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Ines Gollnick
Der Nachwuchspolitiker: Kai Gehring
Parlamentarisches Profil
Wenn du als junger Politiker Jugendpolitik machst, wirst du
schnell in eine bestimmte Ecke geschoben, meinte nach der
Bundestagswahl der eine oder andere Kollege zu dem
Jungparlamentarier Kai Gehring, Jahrgang 1977. Der Neue ließ
sich jedoch von diesen Einschätzungen nicht abschrecken. Er
konnte sie nicht nachvollziehen. Jetzt ist Gehring hochschul- und
jugendpolitischer Sprecher seiner Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Das freut ihn, denn es ist die konsequente Fortsetzung
seiner politischen und persönlichen Biografie: Zivildienst in
der Evangelischen Studierendengemeinde in Essen, danach Studium der
Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum, 2003
Diplom mit politikwissenschaftlichem Schwerpunkt, seitdem Arbeit an
der Promotion. Er hat seine Abschlussarbeit über die
Nachwuchsförderung politischer Parteien geschrieben. Jetzt ist
er selber "Nachwuchs", und das schneller als erwartet.
Der Mann mit dem gegelten Kurzhaarschnitt spricht mit leiser
Stimme im lauten Cafe des Grillo-Theaters mitten im Zentrum der
Essener Innenstadt. Alles ging ganz schnell. Gehring hat nichts
geplant, einfach gemacht. Er ist seit 1998 bei den Grünen,
begann ganz klassisch bei der Stadtteilgruppe in Essen - seinem
heutigen Wahlkreis - und wurde direkt im Bundestagswahlkampf 1998
aktiv. Das Programm der Grünen habe ihn überzeugt, nicht
nur, weil sich die Partei um gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaften und ihre Rechte kümmert. Gehring lebt in
Essen zusammen mit seinem Partner.
Anfang 1999 gründete Gehring die Grüne Jugend NRW mit,
heute sitzt er als jüngstes Mitglied im Landesvorstand der
NRW-Grünen. Die Zahlen 14 und acht wird er wohl sein Leben
lang nicht vergessen. Mit Listenplatz 14 scheiterte er bei der
Landtagswahl in NRW. Nach etwas Bedenkzeit und Frustverarbeitung
ließ er sich für den Bundestag aufstellen. Auf
Listenplatz acht ging diesmal gut aus. Blitzkarriere für einen
Studenten, der seine Promotion jetzt erst einmal auf Eis legt.
Auch mit der Erfahrung von kirchlicher Jugendarbeit im
Rücken ("Ich kann mit Jugendlichen sehr gut sprechen.") geht
er jetzt zielstrebig nach dem Auftakt der Einarbeitungsphase auf
seinen politischen Feldern vor. Er will sich für
bedarfsgerechte Angebote zur Kinderbetreuung - auch für die
unter 5-Jährigen - einsetzen, für mehr Mitsprache von
Kindern und Jugendlichen, eine vielfältige und starke
Jugendpolitik, eine moderne Politik für alle Familienformen,
die Bekämpfung von Armut und Benachteiligung von jungen
Generationen, eine innovative und ganztägige "Schule der
Vielfalt" und ein weiterhin gebührenfreies Erststudium. "Ein
gutes Bildungssystem organisiert Zugänge in Ausbildung und
Beruf, garantiert Teilhabe und Integration und überwindet
soziale Ungerechtigkeit", lautet Gehrings Ansatz. Wenn zehn bis 15
Prozent eines Jahrgangs ohne Schulabschluss blieben, sei die
Problematik immer noch nicht ausreichend in der Politik verankert.
Beispielsweise müsste die Zahl der Schulabbrecher reduziert
werden. Die frühe Förderung junger Menschen sei ein
Schlüssel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Es treibt
ihn um, wenn er beispielsweise das soziale Gefälle zwischen
Essen Nord und Süd betrachtet. Deshalb will er sich besondern
um junge Risikogruppen und perspektivlose Jugendliche
kümmern.
Wenn Gehring auch eher introvertiert wirkt, so hält er mit
seiner Kritik an der neuen Regierung nicht hinter dem Berg. "Unter
der neuen Regierung werden sie (Jugendliche, Anm. d. Red.) zur
,vergessenen Generation' - im Koalitionsvertrag tauchen Jugendliche
vor allem dann auf, wenn es um drastische Strafmaßnahmen oder
fehlende Ausbildungsplätze geht. Nicht Eigenständigkeit,
Prävention oder Teilhabe stehen im Mittelpunkt schwarz-roter
Jugendpolitik, sondern Bevormundung", kritisiert er. Seine Aufgaben
als Oppositionspolitiker sieht er in konstruktiver Kritik, dem
Verweis auf falsche Prioritäten und dem Hinweis auf
Lücken.
Summa summarum geht es Gehring um die Stärkung der Politik
für künftige Generationen. Das ist ihm wichtig. Deshalb
sitzt er auch im neu gegründeten Arbeitskreis "Wissen und
Generationen" der neu organisierten Grünen-Fraktion. Er
wünscht sich beispielsweise noch viel mehr Entwicklungen bei
der Ganztagsschule, die er für eine echte Innovation im
Bildungssystem hält. Deshalb formulierte er auch gemeinsam mit
anderen eine kleine Anfrage zur Föderalismusreform. "Durch die
Föderalismusreform können solche Investitionsprogramme
zukünftig nicht mehr aufgelegt werden. Das halte ich für
eine völlig verkehrte Richtung, für eine krasse
Fehlentscheidung", kritisiert Gehring. Durch den Bund sei das
Ganztagsschulprogramm initiiert worden. Durch das Zusammenspiel von
Bund und Ländern sei da viel in Bewegung gekommen. Für
ihn steht außer Frage, dass mehr Kooperation zwischen Bund und
Ländern und nicht weniger nötig sei - auch im
Hochschulbereich. Auch da laufe die Politik auf dem falschen Gleis.
Zulassungsbeschränkungen, Studiengebühren und
Kapazitätsabbau würden nicht dazu führen, etwa 40
Prozent eines Jahrgangs zum Hochschulabschluss zu bringen. Jetzt
will er ein grünes Modell der Studienfinanzierung mit
entwickeln.
Gehring ist alles andere als ein Hau-Drauf-Typ mit poltriger
Rhetorik. Er plädiert dafür, in kontinuierlicher Arbeit
differenzierte Angebote und Konzepte zu finden. Der "jüngste
Kerl" in der grünen Fraktion macht den Eindruck eines
nachdenklichen Charakters. "Ich habe nicht das Zeug zum Populisten.
Ich bin eher ein Moderator, der unterschiedliche Meinungen
bündeln kann. Vielleicht sind das Fähigkeiten, die
für einen Politiker zunehmend wichtiger werden." Er weiß,
dass er ackern muss, um als Junger ernst genommen zu werden. Er mag
es allerdings gar nicht, wenn ältere Menschen Jüngeren
Lebenserfahrung absprechen. Lebenserfahrung sei keine Frage des
Alters, sagt Gehring. Der Tod seines Vaters kurz vor dem Abitur sei
ein unheimlicher Einschnitt in seinem Leben gewesen. "Das hat mich
sehr geprägt." Bewusst spricht er das Thema Tod an, eines der
letzten Tabus dieser Gesellschaft, wie er findet. Und auch sein
Coming-out sei eine schwierige Lebensphase gewesen. Bei aller
Liberalität sei Homosexualität nach wie vor ein
Riesenproblem für junge Menschen. Die Gewalt gegen junge
Schwule und Lesben nehme seiner Einschätzung nach zu.
Generationenübergreifend zu arbeiten empfindet Gehring als
Bereicherung. Das Jugendliche und den neuen, unverbrauchten Blick
auf alles will er sich jedenfalls bewahren. Junge stellten einfach
andere Fragen, findet er. Und sollte der Jungparlamentarier mit
seinem politischen Latein einmal am Ende sein, ist das kein Grund
zur Besorgnis. Joseph Fischer hat sein Büro gleich
gegenüber. Was kann einem grünen Bundestagsnovizen
Besseres passieren.
Im Internet:
www.kai-gehring.de
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