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Christian Hacke
Ein Spiegel des besseren Teils der deutschen
Geschichte
Joachim Radkaus große Max-Weber-Biografie
hat etwas Befreiendes und Endgültiges zugleich
Joachim Radkaus Max-Weber-Biografie war
längst überfällig und kommt doch einer Sensation
gleich. Nachträglich muss es erstaunen, warum erst heute, 85
Jahre nach Webers Tod, eine umfassende Biografie erscheint, wird
Weber doch seit Jahrzehnten als geisteswissenschaftliche Ikone
angesehen, wie die Max- Weber-Gesamtausgabe zeigt. Doch hat keiner
der bekannten "Weberianer" das gewagt, was Radkau grandios
verwirklicht hat.
Die erste Generation der Weber-Forscher, die
den Meister noch persönlich kannte - Karl Jaspers, Johannes
Winckelmann, Eduard Baumgarten und andere - war für ein
solches Unternehmen noch zu befangen. Die zweite Generation, die
Max Weber vor allem in Amerika bekannt machte, also Talcott Parsons
und Rainer Bendix, zeigten nur Interesse an seinem Werk. In der
dritten Generation wäre vielleicht Günther Roth eine
Biografie gelungen, doch er beließ es bei der Weberschen
Familienchronik. In Deutschland machte sich Wolfgang Mommsen durch
sein Buch über Webers Wirken mit Blick auf Deutschlands
Politik verdient. Wolfgang Schluchter entschlüsselte vor allem
den Soziologen und Wilhelm Hennis wollte oder konnte sein enormes
Wissen nicht in eine große Biografie gießen.
Erst der umfassend gebildete und
leidenschaftlich engagierte Sozialforscher Joachim Radkau wagte
diesen Wurf, mit dem er die gesamte "Weberei", ja die gesamten
Humanwissenschaften überrascht hat. Er entdeckt im Leben und
in der Wechselbeziehung zwischen Leben und Werk viel Neues. Es ist
ein unbefangener und umfassender Zugang auf Weber, der den Leser
mitreißt: "Wissenschaft und Leben, Wissenschaft und Liebe,
Wissenschaft und Glück: Für mich gibt es nach vier
Jahrzehnten Universitätsdasein kein wichtigeres und
aufwühlenderes Thema. Webers Leben, Lieben, Leiden und Denken
sind da eine unerschöpfliche Quelle von Inspirationen, ob zu
Seltsamkeiten des Wissenschaftsbetriebes oder des Eros. Nicht
zuletzt dies ist vermutlich der Grund, weshalb dieser kranke
Löwe die Leute in seiner Höhle hält."
Webers Werk wird nicht mit blutleerem
Spezialis-tentum seziert, sondern einfühlsam, kenntnisreich
und mit Sinn für Schwerpunktsetzung in Webers Leben verwoben.
Das zeigen schon die Kapitelüberschriften: Die Protestantische
Ethik und die vergebliche Suche nach Erlösung durch den Geist,
wechselnde Anläufe zur Welteroberung im Geist, Max Webers
Hassliebe zu den Deutschen, Charisma, wertfreie Wissenschaft und
befreiende Wut, die Urwüchsigkeit der Gemeinschaft, der
versteckte Naturalismus in Wirtschaft und Gesellschaft, Weltkrieg
und Weltflucht.
Nach einfühlsamer Schilderung von
Kindheit und Jugend konzentriert sich Radkau auf die wichtige erste
Lebensphase von Weber, die unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten
bis zur Freiburger Antrittsrede 1895 andauerte. Sie war durch
höchste Arbeitsintensität und zugleich durch schwerste
persönliche und partnerschaftliche Probleme gekennzeichnet.
Diese Spannung zog sich, wenn auch in abnehmender Tendenz, durch
das gesamte Leben Webers. Sie führte jedoch in dieser ersten
Phase zu einer schweren Lebenskrise, deren Ursachen Radkau weniger
in erhöhter Arbeitsbelastung, sondern in Webers schleichender
Depression sieht: Eheliche Impotenz und Flucht in wissenschaftliche
Überproduktion führten zu permanenter Schlaflosigkeit und
schließlich zum nervlichen Zusammenbruch, sodass Weber sich
1899 gezwungen sah, die Lehrtätigkeit aufzugeben.
War Weber, gesellschaftlich-beruflich
gesehen, in dieser Phase erfolgreich, so empfand er sich selbst
zunehmend als Versager: Im Beruf wie in der Ehe, ohne finanzielle
Unabhängigkeit. Als Konsequenz entledigte er sich schrittweise
aller schwadronierenden Selbstgefälligkeit und fand
schließlich im Laufe der Jahre zu einer
unprätentiösen Haltung, die bis zuletzt auf viele
Beobachter anziehend wirkte.
Man hat Radkau vorgeworfen, er hätte
Webers privat-persönliche Probleme zu sehr in den Vordergrund
gestellt. Zu Unrecht, denn Radkau zeigt gerade in dieser
schwierigen Phase, wie intime und berufliche Existenz sich
bedingten und in eine Sackgasse führten. Nicht nur wegen
seiner Eheprobleme, sondern wegen seiner national-chauvinistischen
Töne, wie er sie etwa in der Freiburger Antrittsrede anschlug,
verschlossen sich ihm viele Türen in Wissenschaft und Politik.
Diese erste Schaffensphase im Zeichen von hochgradiger Spannung
zwischen nationalistischer Urwüchsigkeit, asketischem
Puritanismus und persönlicher Frustration führte Weber
schließlich ins Nervensanatorium. Erst um die Jahrhundertwende
eröffneten sich in einer zweiten Lebensphase wieder neue
Horizonte von Schaffenskraft und Lebensoptimismus.
Für Radkau waren Webers Reiseerfahrungen
in den USA 1904, die vielfachen Erholungsaufenthalte in Italien,
aber auch Webers intensive, ja leidenschaftliche Beschäftigung
mit der Russischen Revolution 1905 wichtige Stationen für eine
erweiternde Weltsicht, die auch die persönlichen Leiden
linderten und ihn als Menschen und Wissenschaftler reifen
ließen.
Früher und schärfer als seine
berühmten Kollegen Werner Sombart oder Ernst Troeltsch
erkannte Max Weber die neue weltpolitische Bedeutung der USA. Dort
suchte er auch nach den Spuren jener puritanischen Tradition, die
er zur gleichen Zeit in der "Protestantischen Ethik" analysierte.
Die "Neue Welt" faszinierte ihn als gesellschaftliches
Versuchsfeld, wo man menschliche Lebensverhältnisse wie im
Rohzustand beobachten konnte: Vergesellschaftung gleichsam in
Reinkultur ohne Nachhilfe von Staat und Bürokratie.
Engländer und Amerikaner wurden für
ihn die großen Arbeitervölker. Konsequenterweise sah er
das Bindeglied zwischen Protestantismus und Kapitalismus in der
anglo-amerikanischen Kultur. Radkau zeigt, dass dieser Tatbestand
nicht erst von Weber entdeckt wurde. Aber die Originalität von
Webers Zugriff lag darin, dass er den Ursprung des Kapitalismus
eben nicht in Aufklärung und Säkularisierung, nicht im
Zerfall religiöser Bindungen, sondern ganz im Gegenteil in
religiöser Leidenschaft suchte.
Weber erkannte dann zunehmend im Vergleich
mit den anderen großen Weltreligionen den rigiden
Rationalisierungsprozess der westlichen Moderne inmitten der
weltweiten Religionsgeschichte. Entscheidend war für ihn
weniger der Einfluss der Religion auf das Weltbild, sondern auf den
Lebensalltag, den Menschentyp und die Art der
Lebensführung.
Diese Seite objektiv-klinischer und zugleich
visionärer Beobachtungsgabe kontrastierte mit Webers anderer,
spontaner, ja leidenschaftlicher Hinwendung zur russischen
Revolution. Nicht Amerika, sondern Russland wurde für ihn zum
Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo er neue Chancen zur
Freiheit zu entdecken glaubte. Das russische Wesen, emotional und
geistig, mobilisierte seine wissenschaftlichen Leidenschaften
derart, dass Weber zeitweise mit dem Gedanken spielte, eine
Tolstoi-Biografie zu schreiben - und zwar nicht über den
späten pazifistischen und lebensfeindlichen Tolstoi, sondern
über den Tolstoi, der den organischen, bäuerlichen
Lebenskreislauf idealisierte.
Aufgrund seiner Hassliebe zu Russland
vermutete Weber dort Gefahr durch revolutionäre Erneuerung.
Zugleich war Weber vom Typus des russischen Revolutionärs
fasziniert: Dieser kämpferische Idealismus mit der
Bereitschaft zur Selbstopferung ließ Weber, so Radkau,
zeitweilig "vom Ordinarius zum Desperado" mutieren. Max Weber als
Verantwortungsethiker hatte immer ein Faible für ideale
Gesinnung, wenn sie mutig und kämpferisch war.
Der polyglotte Weber hatte am Vorabend des
Ersten Weltkrieges den Chauvinisten Max Weber der ersten Phase
längst hinter sich gelassen. Nach der Arbeit an der
Protestantischen Ethik entfernte sich Weber nicht nur von deutscher
Tüchtigkeit und Gemütlichkeit, sondern auch vom
obrigkeitshörigen Sozialstaat Deutschland, über den er
sich später zunehmend sarkastisch äußerte. So
erscheint der Weber, den Radkau in dieser zweiten Lebensphase
schildert, zerrissen, heimat-, ruhe- und bodenlos und zugleich
leidend am stählernen Gehäuse von Bürokratisierung,
in das die Protestantische Ethik hineingezwängt
wurde.
Radkaus Bild von Max Weber ist alles andere
als bewundernd. Im Gegenteil: Er spart nicht mit Kritik an Webers
Fehlurteilen, zum Beispiel gegenüber der deutschen
Bürokratie, die in Wahrheit besser als ihr Ruf war. Auch seine
Rückendeckung für den Liberalen Friedrich Naumann und
dessen verquasten Chauvinismus lässt Radkau nicht durchgehen:
"Ein Mann wie Weber hatte eigentlich allen Grund, Naumann als
unerträglichen Phrasendrescher zu verabscheuen."
Weber, der sich langsam von seinen
Depressionen erholte, distanzierte sich vom chauvinistischen
Deutschland und suchte stattdessen neue wissenschaftliche
Betätigungsfelder: 1909 begann er mit "Wirtschaft und
Gesellschaft", auch unter Eindruck seiner ersten wirklichen
Liebesbeziehung zu der Musikerin Mina Tobler. Sie nahm dann mit
Billigung von Marianne Weber den Status einer legitimen Nebenfrau
ein: "Wenn Tobelchen Klavier spielt, sitzen Max und Marianne Hand
in Hand auf dem Sofa."
Auch dieser ironisch-lakonische Stil, der oft
auftaucht, macht die Lektüre zum Vergnügen, vor allem
beim Thema Max Weber und die Frauen. Durch die Liebesbeziehung zu
Mina Tobler und Else Jaffe wandelte sich Webers Einstellung zu
zentralen Fragen von Wissenschaft und Lebensführung
grundlegend: "Doppel- und Dreifachleben, Maskerade und
Beschleunigung des Lebenstempos, Religionssoziologie, Wirtschaft
und Gesellschaft, Webers politische Reden und Schriften unter dem
Eindruck von Krieg, Niederlage und Revolution, seine Liebe und sein
Sterben: Sind das nicht ganz unterschiedliche Geschichten, die in
verschiedene Kapitel mit gänzlich anderer Grundstimmung
gehören: Grübelnde Reflexion, wütende Verzweiflung,
Seeligkeit? Ein phänomenaler Zug dieses Lebens besteht jedoch
gerade darin, dass diese Geschichten zugleich laufen oder kurz
aufeinander folgen. Selbst zwischen Webers Liebesbeziehungen zu
Mina und Else gibt es mehr zeitliche Überschneidungen, als
bisher bekannt war und man diesem sonst so rigiden Mann
zutraute."
Der liebende Weber, das zeigt Radkau
deutlich, wurde weicher, reflexiver und weltläufiger, wie es
die dritte Lebens- und Schaffensphase im Zeichen des Ersten
Weltkrieges andeutete. Dieser Krieg war für Weber rational
kaum nachvollziehbar, denn er hatte den Hochmut deutscher
Bildungsbürger längst hinter sich gelassen. Er brauchte,
gerade weil er ein kriegerisches, kämpferisches Naturell
besaß, keine annektionistischen Kriegsziele und keine
idealistische Begründung wie Werner Sombart, der das deutsche
Heldentum gegen anglo-amerikanischen Krämergeist
stellte.
Der Krieg hatte mannigfaltige Wirkungen: Er
machte Weber gesund, so Radkau, weil er zu Beginn auch
persönlich in der Kriegsverwaltung gefordert wurde. Doch bald
floh Weber aus der beklemmenden Realität ins private
Liebesglück und vor allem in neue ungeahnte wissenschaftliche
Produktivität.
Das Studium der Weltreligionen wurde ihm zur
Quelle von Befriedigung und Ehrgeiz. Jetzt erhielt seine
Protestantische Ethik einen größeren Rahmen und wurde zur
Vorstudie einer universalhistorischen Großuntersuchung
über die Ursprünge des westlichen Sonderweges in der
Weltgeschichte. Die Hochkulturen des Ostens wurden für Weber
zur Folie für die Genese der modernen Welt. Der Max Weber im
Ersten Weltkrieg erscheint nicht ohne Paradoxien: Er entwickelte
die Vision von der welthistorischen Zusammengehörigkeit des
Westens gegenüber dem Rest der Welt, während sich in
Europa in den Gräben des Krieges Millionen Tote
auftürmten.
Doch Radkau vergisst nicht Webers eigenen
Zwei-Fronten-Krieg: Ab 1917 kämpfte er gegen megalomanische
Annektionsagitatoren auf der einen und
revolutionär-pazifistische Intellektuelle auf der anderen
Seite. Die "Frankfurter Zeitung" wurde ihm zum Sprachrohr, das
Weber oft zur Kritik am Kaiser nutzte.
Die vierte Schaffensphase von 1917 bis 1920
war kurz, aber intensiv. Die deutsche Niederlage löste bei
Weber weder Wehleidigkeit aus, noch vermochte sie seine Arbeits-
und Lebensintensität zu stören. Er konzentrierte sich
jetzt ganz auf eine andere Welt, die der Weltreligionen. Das
deutsche Desaster spielte für ihn keine zentrale Rolle mehr.
Marianne Weber hatte sogar den Eindruck gewonnen, dass ihr Mann am
liebsten gar nicht mehr über die deutsche Zukunft nachdachte,
obgleich er öffentlich viel darüber redete und schrieb.
Wo lag des Rätsels Lösung?
Für Radkau war Weber hin- und
hergerissen: Einerseits engagierte er sich publizistisch in einer
Art politischen Karneval, andererseits spottete er intern über
Deutschlands Politik. Durch seine intensive Liebesbeziehung zu Else
Jaffe rückte Deutschland weit weg. Wenn Weber sich vertraulich
äußerte, sprach er von den Masken, die er für die
Öffentlichkeit trage.
Diese Einstellung galt nicht für seinen
berühmten Vortrag über "Wissenschaft als Beruf" im
November 1917. Mit seiner Forderung nach Objektivität und
entsagungsvoller Arbeitsdisziplin rückte er auch seine
Wissenschaftsethik in die Nähe der Protestantischen Ethik.
Auch für den modernen Wissenschaftsbetrieb forderte Weber
strenge Askese. Seine Kritik am modernen Fachmenschentum ohne Geist
hat zusammen mit seinem ebenso berühmten Vortrag über
"Politik als Beruf" vom Januar 1918 bis heute weder an Reiz noch an
Intensität verloren. Beide Weber-Texte haben den Grundstein
für Webers dauerhaften Ruhm gelegt.
So sind die letzten Lebensjahre eine Zeit
höchster Schaffenseuphorie und zugleich die Zeit der
großen Liebe seines Lebens. Genau in der Situation, als der
durch die Nation gestiftete höhere Lebenssinn zerstob,
ließ Weber wie noch nie zuvor seiner Sinnlichkeit freien Lauf
und erlebte emotionale Erfüllung.
Max Weber war alles andere als eine
geschlossene, harmonische, in sich ruhende Persönlichkeit.
Darin liegt auch der Reiz der Biografie, die Radkau famos
komponiert hat: "Der Konflikt zwischen Eros und sittlicher Ordnung
wird für Weber zum Paradigma dessen, dass der Mensch in
mehreren Welten lebt. Nicht nur der Wirklichkeitswissenschaft,
sondern auch der Liebe wird das Tor durch diese Einsicht
geöffnet, dass die Welt des Seins eine andere ist als die des
Sollens." Für Weber wurde es zur vital-schmerzhaften
Erfahrung, dass Wissenschaft, Politik, Ehe und Erotik voneinander
getrennte Sphären sind, die allerdings durch Erlebnis und
Erfahrung, wenn auch oft indirekt und vor allem konfliktgeladen,
verbunden sind.
So lässt sich resümieren, dass sich
im Leben und Wirken Max Webers der bessere Teil deutscher
Geschichte spiegelt, vor allem die Fähigkeit und Bereitschaft,
aus Fehlern zu lernen. Auch Weber wurde, wie Friedrich Meinecke, zu
Beginn der Weimarer Republik zum Vernunftrepublikaner. Zusammen mit
Ernst Troeltsch, Werner Sombart und Georg Simmel bildete Max Weber
ein einmaliges Gestirn am Himmel deutscher Geistesgeschichte, das
die Höhen und Tiefen der Moderne, die Umwälzungen von
Kapitalismus und Technologie, von Religion, Ethik und Politik
verstehend zu bewältigen suchte.
Heute hat die Bedeutung der Religion für
die persönliche Lebensführung ab-, aber für die
weltpolitische Entwicklung zugenommen. Webers Überlegungen zur
Religion sind deshalb nicht nur als kulturelles Phänomen
aktuell, sondern auch als ein weltpolitisches und zugleich als
essentiell humaner Bestandteil, als Ausdruck menschlicher
Existenz.
Für Radkau stellt Webers
persönliche Religiosität nach wie vor ein Rätsel
dar. Immer wieder verweist er auf die "Zwischenbetrachtungen"
Webers als Schlüssel zum Werk, aber auch zu dessen
persönlicher Religiösität. Hier bündelt sich
für Radkau alles wie in einem Brennglas. Erlösung und
Rationalisierung versteht Radkau als die beiden Pole, zwischen
denen sich Webers Schaffen darstellt, wobei er vermutet, dass der
reife Weber der Erlösung näher stand als der Forderung
nach Rationalisierung.
Im Jahre1920 schloss sich der Kreis dieses
leidenschaftlichen Lebens, das Weber selbst so viel Leiden
schaffte: Weber "hat seine Leidenszeit verarbeitet, diese hat als
Fegefeuer, dem eine große Schaffensphase folgt, einen
höheren Sinn erlangt; die Protestantische Ethik hat einen
weltumfassenden Rahmen bekommen, der spiritualistische Ansatz der
Weltdeutung ist geerdet worden und er, Max Weber, hat die
große Liebe seines Lebens erlebt, nach der keine Steigerung
mehr kommen kann."
Radkau hat mit seiner großartigen
Biografie wieder Hunger auf Webers Leben und Werk geweckt. Diese
Biografie hat etwas Befreiendes und Endgültiges zugleich. Doch
sie nimmt dem Entzauberer der Welt nichts von seinem
persönlichen und wissenschaftlichen Zauber. An Webers Leben
und Wirken werden sich junge Menschen dank Radkaus Biografie neu
begeistern können, im Gegensatz zu Vielem, was die "Weberei"
in den vergangenen Jahrzehnten oft in hochtourigem Leerlauf
produziert hat.
Die Biografie kann auch als Neuansatz, ja als
Fanal für einen neuen Geist in den Humanwissenschaften gelesen
werden, denn "zu penetrant weht in den heutigen
Sozialwissenschaften die pure Seminarluft; in einem Maße wie
noch nie ist die Fülle der Wirklichkeit, die Leibhaftigkeit
der Lebenserfahrung aus dem Wissenschaftsbetrieb verdrängt".
Mehr wissenschaftliche Leidenschaft im Geiste Max Webers - mit
dieser Schlussfolgerung könnte ein entsprechender Neuanfang
gelingen, der so dringend nötig ist.
Joachim Radkau
Max Weber. Die Leidenschaft des
Denkens.
Carl Hanser Verlag, München 2005;
1007 S., 45,- Euro
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