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Astrid Pawassar
Gerangel unter "Volksgenossen"
Sachsens: NPD-Führung nach Austrittswelle
angezählt
So ganz ist sie noch nicht wieder da, die alte
Großspurigkeit. "Heute Sachsen, morgen Deutschland" hatte der
Fraktionsvorsitzende der NPD im Sächsischen Landtag, Holger
Apfel, getönt, als die Nationaldemokraten erstmals seit 1968
wieder in ein deutsches Parlament einzogen. Doch in der
Vorweihnachtszeit erhielt dieser Optimismus einen gewaltigen
Dämpfer. Der Meißner Landtagsabgeordnete Mirko Schmidt
verließ Partei und Fraktion. Die NPD habe die "demokratischen
Grundsätze" aufgegeben und sich nationalsozialistisch
gebärdet anstatt für die sozialen Belange ihrer
Wähler einzutreten. Gleichzeitig übte er harsche Kritik
am Verhalten der aus Westdeutschland importierten Fraktionsspitze.
Fraktionschef Holger Apfel und Geschäftsführer Peter Marx
grenzten die einfachen Landtagsabgeordneten von wichtigen
Entscheidungen aus. Außerdem störe ihn der krude
Antiamerikanismus seiner Partei.
Es dauerte nur wenige Tage, da zogen zwei weitere
NPD-Abgeordnete nach. Gift und Galle spuckten die ehemaligen
Gesinnungsgenossen, nachdem die Konterfeis der Abtrünnigen
umgehend aus dem offiziellen Fraktionsfoto retuschiert worden
waren. "Verräter" seien sie, ließ die Fraktionsspitze
verlauten, faul und verschuldet auch noch. Und als bekannt wurde,
dass sowohl Mirko Schmidt, als auch Klaus Baier aus dem
erzgebirgischen Annaberg-Buchholz sich hilfesuchend an das
Aussteigerprogramm des Sächsischen Verfassungsschutzes gewandt
hatten, stand für die verbliebenen zehn Abgeordneten fest: Die
beiden waren Handlanger des Verfassungsschutzes.
Der Boden für ausgreifende Verschwörungstheorien war
bereitet, auch wenn Klaus Baier an Eides statt versichert, er habe
niemals für den Verfassungsschutz "oder einen anderen
Geheimdienst" gearbeitet und sei auch von keinem angeworben worden.
Nach einem Interview des MDR-Regionalfernsehens mit Klaus Baier,
der dabei von NPD-Wachleuten umzingelt und sichtlich
eingeschüchtert war, fasste sich auch Jürgen Schön
aus Leipzig ein Herz und verließ die Partei, der er seit 1990
angehörte. In einem Brief an die neun verbliebenen
Landtagsabgeordneten wünschte er seinen ehemaligen Kollegen
"die Pest an den Hals" und rief seine höchste Instanz zu
Hilfe: "Gott soll Euch heidnisches Pack vernichten."
So weit ist es noch nicht gekommen. Vielmehr kehrte die
Fraktionsführung nach einigen Tagen Schockstarre den
Spieß um und versucht nun beharrlich, dem Sächsischen
Verfassungsschutz eine führende Rolle beim Ausstieg der drei
Politiker nachzuweisen.
Verschwörungsszenarien
Auch am anderen Ende der politischen Skala ist man offen
für Verschwörungsszenarien. "Die Herauslösung von
gewählten Abgeordneten aus ihrer Fraktion und die damit
möglicherweise einhergehende Änderung von
Mehrheitsverhältnissen" sei nicht Aufgabe des Landesamtes
für Verfassungsschutz, gab der parlamentarische
Geschäftsführer der Linkspartei/PDS, André Hahn,
bekannt. Er kündigte hartes Nachfragen an. Sachsens
Verfassungsschützer geben sich angesichts dieser unerwarteten
Kritik nunmehr ausgesprochen zugeknöpft, nachdem sie zuvor mit
ihrer Genugtuung über den Abgang der drei NPD-Abgeordneten
wenig hinterm Berg gehalten hatten. Ihnen droht ohnehin
künftig noch mehr Arbeit. Zwar muss die NPD nach der
Massenflucht aus Parteiämtern und Mandaten - angeblich sollen
insgesamt 110 Mitglieder die Partei verlassen haben - erst einmal
tief Luft holen, um wieder auf die Beine zu kommen. Ein für
diesen Monat anberaumter Sonderparteitag, auf dem die
Parteiämter der Abtrünnigen neu vergeben werden sollten,
musste verlegt werden. Offiziell werden Schwierigkeiten bei der
Genehmigung des Versammlungsortes - ein Berufsschulzentrum in Pirna
- angegeben. Doch auf der anderen Seite konnte der sächsische
Landesverband der NPD einen Erfolg verkünden: Ein neuer
Kreisverband Kamenz/Hoyerswerda sei gegründet, hieß es -
in der strukturschwachen Niederlausitz also, wo die
Arbeitslosigkeit mancherorts in Hoffnungslosigkeit mündet. Und
die beiden Ex-Landtagsabgeordneten Schmidt und Baier geben sich
zuversichtlich, schon im Februar eine neue Partei mit Namen
"Sächsische Volkspartei" (SVP) gründen zu können. Zu
beobachten, ob diese Gruppierung im Sinne der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung agiert und aus welchen
Ecken sie Zulauf bekommt, wäre dann - neben dem Personenschutz
für die Ex-NPDler - eine weitere Aufgabe für den
Verfassungsschutz.
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