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27.06.2000
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Deutsch-französische parlamentarische Arbeitsgruppe erarbeitet gemeinsame Reformvorschläge für die Regierungskonferenz 2000

Parallel zum Besuch des französischen Staatspräsidenten und seiner europapolitischen Rede vor den Mitgliedern des Deutschen Bundestages haben sich die Mitglieder einer gemeinsamen deutsch-französischen interfraktionellen Arbeitsgruppe der Assemblée nationale und des deutschen Bundestages zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 2000 in Berlin getroffen. Die bilateralen Parlamentariergruppen hatten den Präsidien beider Parlamente vorgeschlagen, einen "Beitrag der Parlamente zum Gelingen der Regierungskonferenz 2000" zu leisten, um die Bedeutung und die Chancen, die sich aus der Zusammenarbeit der beiden Parlamente ergeben, zu unterstreichen. Die Abgeordneten haben den beigefügten Vorschlagstext erarbeitet, den sie heute Vertretern der französischen Regierung und der Bundesregierung überreichen werden.

Die französische Abgeordnetendelegation wird angeführt vom Vorsitzenden der Französisch-Deutschen Parlamentariergruppe, dem sozialistischen Abgeordneten Jean-Marie Bockel, und dem stellvertretenden Vorsitzenden des EU-Ausschusses, Gérard Fuchs, ebenfalls Sozialist. Ferner gehören Herr Pierre Lequiller, Démocratie Liberale, und Herr Yves BUR, UDF, der Delegation an. Auf deutscher Seite gehören der Arbeitsgruppe Mitglieder der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe, darunter der Vorsitzende Dr. Andreas Schockenhoff, CDU/CSU, und die stellvertretende Vorsitzende, Monika GRIEFAHN, SPD, die Abgeordnete Dr. Monika Schwall-Düren, SPD, und Herr Ernst Burgbacher, F.D.P., sowie die Mitglieder des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union Axel Berg und Dietmar Nietan (beide SPD) an.

Die Abgeordneten stimmen darin überein, dass die folgenden Reformen durchgesetzt werden müssen, um auch in Zukunft, nach den nächsten Erweiterungsrunden, noch die Handlungsfähigkeit der EU zu sichern:


Vorschläge der Deutsch-Französischen Arbeitsgruppe zu den institutionellen Reformen der Europäischen Union im Rahmen der Regierungskonferenz 2000 Berlin, 26. Juni 2000
 

1. Ausgangslage

Am Beginn des neuen Jahrtausends steht die Europäische Union vor großen Herausforderungen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat sie jetzt die Chance, Europa politisch, wirtschaftlich und sozial zusammenzuführen. Ein zentraler Baustein dazu ist der Erweiterungsprozess der Europäischen Union.
Mit der Erweiterung verändern sich jedoch auch die Anforderungen an die europäischen Institutionen. Ihre Reform ist eine notwendige Voraussetzung, um die Handlungsfähigkeit einer erweiterten Europäischen Union zu sichern. Dieser Aufgabe muss sich die vom Allgemeinen Rat am 14. Februar 2000 eröffnete Regierungskonferenz stellen.
Um das Mandat für diese Regierungskonferenz hat es in der europäischen Öffentlichkeit eine intensive Debatte gegeben. Resultat dieser Debatte ist der allgemeine Konsens, dass bei diesem Mandat die bei den Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag ungelösten institutionellen Fragen im Vordergrund stehen müssen, ohne jedoch Fortschritte in anderen Bereichen auszuschließen. Ihre Lösung ist der entscheidende Grundstein zur Herstellung der Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union. Gleichzeitig sind erfolgreiche Vereinbarungen auf der Regierungskonferenz im gesetzten Zeitrahmen - also bis Ende 2000 - für die mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten der entscheidende Beweis dafür, dass die Europäische Union ihre Zusagen einhält und damit in der Lage ist, ab 2003 neue Mitgliedsstaaten aufzunehmen.

2. Vorstellungen zu den Inhalten der Regierungskonferenz.

2.1 Größe der Kommission.

Effiziente Verwaltungsstrukturen zwischen dem Kollegium der Kommissare und den Generaldirektionen verlangen eine Begrenzung der Zahl der Kommissare. Eine Obergrenze von 20 ist anzustreben. Die großen Mitgliedsstaaten sollten auf alle Fälle in jeder Kommission vertreten sein.

Deutschland und Frankreich sowie die anderen größeren Staaten müssten in diesem Fall auf ihren zweiten Kommissar verzichten. Dieser Verlust müsste jedoch durch eine Neuwägung der Stimmen zugunsten der bevölkerungsreicheren Staaten ausgeglichen werden. Deshalb müßten beide Reformschritte zum gleichen Zeitpunkt eingeführt werden.

Um die künftige Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit der Kommission zu gewährleisten, müssen die Rolle des Kommissionspräsidenten innerhalb des Kollegiums sowie die politische Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht der Mitglieder der Kommission gestärkt werden.

2.2 Stimmengewichtung

Um die demographische Verteilung im Ministerrat der EU realistischer widerzuspiegeln, muss es bei den Abstimmungen im Rat zu anderen Stimmengewichtungen kommen, insbesondere wegen des Beitritts weiterer kleinerer Staaten. Dabei ist auf eine ausgewogene Berücksichtigung der Interessen der bevölkerungsarmen Staaten zu achten. Dazu ist eine substanzielle Reform der Abstimmungsverfahren im Rat nötig.

2.3 Ausweitung der Entscheidungen im Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit

Unter dem Gesichtspunkt der Erweiterung der Europäischen Union ist eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen unabdingbar. Andernfalls wäre die Handlungsfähigkeit in einem nicht zu vertretenden Maße eingeschränkt.

Als Neuregelung wäre zu empfehlen: Grundsätzlich sollte die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit in den Räten erfolgen. Die Einstimmigkeitsregel sollte nur bei besonderen Gründen Anwendung finden.

Zum Kriterienkatalog für die Anwendung der Einstimmigkeitsregel könnten insbesondere folgende Punkte gehören:

Bei Fragen der Militärpolitik und der Verteidigung soll das bestehende Verfahren der konstruktiven Enthaltung in den Vertrag aufgenommen werden.

Die Mehrheitsentscheidung in den Räten müsste begleitet werden durch eine Ausweitung der Mitentscheidungsmöglichkeit des Europäischen Parlaments, um die demokratische Legitimation zu verstärken.

2.4 Sitzverteilung im Europäischen Parlament

Für die Repräsentanz der Wahlbevölkerung durch Abgeordnete im Europäischen Parlament müssten wir generell dazu kommen, daß jeder Abgeordnete eine gleiche Zahl von Bürgern vertritt. Dieses Prinzip könnte jedoch gelockert werden für kleinere Mitgliedsstaaten durch die Festlegung einer Grundzahl von Abgeordneten.

2.5 Ausbau der verstärkten Zusammenarbeit

Die anstehende Erweiterung der Europäischen Union macht erneut eine Diskussion über die Integrationsfähigkeit, bzw. die Integrationsnotwendigkeit der EU notwendig. Der unterschiedliche Entwicklungsstand der Beitrittsländer wirft nicht nur die Frage von Übergangslösungen und Übergangszeiten auf, sondern auch die Frage nach dem zukünftigen Charakter der EU. Wird sie sich weiterentwickeln zu einer echten politischen Gemeinschaft mit Gemeinsamer Sicherheits- und Außenpolitik (GASP), abgestimmter Beschäftigungspolitik und Koordinierung in der Haushalts- bzw. Fiskalpolitik?

Wir plädieren dafür, den Versuch zu unternehmen, die europäische Integration durch mehr Flexibilität über die Möglichkeiten der verstärkten Zusammenarbeit gemäß Art. 43 EU-Vertrag zu erreichen, ohne die Möglichkeit für Mitgliedsstaaten, die nicht teilnehmen möchten, dies zu blockieren. Dies darf allerdings auf keinen Fall zu einer Gefährdung des bestehenden Integrationsniveaus führen, sondern kann nur eine Weiterentwicklung auf der Basis des "Acquis communautaire" sein. Eine Beteiligung an der verstärkten Zusammenarbeit muß immer möglich für diejenigen Staaten sein, die dies wünschen.

Schlußbemerkung

Die Ergebnisse der Regierungskonferenz müssen sicherstellen, daß die künftige erweiterte Europäische Union die innere und äußere Politik definieren kann, die die Bürgerinnen und Bürger von ihr erwarten.

Quelle: http://www.bundestag.de/bic/presse/2000/pz_000627a
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