|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Jörg Schallenberg
Fast ein Paradies für Senioren - der
"Pflegestern" im bayerischen Poing
Ortsbesuch
Beim bayerischen Sozialministerium muss man nicht lange
nachschauen, wenn man sich nach einer Kommune mit einer
beispielhaften Politik im Umgang mit Senioren erkundigt. "Fahren
sie doch nach Poing zum Pflegestern", sagt die Dame von der
Pressestelle spontan.
"Pflegestern" - das klingt geradezu poetisch, doch hinter dem
Begriff verbirgt sich in erster Linie ein ganz normaler kommunaler
Dienstleistungsbetrieb. Auf den zweiten Blick steht der
"Pflegestern" aber für ein ungewöhnliches Konzept
kommunaler Zusammenarbeit bei der Betreuung und Versorgung alter
Menschen. Kirchheim, Grafing und Poing sind drei Gemeinden mit
10.000 bis 13.000 Einwohnern, die im östlichen Umland von
München liegen und sich allesamt ein eigenes Seniorenzentrum
leisten, in dem sowohl Betreutes Wohnen als auch Pflegeplätze
angeboten werden - was für Orte dieser Größe ebenso
eine Seltenheit ist wie die Trägerschaft in kommunaler
Hand.
Denn meist betreiben freie Wohlfahrtsverbände oder private
Anbieter solche Häuser - und die sind "generell der Meinung,
dass sich Häuser erst ab 60 bis 80 Pflegebetten rentieren",
sagt Christian Kerschner-Gehrling. Der 33-Jährige kennt sich
aus auf diesem Gebiet, denn zum einen hat er Betriebswirtschaft
studiert, zum anderen fungiert er seit 2002 als
Geschäftsführer der "Pflegestern GmbH" mit Sitz in Poing.
Die Gesellschaft kümmert sich gemeinsam um die Verwaltung der
drei Seniorenzentren, die so kostengünstig arbeiten
können - obwohl Kirchheim nur über 64 Pflegeplätze
verfügt, Grafing über 40 und Poing über 37.
Über die Verwaltung hinaus kooperieren die Häuser bei der
Essensversorgung oder beim unbürokratischen Austausch von
Personal, wenn es in einem der Heime mal zu einem Engpass
kommt.
Konzept über Landkreise hinweg
Durch das gemeinsame Konzept über Gemeinde- und sogar
Landkreisgrenzen hinweg gilt das Modell im Osten von München
mittlerweile als vorbildlich. Für Christian Kerschner-Gehrling
liegen die Vorteile auf der Hand: Zum einen können ältere
Menschen näher an ihrer gewohnten Lebensumgebung bleiben, als
wenn ein großes, zentrales Heim seine Bewohner aus dem
gesamten Landkreis zusammenzieht. Regelmäßige Besuche und
die Einbindung der Verwandtschaft in die tägliche Arbeit sind
so selbstverständlicher als anderswo. Zum anderen ist für
den Pflegestern-Geschäftsführer das Engagement der
Gemeinden wichtig: "Durch den kommunalen Hintergrund ist es
beispielsweise viel einfacher, Ehrenamtliche zu gewinnen, denn die
Bürger identifizieren sich stärker mit ?ihrem' Haus." Die
Zahlen geben ihm recht: In Kirchheim arbeiten 100 Ehrenamtliche
für das Seniorenhaus "Collegium 2000" - bei nur 11.500
Einwohnern.
Durch dieses Engagement lässt sich aber nicht nur das
Angebot für die Bewohner ausweiten, sondern es entsteht auch,
so Kerschner-Gehrling, "eine große Offenheit - die
Ehrenamtlichen kommen ständig in die Häuser und damit die
Nachrichten nach draußen. Wenn hier jemand das Husten
anfängt, weiß es morgen die ganze Gemeinde." Was so
locker dahingesagt klingt, hat einen ernsten Hintergrund:
Schließlich gehen immer wieder Pflegeskandale durch die
Presse. "Wir könnten uns wundgelegene Körper über
einen längeren Zeitraum nie leisten", versichert Christian
Kerschner-Gehrling, "dann stünde ganz schnell der
Bürgermeister persönlich vor der Tür und will
wissen, was los ist." Schließlich würden sich
Lokalpolitiker und Gemeinderäte für ein kommunales
Seniorenzentrum im Besonderen in der Verantwortung fühlen,
denn Defizite könnten sich möglicherweise negativ auf
ihre Wiederwahl auswirken.
Anfangs umstritten
Dabei war das Konzept "Pflegestern" nicht unumstritten. In der
örtlichen Presse konnte man monatelang mitverfolgen, wie sich
in Poing die Parteien heftig über die Idee der kommunalen
Trägerschaft befehdeten. Auch in Kirchheim setzte sich erst
ein breites bürgerschaftliches Engagement über die
anfänglichen Bedenken im Gemeinderat hinweg. Inzwischen hat
sich die Idee der gemeinsamen Seniorenpolitik über
Parteigrenzen hinweg durchgesetzt - wozu die Auslastung der Heime
zu 99 Prozent sicher auch beiträgt. So ziehen die drei
Bürgermeister der Gemeinden - je einer von der CSU, der SPD
und den Freien Wählern - an einem Strang.
Zudem baut der "Pflegestern" das Angebot zur Versorgung von
älteren Bürgern weiter aus. Zum betreuten Wohnen im Heim
und der Pflege gesellt sich seit kurzem das Modell "Betreutes
Wohnen zuhause", das laut Kerschner-Gehrling "die Lücke
füllt zwischen einer gewissen Bedürftigkeit und den
Anforderungen, die man für Pflegestufe 1 erfüllen muss".
In Kirchheim kümmert sich zudem ein Senioren-Streetworker um
ältere Leute, die sich in (sozialen) Schwierigkeiten befinden.
Für solche ambulanten Einsätze arbeitet der "Pflegestern"
mit privaten Diensten, der Caritas, der Arbeiterwohlfahrt und
anderen Anbietern zusammen.
Das alles klingt gut - und doch gibt es einen Nachteil: Soviel
kommunale Eigeninitiative funktioniert am ehesten in wirtschaftlich
prosperierenden Regionen wie Oberbayern "Für die
Erstinvestition muss schon etwas im Gemeindesäckel sein", sagt
der Betriebswirt Kerschner-Gehrling. Denn nicht jeder Gemeinderat
sieht sich in der Lage, ein komfortables Seniorenheim zu bauen,
bevor die erste Miete fließt, oder verzichtet darauf, ein
Grundstück gewinnbringend an einen Gewerbetreibenden zu
veräußern, um es für die alten Menschen der Gemeinde
zu reservieren.
Zurück zur
Übersicht
|