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Das Parlament
Nr. 15 / 11.04.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Christian Buckard

Sich selbst im anderen erkennen

Junge Israeli und Palästinenser an einem Tisch

Nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens im Herbst 1993 schien ein Friede zwischen Israelis und Palästinensern erstmals keine Utopie mehr zu sein. Eine der vielen ermutigenden Folgen des Abkommens war eine Einladung des Muftis von Kairo zu einer internationalen Konferenz über "religiöse Toleranz" im darauffolgenden Jahr. Zu dieser Konferenz wurde auch der israelische Sozialpsychologe Dan Bar-On mit zwei weiteren Kollegen eingeladen. Bar-On, Professor an der Ben-Gurion-Universität in Beersheva, lernte am Rande dieser ungewöhnlichen Konferenz seinen palästinensischen Kollegen Elia Awwad kennen.

Die beiden Psychologen beschlossen ein gemeinsames Projekt: Sie interviewten israelische und palästinensische junge Männer, die sich in den Jahren der ersten Intifada (1987 - 1993) als Feinde gegenübergestanden hatten. Das Ergebnis dieser Untersuchung vermittelte ihnen den Eindruck, dass unter den zornigen jungen Männern beider Völker Zweifel und Misstrauen gegenüber den Absichten der anderen Seite herrschten. Schon damals hätten die beiden Psychologen eigentlich erkennen können, wie fragwürdig der von oben verordnete Friede war. Doch erst als Arafat die israelischen Friedensvorschläge in Camp David zurückwies und danach die zweite Intifada ausbrach, mussten Bar-On und Awwad feststellen, dass sie die Zeichen an der Wand ignoriert hatten.

Ferne Utopie?

Wer erfahren möchte, welche psychologischen Faktoren einen dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern als ferne Utopie erscheinen lassen, der lese dieses Buch. Bar-On, als Kind deutsch-jüdischer Eltern 1938 in Haifa geboren, durchlebte als Zehnjähriger den israelischen Unabhängigkeitskrieg. Aus dem Sechs-Tage- und dem Yom Kippur-Krieg kehrte er zwar nicht körperlich, doch seelisch schwer verwundet zurück. 25 Jahre lebte er in einem Kibbuz und war der Chef-Psychologe der Armee im südlichen Kommandoabschnitt. Er arbeitete als Familien-Therapeut, behandelte Holocaust-Überlebende und traumatisierte Soldaten und interviewte als erster israelischer Forscher Kinder von Nazi-Verbrechern.

Nachdem Bar-On Nachkommen von Holocaust-Überlebenden und Nazi-Tätern an einen Tisch gebracht und so die Methode des gegenseitigen "storytelling" entwickelt hatte, wandte er sich im Jahr 2000 der Dialogarbeit mit Israelis und Palästinensern zu. Seine Grundidee ist so einfach, wie ihre Durchführung schwierig ist: Der Sozialpsychologe setzt sich mit Israelis und Palästinensern zusammen und ermutigt sie, einander ihre Lebensgeschichten zu erzählen.

Der Mensch besitzt jedoch - wie David Grossman es formuliert - "eine große Angst, der Geschichte des Anderen zuzuhören". Das trifft vor allem auf die palästinensischen Araber zu: Denn während man auf der israelischen Seite zunehmend bereit ist, die Leiden der anderen Seite anzuerkennen, scheinen die Palästinenser immer noch eine große Angst davor zu haben, die israelische Seite der Geschichte zu hören. Mehr noch: Palästinensische Teilnehmer dieser Treffen neigen mitunter dazu, den Holocaust zu leugnen oder das Vorgehen der israelischen Armee mit der Vernichtungspolitik der Nazis gleichzusetzen.

Ursachenforschung

Bar-On ließ sich davon aber nicht entmutigen, sondern versuchte vielmehr zu begreifen, wo diese totale Negierung des "Anderen" und seiner Geschichte herrührt. Er vermutet, dass sich die Palästinenser noch immer sehr stark über die Ablehnung des "Anderen" definieren. Sie haben Angst davor, sich in die Lage der Israelis zu versetzen, die eigene Geschichte differenziert zu betrachten. Für Bar-On ist der erste Schritt zu einer Verständigung jedoch erst dann getan, wenn man bereit ist, die Geschichte des Anderen zur Kenntnis zu nehmen. Und dies selbst dann, wenn die dabei getroffenen Aussagen falsch und verletzend sind.

All jene, die mit dem Treffen zwischen Machmoud Abbas und Ariel Sharon den israelisch-arabischen Frieden schon in greifbare Nähe rücken sehen, sollten Bar-Ons Buch lesen. Es zeigt auf, wie breit die Kluft zwischen beiden Völkern ist und schützt vor trügerischen Hoffnungen. Gleichzeitig schildert Bar-On seinen Versuch, Brücken zu schlagen. Es ist diese Mischung zwischen nüchterner Einsicht in die Realität und trotziger Zuversicht , die Bar-Ons Buch zu einem außergewöhnlichen Werk machen.


Dan Bar-On

Erzähl dein Leben! Meine Wege zur Dialogarbeit und politischen Verständigung.

edition Körber-Stiftung, Hamburg 2004; 268 S., 14,- Euro

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