Städte und Gemeinden dem Wettbewerb
mit der Privatwirtschaft stellen, so die Union. Zu den nicht
hoheitlichen Aufgaben zählen unter anderem der Betrieb von
Strom-, Wasser- und Abwasserbetrieben, Krankenhäusern, Alten-
und Pflegeheimen sowie Kindergärten.
Bei der Privatisierung kommunaler Betriebe bieten sich zwei
Modelle an: Zum einen können Städte und Gemeinden
beispielsweise das Freizeitbad unter privatwirtschaftlicher Leitung
betreiben. Zum anderen können sie Firmen mit der
Erfüllung öffentlicher Aufgaben beauftragen - etwa wenn
Private die Müllabfuhr im Auftrag der Kommune übernehmen.
Durch den privaten Betrieb kann sowohl privates Know-how als auch
privates Kapital mobilisiert werden. Zudem bietet dies eine Chance
für mehr Wirtschaftlichkeit und Flexibilität, da das
oberste Ziel von Privatinvestoren die Gewinnmaximierung ist.
Für die Bürger kann dies im Idealfall niedrigere
Gebühren bedeuten, wenn die Betriebe wirtschaftlicher
arbeiten. Bisher werden Gebührensenkungen aber nur selten an
die Bürger weitergegeben, weil es zunächst um
städtische Haushaltssanierung geht.
"Ein Verkauf von Tafelsilber, also von rentablen kommunalen
Unternehmen", sei dagegen keine Lösung zur Behebung der
Finanznot der Städte, erklärte Gerhard Widder,
Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), auf dem
Bundeskongress des Verbandes kommunale Abfallwirtschaft im
vergangenen September und warnte vor dem Ausverkauf der Gemeinden,
nur um kurzfristig Etatlöcher zu stopfen. Der Verkauf von
Vermögen könne zwar im laufenden Jahr das Defizit
verringern, langfristig überdecke diese Art der Finanz- und
Haushaltspolitik jedoch die Notwendigkeit zu strukturellen
Reformen, so Widder.
Der Mehrzahl der Kommunen ist jedoch vor allem am kurzfristigen
Effekt - dem Ausgleich des aktuellen Defizits in der Kasse -
gelegen. Langfristige Überlegungen wie der wirtschaftlichere
Betrieb der städtischen Unternehmen stehen meist erst an
zweiter Stelle. Bevor städtische Unternehmen verkauft
würden, müsse zunächst geprüft werden, ob
Gebühren in "verantwortungsvollem Maße" erhöht
werden könnten und ob Tarifrecht sowie Arbeitszeitregelungen
noch den Anforderungen entsprächen, forderte
VKU-Präsident Gerhard Widder zu einem verantwortungsvollen
Umgang mit kommunalem Vermögen auf.
Die Autorin ist promovierte Volkswirtschaftlerin und freie
Journalistin.
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