|
|
Martin Geier
Vom Bürger zum Bettelmann
Schwäbisch-Hall war von einem einzigen
Finanzier abhängig - seit der nicht mehr zahlt, sieht es
düster aus
"Ganz oben ist es am schönsten", schrieb
die "Süddeutsche Zeitung". "Der Rundblick von der Dachterrasse
des Sudhauses über die zu Füßen liegende Altstadt
von Schwäbisch Hall übertrifft fast alles, was
Deutschland an Stadt- und Landschaftsbildern zu bieten hat. Beugt
man sich stadteinwärts über die Zinnen hinaus, dann
steigen einem die beiden modernen Würfel der Kunsthalle
Würth entgegen. Darüber tut sich das Panorama der am
jenseitigen Talhang aufsteigenden mittelalterlichen Stadt mit der
krönenden Michaelskirche auf."
Der Schönschreiber aus München
machte intuitiv zwei wichtige Beobachtungen über Geschichte
und Kommunalpolitik in dieser altehrwürdigen Salzsiederstadt
im Nordosten Baden-Württembergs. Er erwähnt den Namen des
Schraubenmilliardärs Reinhold Würth aus der schmucklosen
Nachbarstadt Künzelsau, der, mehr als manchem lieb ist, in
Schwäbisch Hall sichtbare Zeichen gesetzt hat wie die
Kunsthalle. Und er formuliert eine Menschheitsweisheit, die
Jahrzehnte lang für Hall zutraf: Ganz oben ist es am
schönsten.
Hohenlohes kultureller und wirtschaftlichen
Fixstern wusste wie kaum eine andere Stadt der Republik, wie
schön es sich hoch oben leben lässt. Sie war bis Anfang
dieses Jahrhunderts die reichste Stadt im deutschen Südwesten.
Im Gegensatz zu Sindelfingen, das in seinen goldenen Zeiten und
gebenedeit durch den Computerhersteller IBM die Zebrastreifen aus
Marmor anfertigen ließ, hat man in Hall weder in der
Vergangenheit noch in der Gegenwart seinen Reichtum in pures
Schaugepränge umgesetzt. Die Gewinne aus dem Salzsieden
drücken sich deutlich sichtbar in der Architektur und im
mittelalterlichen Stadtbild aus. Mit dem Verlust der
Reichsunmittelbarkeit und der Einverleibung der Stadt ins
Königreich Württemberg 1806 setzte ein 150 Jahre
dauernder Zeitabschnitt der Bedeutungslosigkeit ein.
Das Blatt wendete sich erst wieder nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs, das Schwäbisch Hall neben einer
Flut neuer Arbeitskräfte und neuer Ideen in Gestalt der
Heimatvertriebenen auch die aus Berlin geflüchtete
Bausparkasse brachte. Welch ein Segen für die Stadt und das
Land. Auf diese Steine haben einige tausend Arbeitnehmer gebaut und
vor allem die Stadtverwaltung. Denn mit dem langsamen wie
unaufhaltsamen Aufstieg des schlauen Füchsleins - alias
Bausparkasse Schwäbisch Hall - zu Europas größtem
Branchenunternehmen und dem größten Arbeitgeber am Ort,
gab es am Ufer des Kochers so etwas wie einen Dukatenesel: Jedes
Jahr füllte sich das Stadtsäckel mehr mit den
Gewerbesteuerzahlungen der Bausparkasse. Das war jahrelang ein
Batzen von 100 Millionen Mark - eine Summe, an der die
Stadtväter fast jeden teilhaben ließen, der nur geschickt
die Hand offen hielt.
Das Ende kam jäh, der Fall war tief. Von
heute auf morgen stellte die Bausparkasse ihre
Gewerbesteuerzahlungen an die Stadt ein, Hall wurde über Nacht
vom Bürger zum Bettelmann. Es war das Schreckensjahr 2001. In
der Bankenmetropole Frankfurt fusionierten die DG Bank und GZ Bank
- beides genossenschaftliche Banken - zur DZ Bank. Das war
einerseits Pech für die florierende Genossenschaftstochter
Bausparkasse, noch mehr aber für das dortige Rathaus. Die neue
DZ Bank musste praktisch eine Milliarde Mark in den Wind schreiben,
weil die Vorgängerbanken Mist gebaut hatten. "Auf Grund des
vollständigen Versagens des Vorstands der DG Bank kommt eine
Stadt wie wir in eine existenzielle Notlage", schimpfte seinerzeit
der Haller Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim. Die DZ
Bank drückte deshalb im Rahmen der gewerbesteuerlichen
Organschaft die Steuern für den Konzern auf Null und
verrechnete die Gewinne der Haller Bausparkasse mit ihren Verlusten
- was übrigens auch für die Stadt Frankfurt am Main zu
Gewerbesteuerausfällen führte.
Der Oberbürgermeister zog die Notbremse
und kündigte an Weihnachten 2001 den Bürgern seiner
35.000 Einwohner großen Stadt einen Sack voller Grausamkeiten
an. "Wenn wir nichts täten", sagte Pelgrim damals, "dann
kämen wir unter Zwangsverwaltung, und ich könnte den
Schlüssel im Rathaus abgeben." Selten rauchten die Köpfe
der Stadtoberen wie der Gemeinderäte wie in diesem Herbst der
herben Wahrheiten. Der unbedingte Zwang zum Sparen traf zuallererst
die Mitarbeiter der Stadtverwaltung selbst; fast jeder vierte
musste um seinen Arbeitsplatz bangen, die freiwilligen Leistungen
wurden deutlich gekappt. Briefe wurden an die benachbarten Kommunen
verschickt, ob sie denn neue Mitarbeiter bräuchten, die man
ihnen wohlfeil überlassen könnte: Die Resonanz war jedoch
gleich null. Inzwischen ist die Verwaltung von circa 560
Beschäftigten um gut 100 geschrumpft, und dies, so wird
ausdrücklich gesagt, ohne betriebsbedingte
Kündigungen.
Schließen, strecken, sparen lautete
fortan das Motto im Rathaus, nachdem man auch die Hoffnung begraben
musste, im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat
würden die Voraussetzungen für die gemeinsame Veranlagung
zur Gewerbesteuer von Mutter- und Tochtergesellschaften enger
gefasst werden. Mehr als 1.000 Haushaltstitel standen nun zur
Disposition. Ämter wurden zusammengelegt. Der Kelch der neuen
Genügsamkeit, für die Haller ein völlig neues
Gefühl, ging an niemandem vorbei, weder an den Museen noch an
der Musikschule, der Stadtbücherei oder dem Theater. An der
Gebührenschraube wurde bis zur Schmerzgrenze gedreht, was etwa
junge Familien vor allem bei den Kindergartengebühren
spürten.
Doch all dies war nur ein Tropfen auf den
heißen Stein. Zusätzlich wurde der Haushalt nämlich
durch allgemein geringere Gewerbesteuereinnahmen und höhere
Kreisumlagen belastet. Die einst reiche Stadt am Kocher musste wohl
oder übel ihr Tafelsilber verscherbeln, das sie in der
Vergangenheit mit mehr als 1.000 Wohnungen und Häusern
angesammelt hatte. Sie verkaufte es ihren Töchtern wie der
Gemeinnützigen Wohnbau. Eine einmalige Aktion. Mittlerweile
sind auch die Friedhofsverwaltung, das Abwassermanagement und der
Werkhof ausgegliedert. Lean administration nennt das die
Stadt.
Man habe sich noch nicht zu Tode gespart,
heißt es in der Finanzverwaltung; trotzdem müssten
weitere Strukturen und Dienstleistungen abgebaut werden. Denn die
bisherigen städtischen Sparmaßnahmen reichen nicht vorne
und nicht hinten. Der Doppelhaushalt sieht für 2004 im
Verwaltungsteil 71 Millionen Euro und für 2005 69 Millionen
Euro vor, während der Vermögensetat um die Hälfte
auf 5,6 Millionen Euro schrumpft. Damit lassen sich keine
großen Sprünge mehr machen. Niemand in der Stadt glaubt
auch noch daran, dass die herbe Dürreperiode wie 2001
angekündigt nur drei Jahre anhalten werde und
anschließend wieder der Goldsegen auf Hall darnieder rieselt.
Zwar hat die Bausparkasse gerade Gewerbesteuernachzahlungen
für die 90er-Jahre in Millionenhöhe geleistet: Das
mildert aber keinesfalls die gegenwärtige Finanzlage. Der
Kämmerer steckt das Geld jedenfalls in den Sparstrumpf und
will es für Ganztagesschulen, so der Bund sie bezuschusst, und
eine weitere Stufe der Stadtsanierung ausgeben.
Die Bausparkasse Hall ist der
größte Arbeitgeber am Platz und bei den guten
Geschäften der vergangenen Jahre ist sie in gewisser Weise
auch ein Arbeitsplatzgarant. Zwischen Rathaus und Vorstandsetage
herrschen nach wie vor enge Verbindungen, und so nimmt es nicht
wunder, dass von der Bausparkasse vor zwei Jahren als
Solidaritätsbeitrag die Gründung einer
Bürgerstiftung initiiert wurde, die die schlimmsten Fälle
abgedeckt hat. Diese Stiftung findet immer mehr Zulauf und schafft
ein Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot-Gefühl, wie man es bisher in
der Stadt nicht kannte. So pflasterte ein Hotelier die Straße
vor seiner Herberge auf eigene Kosten, und die evangelische und
katholische Kirche betreiben gemeinsam einen Kindergarten. Das war
in der Stadt des Reformators Johannes Brenz bis dato kaum
vorstellbar.
Erstaunlicherweise spürt die
Geschäftswelt unmittelbar nichts von der Finanzkrise, die sie
als ein verwaltungsinternes Problem betrachtet. Der
gewerbesteuertechnisch tiefe Fall hat dem Image Halls nicht
geschadet, das von der Bausparkasse und den Freilichtspielen
geprägt ist. Schwäbisch Hall ist eine gute Marke, meint
deshalb ein international renommierter Keramikmeister.
Nutznießer dieser Situation ist auch der
Schraubentycon Würth, oft als Medici von Hohenlohe bezeichnet,
der so zu einem Flugplatz und einer alten Kirche kam, die er neben
seiner gut frequentierten modernen Kunsthalle auf einem ehemaligen
Brauereigelände ebenfalls zu einem Ausstellungsraum ausbauen
möchte. Die Bevölkerung merkt so kaum, wie ihr sukzessive
öffentlicher Raum entzogen wird.
Martin Geier ist Redakteur der "Stuttgarter
Zeitung".
Zurück zur Übersicht
|