|
 |
Ute Grundmann
Allzeit in Treue fest
Die Geschichte der Universität
Leipzig
Dem "Bismarck-Cultus" huldigte man auch in
Leipzig. Umzüge, Glückwunschadressen zum 80. Geburtstag
des Kanzlers - all das gab es auch an der Universität Leipzig,
um den "Ideal- und Prophetentyp des einigen Staates" zu ehren. Nur
mit dem Wunsch nach einem Bismarck-Denkmal konnten sich die
Studenten nicht durchsetzen, es gab in der Stadt schon zwei. Und
auch des Kanzlers Geburtstag ließ sich im akademischen
Festkalender nicht festsetzen: Man huldigte in Sachsen dann doch
lieber der Monarchie.
Die Kanzler-Verehrung ist eine von vielen
Facetten, die in dem interessanten Sammelband zu finden sind.
Herausgeber Ulrich von Hehl hat Abschlussarbeiten versammelt, die
unterschiedlichste "Beiträge zur Geschichte der
Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des
Landes Sachsen 1952" aufblättern. Die Vorreiterrolle der
sächsischen Modelle der Lehrerbildung (die Einführung
eines Hochschulstudiums zusätzlich zur Seminarausbildung), das
Personalabbaugesetz von 1923/24 und das Frauenstudium sind nur
einige dieser Aspekte.
Sehr anschaulich beschrieben wird die
Situation der Universität im Ersten Weltkrieg, als Dozenten
sich patriotischer Bekundungen und vaterländischer
Betätigungen befleißigten, während bis zu 85 Prozent
ihrer Studenten sich im Kriegs-Dienst befanden und Studentinnen in
der Rüstungsindustrie arbeiteten. Der Erste Weltkrieg sei zwar
nicht "die allesumwälzende Katastrophe" gewesen, lautet das
Fazit, aber auch nicht spurlos an der Hochschule vorbeigegangen,
die mit "Liebesgaben" (Bücher, Tabak, Süßigkeiten)
die Verbindung zu den Studenten im Krieg hielt.
Spannend wird es mit der Zeit nach 1933.
Bereits am 30. März 1933 gründete sich ein "Nationaler
Ausschuss für die Erneuerung der Universität Leipzig";
die Studenten riefen zur "Säuberung der deutschen Hochschulen"
auf und trugen mit Denunziationen und Vorlesungsboykotten zur
Vertreibung missliebiger Dozenten bei. 1935 waren auch die letzten
jüdischen Lehrkräfte in Leipzig aus ihren Ämtern
verdrängt.
Carsten Schreiber schildert sehr anschaulich,
wie sich im Reichssicherheitshauptamt eine Art "Leipziger Zelle"
bildete. Absolventen der dortigen Philosophischen Fakultät,
schon bei ihrer Immatrikulation politisch rechts festgelegt, wurden
über den SD gezielt ins Nazi-Hauptamt geholt und als
"geistiger Stoßtrupp in Leipzig geschult". Das Oberseminar
"Praktische Poetik" von 1929/30 schildert Schreiber als "Keimzelle
der Kulturpolitik des SD", ein Leipziger Doktorand wurde
"Judenreferent" des SD. Diese Leipziger waren nicht "bloß"
Vordenker oder Schreibtischtäter, "sondern setzten als
SD-Führer in Osteuropa den Massenmord in die Praxis um". Ein
beklemmendes Kapitel.
Für die Nachkriegszeit skizziert dann
Markus Wustmann, wie zwischen 1947 und 1951 das Studium verschult
und politisiert wurde. Zentrale Lehrpläne, kommunistische
Bekenntnisfächer und "gesellschaftliche Arbeit" sollten der
SED genehme Absolventen hervorbringen. Man nahm auch Einfluss auf
die Zusammensetzung der Studentenschaft, alles mit dem Ziel der
"Brechung des bürgerlichen Bildungsprinzips" und der Freiheit
von Lehre und Forschung.
Eine interessante Ergänzung dazu bietet
dann das Kapitel über den Leipziger Studentenrat in den Jahren
1947/48. Hauptstreitpunkt wurde die von der SED betriebene
Bevorzugung von Arbeiterkindern zum Studium. Eine "AG
demokratischer Studenten" wehrte sich dagegen, dass
gesellschaftliches Engagement vor Eignung und Leistung gehen
sollte. Der damalige Rektor Hans-Georg Gadamer versuchte in dieser
Auseinandersetzung einen Mittelweg, den man auch Schlingerkurs
nennen könnte: Er nannte das Arbeiterstudium eine politische
und soziale Notwendigkeit, mahnte gleichzeitig aber die
Arbeiterstudenten, die Universität sei der falsche Ort, um
Klasseninteressen durchzusetzen. Es kam, wie bekannt,
anders.
Ulrich von Hehl (Hrsg.)
Sachsens Landesuniversität in
Monarchie, Republik und Diktatur.
Beiträge zur Geschichte der
Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des
Landes Sachsen 1952.
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2005;
585 S., 48,- Euro
Zurück zur Übersicht
|