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Michael Krausz
Die Sache mit der Suchtkultur
Neue gesellschaftliche Perspektiven sind
gefragt
Die Sache mit der Sucht ist allgegenwärtig.
Dazu hat jeder eine Meinung, sie ist wichtiges Medienfutter und
sogar Parlamente diskutieren über die geeignetste Form der
Therapie, was man über Rheuma oderDiabetes noch nie
gehört hat. Das Fantastische unter Mediengesichtspunkten
scheint insbesondere auch zu sein, dass sie sich wellenförmig
in neue Lebensbereiche ausbreitet, es gibt immer etwas Neues zu
berichten, seien es neue Konsumpräferenzen, neue Substanzen,
neue exzessive Verhaltensweisen, bevorzugt in den Bereichen des
Aufregenden, Erregenden oder Unverständlichen.
Sex-Sucht, Spiel-Sucht, Internet-Sucht,
Arbeitssucht? Immer neue Themen, über die man sich zum Wohle
seiner Nachkommen in der Adoleszenz Sorgen machen muss - Alkopops,
Kiffen, Crack-en! Oder gar Skandale, die die Glaubhaftigkeit
unserer Idole erschüttern sollen, wie das Kokain auf dem
Bundestagsklo, den Hoteltischen nebst nackter Frauen und
prominenter Talkshowmoderatoren und Künstler oder gar in den
Haaren begnadeter Fußballtrainer und Radfahrer. Diese Sache
ist einfach nicht zu beschränken auf eine kleine Gruppe
gesellschaftlicher Versager und sozial
Randständiger.
Sie ist Teil und Resultat unserer Lebensweise
und zu einem gewissen Teil Produkt unserer Kultur. Was heißt
das für die Frage des Umgangs damit? Warum fällt es uns
so schwer, im Zusammenhang mit der Dis-kussion über Sucht
nicht zu stigmatisieren, keine Ka-tastrophenszenarien gegen
kollektive Ignoranz zu setzen? Wir meinen aus Sicht der
Suchtforschung und Suchttherapie, dass sich an dem Umgang mit Sucht
etwas verändern muss und wollen das begründen.
Stigmatisierung und Ausgrenzung sind
wahrscheinlich noch älter als die Geschichte der
institutionalisierten Medizin. Es ist ein fast zu erwartender
Reflex, dass psychische Kranke, Behinderte, in anderer Weise
deviante und insbesondere Drogenabhängige und Alkoholiker aus
der sozialen Gemeinschaft herausgedrängt werden. Gerade wo
Phänomene bedrohlich häufig sind und quasi Teil des
Alltags, intensiviert sich das Bemühen, die Betroffenen
wegzuschieben, wegzusperren, auszugrenzen.
Zusammen mit der vielfach zelebrierten
Besorgnis vieler Mitbürger demonstriert genau diese
Stigmatisierung die Hilflosigkeit im Umgang mit einem fundamentalen
Widerspruch unserer Kultur, in der der Konsum psychotroper
Substanzen seit Jahrtausenden tief verwurzelt ist. Ohne wirklich
fähig zu sein, diese Tatsache zu akzeptieren und mit den
daraus resultierenden Problemen ohne die Schuldfrage umzugehen.
Diese Widersprüche sind durchaus bewusstseinsnah und darum
hilft manchmal zur Beruhigung nur der stigmatisierende Reflex des
Wegschiebens und Ausgrenzens aus der gesellschaftlichen
Wirklichkeit.
Natürlich hängt dieser mit dem
Gesamtcharakter von Drogenpolitik im Rahmen der Prohibition
zusammen, einer politisch gesteuerten und unsäglichen
Tradition, vor allem aus den USA, die seit vielen Jahrzehnten zum
Elend der Süchtigen maßgeblich beigetragen hat. Die
Personen, die zwischen EU-Förderung des Tabakanbaus einerseits
und Nikotin als verbreitetster und sozialmedizinisch relevantester
psychotroper Substanz andererseits individuell nicht herausgefunden
haben oder die bei der Romantisierung des Oktoberfests Opfer der
Kampagne für ein drogenfreies München geworden
sind.
Kriminalisierung und Stigmatisierung von
Süchtigen macht aber Eingrenzung und Hilfe, Prävention
und Risikominderung schwerer, wenn nicht manchmal sogar
unmöglich und hält die Tür zur Ausgrenzung immer
offen. Wir sollten in der Diskussion für den Umgang mit Sucht
diese Realität sehen und reflektieren, um zur Beseitigung des
Stigmas beizutragen. Wenn psychotrope Substanzen Teil unserer
Gesellschaft sind, dann müssen auch diejenigen, die damit
nicht mehr genussvoll umgehen können, auf unsere
Unterstützung und unser Verständnis bauen
können!
Der Konsum von Drogen, insbesondere der
intravenöse, hat sich vor allem in den Ländern, in denen
außer brutaler Unterdrückung von Süchtigen und
blanker Prohibition nichts an Drogenpolitik betrieben wird, auf
dramatische Art und Weise mit der Verbreitung begleitender
Infektionserkrankungen, insbesondere von AIDS, verbunden. Die
Explosion der Prävalenzzahlen, in Mittel- und Osteuropa,
vergleichbar den afrikanischen Zahlen, aber auch in
Südostasien, zum Beispiel in den hochgelobten
Wirtschaftswunderländern, beleuchtet die dramatischen
Schattenseiten des Umgangs mit Heroin.
Gerade die Spirale von Armut und Gewalt
einerseits und die Möglichkeit über Opiumhandel
wirtschaftliche Prosperität oder ein geregeltes Einkommen zu
generieren, zum Beispiel in Afghanistan, verdeutlichen den
Zusammenhang von Ökonomie und Drogenproduktion und
Drogenhandel. So führt paradoxerweise die Vertreibung der
Taliban zu explosionsartigen Zunahmen des Opiumhandels und dem
Aufblühen eines der höchst profitabelsten
Wirtschaftsbereiche. Wie überall in der Welt gibt es zwar eine
massive militärische Antwort darauf, aber kaum ein
Entwicklungskonzept, das den afghanischen oder bolivianischen
Bauern ein alternatives Auskommen sichern würde.
Die Erfahrungen in Brasilien machen deutlich,
dass ein politisches Umsteuern und die Entwicklung eines
gesellschaftlich akzeptierten Gesamtkonzeptes zur Risikominimierung
und Substitution die Prävalenzraten deutlich senken
könnten. An den sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen
Schnittpunkten verdeutlicht die AIDS-Epidemie in den letzten 15 bis
20 Jahren Schwachpunkte und Widersprüche der Kulturen
einerseits, aber auch die Tatsache, dass durch eine entsprechende
Politik und die Berücksichtigung von Forschungsergebnissen und
-erfahrungen das Problem zu beherrschen ist.
Schließlich ist nach der
Veränderung der Drogenpolitik und der entsprechenden
Erweiterung des Angebotes in den 80er- und 90er-Jahren unseres
Landes bei uns die HIV-Rate erfreulich gesunken! Die
europäische Landkarte der Drogenpolitik ist auch eine
Landkarte des Zusammenhangs von gesundheitspolitischer Ignoranz
beziehungsweise Lernfähigkeit und unterstreicht die Bedeutung
der politischen Rahmenbedingungen.
Im Zusammenhang mit der Stigmatisierung von
Süchtigen lassen sich an der Erfahrung der zum Beispiel
deutschen Drogenabhängigen und ihrer Integration in das
medizinische System, unter anderem am Beispiel der Therapie der
Hepatitis C, gut die Auswirkung von Stigmatisierung aufzeigen.
Dieses Themenfeld markiert mehr oder weniger alle Grundsatzfragen
der Medizin, im ethischen, klinischen und wissenschaftlichen
Bereich!
Als ein Teil beziehungsweise eine Folge des
Stigmas Süchtiger hat sich in großen Teilen der
Bevölkerung der Irrglaube festgesetzt, dass diesen sowieso
nicht erfolgreich zu helfen sei, Suchttherapie im Kampf gegen den
Rückfall kaum Erfolg hätte. Gleichzeitig wurden und
werden die Erfolgskriterien von Suchthilfe getreu dem
Abstinenzparadigma in schwindelnde Höhen gesetzt, wie
dauerhafte oder lebenslange Abstinenz als anzustrebender
Therapieerfolg. Es wird gar über Programme zum kontrollierten
Trinken verächtlich die Nase gerümpft. Der über 35
Jahre währende Kampf um die Substitution und deren
Einführung in Europa verdeutlicht andererseits, dass
offensichtliche Evidenz durchaus die Chance zum Umdenken mit sich
bringt. Wenn man auch davon ausgehen muss, dass es ohne die
AIDS-Epidemie wahrscheinlich in Europa noch kaum Substitution geben
würde.
Die andere Seite der Suchttherapie ist ihre
nur mäßig vorhandene Verfügbarkeit. Insbesondere
für den Kampf gegen die Nikotin- und Alkoholabhängigkeit
stehen kaum Ressourcen zur Verfügung. Im Verhältnis zu
ihren sozialmedizinischen und gesellschaftlichen Auswirkungen ein
Tropfen auf den heißen Stein.
Nikotinabhängigkeit wird immer noch
nicht als Krankheit von den Kassen akzeptiert und Entwöhnung
beziehungsweise Programme zur Selbstkontrolle und Konsumreduktion
werden nicht von den Kostenträgern übernommen. Von den
enormen Steuermitteln, die aus der Tabakwerbung unter dem Vorwand
der Prävention gezapft werden, fließt kaum ein Euro in
entsprechende Präventionsaktivitäten oder gar in die
Suchtforschung.
Im Vergleich zu anderen chronischen, mit
vielen Rückfällen verbundenen Erkrankungen, wie Diabetes
und Bluthochdruck, Asthma und Rheuma, allesamt verbunden auch mit
Lebensweise und Lebenskultur, können sich die Erfolge von
einer differenzierten und zielgerichteten Suchttherapie sehen
lassen. Die Chancen, mit ihrer Hilfe die Lebensqualität und
das Überleben signifikant zu verbessern, sind nachgewiesen.
Die Möglichkeiten, Verhaltensänderungen zu fördern
oder zu induzieren, nicht mehr zu bezweifeln.
Es ist erfreulich festzustellen, dass in den
letzten Jahren die größere Aufmerksamkeit aus diesen
Erfahrungen heraus in Richtung einer differenzierten
Therapieentwicklung gegangen ist und mit der Motivierenden
Gesprächsführung, der Psychoedukation oder auch der
heroingestützten Behandlung neue Interventionsansätze
vorgelegt worden sind, die in verschiedenen Bereichen der
Suchttherapie das Spektrum und die Erfolgsaussichten
erweitern.
Die Sache mit der Sucht ist ein guter Beleg
dafür, dass es nützlich ist, nicht nur über Ursachen
und Wirkungen zu spekulieren und sie zum Gegenstand ideologischer
Borniertheit zu machen, die eigenen Ängsten hochzurechnen und
das eigene Verhalten als Maßstab zu nehmen, sondern einerseits
geprüfte Evidenz im Rahmen internationaler Suchtforschung und
andererseits die europäischen Erfahrungen der letzten Jahre
zum Ausgangspunkt eines Prozesses des Umdenkens zu machen. Der
Kampf gegen die Stigmatisierung Süchtiger einerseits und das
Verfügbarmachen von Hilfe andererseits wären zwei
wichtige Schritte in dieser Angelegenheit.
Professor Michael Krausz gründete das
Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der
Universität Hamburg und war dessen langjähriger
Direktor.
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