Josef-Thomas Göller
"Gefährlich und verstockt"
Guantanamo Bay: Der US-Stützpunkt auf
Kuba
Guantanamo - ein Ort, der an den musikalischen Hit "Guajira
Guantanamera" erinnert. Zu Recht, bezeichnet "guajira" auf
Kubanisch doch nichts anderes als ein Tanzlied, sodass der
berühmteste Song Lateinamerikas demnach bedeutet: die
"guajira" aus der Stadt Guantanamo. Diese liegt im Südosten
der Zuckerinsel, zwölf Kilometer nördlich der
gleichnamigen Bay, und döst seit eh und je den Schlaf der
Gerechten, der "sincereos", wie es in dem Lied heißt.
Erst der islamistische Terroranschlag vom 11. September 2001
rückte den kaum wahrgenommenen Fleck dieser Erde in das
internationale Interesse: Guantanamo Bay, den amerikanischen
Marinestützpunkt auf Kuba. Als Antwort auf den Terroranschlag
hatten die USA in einem Blitzkrieg im Oktober und November 2001 das
Taliban-Regime in Afghanistan beseitigt, das dem islamistischen
Netzwerk Al-Qaida Zuflucht gewährt hatte. Dabei nahmen die
Soldaten nach amerikanischen Angaben rund 650 so genannte
"Härtefälle" aus 42 Ländern fest. Bei diesen
internationalen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfern soll es sich um
"besonders verstockte und gefährliche" Terroristen handeln.
Sie wurden von den übrigen Gefangenen ausgesondert und auf den
Marinestützpunkt Guantanamo gebracht.
Die Maßnahme ist juristisch umstritten. Begründet hat
sie die Bush-Regierung wie folgt: Auf dem amerikanischen
Stützpunkt treffe für die Gefangenen weder das
Völkerrecht noch das amerikanische Recht zu, so das Weiße
Haus. Präsident Bush erklärte per Dekret die Gefangenen
zu "Detainees", das sind Personen in Beuge- oder Schutzhaft. Damit
trifft auf sie formal das Völkerrecht für Kriegsgefangene
nicht zu. Den Rechten der amerikanischen Verfassung unterliegen sie
ebenfalls nicht, da sie sich in Guantanamo auf fremdem Boden,
nämlich auf Kuba, befinden - so argumentieren bis heute die
Regierungsjuristen in Washington.
Verpachtet seit 1903
Doch die 116 Quadratkilometer große Marinebasis steht in
Wirklichkeit unter amerikanischem Recht, zumindest unter
militärischem. Denn ein Teil der weit ins Land hinein
reichenden Bucht von Guantanamo wurde im Jahr 1903 von Kuba an die
USA "auf 99 Jahre", wie es im damaligen Vertrag hieß, als
Marinestützpunkt verpachtet. Es war eine Freundschaftsgeste
des ersten frei gewählten Präsidenten Kubas, Tomas
Estrada Palma, der neben der kubanischen auch die amerikanische
Staatsbürgerschaft besaß. Er bedankte sich damit für
die Hilfe Amerikas im Unabhängigkeitskampf Kubas gegen Spanien
im Jahr 1898 und spekulierte sogar auf einen Anschluss an die USA.
Diesen Wunsch hegten seit 1840 viele Kubaner, da sie den
wirtschaftlichen Aufschwung in den benachbarten Vereinigten Staaten
sahen, während sie selbst als letzte spanische Kolonie in der
Neuen Welt immer stärker zurückfielen.
Doch auch umgekehrt hatten Geldmagnaten in den USA Interesse an
Kuba als Plantageninsel und versuchten bis 1897 den Spaniern die
Insel abzukaufen. Nach der Vertreibung der Spanier mittels massiver
amerikanischer Militärhilfe besetzten die USA die Bucht von
Guantanamo, da sich dort ein hurrikansicherer Hafen befindet. Kuba
erlangte zwar formal seine Unabhängigkeit, doch die
Vereinigten Staaten übten bis Mai 1902 die Kontrolle über
das Land aus.
Unter solchen Bedingungen verwundert es nicht, dass die von den
USA abhängige erste "freie" Regierung Kubas ungewöhnliche
vertragliche Bindungen mit dem großen Nachbarn einging. Kuba
verpachtete den US-Streitkräften das heutige Gebiet des
Guantanamo-Bay-Stützpunktes bis 2002, sowie einen weiteren
Hafen, der aber schon 1912 wieder an Kuba zurück-gegeben
wurde. Vor allem aber gewährte es den Vereinigten Staaten,
jederzeit die "Unabhängigkeit Kubas zu schützen und eine
stabile Regierung zu gewährleisten".
Mit diesem Freibrief für Interventionen griffen die USA
bereits 1906 von Guantanamo aus in den Aufstand der Liberalen unter
José Miguel ein. Sie schützten die Interessen
amerikanischer Besitzer von Zu-ckerrohrplantagen und Bergwerken und
verwalteten sogar für drei Jahre die Insel wie eine Kolonie.
Das gleiche geschah 1917.
Im Grunde genommen fand die eigentliche Unabhängigkeit
Kubas erst mit der kommunistischen Revolution unter Fidel Castro
und Ché Guevara zum Beginn des Jahres 1960 statt, da bis dahin
kein Machthaber in Kuba ohne Zustimmung der USA regieren konnte,
standen doch die amerikanischen Marines in Guantanamo Bay stets
"Gewehr bei Fuß". Erst seit der Machtübernahme Castros
ist der amerikanische Stützpunkt hermetisch vom Staat Kuba
abgeriegelt.
Nutzung auf unbestimmte Zeit
Warum aber gibt es diesen Anachronismus einer amerikanischen
Militärbasis auf Kuba bis heute? Zunächst kann
festgestellt werden, dass die USA stets die vertraglich vereinbarte
Pacht für das Gebiet bezahlt haben. Im Jahr 1934 wurde sie von
2.000 Dollar pro Jahr auf 4.085 Dollar pro Jahr verdoppelt -
für das gesamte Gebiet versteht sich. Außerdem setzten
die Amerikaner im gleichen Jahr bei der kubanischen
Marionettenregierung eine weitere Vertragsänderung durch: Das
Recht der Nutzung von Guantanamo auf "unbestimmte Zeit".
Seit seiner Machtergreifung fordert der kubanische Diktator
Fidel Castro zwar Jahr für Jahr den Abzug der
"Yankee-Imperialisten" aus Guantanamo und die Rückgabe des
Stützpunktes an Kuba, hat aber nie versucht, dieser Forderung
politischen oder militärischen Nachdruck zu verleihen. Selbst
auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise blieb der amerikanische
Stützpunkt von den kubanischen Revolutionären
unangetastet - vielleicht weil der spektakulär gescheiterte
Versuch der Exilkubaner, Castro und Co. zu stürzen, in der
"Schweinebucht" stattfand, nicht von Guantanamo aus. In Washington
vermutet man ein anderes Motiv: Die, so wie es heißt, nie
unterbrochenen Pachtzahlungen der USA in harten Dollars
fließen seit 1960 hemmungslos in die Taschen Castros - in
beiderseitigem Einvernehmen.
Aus amerikanischer Sicht wird mit Stolz darauf verwiesen, dass
Guantanamo Bay die älteste US-Basis in Übersee darstellt
und zudem die einzige in einem Land ist, mit dem die USA keine
diplomatischen Beziehungen unterhalten. Nach Angaben des
US-Verteidigungsministeriums dient Guantanamo Bay als "Eckstein"
der militärischen Operationen der USA in der Karibik und
unterstützt von dort aus auch die amerikanische
Küstenwache im Süden der Vereinigten Staaten. Die
Marinebasis Guantanamo Bay spiele eine "Schüsselrolle an der
Front im Kampf um die Sicherheit der Region", erklärt die
US-Navy. Darunter wird die Bekämpfung des Drogenschmuggels aus
Lateinamerika in die USA verstanden, sowie allgemein die
Bekämpfung von Terrorismus. Konkret heißt dies indes: Der
Militärstützpunkt ist hauptsächlich ein riesiges
Gefängnis für Personen, die von den USA als
"hochgefährliche Terroristen" eingestuft werden.
Außerdem, so sagt die Navy, schütze die Base "jene,
die auf seeuntüchtigen Gefährten im Meer treiben". Mit
anderen Worten: Die amerikanische Base rettet Kubaner, die
versuchen, übers Meer in die USA zu fliehen. Genau hier hakt
die kubanische Regierung gelegentlich juristisch ein: Wenn schon
der Vertrag eingehalten werde, dann solle auch darauf geachtet
werden, dass er eine rein militärische Nutzung vorschreibe.
Die Aufnahme von Flüchtlingen oder gar der
Gefängnisbetrieb für Terroristen stelle einen
Vertragsbruch dar, lamentiert Kuba vor der UNO.
Guantanamo Bay steht heute mit seinen Gefängnissen, in die
immer neue "Härtefälle" aus Afghanistan und seit 2003
auch aus dem Irak eingeliefert werden, in erster Linie als Synonym
für die Rechtswillkür des Stärkeren. Es steht auch
als Synonym für das gegenseitige Unverständnis auf beiden
Seiten des Atlantiks. Während die USA aus dem 11. September
für sich abgeleitet haben, dass sie die Völkerrechte bei
einer "internationalen Bande von Terroristen" nicht mehr zu
berücksichtigen brauchen, ringt Europa - zumindest offiziell -
mit der Weltmacht darum, diese auf den internationalen Rechtsboden
zurückzuholen. Guantanamo spielt dabei tatsächlich, wie
von der US-Navy erklärt, eine "Schlüsselrolle" - aber
eine politische, nicht eine militärische. Josef-Thomas
Göller Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin. In
den vergangenen Jahren berichtete er für "Das Parlament" aus
den USA.
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