Interview
"Diese Stürme sind eine ökologische und
ökonomische Katastrophe"
Interview mit dem Klimaforscher Hans-Joachim
Schellnhuber
Hans-Joachim Schellnhuber sieht angesichts
zerstörerischerer Hurrikane große Gefahren auf die
Karibik zukommen. Die Indizien sprächen dafür, dass auch
der Klimawandel für deren zunehmende Stärke mit
verantwortlich sei. Der 55-Jährige ist Direktor des Potsdamer
Instituts für Klimafolgenforschung und Vize-Vorsitzender des
Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale
Umweltveränderungen (WBGU).
Das Parlament: Herr Schellnhuber,
waren Sie schon einmal in der Karibik?
Schellnhuber: Ja, bereits mehrere
Male. Das war immer sehr reizvoll. Zuletzt war ich im Mai auf der
Halbinsel Yukatan, die später vom Hurrikan "Wilma" schwer
heimgesucht wurde. Das macht einen natürlich besonders
betroffen.
Das Parlament: Reisen Sie wieder in
die Karibik? Oder ist es Ihnen wegen der heftigen Tropenstürme
dort inzwischen zu gefährlich?
Schellnhuber: Derzeit beeinflusst
diese Entwicklung eine solche Entscheidung noch nicht. Meine Frau
und ich überlegen, vielleicht bald einmal auf die Bahamas zu
fliegen. Die Wahrscheinlichkeit, an einem bestimmten Ort von einem
bestimmten Hurrikan getroffen zu werden, ist sehr gering.
Funktionieren die Frühwarnsysteme, kann man sich außerdem
rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Das Parlament: 2005 war in der Karibik
ein historischer Rekord mit 26 Hurrikanen zu verzeichnen. Mit
"Katrina" gab es den zerstörerischsten und mit "Wilma" den
stärksten Tropensturm der Geschichte. War das eine
Ausnahmesituation oder wird es nun jedes Jahr so
gravierend?
Schellnhuber: Statistisch war 2005
wohl ein Ausnahmejahr. Noch nie traten in einer Saison
annähernd so viele tropische Stürme auf. 2006 dürfte
es vermutlich nicht so schlimm zugehen. Man kann nicht damit
rechnen, dass die Tropenstürme nun jährlich immer mehr
Verwüstungen anrichten. Aber es ist nicht zu leugnen, dass es
in der Karibik die Tendenz zur langfristigen Intensivierung des
Hurrikanregimes gibt.
Das Parlament: Es ist umstritten, ob
die Häufung immer heftigerer Tropenstürme etwas mit dem
Klimawandel zu tun hat. Gerade manche US-Forscher vertreten die
These, solche Zyklen habe es schon immer gegeben, das sei eine
natürliche Sache.
Schellnhuber: Man muss dieses Problem
in zwei Teile zerlegen. Zum einen ist zu fragen, wie ein
Wirbelsturm überhaupt entsteht. Zum andern muss untersucht
werden, ob der Mensch über den Kohlendioxidausstoß diese
Entwicklung beeinflusst. Ein Hurrikan bildet sich nur, wenn die
Ozeanoberfläche mindestens 26,5 Grad warm ist. Physikalisch
müssen bei diesem Prozess mehrere Faktoren zusammenkommen,
aber der wichtigste Aspekt ist die Temperatur: Je wärmer das
verdunstende Wasser ist, desto stärker kann sich ein Hurrikan
aufladen. Nun war das karibische Meer einschließlich des Golfs
von Mexiko 2005 außergewöhnlich warm. Ob dieser
Temperaturanstieg allein auf den Klimawandel
zurückzuführen ist, lässt sich bislang
wissenschaftlich nicht hieb- und stichfest beweisen. Bei der
Oberflächentemperatur tropischer und subtropischer Meere
existieren seit jeher große natürliche Schwankungen. Aber
2005 war auf dem Globus wohl das wärmste Jahr seit Beginn der
Aufzeichnungen - unter tätiger Mitwirkung der Menschheit. Der
Verdacht liegt deshalb nahe, dass unsere Zivilisation auch beim
karibischen Hurrikanjahr 2005 ihre Hand im Spiel hatte.
Das Parlament: Werden die Tropen also
eines der ersten Opfer des Treibhauseffekts?
Schellnhuber: Mit Sicherheit werden
die Schadstoffemissionen und damit auch die Erderwärmung
weiter zunehmen. Insofern ist mit großer Wahrscheinlichkeit
für die Karibik mit einer Intensivierung der
Hurrikan-Tätigkeit zu rechnen. Das wird die Inseln wie die
Festlandküsten vor große Probleme stellen. Was oft
übersehen wird: Die Wirbelstürme zerstören in der
Karibik auch zusehends die Korallenriffe, deretwegen viele Taucher
als Touristen anreisen.
Das Parlament: Sind "Katrina" und
"Wilma" eine direkte Folge des Klimawandels?
Schellnhuber: Nein, das kann man
selbstverständlich nicht sagen. Ein einzelner Hurrikan
lässt sich nicht auf den Kohlendioxidausstoß eines
bestimmten Autos zurückführen. Es handelt sich um einen
schleichenden Prozess der Erderwärmung, und dieser Trend wirkt
sich im langfristigen Schnitt auf Zahl und Schlagkraft der
Tropenstürme aus.
Das Parlament: Ist diese Entwicklung
auf absehbare Zeit unumkehrbar? Müssen sich die Bewohner
dieser Region mit solchen Umweltkatastrophen abfinden?
Schellnhuber: Der Prozess der
Erderwärmung lässt sich nicht mehr stoppen, sondern nur
noch bremsen. In diesem Jahrhundert wird die Temperatur global um
mindestens 1,5 Grad nach oben klettern, das ist definitiv. Das
System ist sozusagen bereits "geladen", wie wir Wissenschaftler
sagen. Aber ob es drei oder vier Grad werden, das steht nicht fest
und ist durchaus noch zu beeinflussen.
Das Parlament: Gibt es wenigstens
Hoffnung auf lange Sicht, falls der Kohlendioxidausstoß
spürbar reduziert werden sollte?
Schellnhuber: Technisch,
ökonomisch und sozial ist eine ausreichende Verminderung
dieser Schadstoffemissionen machbar. Der Erfolg hängt von
politischen Entscheidungen ab. Es kommt auf Regierungen,
Unternehmen, Konsumenten, kurzum auf die gesamte Gesellschaft an.
Es muss uns gelingen, die globale Erderwärmung in diesem
Jahrhundert auf etwa zwei Grad zu begrenzen. So lässt sich
natürlich nicht garantieren, dass es keine Wirbelstürme
mehr geben wird. Aber deren Folgen werden eher beherrschbar
sein.
Das Parlament: Haben denn die
karibischen Inseln und Küsten eigentlich eine Chance, sich vor
Zerstörungen durch Hurrikane zu schützen?
Schellnhuber: Gewisse
Vorsichtsmaßnahmen lassen sich durchaus bewerkstelligen. Ich
finde es beispielsweise beeindruckend, wie man auf Kuba mit diesem
Problem umgeht. Für die Bucht von Havanna hat man ein
effektives Frühwarnsystem installiert. Evakuierungspläne
liegen griffbereit, und für den Fall der Fälle steht eine
große Zahl freiwilliger Helfer bereit. Beim Heranstürmen
eines Hurrikans lassen sich auf Kuba ganze Regionen binnen kurzem
evakuieren. So kann man viele Menschenleben retten. Wäre New
Orleans in gleichem Maße gewappnet gewesen, hätte man an
der US-Südküste vermutlich nicht über 1.000
Todesopfer beklagen müssen. Auf manchen Karibikinseln wurde
der Katastrophenschutz mittlerweile zum Staatsziel erklärt,
dessen Erreichen wissenschaftlich unterstützt wird. Aber eines
ist klar: Geht ein Wirbelsturm der Kategorie fünf an Land,
dann bleibt den betroffenen Bewohnern nur noch die
Flucht.
Das Parlament: Die ökonomischen
Schäden der Hurrikan-Saison 2005 sind gigantisch. Die reichen
USA können das vielleicht noch verkraften, die
wirtschaftsschwächeren Inseln indes wohl kaum. Der Tourismus
ist gefährdet. Häuser werden zerstört, Ernten
vernichtet. Machen die Tropenstürme die Karibik zu einer
Armen-Region?
Schellnhuber: Das ist eine ebenso
brisante wie komplexe Frage, die in ihrer Tragweite bislang noch
nicht gründlich erörtert worden ist. Von einem einzelnen
gewaltigen Hurrikan und dessen Verwüstungen dürfte sich
eine Region schon erholen können. Wenn so etwas aber
häufiger vorkommen sollte, müssen vielleicht ganze
Landstriche aufgegeben werden. Die Bewältigung von "Katrina"
stellt selbst die reichen USA vor riesige finanzielle Probleme.
Umso stärker trifft es jedoch die ärmeren Inselstaaten in
der Karibik. Und haftet einer Region einmal das Image von Gefahr
und Bedrohung an, schadet das unvermeidbar auch dem Tourismus. Kein
Zweifel: Die Tropenstürme sind nicht nur eine
ökologische, sondern auch eine ökonomische
Katastrophe.
Das Parlament: Herr Schellnhuber, Wir
danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Interview führte Karl-Otto Sattler
Weitere Informationen im Internet:
www.pik-potsdam.de
Zurück zur Übersicht
|