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Richard Bauer
Kokain im Schnellboot
Die Schmuggelwege der Drogenmafia
Der Drogenhandel zwischen Lateinamerika und den USA gleiche
einem Sandwich: Mexiko sei der Schinken, Kolumbien und die USA die
beiden Brotscheiben. Sobald das belegte Brot auseinander gerissen
werde, sei das Geschäft für alle futsch. Das Bild stammt
von einem hohen mexikanischen Drogenfahnder. Aus den
zartgrünen Kokablättern, die am Andenfuss oder im
Amazonastiefland gedeihen, produzieren die Kolumbianer das Kokain.
Dann wird der reine Stoff in Kiloportionen verpackt und an die
Mexikaner weitergereicht. Diese sorgen dafür, dass der
"weiße Schnee" unbeschadet den Grenzübertritt in die USA
schafft, dahin, wo weltweit die meisten Konsumenten harter Drogen
leben.
An der Karibikküste Kolumbiens bezahlt man für das
Kilo Kokain 3.200 US-Dollar. Erreicht die Ware einmal Mexiko, so
steigt der Wert um das Zweieinhalbfache auf 8.200 US-Dollar. In den
Verbrauchermärkten in New York oder Los Angeles wird das Kilo
später für 25.000 US-Dollar gehandelt. Gelingt es gar,
eine Ladung via Madrid oder Amsterdam nach Europa zu bringen, dann
liegt der Endverkaufspreis bei 75.000 bis 90.000 US-Dollar pro
Kilo. Bei solchen Margen darf man sich für den sicheren
Transport der illegalen Ware einiges einfallen und auch kosten
lassen. Seit Jahren benutzen die Kokain-Kartelle als Handelsroute
mit Vorliebe die schwer kontrollierbare, mit Schlupflöchern
und Verstecken reichlich gesegnete karibische Inselwelt.
Näheres weiß man spätestens, seit den
mexikanischen Behörden im vergangenen November ein Spitzenmann
des Kartells von Juárez, Rizardo García Urquiza alias "El
Doctor", in die Fänge ging. Bei Hausdurchsuchungen fand man
Satellitentelefone, GPS- Ausrüstungen und detaillierte
Meereskarten auf CDs und Festplatten. "El Doctor", ein
Drogenhändler neuen Typs, der sein Geschäft wie jeder
andere Manager eines international verzweigten Unternehmens
unauffällig vom Schreibtisch in Mexiko-Stadt aus leitete,
hatte zwei alternative maritime Transportrouten etabliert. Die eine
führte, meist in internationalen Gewässern, durch den
Pazifik; die andere verlief von den kolumbianischen
Karibikhäfen Cartagena, Barranquilla und Santa Marta entlang
der Küste Mittelamerikas. Monatlich sollen auf diese Weise
fünf Tonnen Kokain von Kolumbien nach Mexiko geschleust worden
sein.
Die Drogenbanden sind aufs Meer ausgewichen, nachdem die
Luftüberwachung unter Anführung der USA von den
Andenländern über die Karibik bis nach Mexiko immer
feinmaschiger wurde. Die Kontrolle machte den Kleinflugzeugen, die
lange Jahre als Drogenkuriere par excellence galten, das Leben
unmöglich. In modifizierten Boeing-Maschinen hat die
amerikanische Luftwaffe mobile Radarstationen eingerichtet. Die
Awacs (Airborne warning and control system) sind rund um die Uhr in
der Luft.
Jetzt will man auch dem wilden Treiben illegaler Schnellboote
ein Ende bereiten. Vor den Küsten von Nicaragua und Honduras
hat die US-Navy je ein Aufklärungsschiff stationiert. Weiter
südlich steht eine Einheit der kolumbianischen Marine. Sobald
ein Schnellboot auf den Radarschirmen auftaucht, werden die
Küstenwachen in Nicaragua, Honduras oder Mexiko alarmiert.
Amerikanische Helikopter nehmen die Verfolgung über
internationalem Gewässer auf und treiben die Boote in
Küstennähe. Dort verschwinden sie allerdings
regelmäßig im Radarschatten von Inseln und Buchten.
Inmitten der paradiesischen Inselwelt, am Westrand des
karibischen Beckens gelegen, hat die nicaraguanische Marine ihren
eigenen vorgelagerten Stützpunkt eingerichtet. Von Cayo
Miskito aus führt der schneidige Fregattenkapitän Fornos
an der Spitze einer Hand voll junger Seesoldaten den ungleichen
Kampf gegen die übermächtigen Drogenkartelle. Er
"kontrolliert" die Meeresstraße zwischen dem Festland und den
vorgelagerten Keys, wo die Miskitos seit Alters her ihrer
Hauptbeschäftigung, dem Langustentauchen, nachgehen. Zwischen
einem Tante-Emma-Laden und einem Kirchlein der Herrnhuter
Brüdergemeinde steht ein - trotz blauschwarzer Tarnfarbe -
weithin sichtbarer Wachtturm. Nach dem Vorbild seiner Nachbarn, den
Miskito-Fischern, hat die Marine ihr aus Brettern und Balken aus
gefertigtes Quartier auf Holzpfählen in den sichten
Meeresgrund gebaut.
Von Zeit zur Zeit glückt Kapitän Forno ein goldener
Fischzug, dann nämlich, wenn ihm und seiner Mannschaft eines
der kolumbianischen Schnellboote in die Fänge geht. Im
Volksmund heißen die bis zu zehn Meter langen, mit drei
potenten Außenbordmotoren bestückten Boote
"Eduardoños", so benannt nach der kolumbianischen
Herstellerfirma, der Marktführerin in dieser Kategorie von
Meeresvehikeln. Den ersten "Eduardoño", den Kapitän Forno
aufgriff, konfiszierte er und stellte ihn kurzerhand in den Dienst
der Marine. Seither kann er die Kolumbianer mit gleich langem
Spieß bekämpfen. Ins Netz gegangen waren damals fünf
Kolumbianer schwarzer Hautfarbe mit mehr als einer Tonne Kokain.
Dies war eine Ausnahme. Wenn sich die Drogenhändler verfolgt
fühlen, werfen sie in der Regel ihre Fracht ins Meer, um sich
mit leerem Boot als verirrte Seefahrer auszugeben. Über Funk
alarmieren sie honduranische Mittelsmänner, die sich
aufmachen, den Miskito-Indios die aufgefischte Ware abzukaufen.
Stören ein paar Dorfpolizisten die Operation, wird nicht lange
gefackelt: Sie erhalten ein großzügiges Schweigegeld.
Der Drogenhandel hat Dorfschaften wie Tawasakia, Ninayari oder
Lidaukra, die über Jahrhunderte von Gott und dem
nicaraguanischen Staat vergessenen Miskito-Siedlungen um Sandy Bay,
in die Neuzeit katapultiert. Wer ein paar Kilo Kokain geschickt
versilbert, ist ein gemachter Mann. Am Morgen den Strand entlang
laufen auf der Suche nach dem kostbaren Treibgut ist die
Lieblingsbeschäftigung vieler junger Miskito-Indios, den
"strolling boys", den schlendernden Burschen. Hier, an der
nicaraguanischen Atlantikküste diktiert das
Kokaingeschäft seine eigene Kultur. Niemand scheut sich, den
neuen Reichtum zur Schau zu stellen. Zuerst schmückt man sich
mit Goldzähnen, dicken Armbändern, Ohrringen und schweren
goldenen Halsketten. Dann ersetzt ein rassiger Außenbordmotor,
vorzugsweise der Marke Yamaha und mit nicht weniger als 75 PS, das
alte Segel. Die traditionelle "panga", das aus einem Baumstamm
gefertigte Kanu, weicht dem modischen Kunststoffboot.
Wer es wirklich geschafft hat - und wohl auch eine permanente
Geschäftsbeziehung zur Drogenmafia pflegt -, der baut sich als
weit sichtbares Zeichen neuen Wohlstands eine zünftige Villa,
mit Säulen und Veranden geschmückt und statt aus Holz aus
Beton gefertigt. Zeledón López, ein von der
Taucherkrankheit heimgesuchter, an das Haus gebundener Miskito,
verfolgt die Entwicklung um ihn herum mit großer Sorge. Das
Drogengeld habe die Gemeinde vergiftet. Es gebe mehr Alkohol und
Gewalt, und die Lebenskosten seien ins Unermessliche gestiegen. Die
Jungen glaubten an das schnelle Geld, gingen auf die Jagd nach
angeschwemmten Kokainpaketen und vergäßen dabei, dass nur
ehrliches Tauchen und Fischen die Miskitos am Leben erhalte, sagt
der Indio aus Sandy Bay resigniert.
Die amerikanischen Drogenfahnder schätzen, dass rund drei
Viertel allen Kokains, das für die USA bestimmt ist, via
Zentralamerika und Mexiko verschoben wird. Das restliche Viertel
sucht seinen Weg über die Inselstaaten der Karibik. 90 Prozent
des beschlagnahmten Kokains wurde in Schiffen und Booten gefunden,
die nicht kommerzielle Fracht mitführten, vor allem in
Schnellbooten. In seinem Bericht über den Drogenhandel
für das Jahr 2004 bezeichnet das US-Außenministerium in
der Karibik die Bahamas, die Dominikanische Republik, Haiti und
Jamaica als bedeutende Transitländer für Drogen. Es sind
auch kriminelle Banden dieser Länder, die neben mexikanischen
und kolumbianischen Kartellen als wichtigste
Drogengroßhändler auf den Verbrauchermärkten in den
USA auftreten.
Der Autor ist Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ)
in Mexiko-Stadt.
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