Hartmut Hausmann
Ein sehr deutliches Signal für breite
öffentliche Kampagne
Eindeutiges Votum für die Europäische
Verfassung
Mit der überzeugenden Mehrheit von 500
gegen 137 Stimmen und 40 Enthaltungen hat das Europäische
Parlament am 12. Januar in Straßburg den Vertrag über die
Europäische Verfassung befürwortet. Während es von
den Liberalen keine und den Sozialdemokraten nur eine Gegenstimme
gab, verweigerten bei den Christdemokraten immerhin 56 Abgeordnete
aus Großbritannien, Spanien, Frankreich und den neuen
Mitgliedsländern Osteuropas ihre Zustimmung, während es
bei den Grünen sieben Parlamentarier waren.
Bei den Europagegnern und den meisten
fraktionslosen Abgeordneten überraschte die Ablehnung nicht.
Das Gleiche gilt für die Vereinigte Linke, mit Ausnahme der
deutschen PDS Abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann, welche schon im
Konvent sowohl an der Verfassung als auch an der Grundrechtecharta
intensiv mitgearbeitet hatte und nun mutig für die Verfassung
stimmte - allen Vorwürfen und Drohungen aus ihrer Fraktion und
ihrer Partei zum Trotz.
Mit dieser überaus großen
Zustimmung zur Europäischen Verfassung hat das
Europäische Parlament die Absicht erfüllt, ein deutliches
Signal für den Auftakt einer breiten öffentlichen
Kampagne zum Verfassungsvertrag zu setzen, um überall in den
25 Staaten der Union die Zustimmung der Bürger und der
Parlament zu erreichen. In der in Straßburg geführten
Debatte sagte der amtierende EU-Ratspräsident, Luxemburgs
Europaminister Nicolas Schmit, im Namen der Regierungen der
EU-Mitgliedstaaten, es sei eine Aufbruchsstimmung deutlich
geworden, die den Bürger erkennen lasse, dass die Union mit
ihren gemeinsamen Werten und Überzeugungen weit mehr sei als
ein wirtschaftlicher Zusammenschluss.
Damit die Verfassung wie vorgesehen 2007 in
Kraft treten kann, muss der Vertrag noch in mindestens neun der 25
EU-Staaten durch ein Referendum bestätigt und in allen Staaten
von den Parlamenten ratifiziert werden. Die Nationalversammlungen
von Ungarn und Litauen haben die Verfassung bereits mit
überwältigender Mehrheit gebilligt.
In einer von den großen Fraktionen
gemeinsam verabschiedeten Entschließung erklären die
Abgeordneten, dass die Verfassung neben sichtbaren Vorteilen
für die Bürger und die demokratische Entwicklung Europas
einen stabilen und dauerhaften Rahmen für EU bilde. Damit die
Ratifizierung bis Mitte 2006 abge-schlossen werden könne,
müsse alle Mögliche getan werden, um die
europäischen Bürger klar und objektiv über den
Inhalt der Verfassung zu informieren. Die in der
Öffentlichkeit einiger Länder geäußerte Kritik
an dem Vertragstext sei völlig unberechtigt. So werde die
Verfassung keinesfalls zu einem zentralistischen europäischen
Superstaat führen und werde die soziale Dimension der Union
eher stärken als schwächen. Auch bleibe das
vielfältige kulturelle, religiöse und humanistische Erbe
Europas keinesfalls unbeachtet. Um eine möglichst objektive
Information der Bevölkerung zu erreichen, fordert das
Parlament die EU-Institutionen und die Regierungen der
Mitgliedstaaten auf, umfassende Informationen zu
verbreiten.
Im Einzelnen wird in der Entschließung
darauf verwiesen, dass die Vielzahl der bisherigen, oft
unübersichtlichen Verträge durch ein klar gegliedertes
Dokument ersetzt werden, in dem die gemeinsamen Werte
ausdrücklich verankert sind. Beschrieben werden die mit der EU
verfolgten Ziele ebenso wie die nun eindeutige Abgrenzung der
Aufgabenbereiche zwischen europäischer und nationaler
Ebene.
Die bisher immer wieder zu Verwechslungen
geführte Benutzung der Begriffe "Europäische
Gemeinschaft" und "Europäische Union" hat ein Ende, weil nun
nur noch die Europäische Union existiert. Ebenso reduziert
wird die Vielzahl der bisher bestehenden Rechtsakte, wodurch es
für den interessierten Bürger leichter wird, die
europäische Gesetzgebung zu verstehen und zu verfolgen. Dazu
wird auch die Arbeit des Europäischen Parlaments beitragen
können, das nun zu einem gleichberechtigten Partner in der
Gesetzgebung geworden ist. Zusätzlich können in der
Zukunft auch die Nationalen Parlamente vorab ihre Stellungnahmen zu
EU-Gesetzesvorhaben abgeben.
Qualifizierte Mehrheit
Als ebenso wichtig wird die Durchsetzung des
Prinzips der qualifizierten Mehrheit an Stelle der bisherigen
Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung über die Gesetzgebung
im EU-Ministerrat bezeichnet. Dadurch werde nicht nur die
Handlungsfähigkeit der auf 25 Staaten angewachsenen EU
gesichert, sondern Europa könne auch im außenpolitischen
Bereich leichter tätig werden, wozu das durch die Verfassung
neu geschaffene Amt eines Europäischen Außenministers
beitragen solle. Damit werde vielleicht das bei den Partnern in
aller Welt entstandene Bild von Europa als wirtschaftlichem Riesen,
aber als politischem Zwerg verblassen.
Nicht vergessen werden sollte bei einer
Beurteilung der durch die Verfassung erreichten Fortschritte, dass
die Charta der Europäischen Grundrechte ein eigener
Bestandteil der Verfassung und damit vor dem Europäischen
Gerichtshof einklagbar werde. Indem die EU gleichzeitig mit der
Annahme der Verfassung der Europäischen
Menschenrechtskonvention des Europarats beitritt, entstehe
endgültig ein gesamteuropäischer Rechtsraum, in dem die
Achtung der Grundrechte jederzeit auch gegenüber der
Europäischen Union und dem eigenen Staat eingeklagt werden
könne.
In der Debatte hob der britische
Co-Berichterstatter Richard Corbett die durch den
Verfassungsvertrag erzielten Fortschritte noch einmal hervor. Mit
einem Präsidenten und einem ständigen Außenminister
erhielten die übrigen Staaten der Welt endlich einen festen
Ansprechpartner.
Als Vertreterin der EU-Kommission
würdigte Vizepräsidentin Margot Wallström die
entscheidende Rolle des Parlaments bei der Einsetzung, aber auch
bei der Arbeit des Konvents. Das Ergebnis sei, auch nach der
Überarbeitung durch die Regierungskonferenz, der
bestmögliche Kompromiss. Dies werde offenbar auch von den
Bürgern so gesehen, denn nach einer Umfrage des
"Eurobarometers" unterstützten 68 Prozent der Befragten die
Verfassung. Ein völlig neues Element der
Bürgerbeteiligung sei die Möglichkeit, durch die
Unterschriften von einer Million Bürger eine
Gesetzesinitiative zu erzwingen.
Der Vorsitzende der Fraktion der
Christdemokraten, Hans-Gert Pöttering, hob in der Debatte die
Verankerung der christlichen Werte hervor und nannte die Verweise
auf die Solidarität, die Würde älterer Menschen, die
Rechte der Kinder und das Klonverbot als konkrete Ausformungen
dieser Werte. Begrüßenswert sei auch der Bezug auf die
jeweilige nationale Identität, womit zum Ausdruck gebracht
werde, dass die Nationalstaaten weiterhin die Grundlagen der EU
bildeten.
Im Gegensatz dazu sieht der Vorsitzende der
Europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz, in der
Verfassung eine intelligente Antwort Europas auf die
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, indem das
Nationalstaatsprinzip durch eine Supranationalität ersetzt
werde. Die in ihr verankerten Werte seien universell und
gültig gleichermaßen für Christen, Juden, Moslems
oder Nichtgläubige.
Besondere Aufmerksam zog die deutsche
Abgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann auf sich, die als einzige
Vertreterin ihrer Fraktion für die Verfassung gestimmt hatte
und scharf mit ihrer Fraktion - der Vereinigten Linken - aber auch
mit ihrer eigenen Partei - der PDS - abrechnete. In der
Begründung ihres "Nein zum Nein" nannte sie die Ablehnung eine
strategisch falsche Entscheidung, weil trotz aller Schwächen
der Verfassung die in ihr verankerten Werte, programmatisch dem
Wertekanon der Europäischen Linken voll
entsprächen.
Deshalb sei die Ablehnung auch ein Verrat an
der Vision, wie sie einer der großen geistigen Vordenker im
EU-Parlament, Altiero Spinelli, der italienische Antifaschist und
demokratische Kommunist, als Mitbegründer der
Europäischen Bewegung und Initiator des ersten
Verfassungsentwurfs zur Gründung der Europäischen Union
1984 vorgezeichnet habe und die zur proeuropäischen
Traditionslinie der Linken in Europa gehöre.
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