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Das Parlament
Nr. 36 / 05.09.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Alexander Weinlein

Der Souverän am Stellhebel der Macht

Die Entscheidung: Am 18. September wählen die Deutschen einen neuen Bundestag
Da sind sie wieder. Ein Jahr früher als erwartet. Sie lächeln von Plakatwänden, Litfaßsäulen und den Masten von Straßenlaternen. Sie werben in Fußgängerzonen, auf Marktplätzen und in Hallen, Fernseh- und Rundfunkspots. Trotz unterschiedlicher Standpunkte und Programme vereint sie ein gemeinsames Ziel: Sie alle wollen einen der begehrten 598 Sitze im 16. Deutschen Bundestag erringen. Sie - das sind die 3.648 Kandidaten, die um die Stimmen der rund 61,9 Millionen Wahlberechtigten kämpfen. Am 18. September ist es soweit. Dann sitzt der Souverän, das Volk, für zehn Stunden - so lange haben die Wahllokale geöffnet - am Stellhebel der Macht und entscheidet über die politische Zukunft Deutschlands.

In dieser Wochen werden sie noch einmal alle zusammenkommen - die 603 Abgeordneten des 15. Deutschen Bundestages. Am Mittwoch werden sie sich noch einmal im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes zu einer Bundestagssitzung versammeln. Und es wird zu einem letzten parlamentarischen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition, zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Herausforderin Angela Merkel kommen. Schröder wird vor dem Parlament eine letzte Regierungserklärung abgeben, die eine Bilanz seiner siebenjährigen Amtszeit darstellen wird, und CDU-Chefin Angela Merkel wird sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, dem Kanzler Paroli zu bieten.

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Bundestag in seiner jetzigen Zusammensetzung vor oder auch nach der Wahl ein weiteres Mal zusammentreten wird - zum Beispiel, um das am 13. Oktober auslaufende Mandat der Bundeswehr für ihren Afghanistan-Einsatz zu verlängern -, ansonsten wird der parlamentarische Betrieb jedoch ruhen. Denn der Bundestag bleibt trotz seiner Auflösung durch Bundespräsident Horst Köhler am 21. Juli solange im Amt, bis sich der neue konstituiert hat. Dies wird spätens - so sieht es das Grundgesetz vor - am 18. Oktober geschehen.

Trotz der angespannten Wahlkampfstimmung wird wohl auch ein wenig Wehmut bei den Parlamentariern herrschen, wenn sie sich zum letzten Mal im Reichstag versammeln. Für viele werden es die letzten Stunden als Abgeordnete sein - sei es, weil sie nicht mehr für den neuen Bundestag kandidieren, oder weil sie fürchten müssen, dass sie ihren Wahlkreis nicht mehr direkt gewinnen können und auch nicht über einen der sicheren, vorderen Listenplätze ihrer Partei verfügen. Fest steht, dass 90 der derzeitigen Bundestagsabgeordneten nicht wieder zur Wahl antreten.

Während die Volksvertreter auf ihren Sitzen im Plenarsaal über die vergangenen drei Jahre der nun endenen Legislaturperiode sinnieren, während sie auf Straßen und in Hallen Wahlkampf machen oder sich mit ihren politischen Kontrahenten in Fernseh-Talkshows die Köpfe heiß reden, entscheiden schon die ersten Bürgerinnen und Bürger auf dem Wahlzettel über ihr politisches Schicksal - denn seit Anfang September läuft die Briefwahl. Alle Wahlberechtigten, die am 18. September den Gang an die Wahlurne nicht antreten können, dürfen ihre Stimme bereits jetzt per Post abgeben.

Der Anteil der Briefwähler ist in Deutschland kontinuierlich angewachsen. Waren es bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen im Jahr 1990 noch rund 4,4 Millionen, stieg ihre Zahl bis zur Bundestagswahl 2002 auf rund 8,8 Millionen - das entsprach einem Anteil von 18 Prozent der Wähler.

Wer mit wem?

Wahlkampf - das ist auch die Zeit der Meinungsforscher und Analysten. Woche für Woche hören sie in das Wahlvolk, versuchen die Stimmungen und Trends zu messen, um sie dann möglichst exakt in Prozenten für die Parteien wiederzugeben. "Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?" Gespannt blicken Bürger und Politiker auf die Bildschirme, wenn die bunten Balkendiagramme die Ergebnisse der wöchentlichen Sonntagsfragen zeigen. Dann beginnt das Rechnen. Reicht es noch einmal für die Regierungskoalition aus SPD und Grünen? Schaffen CDU, CSU und FDP den von ihnen angestrebten Machtwechsel an der Spree? Oder läuft es auf eine Große Koalition zwischen Union und Sozialdemokraten hinaus?

Die Frage "Wer mit wem?" gehört eben nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich zu den spannendsten. Die Frage nach den denkbaren Koalitionskombinationen bei allen möglichen Wahlergebnissen wird in Wahlkampfzeiten besonders gerne gestellt. Mal geben sich die Parteien bedeckt, mal werden klare Koalitionsaussagen bewusst formuliert. CDU, CSU und FDP haben in der vergangenen Woche noch einmal - medienwirksam - ihre Koalitionspläne bekräftigt.

Ausdrücklich festgelegt haben sich SPD und Grüne diesmal nicht. Beide Seiten betonen zwar, dass sie die Regierungskoalition fortsetzen wollen, allerdings hat es nach der von Bundeskanzler Gerhard Schröder bewusst herbeigeführten Niederlage über seine Vertrauensfrage am 1. Juli im Bundestag hörbar geknirscht im Gebälk der Koalition. Beide Parteien setzen viel stärker auf Eigenständigkeit als dies noch vor drei jahren der Fall gewesen war. Nur eines hat Gerhard Schröder kategorisch ausgeschlossen: Eine Koalition mit der Linkspartei.PDS.

Entscheidung im Endspurt

Knapp zwei Wochen haben die politischen Protagonisten noch Zeit, um ihre Überzeugungen und Programme an die Frau und den Mann zu bringen. Das ist einerseits nicht mehr viel, anderseits weiß man aus den Erfahrungen der letzten Bundestagswahl, dass die Entscheidung in der sprichwörtlich letzten Minute fallen kann. Glaubt man den Angaben der Meinungsforschungsinstitute, so ist derzeit noch jeder fünfte Wahlberechtigte unentschlossen, welche Partei er am Stichtag wählen wird.

Eng verbunden mit diesem Phänomen ist die Angst, dass die Wahlbeteiligung erneut so schlecht ausfallen könnte wie bei der Bundestagswahl 2002 stellte der Anteil der Nichtwähler immerhin die drittstärkste "politische Kraft" im Land (Wahlbeteiligung: 79,1 Prozent). So sind die Wahlkämpfer bemüht, landauf, landab zu betonen, um was es geht am 18. September: "Richtungswahl" und "Entscheidungswahl" sind die gängigen Vokabeln - Angela Merkel sieht in der Wahl gar eine "Weichenstellung" für Deutschland wie im Jahr 1949.

Nicht nur die politischen Protagonisten rühren die Werbetrommel, sondern auch staatliche Institutionen und diverse unabhängige Initiativen - streng überparteilich. Allen voran der Deutsche Bundestag: Er ließ drei halbminütige Film-Spots mit prominenten Sportlern produzieren, die im Fernsehen, Großkinos und Fußballstadien ausgestrahlt werden. Unter dem Motto "Egal - ich geh zur Wahl" sollen HSV-Trainer Thomas Doll und sein Spieler Benjamin Lauth, der Rennfahrer Heinz-Harald Frentzen und die Beach-Volleyballerinnen Stephi Pohl und Okka Rau die 18- bis 35-Jährigen - vor allem jene, die politisch desinteressiert sind - zum Wählen motivieren. Die Bundeszentrale für politische Bildung schickt gleich 90 Promis - vom Kabarettisten Ingo Appelt über Alt-Rocker Udo Lindenberg bis zu "Tagesthemen"-Moderator Ulrich Wickert - ins Rennen, die in Radio-Spots gegen das "Blaumachen in der Demokratie" (Gunter Gabriel) mobilisieren.

Am 18. September um 18 Uhr werden die Wahllokale schließen. Dann beginnt das Auszählen der Stimmen. Auch wenn um Punkt 18 Uhr die Fernsehanstalten wieder ihre Prognosen - erstellt anhand von Wählerbefragungen direkt nach der Stimmabgabe - verkünden werden, kann es ein langer Abend werden - das hat die Bundestagswahl 2002 gezeigt: Der Wahlsieger wird vielleicht erst spät in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden feststehen.

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