|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Udo Steinbach
Morgenröte im Morgenland?
Neue politische Dynamik in der Region nach
"Iraqi Freedom"
Es ist das alte Bild vom Wasserglas - halbvoll
oder halbleer? Es hängt vom Auge des Betrachters ab, wie er
den Zustand der Region zwischen Ägypten und Afghanistan
wahrnimmt. Optimisten wollen zaghafte Schritte in Richtung auf mehr
Demokratie und größere Bürgerfreiheiten sehen. Die
Pessimisten haben es freilich nicht allzu schwer, ihre skeptische
Sicht der Dinge zu begründen.
Die Optimisten verweisen auf Ägypten, wo
eine Protestbewegung signalisiert, dass sie nach fast einem
Vierteljahrhundert von der Präsidentschaft Mubaraks "genug"
hat. In Palästina haben die Menschen demokratische
Verantwortung gezeigt; die befürchteten Richtungskämpfe
nach dem Tod Arafats sind ausgeblieben. Im Libanon hat die
Opposition den Rückzug Syriens und relativ faire Wahlen
durchgesetzt. Und in Syrien selbst hat der jüngste Kongress
der Baath-Partei zu einer weitgehenden Ablösung der alten
Garde und vorsichtiger Öffnung des Systems geführt. In
Kuwait ist die erste Frau als Ministerin vereidigt worden; Schritte
zu mehr Rechten von Frauen wurden auch in anderen Emiraten getan.
Auch eine Verfassungsbewegung gibt es dort, die die Rechte der
Herrschenden regelt. Und die Kommunalwahlen in Saudi-Arabien
bedeuten eine erste Bewegung hin zu mehr Teilhabe der
Bevölkerung. Selbst mit Blick auf die Lage in den beiden
instabilsten Staaten, dem Irak und Afghanistan, sind Fortschritte
beim Aufbau formaler staatlicher Strukturen zu vermelden. In den
dornigsten bilateralen Konflikten schließlich, dem
Palästina- und Kaschmir-Konflikt, gibt es angesichts des
angekündigten Rückzugs Israels aus dem Gaza-Streifen und
der pakistanisch-indischen Annäherung Funken von Hoffnung. So
sind die Optimisten geneigt, dem amerikanischen Präsidenten
einen gewissen Kredit für seine Bemühungen um
Demokratisierung und Stabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens
einzuräumen.
Die Argumente der Pessimisten reichen von
unverändert autokratischer Machtausübung wie in
Ägypten und Saudi-Arabien über anhaltende Gewalt im Irak
und - sogar eskalierend - in Afghanistan bis zur Fortsetzung
israelischer Siedlungspolitik in Palästina - ungeachtet der
Proteste und Hinweise auf internationales Recht von Seiten der
internationalen Gemeinschaft. Die jüngsten Ausbrüche von
Gewalt in Kirgistan und Usbekistan bestärken die Pessimisten
in ihrer Einschätzung, dass eine Morgenröte im Morgenland
nicht sichtbar ist.
Auffallend ist im Vergleich zu früheren
Jahren die doppelte Diffusität: Sowohl geographisch wie auch
nach Tätern, Opfern und Motiven. Zwischen Bali und Rabat
finden sich unzählige Plätze, an denen Gewalt vielfach in
terroristischer Form ausgeübt worden ist. Und in den Motiven
der Gewalttäter haben sich die Konturen zwischen einem
Befreiungskampf (unter anderen Irak und Palästina), einem
Kampf um Macht und gegen bestehende Regime (unter anderen Irak und
Saudi-Arabien) sowie einem kaum zu definierenden "Kampf gegen den
Westen" (Irak wiederum und viele andere Plätze) längst
verwischt.
Tatsächlich ist jenen Beobachtern zu
folgen, die eine Art globaler Interaktion zwischen dem Kampf gegen
den Terrorismus, den der amerikanische Präsident führt
und der sich geographisch wesentlich im Raum der islamischen Welt
abspielt, und einem transnationalen, global operierenden militanten
Dschihad-Islamismus konstatieren. Dabei spielt die Wiederbelebung
des Konzepts der Umma, der islamischen Gemeinschaft jenseits der
Staaten und Nationen, eine zentrale Rolle. Was Wunder also, dass
auch Angehörige der Umma in der nichtislamischen Welt von der
Austragung dieser Feindseligkeit nicht unberührt bleiben. Die
Terroranschläge von Madrid (März 2004) und London (Juli
2005) waren die bislang stärksten Symptome dafür, dass
die Ausläufer der Spirale von Gewalt und Gegengewalt auch
Europa treffen können.
Eine wichtige Rolle spielen bei der
Mobilisierung die neuen satellitengestützten
Fernsehkanäle, die in den letzten zehn Jahren im arabischen
Raum entstanden sind. Mit ihnen ist "dem Westen" das
Nachrichtenmonopol abhanden gekommen, das noch bis Anfang der
90er-Jahre westliche Einflussausübung gestärkt hat. Die
neuen arabischen Medien vermitteln den Menschen in ihrem - globalen
- Sendegebiet ihre eigene Einordnung der Geschehnisse in
Zusammenhänge ihres kollektiven Gedächtnisses.
Ausgerechnet einer der Drahtzieher des Terrorattentats von Bali
(Oktober 2002) hat auf den Punkt gebracht, worin der rote Faden
dieser Zusammenhänge liegt: "Ich wollte den Krieg führen
als Rache für die weltweite Ungerechtigkeit gegenüber
Muslimen."
Der Terrorismus ist mithin kein
zufälliges oder ver-einzeltes Phänomen; er signalisiert
eine tiefe Beziehungskrise zwischen dem Westen und der islamischen
Welt. Das mag insgesamt nicht neu sein; aber die neuerliche
Demütigung des Selbstgefühls zahlreicher Muslime durch
die amerikanische Invasion hat einen politisierten Rand in
islamischen Gesellschaften weiter radikalisiert und lässt die
Beziehungskrise in bewaffnete Konfliktaustragung
eskalieren.
Historischer Fehler
Die Neuordnung der Beziehungen zwischen dem
Westen und dem islamisch geprägten Raum ist eine der
großen politischen Herausforderungen am Beginn des 21.
Jahrhunderts. Wenn auch das Paradigma vom Zusammenprall der
Kulturen zu Recht als zu schematisch kritisiert worden ist, so kann
gleichwohl nicht länger übersehen werden, dass
Verwerfungen aufgebrochen sind, die auch eine kulturelle Dimension
haben. Das bedeutet nicht, dass sie als solche eindimensional
kultureller Natur sind; aber die Art und Weise, in der sich die USA
und Europa heute politisch darstellen, stößt weithin auf
eine Ablehnung, die in einer kulturell und religiös
geprägten Wahrnehmung von Seiten eines breiten Spektrums von
Menschen in der islamischen Welt wurzelt.
Damit ist zugleich gesagt, dass sich die
Gestaltung einer neuen Qualität von Beziehungen zwischen
beiden Seiten wesentlich von dem Begriff der Gerechtigkeit leiten
lassen sollte. Das kann nicht heißen, die Grundwerte, auf
denen demokratische Ordnungen im Westen beruhen, in Frage zu
stellen; die eingangs angestellten Beobachtungen der "Optimisten"
lassen erkennen, dass sie weithin akzeptiert werden. Sie sind
vielmehr in einer Politik zu vermitteln, die Vertrauen entstehen
lässt, dass eine Synthese zwischen den Grundlagen der eigenen
Kultur, zu denen wesentlich auch die Religion gehört, und den
Grundwerten der Moderne, die ihren Ursprung im Westen haben, der
richtige Weg ist, der islamischen Welt im 21. Jahrhundert einen
Platz von Gleichen unter Gleichen zu geben. Vor diesem Hintergrund
kann der Schlag gegen den Irak im Kontext des Kampfes gegen den
Terrorismus als historischer Fehler bezeichnet werden. Und nicht
zufällig eskalierte die Gewalt in und aus der islamischen Welt
heraus mit Beginn der militärischen Vorbereitungen
dazu.
Europa - als unmittelbarer Nachbar des Nahen
und Mittleren Ostens - ist in besonderer Weise herausgefordert,
eine Partnerschaft aufzubauen, die geeignet ist, den Gesellschaften
dort langfristig Perspektiven zu umfassender Entwicklung zu
eröffnen und mithin einen Beitrag zur Stabilisierung dieser
Region zu leisten. Dabei werden allerdings überkommene
Politikansätze überdacht werden müssen. Die
Mittelmeerpolitik wäre stärker auf politische Kräfte
auszurichten, die sich für demokratischen Wandel einsetzen.
Dass dies bei den Regierenden zu Missstimmung führt, wird
ebenso unvermeidlich sein wie zeitweilige politische Krisen und
Instabilitäten im Prozess des Übergangs. Wandel ohne
Entwicklung aber kann in die falsche Richtung führen. Deswegen
wird die EU die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit ihren
nordafrikanischen und nahöstlichen Nachbarn vertiefen und
zugleich einen Beitrag leisten müssen, wirtschaftliche
Zusammenarbeit innerhalb der Region zu intensivieren, um die
vorhandenen Potenziale zu umfassender Entwicklung der Gesamtregion
zu mobilisieren. In den Konflikten dort wird die EU klare
Positionen zu beziehen haben, die sich auf Recht und Gerechtigkeit
gründen - bei Tschetschenien ebenso wie bei Palästina. Es
führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass zwischen
Besatzung und Frieden ein unauflösbarer Widerspruch besteht.
Wesentlich ist schließlich, dass mit den USA ein
selbstbewusster Dialog darüber geführt wird, welchen
Beitrag der Westen gemeinsam zur Lösung der Probleme der
Region leisten und wie dem Terrorismus langfristig der Boden
entzogen werden kann. Der Irak wird nur dann zur Stabilität
zurückkehren, wenn die wichtigsten internationalen Mächte
und die Nachbarn eng zusammenwirken.
Die nächste Herausforderung an die
europäische Politik im Nahen Osten ist bereits in den Karten.
Wie wird sie mit einem Iran umgehen, dessen Führung
entschlossen zu sein scheint, die volle wissenschaftliche und
technologische Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken
anzustreben? In der Wahrnehmung der Führung in Teheran ist
dies nicht nur ein Recht, das ihr als Unterzeichner des
Atomwaffensperrvertrages erwächst. Die Verfügung
über die Kernenergie vielmehr ist ein essenzieller Schritt in
Richtung "gleiche Augenhöhe", die die iranische Führung
seit der Revolution auf unterschiedliche Weise angestrebt hat. Eine
Politik, die den Iran bei der Kernenergie auf halbem Wege zu
stoppen sucht, die Atompotenziale Israels aber nicht beim Namen
nennt, wird in Teheran - und anderweitig im Nahen Osten - als
Rückfall in jene "doppelten Standards" gewertet, die an der
Wurzel der Krise in den Beziehungen liegen. Wenn eine
"präventive" militärische Aktion à la Irak aber
weder klug noch machbar ist, müsste eine auf die
Entnuklearisierung des gesamten Nahen Ostens gerichtete Politik
eine Verhandlungsdynamik zwischen allen Nuklearmächten in Gang
setzen, an dessen Anfang naturgemäß die Anerkennung eines
jeden Verhandlungspartners stehen würde - insbesondere die
Anerkennung Israels durch den Iran.
An einem Punkt hat die EU eine
zukunftweisende Entscheidung mit Blick auf ihr Verhältnis zur
islamischen Welt getroffen: sich offen zu halten für eine
eventuelle Mitgliedschaft der Türkei. Der diesjährige
Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, der
türkische Autor Orhan Pamuk, hat in einem Interview gesagt:
"Wenn es einem muslimischen Land gelingt, durch
Interkulturalität demokratische Standards zu erreichen, dann
bedeutet das für die Türkei und für Europa eine
radikale Neudefinition." Diese Feststellung kann auch auf das
Verhältnis Europas zur gesamten islamischen Welt ausgedehnt
werden.
Professor Udo Steinbach leitet das Deutsche Orient-Institut im
Deutschen Übersee-Institut in Hamburg.
Zurück zur Übersicht
|