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Ulrike Schuler
"Die Bürger sollten mit uns Geduld
haben"
Auf Bürgerämtern gibt sich der Staat
als moderner Dienstleister
Erst einmal ist da diese Menschentraube. So
groß und dicht, dass sich für den Hinzukommenden schwer
feststellen lässt, ob er überhaupt vor der richtigen
Tür ansteht. Im Bürgeramt des Rathauses
Berlin-Neukölln haben sich etliche Besucher lange vor
Öffnung in der Warteschleife zwischen Haupteingang und der
noch verschlossenen, zu den Amtszimmern führenden Glastür
eingefunden. "Nur so kann es klappen, statt drei bis vier nur ein
bis zwei Stunden warten zu müssen", erklärt eine junge
Frau. Nicht nur im Erdgeschoss des grauen
Sieben-Stock-Gebäudes hoffen Wartende auf einen schnellen
Aufruf. Sie verteilen sich bis auf die Straße hinaus -
rauchend, Kinder beruhigend oder noch einen Bissen
Frühstück kauend.
Als besonders unbürokratisch und
nutzerfreundlich werden die Bürgerämter angepriesen. Ob
Meldeangelegenheit, Passerneuerung, Antrag auf Lohnsteuerkarte oder
allgemeine Fragen: Alles soll vom Bürger an einer Stelle
erledigt werden können. Mit der Zentralisierung solle sich
auch der Charakter der Ämter ändern und der Besucher
nicht als Bittsteller, sondern Kunde gesehen werden. Ein
"Höchstmaß an Bürgerfreundlichkeit" fordert das
Berliner Abgeordnetenhaus in einem Beschluss vom Oktober 2003. In
der Hauptstadt wurde Ende der 90er-Jahre begonnen, einzelne
Bürgerberatungsstellen zu Bürgerämtern
umzustrukturieren. Inzwischen gibt es über die Stadt verteilt
56 Bürgerämter, 61 sollen es einmal sein.
Im Bezirk Neukölln ist die
Bürgerfreundlichkeit inmitten der Besuchermasse zunächst
nicht zu spüren: Je näher die Zeiger der Amtsuhr auf die
Elf-Uhr-Marke zuticken, desto mehr nimmt die Unruhe der
Menschenansammlung zu. Dann öffnet sich die Glastür, und
zwei Amtsmitarbeiter bilden eine Schleuse, die nur einzeln zu
durchlaufen ist. "Was wollen Sie?", ist die barsch gehaltene Frage.
Nach einer Antwort bekommen die ersten Hereingelassenen die
begehrten niedrigen Nummern in die Hand gedrückt. Später
ist dann die Reaktion auf alle Anliegen immer gleich: "Marke im
Warteraum ziehen, auf Aufruf warten!" Ob die Schleuse immer da ist?
"Nur zu Beginn, sonst kloppen die sich um die Wartemarken",
erklärt die rechte Seite der Schleuse, eine blonde
Dame.
Obwohl es erst zwei Minuten vor elf Uhr ist,
sind Warteraum und Flur bereits überfüllt: Schreiende
Babys, unruhig hin und her laufende junge Männer,
Stimmengewirr in unterschiedlichsten Sprachen. Yeliz und
Gülhan haben keinen Sitzplatz mehr gefunden. Sie rutschen mit
dem Rücken die längst nicht mehr weißen Wände
herunter und setzen sich auf den gelben PVC-Boden mit den vielen
abgenutzten Stellen. Einen neuen Ausweis möchte Yeliz. Sie hat
die Nummer 355 gezogen. 54 Besucher sind vor ihr an der Reihe. "Wir
rechnen damit, dass es lange dauert", sagt die 16-Jährige.
Ihre Freundin Gülhan ist mitgekommen. So vergeht die Zeit
schneller. Der Warteraum gegenüber besteht aus acht Reihen mit
je sechs Stühlen, strikt in Richtung der Anzeigetafel
angeordnet. Wird eine Nummer aufgerufen, blinkt es grün an der
Tafel. Eher unauffällig klebt ein schon zerrissenes Plakat mit
dem Titel "Was erledige ich wo" an der Eingangstür zum
Warteraum. Trotz des hohen Ausländeranteils im Bezirk liegen
keine Broschüren oder Anträge in verschiedenen Sprachen
aus.
Von Meldestellenplatz 7 kommen zwei junge
Frauen zurück und fragen aufgeregt nach einem Kugelschreiber.
Sie sind aus dem Kosovo, die Schwägerin will sich anmelden, es
gibt Verständigungsprobleme. "Ich habe nicht alle Fragen
verstanden, und man hat sie mir auch nicht erklärt", sagt eine
der jungen Frauen und bittet um Hilfe. Eine Mitarbeiterin kommt
vorbei und fordert sie auf, nicht an der Wand, sondern an den
Stehtischen im Warteraum zu schreiben. Die sind längst und
ständig mit über Formularen angestrengt brütenden
Menschen besetzt. "Außerdem wollte man mir keinen
Kugelschreiber leihen", erzählt die Kosovarin. Weil die Leute
klauen würden, hätte die Mitarbeiterin gesagt. Yeliz und
Gülhan warten inzwischen in Sichtweite der Anzeigetafel. Sie
sind gleich dran. Als alles erledigt ist, rechnen sie aus, dass es
anderthalb Stunden gedauert hat. Das sei okay, finden
beide.
Für den Neuköllner Abteilungsleiter
für Bürgerdienste und Wohnen, Torsten Vogel, besteht die
besondere Bürgerfreundlichkeit der Ämter darin, dass die
Mitarbeiter von sich aus zusätzliche Tipps und Hilfestellungen
gäben. "Eine junge Mutter, die sich im Bezirk anmelden will,
wird auch darüber informiert, dass sie Kindergeld beantragen
kann", sagt Vogel. Allerdings seien die Mitarbeiter des Bezirks mit
den meisten Sozialhilfeempfängern und hohem
Ausländeranteil besonderen Belastungen ausgesetzt. "Wir haben
sechs Prozent zu wenig Personal", sagt Vogel. Ungefähr 20
Mitarbeiter müssten sich an manchen Tagen in dem seit 2001
bestehenden Amt um einen Ansturm von bis zu 800 Besuchern
kümmern. Dass sich das Rathaus durch Dolmetscher oder
mehrsprachige Anträge und Broschüren mehr Mühe mit
seinen ausländischen Besuchern geben müsste, ist für
Vogel nicht unbedingt ersichtlich. Mehr Service würde die
Leistungen verteuern. "Das würde bei der nächsten
Jahreszumessung der Gelder bestraft", ist Vogel überzeugt.
"Wir erwarten, dass sich die Antragsteller selber helfen und
jemanden mitbringen, der besser Deutsch kann."
Bürgeramtsleiterin Brigitte Maier denkt da schon weiter:
"Natürlich überlegen wir, wie die Kommunikation mit den
ausländischen Bürgern verbessert werden kann." Seit
September existiere ein Arbeitskreis mit Bürgeramtsvertretern
verschiedener Bezirke, der berate, wie beispielsweise mit
mehrsprachigen Informationsblättern und Anträgen
gearbeitet werden könne.
Das Fehlen von Informationen in verschiedenen
Sprachen hat eine Studie der Berliner Landtagsfraktion der PDS -
die im Land Berlin mitregiert - als besonders großes Manko
ausgemacht. Was den Umgang mit Ausländern angeht, konstatiert
auch Heinrich Bücker-Gärtner von der Fachhochschule
für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin "einen
Riesenmangel". "Es müsste in den Behörden, die viel mit
Ausländern zu tun haben, immer Leute geben, die in der Lage
sind, in drei bis fünf Sprachen auf Alltagsniveau zu
kommunizieren", fordert der Professor. Zudem sollte den
Mitarbeitern interkulturelle Kompetenz vermittelt werden, damit sie
mit unterschiedlichen Mentalitäten umzugehen
lernten.
Standortwechsel: Morgens 7.30 Uhr in
Berlin-Zehlendorf, einem Stadtteil mit tendenziell gut situierter
Bevölkerung. Vor dem Altbau des Bürgeramtes steht eine
einsame Kastanie. Niemand, der wartet. Das Amt ist schon
geöffnet, der Warteraum mit Spielecke, Kaffeeautomat und im
Rund angeordneten Stühlen leer. Im Flur sitzt eine Zeitung
lesende Frau. Elke Kallenbach ist schon um 7 Uhr - eine Stunde vor
Öffnung - ins Bürgeramt gekommen, um einen neuen Pass zu
beantragen. Nun ist sie angenehm überrascht, dass nichts auf
lange Schlangen hindeutet. Um 7.50 Uhr öffnet die Anmeldung,
Frau Kallenbach bekommt Wartenummer eins und wird kurze Zeit
später aufgerufen. Inzwischen sind ein paar Besucher
dazugekommen, die im Flur die recht gepflegten Wände und den
marmorierten Fußboden betrachten. Der gebürtige
Engländer Joseph Carson wundert sich über die
"altmodische" Sache mit den Nummerzetteln. Und überhaupt: "In
England faxt man zur Anmeldung eine Kopie des Mietvertrages, und
das war's."
Ungefähr 15 Minuten wartet er, bis er
die Formalitäten für seinen Protokollausweis als
Botschaftsangestellter erledigen kann. Elke Kallenbach wird noch zu
einem Gang zum S-Bahn-Fotoautomaten verdonnert. Die mitgebrachten
Passfotos der Referentin im Bundesfinanzministerium sind nicht im
erforderlichen Halbprofil gemacht. Als die Frau mit den neuen
Bildern zurück ins Bürozimmer eilt, hört man ein
"wunderbar" von der Mitarbeiterin. Um 8.30 Uhr kann sie das
Bürgeramt wieder verlassen.
Beim zweiten Besuch in Zehlendorf zum
Gespräch mit der stellvertretenden Amtsleiterin ist es, eine
halbe Stunde vor Öffnung um 10.30 Uhr, etwas voller. Die
Atmosphäre bleibt jedoch entspannt, bis zum Mittag füllt
sich der Warteraum, aber es bleiben immer Plätze frei. Dennoch
ist der Bezirk Steglitz-Zehlendorf im Bürgeramtstest der
Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege nur auf einem
der "Ausreichend"-Plätze gelandet. Getestet wurden
Auskunftsqualität, kundenorientiertes Verhalten und die
Erreichbarkeit per Telefon und E-Mail.
"Der besondere Schwerpunkt des Tests war die
Frage, wie es um die fachliche Qualität der Auskünfte
steht", erläutert Heinrich Bücker-Gärtner. Insgesamt
bekamen fünf der zwölf Berliner Bezirke für ihre
Bürgerämter die Note "ausreichend", viermal gab es
"befriedigend", einmal "gut" und zweimal "sehr gut". "Insbesondere
ist uns aufgefallen, dass es Bezirke gibt, in denen die sachliche
Richtigkeit der Auskünfte flächendeckend in Ordnung war,
Bezirke, in denen sie variiert, und solche, in denen
flächendeckend Verbesserungsbedarf besteht", sagt der
Professor. "Ein besonders niederschmetternder Befund war, dass das
computergestützte Info-System faktisch nicht genutzt
wurde."
Der Bezirk Neukölln bekam bei der
Beurteilung für seine Auskünfte die Note "sehr gut". Die
Schwerpunktsetzung auf der Qualität der Auskünfte habe
allerdings dazu geführt, dass nicht alle relevanten Punkte im
Umgang mit Bürgerämtern behandelt worden seien,
räumt Bücker-Gärtner ein. So sei die Wartezeit nicht
erfasst worden und in Bezug auf Ausländer seien die Ergebnisse
"absolut aussagelos". Die testenden Studierenden seien Deutsche
gewesen, die ihre Anliegen konkret hätten formulieren
können. Die PDS-Studie stellt "gravierende Defizite"
hinsichtlich der Bürgerfreundlichkeit fest. Es fehle in
einigen Ämtern an Informationstresen, Sitzgelegenheiten und
Spielmöglichkeiten für Kinder. Auch sei das
Leistungsgefälle unter den Bürgerämtern zu
groß.
Für die festgestellten fachlich nicht
korrekten Auskünfte hat die stellvertretende Amtsleiterin des
seit Mai 2003 bestehenden Zehlendorfer Standortes, Renate Ziegler,
eine Erklärung: "Das liegt daran, dass wir über einen
langen Zeitraum kurzfristig angelernte Kräfte in der
Information hatten." Auch seien die Mitarbeiter des Meldewesens
noch nicht hundertprozentig in die anderen Sachgebiete
eingearbeitet. "Wir befinden uns noch im Aufbau", konstatiert
Ziegler. Schulungen für das computergestützte Info-System
habe es nicht gegeben. Aber so hundertprozentig überzeugt mag
die 58-Jährige nicht für mehr Ausbildung plädieren.
"Dann würden noch mehr Akten liegen bleiben." Das große
Problem sei der Personalmangel. Das gehe auf Kosten der
Bürgernähe, da viele Nachfragen dann doch als lästig
empfunden würden. "Die Bürger sollten mit uns Geduld
haben, wenn wir nicht alle Auskünfte geben können und
umgekehrt genauso", empfiehlt die Amtsleiterin.
Die PDS scheint mit ihrer Geduld hingegen am
Ende. Sie möchte Bonuspunkte an besonders
bürgerfreundliche Behörden vergeben und die
Bürgerämter, die bestimmte Qualitätskriterien nicht
erfüllen, finanziell sanktionieren. Für mehr Kontrolle,
um den Wandel der Amtsstuben zu Dienstleistern perfekt zu machen,
spricht sich auch Heinrich Bücker-Gärtner aus: "Man
sollte in den Ämtern regelmäßig den Service testen -
nicht nur um zufriedene Kunden zu haben, sondern auch damit
fachlich richtige Auskünfte gegeben werden."
Ulrike Schuler arbeitet als freie
Journalistin in Berlin.
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