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Rudolph Chimelli
Die islamische Republik ist kein Monolith der
Macht
Der Iran auf dem Weg zum "chinesischen
Modell"
Welche Wege Iran unter seinem künftigen
fundamentalistischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad
einschlägt, darüber ist man in Teheran wie im Ausland
noch weitgehend auf Mutmaßungen angewiesen. Doch es gab schon
vor seinem Amtsantritt Anfang dieses Monats einige Indizien.
So hat der radikale Nachfolger des
Reform-Präsidenten Mohammed Chatami während seiner
Kampagne "eine einzige Familie und deren Clique" dafür
kritisiert, dass sie das Erdölgeld in ihre Taschen steckten,
während das Volk darbe. Er versprach, den Augiasstall der
Korruption auszukehren und dafür zu sorgen, dass der
Ölreichtum auf den Tellern der Iraner sichtbar werde. Jeder
wusste, dass Ahmadinedschad seinen Konkurrenten, den
gemäßigten Ex-Staatschef Haschemi Rafsandschani, meinte,
der zu den reichsten, raffgierigsten und unbeliebtesten
Männern des Landes gehört.
Kaum war die Wahl entschieden, bescheinigte
der geistliche Führer Ali Chamenei dem Unterlegenen, er sei
ein honoriger und erfahrener Mann. Auch eine große Mehrheit
des Parlaments sprach Rafsandschani Anerkennung und Dank aus.
Fazit: Aus den Rekordeinnahmen von voraussichtlich 40 Milliarden
Euro, die Iran dank hoher Ölpreise heuer erzielt, wird der
neue Präsident das Millionenvolk seiner Wähler mit
Prämien und Brosamen erfreuen können. Aber eine
Umverteilung ist nicht vorgesehen. Der Besitzstand wird nicht
angerührt.
Ihren Sieg durch Hupkonzerte, Umzüge und
andere Kundgebungen zu feiern, verbot Chamenei den Anhängern
Ahmadinedschads. Dass der Radikale die Lockerung der streng
islamischen Lebensformen - einen der wenigen tief greifenden
Erfolge der Reformperiode - rückgängig machen wolle,
bestreiten Vertrauensleute. So sagt Mehdi Kalhor, der
Wahlkampfstratege des Siegers, das neue Regime werde den Druck auf
die Kultur abbauen und eine kritische Presse respektieren. Das
Recht auf Satelliten-Antennen, die theoretisch immer noch verboten
sind, werde Ahmadinedschad bestätigen. Es gibt erste Stimmen
von Ultrakonservativen im Parlament, der Madschlis, der
künftige Präsident müsse die Schande beenden, dass
Frauen mit nicht mehr als einem bunten Taschentuch auf dem Kopf
herumliefen.
Das hätten die Machthaber schon bisher
tun können, wenn sie gewollt hätten. Sie hatten die
Polizei unter ihrem Kommando, die Volkmiliz Bassidsch, die
Revolutionswächter, Justiz, Geheimdienste, die Wirtschaft und
einen Großteil der Medien. Aber gerade seit die Konservativen
auch das Parlament unter ihre Kontrolle brachten, war die Praxis
eher laxer geworden: Junge Paare gehen Hand in Hand, was
früher unmöglich war, sitzen auf Parkbänken, treffen
sich in Restaurants. Autokorsos mit lauter Musik werden nicht mehr
unterbunden, private Parties mit Tanz und geschmuggeltem Alkohol
nur noch selten gesprengt. Die Sittenpolizei befand sich deutlich
auf dem Rückzug.
Informierte Interpreten der Absichten der
"Neuen Konservativen" behaupten, diese träumten vom
"chinesischen Modell" - ideologische Kontrolle bei Liberalisierung
des Alltags mit Prosperität. Da die Machthaber den Jungen
Arbeitsplätze und Wohlstand nicht bieten könnten,
dürfen diese im Privatleben an längerer Leine laufen.
Missmut soll vermieden werden. Wenn Frauen, die sich nach
süßerem Leben sehnen, der "Tscha-Dior" genommen werde,
das bunte Seidentuch aus Paris oder Rom, dann ist die Freude bei
den Fanatikern weniger wichtig als der Ärger in der
Mittelschicht.
Wichtiger als solche Indizien sind die
Strukturen. Der Präsident Irans ist kein starker Mann. Chatami
war es nicht, wie er selber, die Mehrheit der einst hoffnungsvollen
Iraner und seine ausländischen Partner in acht frustrierenden
Amtsjahren erfahren mussten. Ahmadinedschad wird es gleichfalls
kaum werden. Er will es gar nicht und hätte dazu - im
Gegensatz zu Rafsandschani - auch nicht die Hausmacht. Niemand
kommt in der Islamischen Republik am geistlichen Führer
vorbei. Er steht über Verfassung, Gesetz, Institutionen,
Volkswillen oder Wahlen und ist normalerweise lebenslänglich
an der Macht. Nach dem Grundsatz des "Welajat-e-Fakih", der
Herrschaft des Gottesgelehrten, die Revolutionsführer Chomeini
in jene Verfassung einfügte, ist er der irdische Statthalter
des entrückten zwölften Imam, des Oberhauptes der
Schiiten. Chamenei befehligt die Streitkräfte, ernennt die
Chefs der Justiz sowie des Staatsfernsehens und bestimmt die
Zusammensetzung des Wächterrates, des geistlichen
Verfassungsgerichtes.
Dieses wiederum brachte fast alle
Reformgesetze als "unislamisch" zu Fall, welche die Madschlis
verabschiedete, als die Reformer dort noch die Mehrheit hatten. Vor
den Wahlen zu eben diesem Parlament und jetzt wieder für die
Präsidentschaft eliminierte der Wächterrat alle
aussichtsreichen Kandidaten der Reformer. Chameneis Justiz wiederum
sperrte in den letzten Jahren mehr als 90 Zeitungen zu. Ein
geschlossenes System, zu dem auch die wirtschaftlich dominanten
Stiftungen gehören, von deren Wohlwollen Millionen
abhängig sind. Ohne Chamenei und dieses System wäre der
obskure Ahmadinedschad nicht vor zwei Jahren Bürgermeister
Teherans und jetzt nicht Präsident geworden. Selber bekennt
er, dass er keinen anderen Ehrgeiz habe, als Erfüllungsgehilfe
des geistlichen Führers und damit treuer Diener der Nation zu
sein.
Nie war die Islamische Republik ein Monolith
der Macht. Sie ist es auch jetzt nicht. Die Konservativen sind
unter sich zerstritten, noch mehr die Reformer, so weit sie nach
der Verdrängung von allen Schalthebeln überhaupt
politische Handlungsmöglichkeiten behalten. Weder die eine
Seite noch die andere hat ein kohärentes Programm.
Anhänger staatlicher Planung und Freiwirtschaftler,
Pragmatiker und Ideologen, Orthodoxe und Radikale,
Revolutionäre und Reaktionäre, Phantasten und
Opportunisten haben ein Vierteljahrhundert lang für ein Patt
gesorgt, das wirtschaftliche und soziale Entfaltung
behinderte.
Klassische Despotie
Iran entspricht dem klassischen Modell einer
Despotie, gemildert durch Schlamperei. Innerhalb der Eliten
verbinden nur wenige mit Worten wie Demokratie, Pluralismus,
Freiheit konkrete Vorstellungen oder gar Erfahrungen. Von den
Revolutionären der zweiten oder dritten
Führungsgeneration, zu der Ahmadinedschad gehört, hat
kaum einer Kenntnis von der Welt. Andere Länder kennen junge
Funktionäre überwiegend von Dienstreisen - wie seinerzeit
Apparatschiki der Sowjetunion.
Auf Rafsandschani hätte dies nicht
zugetroffen. Er kennt sich aus, war ein gewiefter Makler, der etwas
von internationalen Beziehungen verstand, und wollte die
Errungenschaften des Reformers Chatami bewahren. Die Fortsetzung
des Dialogs mit den Europäern und der Anfang einer
Normalisierung der Beziehungen zu den USA wären für ihn
vordringlich gewesen, denn er weiß, dass die Misere seines
Landes anders nicht zu beheben ist. Zusammen hätten diese
Faktoren mutmaßlich die Lösung des Atom-Disputs mit
Teheran erleichtert. Es ist jedoch noch nicht lange her, dass
Ahmadinedschad sagte: "Wir haben die Revolution nicht gemacht, um
Demokratie herzustellen." Die USA hätten die Beziehungen
abgebrochen, um das Revolutions-Regime "zu ruinieren". Amerika sei
frei gewesen, so zu handeln, aber jetzt liege es am Iran, "zu
entscheiden, ob die Beziehungen wieder hergestellt werden sollen".
Im November 1979 hatte der damals 23-jährige Ahmadinedschad
jener Studenten-Organisation angehört, deren dominanter linker
Flügel die amerikanische Botschaft in Teheran besetzte. Er
selber plädierte aus radikal konservativer Gesinnung
dafür, auch die sowjetische Botschaft zu
stürmen.
Es ist gut, sich in diesem Zusammenhang daran
zu erinnern, dass Begriffe wie links und rechts, liberal und
konservativ nur begrenzt mit ihrer westlichen Ursprungsbedeutung
übereinstimmen. Dass sein Land Atomwaffen will, stellt er
heute in Abrede, so wie es der offiziellen Linie entspricht. Doch
er meint, die wenigen, die nicht einsehen wollten, dass Iran ein
Recht auf friedliche Nutzung nuklearer Energie habe, würden
bald zur Raison kommen. Mit seinem Hintergrund als Mitglied einer
Spezialeinheit der Revolutionswächter, als maßgebliches
Mitglied der Massen-Organisation Bassidsch und mit seinem
beschränkten außenpolitischen Horizont dürfte
Ahmadinedschad neue Spannung und zusätzliche Lust an der
Konfrontation in den Atom-Disput bringen. Günstigstenfalls
kann er zu einem populistischen Staatschef nach dem Muster des
Venezolaners Hugo Chavez werden, der die Armen für sich
mobilisieren kann, aber sein Land weiter in die Isolierung treibt.
Bei der geostrategischen Lage Irans wäre dies indessen viel
gravierender.
Nicht mehr als ein Drittel der
wahlberechtigten Iraner hat für Ahmadinedschad gestimmt.
Grundlegende Veränderungen im Machtgefüge haben sie durch
ihr Votum nicht bewirkt, aber ein gewaltiges Gewicht verschoben.
Zum ersten Mal sind alle Karten in einer Hand, denn nun gehört
den Konservativen nach Parlament und Jus-tiz auch die Exekutive.
Der scheidende Reformpräsident und seine Regierung waren die
letzte Bremse für deren Machtwillen. Auch wenn Chatami und
seine Leute nicht viele Wirkungsmöglichkeiten hatten, waren
sie ein Korrektiv, das für bessere Manieren im Umgang mit dem
Ausland sorgte und für ein milderes Klima im Alltag der
Iraner. Nach der Islamischen Republik der Revolutionszeit war
Chatamis Baustelle einer Zivilgesellschaft einmal erwartungsvoll
als "Zweite Republik" begrüßt worden. Ahmadinedschads
"Dritte Republik", falls es denn eine wird, ist eintöniger als
ihre Vorgängerinnen.
Manche Iraner blicken mit Nostalgie auf die
Zeit der Revolution zurück, andere mit Furcht, dass Gewalt und
Rechtlosigkeit jener Epoche wiederkehren könnten. Jene zwei
Drittel der Bevölkerung, die jünger als 30 Jahre sind,
haben keine persönliche Erinnerung und weder Sehnsucht noch
Angst. Sie leben in einer anderen Welt und kümmern sich wenig
um das, was ihnen die Obrigkeit erzählt, so lange man sie in
Ruhe lässt. Ihre Wünsche orientieren sich an der
Konsumgesellschaft und den intellektuellen Moden der USA. Die
Propaganda gegen den Großen Satan interessiert niemanden mehr.
Ja, paradoxerweise sind die Iraner das einzige Volk des Nahen
Ostens und wahrscheinlich der islamischen Welt, das Sympathien
für Amerika hat. Alle Parallelen zwischen der
revolutionären Frühzeit und Ahmadinedschads Ideen sind
schief. Der Revolutionsführer Chomeini zog bei seiner
Rückkehr aus dem Exil einen Kometenschweif von Denkern und
Praktikern aus der bürgerlichen, liberalen und linken
Opposition hinter sich her. Ahmadinedschads Iran ist von
intellektueller Dürftigkeit bedroht.
Rudolph Chimelli ist Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in
Paris.
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