Petitionsausschuss
Petitionsausschuss, Kurzfassung des Jahresberichtes 1997 / I
I. Allgemeine Bemerkungen über die Ausschussarbeit
1. Anzahl der Eingaben
Im Jahr 1997 gingen beim Petitionsausschuss 20 066 Eingaben ein. Gegenüber dem Vorjahr mit 17 914 Petitionen bedeutet dies wieder einen Anstieg der Neueingänge um 2 152 Petitionen oder um 12,01 v. H. Damit wird der sich in den zurückliegenden Jahren abzeichnende Trend bestätigt: Die Anzahl der Eingaben liegt seit der deutschen Vereinigung im Jahre 1990 jährlich um die 20 000 Eingaben (1993: 20 098, 1994: 19 526, 1995: 21 291).
2. Schwerpunkte der Eingaben
Schaut man sich die Verteilung der Petitionen auf die jeweiligen Bundesministerien an, so fällt auf, daß nach wie vor das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) mit 6 390 Petitionen das Ressort mit den bei weitem meisten Eingaben darstellt. Der prozentuale Anstieg mit 33,51 v. H. ist hier erheblich. Gemessen am Gesamtvolumen der eingegangenen Petitionen entfallen auf das BMA fast 40 v. H. der Eingaben. Mit einem etwa gleich hohen prozentualen Anteil am Gesamtaufkommen der Eingänge sind das Bundesministerium des Inneren (BMI) mit 2 044 Petitionen und das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit 2 036 zu nennen. Bemerkenswert hierbei ist der Anstieg der Petitionen, die dem Sachgebiet "Wiedergutmachung Nationalsozialistischen Unrechts" zuzuordnen sind; diese fallen ganz überwiegend in die Zuständigkeit des BMF. Gab es im Jahre 1996 noch 43 Eingaben in diesem Themenbereich ist diese Zahl im Berichtszeitraum auf 126 angewachsen und hat damit eine Steigerung von fast 200 v. H. erfahren. Auffällig ist auch die Zahl der Petitionen, die das Bundesministerium für Gesundheit betreffen. Dieses Ressort gehört nun zu den fünf Ministerien, die eine vierstellige Eingabenzahl zu verzeichnen haben. Hier sind die Petitionen von 967 im Jahre 1996 auf 1 650 im Berichtszeitraum angewachsen.
3. Unterschriftenlisten beim Petitionsausschuss
Auch die Zahl der Sammelpetitionen, also der Petitionen, die mit einer Unterschriftenliste eingereicht werden, ist von 1 301 Petitionen im Jahre 1996 auf 1 512 Eingaben im Jahr 1997 angestiegen. Die Anzahl der hierdurch eingereichten Unterschriften ist von 897 475 auf 1 445 345 Unterschriften angewachsen. Im Gegensatz hierzu sind die Massenpetitionen, also Eingaben in größerer Zahl mit demselben Anliegen, deren Text ganz oder im Wesentlichen übereinstimmt (z. B. Postkartenaktionen), von 1 558 576 auf 431 433 Unterschriften zurückgegangen. Bei Massen- und Sammelpetitionen dominierten die Themenbereiche gesetzliche Krankenversicherung, die Forderung nach Verschärfung der Strafmaßnahmen bei Sexualverbrechen sowie die Forderung nach einer gentechnikfreien Landwirtschaft. Natürlich beschäftigte auch die Rechtschreibreform den Petitionsausschuss. Hier wurden ca. 20 000 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern gezählt, die sich gegen eine solche Reform aussprachen.
4. Bitten zur Gesetzgebung: Tendenz steigend
Die Anzahl der Bitten zur Gesetzgebung ist im Verhältnis zu den Beschwerden, also den Eingaben, die sich gegen das konkrete Handeln einer Behörde richten, beträchtlich angewachsen. Wurden im Jahre 1996 noch 4 865 Bitten gezählt, so sind es 7 560 Legislativpetitionen im Jahre 1997. Demgegenüber ist sogar die Anzahl der Beschwerden von 13 049 Petitionen im Jahre 1996 auf 12 506 im Jahre 1997 zurückgegangen. In mehr als ein Drittel der eingehenden Petitionen wird der Ausschuss also aufgefordert, eine Gesetzesänderung zu bewirken.
5. Mehr Petitionen aus den "neuen" Bundesländern
Auffällig ist nach wie vor die Anzahl der Petitionen, die
aus den neuen Bundesländern kommen, im Vergleich zu der Anzahl
der Petitionen aus dem alten Bundesgebiet. Um hier einen Vergleich
anzustellen, muß man sich die Anzahl der Petitionen vor Augen
führen, die auf eine Million Einwohnerinnen und Einwohner des
jeweiligen Landes durchschnittlich entfallen. Das Land mit den
wenigsten Eingaben, nämlich mit 129, ist hiernach Bayern,
während Nordrhein-Westfalen von den westlichen
Bundesländern mit 228 Eingaben pro eine Million der
Bevölkerung "Tabellenführer" ist.
Demgegenüber fallen die Zahlen in den östlichen
Bundesländern erheblich höher aus. Thüringen ist mit
357 Petitionen, gerechnet auf eine Million Bürgerinnen und
Bürger, das Land mit den vergleichsweise wenigsten Eingaben.
Aus Brandenburg wurden 527 Petitionen gezählt, was einen
Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr von 77,76 v. H. ausmacht. Nach wie
vor, auch wenn man die Zahlen aus der Zeit vor der deutschen
Einigung vergleicht, ist jedoch die Bevölkerung von Berlin die
"petitionsfreudigste". Hier wurden 558 Eingaben auf eine Million
Berlinerinnen und Berliner gezählt.
6. Frauenspezifische Petitionen
Wie bereits in den Vorjahren wurde auch im Berichtszeitraum den
ressortübergreifenden Petitionen zum Thema "Gleichstellung von
Frau und Mann" viel Beachtung geschenkt.
Mehrere Petitionen lagen dem Ausschuss zum Thema frauenspezifische
Asylgründe vor. Darüber hinaus sollten aber auch
Abschiebeschutzregelungen jenseits des Asyls geschaffen werden.
Alleinstehende Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden waren
und dadurch den Schutz in ihren Familien im Herkunftsland verloren
hätten, sollten in bestimmte Länder nicht mehr
abgeschoben werden können. Bei der Beratung dieser Petitionen
hatte der Ausschuss konstatiert, daß zwar in letzter Zeit
insbesondere im Bundesamtsverfahren eine Reihe von Verbesserungen
durchgeführt worden sind. Gleichwohl seien weitere
Anstrengungen erforderlich, um Opfer von geschlechtsspezifischen
Verfolgungen besser zu schützen.
Immer wieder beschäftigt sich der Petitionsausschuss auch mit
Forderungen, das soziale Ehrenamt nicht nur in "Sonntagsreden"
anzuerkennen, sondern auch Verbesserungen vor allem im Hinblick auf
die berufliche Freistellung, den Aufwendungsersatz, die steuerliche
Absetzbarkeit sowie die rentenrechtliche Anerkennung der
ehrenamtlichen Tätigkeit einzuführen.
Auch das Unterhaltsvorschußgesetz ist für viele
Mütter, vor allen Dingen Alleinerziehende, ein Grund, sich an
den Petitionsausschuss zu wenden. Zwar garantiert das
Unterhaltsvorschußgesetz einen Mindestunterhalt für das
Kind, allerdings nur für die Dauer von sechs Jahren und
höchstens bis zum 12. Lebensjahr des Kindes. Der Ausschuss hat
hier die Bundesregierung aufgefordert, Verbesserungen für die
Betroffenen in die Vorbereitung von Gesetzentwürfen
miteinzubeziehen.
Die rentenrechtliche Berücksichtigung von
Kindererziehungszeiten hat den Ausschuss schon mehrfach
beschäftigt. Viele Petentinnen hatten die
Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten, auch bei
gleichzeitiger Erwerbstätigkeit gefordert. Die Petitionen
wurden dem zuständigen FachAusschuss überwiesen, damit
dieser die vorliegenden Gesetzesentwürfe zur Reform der
gesetzlichen Rentenversicherung im Lichte der Petitionen beraten
könne. Nunmehr ist die Anrechnung von Kindererziehungszeiten
im Rentenreformgesetz 1999 neu geregelt. Es sieht im einzelnen vor,
daß diese Zeiten ab dem 1. Juli 1998 zusätzlich zu den
bereits vorhandenen zeitgleichen Beitragszeiten in der
Rentenversicherung angerechnet werden.
Häufig wenden sich auch Interessenverbände oder
Initiativen mit der Bitte um Gesetzesänderung an den
Ausschuss. So beanstandete ein Verband von Seemannsfrauen,
daß deutsche Seeleute auf Seeschiffen, die die Flagge eines
anderen Staates führen, zwar voll dem deutschen
Einkommensteuergesetz unterliegen, daß sie aber, ebenso wie
ihre in Deutschland lebenden Familienangehörigen, von dem
deutschen Sozialversicherungsrecht ausgeschlossen sind. Der
Petitionsausschuss hat dies als Mißstand erkannt, dem
dringend abgeholfen werden müsse. Hier bleibt noch abzuwarten,
wie sich die Bundesregierung zu dem Anliegen stellen wird.
7. Petitionsausschuss sprach mit NS-Verfolgten in Prag
Im Jahre 1997 hat sich der Petitionsausschuss mehrfach mit der
Frage der Entschädigung von Opfern der Nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft befaßt.
In einer Petition, die sowohl von in Tschechien und in der
Slowakischen Republik lebenden Personen als auch von
Bürgerinnen und Bürgern aus der Bundesrepublik
Deutschland eingereicht worden war, wurde eine individuelle
Entschädigung für die überlebenden Opfer des
Holocaust in der ehemaligen Tschechoslowakei gefordert. Auf einer
Delegationsreise in die Tschechische Republik suchte der
Petitionsausschuss das Gespräch mit diesen Menschen. Er
knüpfte auch Kontakte zu der Stiftung "Theresienstädter
Initiative". Es kam zu einem intensiven Meinungsaustausch über
die Gestaltungsmöglichkeiten der Entschädigung für
tschechische NS-Opfer. Seitens der "Theresienstädter
Initiative" wurde immer wieder betont, daß ein Weg gefunden
werden müsse, tschechischen NS-Opfern eine individuelle
Entschädigung zukommen zu lassen. Unter den Mitgliedern dieser
Delegationsreise bestand Einvernehmen, daß eine individuelle
Lösung für die Entschädigung gefunden werden
müsse, obwohl das Wort "Entschädigung" in der
deutsch-tschechischen Erklärung an keiner Stelle verwandt
worden sei. Eine solche Entschädigung könne dabei
durchaus über eine mit Mitteln des Zukunftsfonds
einzurichtende Stiftung oder über ein Sozialwerk erfolgen.
Diese Idee des Petitionsausschusses wird derzeit umgesetzt.
Bereits vor Jahren hatte der Petitionsausschuss nachdrücklich
die Forderung mehrerer Bürgerinnen und Bürger
unterstützt, ein gesetzliches Verfahren zur Aufhebung von
Entscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte des NS-Staates
einzuleiten. Deshalb hatte er diese Petition der Bundesregierung
"zur Berücksichtigung", dem höchstmöglichen Votum
des Ausschusses, empfohlen. Dem Ausschuss war in mehreren
Stellungnahmen seitens der Bundesregierung mitgeteilt worden,
daß sich das Bundesministerium der Justiz mit der Behandlung
dieser Thematik wie auch mit der Frage der Aufhebung von
NS-Unrechtsurteilen aus anderen Rechtsgebieten intensiv befasse und
einen Gesetzentwurf erarbeite, der die in der NS-Zeit erlassenen
Sterilisationsentscheidungen durch Gesetzesbeschluß
aufhebe.
Schließlich kamen die Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. der
Bundesregierung zuvor und brachten Gesetzentwürfe zur
Aufhebung der nationalsozialistischen Unrechtsentscheidungen beim
Deutschen Bundestag ein. Danach hat auch die Bundesregierung einen
Gesetzentwurf vorgelegt, der zur Zeit der Drucklegung dieses
Berichtes im Bundesrat beraten wird.
Es bleibt sehr zu hoffen, daß noch in der 13. Wahlperiode ein
Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in
Kraft treten kann.
8. "Der Petitionsausschuss empfiehlt..." - nicht immer einstimmig
In den Beratungen im Petitionsausschuss wird häufig
durchaus kontrovers diskutiert und votiert. Die
Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind vielfach,
wie in anderen Ausschüssen des Deutschen Bundestages auch,
Mehrheitsentscheidungen. Im Sinne der Anliegen der Bürgerinnen
und Bürger sind die Abgeordneten im Ausschuss zwar immer
wieder bestrebt, ein einheitliches, fraktionsübergreifendes
Votum zu erreichen. Gleichwohl divergieren die Meinungen der
Abgeordneten zu einzelnen Eingaben aus grundsätzlich anderen
gesellschaftspolitischen Grundüberzeugungen heraus. Deshalb
werden von den in der Abstimmung unterliegenden Fraktionen nicht
selten Änderungsanträge für die Beratung der
Petition im Plenum angekündigt.
Vielen Petentinnen und Petenten ist dies nicht klar und sie meinen,
die Formel