|
 |
Gaby Weber
Millionen im Piraten-Nest
Die Cayman-Inseln: Das Finanz- und
Steuerparadies
Nahe der Karibikinsel Gran Cayman ist ein
Kreuzer mit 2.000 Passagieren vor Anker gegangen. Ein
überdachtes, bunt bemaltes Boot bringt die Touristen in den
Hafen von Georgetown. Dort stehen junge Männer Spalier, in der
Mehrzahl Schwarze, die für ein paar Dollars eine
Inselrundfahrt anbieten: Zur Schildkrötenfarm, zum
Sieben-Meilen-Strand, zum Muschelhaus, zur Rumfabrik und zur
Hölle, einer zwölf bis 15 Millionen Jahre alten
Gesteinsformation. Doch es ist wie immer: Das Geschäft
läuft mäßig, die Passagiere kaufen vor Reiseantritt
das ganze Paket - Essen, Getränke und Sightseeingtour - und
bei ihrem Ausflug auf der Insel lediglich eine Postkarte.
In einem Aspekt unterscheidet sich die
Ankunftsszene in diesen Tagen allerdings von allen anderen im Jahr:
Die Gaststätten haben Flaggen gehisst: Einen weißen
Totenkopf auf schwarzem Grund. Wie jedes Jahr wird die
"Piratenwoche" gefeiert. Denn die Caymans waren früher eine
Seeräuberinsel. "Sir Henry Morgan hat von hier aus Kuba
angegriffen, das damals zu Spanien gehörte", verrät
Peter, einer der jungen Männer am Kai, "von hier aus
organisierte er die Invasion Panamas."
Geschäft bleibt Geschäft - auch
heute ist Cayman wieder eine Festung für Piraten, für
moderne Piraten. Dank moderner Telekommunikation, der
Steuerfreiheit, der Diskretion und der Abwesenheit von
Gewerkschaften und Streiks ist die britische Kronkolonie
wichtigstes Offshore-Zentrum der Welt geworden. Offshore bedeutet:
jenseits der Küste, im Ausland - dort, wo Geldgeschäfte
aller Art frei von Kontrolle und Steuern getätigt werden
können. Dort gedeiht die verborgene Ökonomie des
"schwarzen Lochs", die Kapital anlockt, wäscht und wieder
investiert. Ein Drittel aller Weltfinanzströme wird über
Offshore-Zentren abgewickelt.
Auch wenn seriöse Angaben über die
gesamten Einlagen und die Herkunft fehlen, Kenner der Szene wissen,
dass der größte Teil der Gelder nicht aus dem Drogen-
oder Waffenhandel, sondern von multinationalen Unternehmen und
Banken stammt, die sich im Offshore-Paradies dem Einfluss
nationaler Regierungen und Währungsbehörden entziehen.
Von dort aus können sie schnell auf kurzfristige
Zinsschwankungen, gesetzliche Veränderungen oder politische
Ereignisse reagieren und Handelsembargos umschiffen. Multinationale
Unternehmen übertragen die von ihnen - oft mit Steuermitteln -
entwickelten Patente, Schutzmarken und Herstellungsverfahren oft an
eine Firma, die ihren Sitz in einem Steuerparadies hat. So werden
in Deutschland Verluste gemacht und Subventionen abgegriffen,
während die Gewinne Offshore gehen.
Offshore-Trusts
Eine Spezialität der modernen Piraten
sind Trusts. Darunter werden nicht nur die anderenorts verbotenen
Monopolbildungen von Unternehmen verstanden, sondern auch private
Treuhandgesellschaften. Ein solcher Treuhänder kann
beispielsweise hilfreich sein, wenn eine Erbschaft verteilt wird.
Ein typischer Fall: "Herr von Krösus" überträgt
seine Ländereien oder seine Fabrik einer von ihm
gegründeten Aktiengesellschaft, die ihren Sitz in Cayman hat
und deren Gewinne dort versteuert, das heißt nicht versteuert
werden. Zugleich weist er einen privaten Treuhänder an, im
Falle seines Ablebens die Inhaber-Aktien seinem Lieblingssohn
auszuhändigen. Auf diese Weise schlägt er zwei Fliegen
mit einer Klappe: Er prellt seine Tochter, das schwarze Schaf der
Familie, um ihren Pflichtteil und spart die
Erbschaftssteuer.
Die Regierung in Georgetown rechtfertigt die
Methode in einem ihrer Prospekte so: "Der Offshore-Trust wird
längst nicht nur als Technik zur Vermeidung von Steuern
angesehen, sondern zunehmend als Mittel, Reichtum zu erhalten und
zu vermehren."
Auch auf der internationalen Bühne haben
Offshore-Paradiese ihren anrüchigen Ruf längst verloren.
Sie gelten als modern und effizient. In der Tat laufen auf der
Insel keine finsteren Gestalten mit verspiegelter Sonnenbrille und
verdächtigen Koffern herum. Das Geld wird online
überwiesen und sofort weiter transferiert. Ein freiwilliger
Verhaltenskodex des Banken-Verbandes verpflichtet seine Mitglieder,
kein Bargeld über 10.000 Dollar anzunehmen. Aber von den 575
registrierten Banken sind nur die wenigsten Mitglied in diesem
Verband. Und der Kodex ist, wie gesagt, freiwillig. Dass durch die
fehlende Regulierung Finanzkrisen heraufbeschworen werden
können - diese Gefahr gibt kaum jemand zu. Und wer in der
Vergangenheit dort Geld verloren hat, hängt dies nicht an die
große Glocke. Das heimische Finanzamt soll davon ja nichts
erfahren.
Auf Cayman sind Wörter wie
Geldwäsche oder Steuerhinterziehung tabu. Man redet von
"Steuervermeidung", "Steuerplanung" und "Gewinnglättung". Und
damit ihre Kunden das schwarz erwirtschaftete Geld wieder ganz
legal ausgeben können, haben sich die Banker auch etwas
einfallen lassen. Beliebt ist die Verbindung zwischen Einlage und
Krediten. Wenn ein Glückspilz in Berlin oder New York seiner
Finanzbehörde die Herkunft des Kapitals nachweisen muss, nimmt
er bei einer Bank im Offshore-Paradies einen Kredit auf, mit
günstigem Zinssatz, versteht sich. So verfügt er ganz
legal über Finanzmittel. Dass er bei der selben Bank auch
Erspartes liegen hat, verrät er dem Finanzamt natürlich
nicht. Er zahlt nicht einmal den vollen Zinssatz, sondern nur die
Differenz zwischen Zinsen für sein Guthaben und die Zinsen
für den Kredit.
Finanzplätze wie die Cayman-Inseln
bescheren der Europäischen Union Milliarden-Verluste durch
Steuerausfall. Doch sie genießen offensichtlich politischen
Schutz, der dem big business diese Art Freigehege erlaubt. Die
Europäische Union versucht seit Jahren, einheitliche
Bankaufsichtsregeln für Europa zu schaffen und einige Staaten,
wie Luxemburg und vielleicht auch bald die Schweiz, kooperieren
zunehmend. Aber an die Cayman-Inseln hat sich bisher niemand
herangetraut.
Natürlich gibt es in Cayman eine
irgendwie geartete Bankenaufsicht. Die Bank von England schickt
Beamte in ihre Kronkolonie. Ein Rechtshilfeabkommen mit den USA
sieht vor, dass der US-Generalstaatsanwalt die Aufhebung des
Bankgeheimnisses einklagen kann. Aber er bekommt die Information
erst nach Vorlage eines Gerichtsurteils.
Rechtshilfeersuchen haben in aller Regel
Erfolg, wenn es um überführte Drogenhändler geht.
Verweigert wird die Auskunft grundsätzlich in Sachen
Steuerhinterziehung, und fast immer bei Betrugs- und
Korruptionsverdacht.
Gegen den früheren peruanischen
Präsidenten Alan Garcia zum Beispiel hatte ein Richter in Lima
Haftbefehl erlassen. Ein italienischer Geschäftsmann hatte, um
den Auftrag für den Bau einer elektrischen Eisenbahn zu
bekommen, 840.000 Dollar auf ein Konto Garcias bei der Barclay-Bank
in Cayman überwiesen. Das peruanische Parlament beantragte auf
dem mühseligen diplomatischen Weg die Bestätigung der
Überweisung. Ohne Erfolg. Der Gerichtshof in Georgetown
schmetterte das Begehren ab. Zitat aus dem Urteil: "Bei dem
Untersuchungsausschuss (des Kongresses) handelt es sich nicht um
ein Gericht. (...) Daher ist nicht eindeutig, dass (gegen Herrn
Garcia) ein Ermittlungsverfahren anhängig ist."
Aber auch wenn die Banken von Cayman-Island
ausländischen Behörden Einsicht gewähren
müssen, hilft dies den Ermittlern oft nur wenig: Die
vorgelegten Bilanzen sind unvollständig und beziehen sich
immer nur auf einen bestimmten Moment. Was vorher über die
Computer gejagt wurde, geht aus ihnen nicht hervor. Die Banken
müssen, anders als in den meisten anderen Staaten, keine
Mindestreserven halten. Kredite werden dadurch billiger. Es werden
keine Steuern auf die Zinsen erhoben und das Wichtigste: Kein
Finanzamt fragt nach der Herkunft des Geldes und verlangt
Einkommensteuer oder Vermögensteuer.
Cayman verdankt seinen Aufstieg zum
Finanzparadies seiner Kolonialmacht Großbritannien. Die
Inselgruppe - bestehend aus Gran Cayman, Cayman Brac und Little
Cayman - liegt 240 Kilometer nordwestlich von Jamaika. 1503 wird
sie von Kolumbus entdeckt, 1670 fällt sie an England.
Zunächst lassen sich nur Piraten auf dem unwirtlichen Eiland
nieder. Erst 60 Jahre später kommen die ersten Einwanderer aus
England. Als Jamaika 1962 seine Unabhängigkeit erklärt,
verbleibt Cayman unter der Obhut des Empire, das die
Landesverteidigung bis heute garantiert und die Insel auf
diplomatischem Parkett vertritt. Die kommunale Verwaltung und das
Finanzwesen bestimmt Georgetown in Eigenregie.
London dankt die Treue zur Krone und hilft
mit Know How und Kapital. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Insel
bitter arm, Tourismus gibt es praktisch nicht. Bis auf einen sieben
Meilen langen Sandstrand ist sie von Riffen und Felsen umgeben. Und
der Hauptfeind hat Flügel: Moskitos. London lässt Cayman
einnebeln, die Moskitos werden ausgerottet.
An Massentourismus ist auf der Insel mit
ihren 300 Quadratkilometern nicht zu denken. So werden ein paar
Luxus-Hotels am Sieben-Meilen-Strand errichtet, wo gediegene
englische Gemütlichkeit angeboten wird, keine rauschenden,
tropischen Feste. Top-less am Strand steht unter derselben
Strafandrohung wie die Verletzung des Bankgeheimnisses. Die Bars
schließen um Mitternacht, und Touristen, die billigen Sex
suchen, müssen sich auf anderen Inseln umsehen.
Dieser biedere Tourismus alleine hätte
nicht ausgereicht, die Inselbewohner zu ernähren. Deshalb
wurde 1963 das Bankengesetz erlassen und die Insel machte sich auf
den Weg zum Offshore-Zentrum - ohne Finanzamt, ohne
Zentralbank.
Heute sind dort praktisch alle großen
Geschäftsbanken der Welt vertreten, die meisten mit einem
"lokalen Agenten", wie es in der Branche heißt. Das bedeutet:
Jemand leert den Briefkasten. In der Stadt Georgetown mit ihren
knapp 10.000 Einwohnern, sind 575 Banken registriert, aber weniger
als ein Fünftel von ihnen unterhalten auch ein Büro.
Angeboten wird die ganze Palette der normalen Dienstleistungen
einer privaten Bank: Überweisungen, Abhebungen, Investitionen
in Fonds, Kreditkarten und alles online.
Seit dem Boom des Finanzwesens hat sich ein
wahrer Geldregen über das Eiland ergossen. Kellner und
Barkeeper verdienen Vermögen, Trinkgelder inbegriffen! Und
alles steuerfrei. Gewerkschaften sind unattraktiv.
Das örtliche Telefonbuch liest sich wie
ein Anzeigenblatt, in dem Profis Beihilfe zur Steuerhinterziehung
annoncieren. "Tax planners" offerieren ihre Dienste,
"Steuerplaner", spezialisiert auf die Vermeidung von
"US-Einkommensteuer", "Körperschaftssteuer" und so weiter. Die
Banken nehmen acht Seiten in Beschlag, Versicherungen 13, Trusts
fünf. 20.000 Unternehmen sind in Cayman registriert, fast
soviele Firmen wie Einwohner. Dazu gesellen sich hunderte
Versicherungsgesellschaften sowie eine ganze Flotte, die unter der
Flagge des Union Jack, versehen mit dem Cayman-Wappen, über
die Weltmeere schippert. Bei der Hafenbehörde in Georgetown
sind doppelt soviel Luxus-Yachten mit einer Länge von
über 30 Metern eingetragen wie in Liberia und Panama
zusammen.
Doch der erhoffte volkswirtschaftliche und
langanhaltende Fortschritt lässt auf sich warten. Zwar
schwimmen die Leute im Geld, produziert wird aber nichts. Vom
Mineralwasser bis zur Wurst wird alles importiert. Das einzige
produktive Unternehmen sollte die Schildkrötenfarm werden.
Doch seitdem der Artenschutz den Export verbietet, beliefert die
Farm nur noch eine Handvoll Restaurants der Insel. Und da sich der
Staat durch Einfuhrzölle finanziert und praktisch alles
importiert wird, ist das Leben sündhaft teuer. Doch an dem
Modell wird nicht gezweifelt. Auf Cayman fehlen wirtschaftliche
Alternativen und es fehlt der Wille der restlichen Welt, dieses
Finanzparadies zur Einhaltung internationale Regulationen zu
bewegen.
Zurück zur Übersicht
|