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Martin Wagner
Stimmlos in der Steuerfreiheit
Puerto Rico: Assoziiert mit den USA
Moderne Kreuzfahrer haben es leicht, in die Vergangenheit von
Puerto Rico einzutauchen und dabei gleichzeitig einen Blick auf die
Gegenwart zu werfen. Vom großen modernen Hafen aus, der ein
beliebter Ausgangs- oder Endpunkt von Karibikkreuzfahrten ist,
dauert die Taxifahrt in das historische Viertel der Hauptstadt San
Juan nicht lange. Der moderne Teil der Stadt ist nicht
hübscher oder hässlicher als amerikanische Städte.
In Old San Juan dann ist das Gefühl unvermeidlich, sich nicht
mehr in den USA zu befinden, besonders, wenn man nach einem
Spaziergang auf gepflasterten Straßen im Innenhof eines von
dicken Mauern umgebenen Lokals einen kühlen Drink zu sich
nimmt. Rund 400 Jahre lang, von der Entdeckung durch Christoph
Kolumbus im Jahr 1493 bis 1898, waren die Spanier Herrscher auf
Puerto Rico und haben ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur
architektonisch, wie die beiden Festungen El Morro und San
Cristobal am Rande von Old San Juan zeigen, sondern auch im
Hinblick auf die Bevölkerung: Als die spanische Herrschaft
endete, war die einheimische indianische Bevölkerung nahezu
ausgerottet, dafür hatten die Spanier schwarze Sklaven aus
Afrika nach Puerto Rico gebracht.
Die amerikanische Herrschaft begann mit dem Ende des
spanisch-amerikanischen Krieges 1898 und brachte den Puerto
Ricanern 1917 die US-Bürgerschaft. Seit 1952 kann Puerto Rico,
das mit ein paar umliegenden Inseln etwa halb so groß ist wie
der Freistaat Sachsen und ungefähr doppelt so groß wie
der kleinste US-Bundesstaat Rhode Island, im Juli zwei Feiertage
begehen: Am 4. Juli den Nationalfeiertag der Vereinigten Staaten,
mit denen Puerto Rico assoziiert ist, und am 25. Juli den
Verfassungstag, der daran erinnert, dass die Insel zwar eine eigene
Verfassung, aber keine wirkliche Unabhängigkeit hat.
Diese beiden Daten machen den Zwitterstatus von Puerto Rico
ebenso deutlich wie die Tatsache, dass die knapp vier Millionen
Puerto Ricaner Bürger der USA sind, aber bei Wahlen nicht ihre
Stimme abgeben dürfen. Dafür stellen sie immerhin einen
Abgeordneten im Repräsentantenhaus des amerikanischen
Kongresses, der aber wiederum - warum sollte es ihm besser gehen
als denen, die er vertritt - kein Stimmrecht hat.
Wer auf Puerto Rico lebt, muss keine Bundessteuern an Washington
entrichten, darf aber auch nicht mit den Leistungen rechnen, die
allen anderen Bürgern der USA zustehen.
Das schwierige Verhältnis zu den USA wurde erst am 23.
September 2005 bei einem tödlichen Zwischenfall deutlich: An
diesem Tag ist Filiberto Ojeda Rios in seinem Haus von FBI-Agenten
erschossen worden. Der 72-Jährige war ein militanter
Kämpfer für die Unabhängigkeit von Puerto Rico.
Obwohl die Mehrheit der Puerto Ricaner nicht so radikal ist wie
Ojeda Rios, der in den USA wegen des Überfalls auf ein
Gelddepot und bewaffneter Angriffe in Abwesenheit zu 55 Jahren
Gefängnis verurteilt worden war, empfanden viele seinen
gewaltsamen Tod als Schock. Zumal die FBI-Agenten ihren Zugriff auf
Ojeda Rios am Jahrestag des Aufstandes gegen die Spanier starteten
und den angeschossenen Mann in seinem eigenen Haus verbluten
ließen. Die Unabhängigkeitsbewegung wird deswegen zwar
nicht stärker werden. Bei den Wahlen im November letzten
Jahres kam die Unabhängigkeitspartei nur auf etwas mehr als
neun Prozent. Doch der gewaltsame Tod des Filiberto Ojeda Rios
verstärkte bei vielen Puerto Ricanern das Gefühl,
lediglich Bürger zweiter Klasse der Vereinigten Staaten zu
sein.
Dass dies mehr als ein Gefühl ist, lässt sich mit
Zahlen belegen, die der "Puerto Rico Herald" vor Jahresfrist
sorgfältig recherchiert und fein säuberlich aufgelistet
hat. Auf einen kurzen Nenner gebracht lautet die Bilanz:
- Der Karibikinsel ist es nicht gelungen, zu den USA
wirtschaftlich aufzuschließen;
- Die Armut ist größer als in den USA;
- Die Arbeitslosigkeit ist mit 12,6 Prozent mehr als doppelt so
hoch wie im "Mutterland", wenn man die USA so nennen will;
- Der Regierungsapparat dagegen ist in Puerto Rico
aufgebläht;
- Puerto Rico erhält weniger Geld aus Washington als jeder
Bundesstaat der USA.
Die Assoziierung mit den Vereinigten Staaten war für Puerto
Rico von Anfang an mit der Hoffnung verbunden, auf diesem Wege die
Lebensverhältnisse für die Bevölkerung zu verbessern
und einen Lebensstandard zu erreichen, der mit dem in den USA
vergleichbar ist. Anfangs gab es durchaus Anzeichen dafür,
dass dies gelingen könnte. 1950 lag das Durchschnittseinkommen
für Puerto Ricaner bei 19,6 Prozent eines amerikanischen
Einkommens, bis 1976 stieg es immerhin auf 38,4 Prozent. Doch Ende
2003 ist es wieder auf 35,7 Prozent gefallen. Zum Vergleich: In
Mississippi, einem der ärmsten Bundesstaaten der USA, werden
74,1 Prozent des amerikanischen Durchschnittseinkommens erreicht.
Das bedeutet für Puerto Rico überdurchschnittlich hohe
Armut. 1999 lag der Anteil derjenigen, die unter der US-staatlich
definierten Armutsgrenze lebten, bei erschreckenden 48,2 Prozent.
In Mississippi werden 17,6 Prozent der Bevölkerung offiziell
als arm definiert. Wer in Mississippi lebt, kann in diesem Fall mit
staatlicher Unterstützung (Supplemental Security Income)
rechnen, für arme US-Bürger in Puerto Rico fühlt
sich Washington nicht zuständig.
Der größte Arbeitgeber auf Puerto Rico ist die
staatliche Verwaltung. Zum Vergleich: In Hawaii beschäftigt
der öffentliche Sektor rund zwölf Prozent aller
Arbeitnehmer, in Puerto Rico beziehen 31 Prozent aller
Beschäftigten Lohn oder Gehalt aus öffentlichen
Haushalten. Der überproportional aufgeblähte
öffentliche Sektor führt allerdings weder zu einer
effektiveren Verwaltung - er ist lediglich ein
Arbeitsbeschaffungsprogramm auf Staatskosten -, noch profitiert er
von Zuschüssen aus den USA. Im Gegenteil: Aus Washington
fließt auf die Karibikinsel weniger Geld als in jeden anderen
der 50 US-Bundesstaaten. Gemessen am Bevölkerungsanteil
bekommt Puerto Rico nicht einmal die Hälfte dessen, was ein
Bundesstaat erhält.
Volksabstimmung über Anschluss
Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass es durchaus
ernst zu nehmende Bestrebungen gibt, sich den USA vollständig,
das heißt mit allen Rechten und Pflichten, anzuschließen.
Es ist offensichtlich vielen Puerto Ricanern klar, dass die
Lösung ihrer Probleme eher mit den USA als ohne den
großen Partner zu erreichen ist; anders lassen sich die
Ergebnisse der letzten Volksabstimmung kaum interpretieren. 1998
votierten 46,5 Prozent der Wähler dafür, aus Puerto Rico
den 51. Bundesstaat der USA zu machen. Eine knappe Mehrheit von
50,6 Prozent der Bevölkerung sprach sich für den
gegenwärtigen Status aus. Nur 2,5 Prozent der Wähler
wollten den Schritt in die vollständige Unabhängigkeit
wagen.
Der Anschluss an die USA würde unter anderem bedeuten, dass
Puerto Rico zwei Senatoren und fünf oder sechs Abgeordnete im
Repräsentantenhaus stellt und damit jenen politischen Einfluss
gewinnt, den es heute nicht hat. Es würde weiter bedeuten,
dass die Bürgerinnen und Bürger der Insel Steuern nach
Washington abführen müssten, aber gleichzeitig den
gleichen Anspruch auf die Leistungen hätten wie die anderen
Bundesstaaten. Ob sich durch den Anschluss an die Vereinigten
Staaten auch etwas an Armut und Arbeitslosigkeit ändern
würde, ist jedoch offen, denn was auch wegfiele, wären
die Steuervorteile, die Puerto Rico für Unternehmen bietet,
die auf der Insel produzieren und ihre Produkte dann auf den
US-Markt anbieten.
Die Pharma-Industrie hat die Vorzüge eines angenehmen
Klimas - die Durchschnittstemperatur in San Juan liegt bei 26 Grad
Celsius - und unternehmerfreundlicher Besteuerung bereits entdeckt.
Der amerikanische Geheimdienst CIA nennt die Wirtschaft von Puerto
Rico in seinem öffentlich zugänglichen "World Factbook"
eine der dynamischsten in der Karibik. Das Lob verwundert nicht,
ist es doch mit dem Hinweis verbunden, dass amerikanische Firmen in
großem Umfang auf der Insel investiert haben - zu ihrem
Vorteil, aber mit wenig spürbaren Folgen für den
Arbeitsmarkt. Es bleibt eben dabei: Puerto Rico profitiert von der
Nähe und den besonderen Beziehungen zu den USA und kann sich
deshalb nicht aus der Abhängigkeit befreien - auch wenn
darüber immer wieder öffentlich nachgedacht wird.
Martin Wagner arbeitet als USA-Korrespondet für den
Bayerischen Rundfunk in Washington.
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