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Heiko Schwarzburger
Der Zug rollt unaufhaltsam
Die Industrie nimmt Bachelor und Master langsam
an
Die deutschen Hochschulen stehen vor enormen
Umwälzungen: So soll das Diplom abgeschafft werden,
internationale Abschlüsse wie Bachelor und Master werden
künftig die Zeugnisse zieren. Bisher haben zwar nur einige
Universitäten und Fachhochschulen ihr gesamtes Studienangebot
auf die neuen Abschlüsse umgestellt. Doch in Zeiten
fortschreitender Globalisierung gehen die Uhren auch an
Deutschlands Hochschulen immer schneller: Bis 2010 sollen das
Diplom und der Magister verschwinden, zumindest für die
Jahrgänge, die bis dahin ihr Studium aufnehmen. Umstritten
sind derzeit noch die Zukunft der Staatsexamen, beispielsweise bei
den Juristen und Lehrern, sowie die Abschlüsse für die
Mediziner. Auch sie sollen bis zum Ende des Jahrzehnts
internationalen Gepflogenheiten angepasst werden.
Bestand das Hochschulstudium bisher aus einem
einzigen Block, wird der Bachelor künftig zwischen sechs und
sieben Semestern dauern. Das darauf aufbauende Masterstudium ist
meist auf drei oder vier Semester konzipiert. Doch fast wichtiger
als die Reform der Studienpläne ist die Frage, ob die
potenziellen Arbeitgeber auf diesen Zug aufspringen. Vielen
deutschen Unternehmenschefs waren die Begriffe "Bachelor" und
"Master" zum Jahrtausendwechsel noch nahezu unbekannt. Doch
mittlerweile haben sich die neuen Abschlüsse herumgesprochen.
Vor allem große Konzerne wie Siemens oder DaimlerChrysler
kennen sie aus ihrem internationalen Geschäft. Bereits in mehr
als 80 Prozent aller Länder verlassen die Absolventen ihre
Universität mit einem Bachelor oder Master in der Tasche. Auch
der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in Düsseldorf hat die
Zeichen der Zeit erkannt: "Ein weltweit einheitliches Studiensystem
schafft mehr Mobilität und ermöglicht eine bessere
arbeitsmarktbezogene Qualifizierung", propagiert VDI-Präsident
Eike Lehmann. Um die heilige Kuh des Diploms nicht gänzlich
zur Schlachtbank zu führen, legte er nach: "Jedoch muss die
hervorragende Qualität der bisherigen Ingenieursausbildung in
Deutschland gesichert sein."
Selbständigkeit erhalten
Der VDI hat sich für die Studienreform
ausgesprochen, obwohl ein Bachelorstudent in sechs Semestern auf
keinen Fall die gleiche Stoffmenge bewältigen kann wie
früher in einem achtsemestrigen Diplomstudium. Die Industrie
sieht die Gefahr, dass die neuen, kürzeren Studiengänge
mit Faktenwissen überfrachtet werden und dabei soziale
Kompetenzen zu kurz kommen. "Wir dürfen die Absolventen nicht
durch zu viel Frontalunterricht verschulen", warnt
Klaus-Jürgen Wilhelm, ehemaliger Marketingchef bei ABB und
Vorsitzender einer Beratergruppe zur Akkreditierung von
Studiengängen. "Die Selbstständigkeit der Absolventen
muss erhalten bleiben." Was ein Bachelor letztendlich leisten muss,
weiß auch er noch nicht genau. Erfahrungen mit den neuen
Abschlüssen gibt es kaum, denn "bisher haben wir nur wenige
deutsche Absolventen mit Bachelor oder Master eingestellt", gibt
Wilhelm zu. Aber an einem ehernen Grundsatz der Personalpolitik mag
der Manager nicht rütteln: "Letztlich entscheidet die
persönliche Eignung."
Für Klaus-Jürgen Wilhelm sind die
neuen Abschlüsse nicht mehr aufzuhalten: "Sie kommen sowieso,
spätestens in zwölf Semestern." Deshalb hat der
Stifterverband der deutschen Wissenschaft schon vor einem Jahr die
Personalchefs der größten deutschen Unternehmen
zusammengetrommelt, um die Industrie auf die Veränderungen an
den Hochschulen einzustimmen. "Dieser Prozess kommt einer
jahrelangen Forderung der Wirtschaft entgegen: nach jüngeren
Absolventen mit praxisbezogener Hochschulausbildung und
international vergleichbaren Studienabschlüssen",
bestätigt Norbert Bensel, Personalvorstand der Deutschen Bahn
AG. "Es ist deshalb wichtig, für diese Absolventen auch
Einstiegsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt zu schaffen." Die
Liste der Unterzeichner der Deklaration "Bachelors welcome" des
Stifterverbandes ist beeindruckend; sie liest sich wie das "Who is
Who" der deutschen Personalmanager.
Dieses Trommelfeuer zeigt Wirkung, auch bei
den kleinen und mittelständischen Betrieben, die traditionell
eher dem deutschen Arbeitsmarkt verhaftet sind und ihren Nachwuchs
kaum außerhalb der Grenzen rekrutieren. Eine taufrische Studie
des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln kommt zu
dem Schluss, dass Bachelorabsolventen mittlerweile in zwei Dritteln
der Unternehmen die gleichen Karrierechancen haben wie
traditionelle Absolventen mit Diplom oder Magister. In Unternehmen,
die bereits Bachelorabsolventen beschäftigen, steigt dieser
Anteil auf 73 Prozent.
Berufliche Karriere schwieriger
Befragt wurden mehrere Tausend Unternehmen
aus allen Branchen, die Aktion lief zwischen Mai und Juni des
vergangenen Jahres. 672 Firmen schickten ihre Fragebögen
ausgefüllt zurück. Es zeigte sich aber, dass trotz der
vollmundigen Versprechungen der Personalchefs noch Defizite
existieren: Nur ein Viertel der größeren Unternehmen gab
an, bereits Bachelorabsolventen eingestellt zu haben. Zwei Drittel
aller Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern haben mit ihnen bislang
noch keine Erfahrungen gemacht. Bei Unternehmen mit 50 bis 500
Beschäftigten klafft diese Schere noch weiter: Nur fünf
Prozent beschäftigen Absolventen mit Bachelor.
Die Umstellung der Studiengänge steht
bundesweit noch am Anfang. Das bedeutet: Die erste große Welle
von Absolventen mit Bachelor in der Tasche wird frühestens in
zwei oder drei Jahren auf den Arbeitsmarkt fluten, dann jedoch wie
eine Lawine. Der klassische Diplomingenieur hingegen dürfte
binnen weniger Jahre aussterben. Deshalb verwundert es nicht, dass
fast 80 Prozent aller befragten Unternehmen den Bachelor als
Einstiegsqualifikation akzeptieren. Fast ebenso hoch ist die
Wertschätzung des Masters, der ein Aufbaustudium nach dem
Bachelor darstellt. Vorbehalte gegen die neuen Abschlüsse
haben ein Zehntel aller Unternehmen geäußert, vor allem
kleine Firmen zeigen Informationsdefizite. Die Akzeptanz der neuen
Studiengänge steigt deutlich mit der
Unternehmensgröße an.
Interessante Details verrät die Studie
des Kölner Wirtschaftsinstituts, wenn es um die
Vergleichbarkeit des Bachelor mit einem Diplom geht. Nur knapp 30
Prozent der Unternehmen stellen den neuen Abschluss mit den
traditionellen Hochschulabschlüssen gleich. Fast 40 Prozent
sehen den Bachelor als äquivalent zum Fachwirt oder Meister.
Ein Drittel der Firmen behält sich vor, die Zuordnung im
Einzelfall zu prüfen. Wer mit einem Bachelor ins Unternehmen
einsteigt, muss sich zudem deutlich länger als der Inhaber
eines Diploms bewähren, bevor sie oder er die Karriereleiter
nach oben steigen darf. Das kürzere Bachelorstudium zahlt sich
also innerhalb der beruflichen Karriere kaum aus. Durch
längere Aufstiegszeiten und damit einhergehend geringeres
Einkommen macht der Absolvent unter dem Strich kaum etwas gut. Nur
wer einen Master dran hängt, kann die Vorteile des
zweistufigen Systems voll nutzen und bis in die Chefetage
durchstarten. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen
haben dies in der Umfrage des IW klar bestätigt.
Noch völlig offen ist, wie sich der
Öffentliche Dienst zu den neuen Abschlüssen verhält.
Bisher ist die Besoldung der Beamten an das Diplom gebunden.
Absolventen einer Universität erhalten bisher mehr Geld als
die Abgänger einer Fachhochschule, denen zudem der Aufstieg in
eine höhere Beamtenlaufbahn erschwert wird. Bachelor und
Master aber werden die Unterschiede zwischen den Hochschultypen
verwischen. Welche Ungereimtheiten bisher herrschen, beweist das
Bundesland Berlin, das die Ausbildung von Lehrern auf Bachelor
umgestellt hat: Im neuen Schulgesetz stellte Bildungsminister Klaus
Böger (SPD) allen angehenden Lehrern in Aussicht, dass sie mit
einem Bachelor nicht zum eigenständigen Unterricht vor einer
Schulklasse zugelassen werden. Ein anderes Beispiel: Die
Landesinnenminister signalisieren, dass die Einstiegsgehälter
für Bachelorabsolventen teilweise deutlich unter denen der
früheren Diplomanden liegen werden. Die Bundesländer
sehen die einmalige Chance, ihre Haushalte zu entlasten. Die
akademische Ausbildung wird dadurch - zumindest beim Bachelor -
massiv entwertet.
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