Pressemitteilung
Datum: 17.06.2003
Pressemeldung des Deutschen Bundestages -
17.06.2003
Ansprache von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zur Fertigstellung des westlichen Spreeplatzes und zur Wiederaufstellung der Mauerkreuze am 17. Juni
"Manchmal haben bauliche Verzögerungen auch ihr Gutes.
Die Übergabe des westlichen Spreeplatzes findet nun an jenem
Datum statt, an dem sich heute vor 50 Jahren der Freiheitswille der
Menschen im Osten Deutschlands entlud. Der Arbeiteraufstand in
Ost-Berlin, der sich am 17. Juni 1953 schnell zum Volksaufstand in
der ganzen DDR entwickelte, wurde mit Waffengewalt nieder
geschlagen. Im Rückblick sehen wir: Wenn dieser Tag nicht in
einer Niederlage geendet hätte, wäre uns die Mauer
erspart geblieben, hätte es all die Opfer nicht gegeben, derer
wir heute gedenken.
Der Blick zurück zeigt ebenso: Der Freiheitswille der Menschen im Osten ließ sich auch durch die Mauer nicht dauerhaft unterdrücken, obwohl sie ab dem 13. August 1961 immer mehr zur tödlichsten Grenze der Welt ausgebaut wurde. Tödlich im ganz wörtlichen Sinne - über 250 Menschen haben alleine in Berlin ihr Leben gelassen bei dem Versuch, von Deutschland nach Deutschland hin über zu kommen - einige von ihnen in der Nähe unseres heutigen Veranstaltungsortes. An alle, die bei solchen Fluchtversuchen ums Leben gekommen sind, erinnern seit 1971 die "Mauerkreuze", die inzwischen selbst schon ein Stück Berliner und deutscher Geschichte geworden sind. Um das Gedenken an die Opfer des Unrechts wachzuhalten, hat sie der "Berliner Bürger-Verein" zum 10jährigen Bestehen der Mauer gestiftet und in der Folgezeit mit großem Einsatz gepflegt und unterhalten. Schon vorher waren an Plätzen und Straßen, an denen Flüchtlinge zu Tode gekommen waren, spontane Gedenkstätten eingerichtet worden. Aber die "Mauerkreuze" gaben diesen improvisierten Formen des Gedenkens einen gemeinsamen Ort - hier an der Nordostseite des Reichstagsgebäude, in unmittelbarer Nähe der Mauer.
Nach dem Ende der Mauer 1989 führten die Umgestaltungen des Ebert-Platzes dazu, dass die Mauerkreuze für eine Übergangszeit an einen neuen Standort versetzt werden mussten. Dieser Umzug hat sie noch bekannter gemacht, als sie es ohnehin schon waren. In unmittelbarer Nähe des Deutschen Bundestages, am Tiergarten/Ecke Scheidemannstrasse haben Hunderttausende von Menschen aus aller Welt sie besucht, der Ermordeten gedacht, Blumen und Kränze niedergelegt, Kerzen entzündet. Zugleich begann die Suche nach einem neuen, würdigen Platz für diese Symbole des Gedenkens. Schließlich wurde er ganz in der Nähe des alten Standortes gefunden - in Abstimmung zwischen dem Berliner Senat, dem "Berliner Bürger-Verein" und der "Bundesbaugesellschaft Berlin". Das Landschaftsarchitekturbüro Cornelia Müller/Jan Wehberg erhielt den Auftrag für ein Konzept, das die Mauerkreuze - in neuer Form - in die Umgestaltung des Spreeplatzes und des "Band des Bundes" insgesamt integrieren sollte. Auch dieses Konzept wurde eingehend diskutiert und schließlich einvernehmlich beschlossen.
Das Ergebnis sehen wir heute vor uns - zumindest zur Hälfte. Leider haben die Verzögerungen nicht zugelassen, dass bereits die Arbeiten am ganzen Spreeplatz abgeschlossen sind. Der westliche Teil ist fertig, der östliche dauert noch etwas länger - politisch kommt uns das ohnehin vertraut vor. Aber es gibt auch hier plausible Gründe. Das Bauvorhaben Ebert-Platz musste in zwei Schritte aufgeteilt werden, weil der Erschließungstunnel zum Bundestag und die Uferwandsanierung im östlichen Teil des Spreeplatzes erst später abgeschlossen werden. Schon heute ist jedoch zu erkennen, dass die landschaftsarchitektonische Einbindung des Spreeplatzes zwischen Paul-Löbe- und Elisabeth-Lüders-Haus, dem Reichstagsgebäude, dem ehemaligen Reichstagspräsidentenpalais und dem Jakob-Kaiser-Haus bis hin zur Marshall-Brücke überzeugend gelungen ist. Ich finde, dass die bewusst schlicht gehaltenen "Weißer Kreuze" inmitten der sehr modernen Architektur am Spreeufer besonders eindringlich zur Geltung kommen. Vergessen wir nicht: dort, wo jetzt die "Weißen Kreuze" angebracht sind, war damals im wörtlichen Sinn das rettende Ufer. Die Wasserfläche der Spree gehörte dagegen noch zum DDR-Gebiet und bedeutete in vielen Fällen den Tod.
Die neuen "Weißen Kreuze" erinnern beidseitig an die Opfer der Mauer - an jene, die zu Land einen Fluchtversuch unternahmen und an die, die es über das Wasser versuchten. Deshalb ist auch der Zugang zu den Kreuzen ein Doppelter. Viele Menschen aus allen Teilen der Welt werden über die spektakuläre Uferpromenade am "Band des Bundes" diesen eindrucksvollen Gedenkort besuchen. Von der Wasserseite her werden die Ausflugsschiffe der Schifffahrtsgesellschaften die Besucher auf die Kreuze aufmerksam machen und sie in unmittelbarer Nähe passieren. Ein doppeltes Erinnern also an Männer und Frauen, die ihr Leben riskiert haben, um aus der Unfreiheit in die Freiheit zu gelangen und dabei - das bleibt schreiendes Unrecht - zu Opfern einer menschenverachtenden Politik geworden sind. Erschossen, ertrunken, durch Minenfallen verletzt und an ihren schweren Verletzungen verstorben. Diese Gedenkstätte erinnert an alle Opfer des DDR-Grenzregimes - hier in Berlin wie überall in Deutschland.
Wir alle sind dem "Berliner Bürger-Verein" zu Dank verpflichtet, dass er das Andenken auch an die anonym gebliebenen Opfer der Mauer über solch lange Zeit gepflegt und wachgehalten hat. Das ist bürgerschaftliches Engagement im besten Sinne. Berlin braucht die Erinnerung an die Jahrzehnte der Teilung der Stadt, der Trennung der Menschen, um der gemeinsamen Zukunft willen. Um diese Erinnerung wachzuhalten, benötigen wir die großen und die kleinen Gedenkorte. Die Narbe der Mauer im Stadtkörper darf nicht verschwinden. Sie gehört ins Gesicht dieser Stadt, denn sie erinnert an menschliches Leid, ausgelöst durch ein unmenschliches System. Ich danke allen, die zur Neugestaltung dieses Gedenkortes "Weiße Kreuze" beigetragen haben, insbesondere dem Berliner Senat, dem Architektenteam Cornelia Müller und Jan Wehberg und der "Bundesbaugesellschaft Berlin".
Ein letzter Gedanke. Der Standort der Mauerkreuze hat mehrmals gewechselt, aber eines ist geblieben. Er befindet sich auch weiterhin in unmittelbarer Nähe des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Viele, wie ich hoffe, alle, die im vielzitierten "Herz unserer Demokratie" arbeiten, werden die "Mauerkreuze" immer wieder einmal besuchen. Denn jedes Gedenken schafft Verpflichtungen, ruft zum Handeln auf - gegen Unfreiheit, Unterdrückung und Gewalt. Wer die "Weißen Kreuze" besucht, ihre Geschichte erfährt und um die Ermordeten trauert, denkt zugleich an tödliche Grenzen in anderen Teilen der Welt, an Unterdrückung, Entmündigung, Verletzung von Menschenrechten in vielen Teilen unserer Erde. Die "Weißen Kreuze" rufen auf zum Einsatz für die Freiheit - jeden von uns, jeden Tag nicht nur in Deutschland, sondern überall dort, wo sie den Menschen vorenthalten wird. Die Unterdrückungsmechanismen, die zu Gedenkorten wie diesem führen, dürfen keine Zukunft haben - nirgendwo auf der Welt."
Der Blick zurück zeigt ebenso: Der Freiheitswille der Menschen im Osten ließ sich auch durch die Mauer nicht dauerhaft unterdrücken, obwohl sie ab dem 13. August 1961 immer mehr zur tödlichsten Grenze der Welt ausgebaut wurde. Tödlich im ganz wörtlichen Sinne - über 250 Menschen haben alleine in Berlin ihr Leben gelassen bei dem Versuch, von Deutschland nach Deutschland hin über zu kommen - einige von ihnen in der Nähe unseres heutigen Veranstaltungsortes. An alle, die bei solchen Fluchtversuchen ums Leben gekommen sind, erinnern seit 1971 die "Mauerkreuze", die inzwischen selbst schon ein Stück Berliner und deutscher Geschichte geworden sind. Um das Gedenken an die Opfer des Unrechts wachzuhalten, hat sie der "Berliner Bürger-Verein" zum 10jährigen Bestehen der Mauer gestiftet und in der Folgezeit mit großem Einsatz gepflegt und unterhalten. Schon vorher waren an Plätzen und Straßen, an denen Flüchtlinge zu Tode gekommen waren, spontane Gedenkstätten eingerichtet worden. Aber die "Mauerkreuze" gaben diesen improvisierten Formen des Gedenkens einen gemeinsamen Ort - hier an der Nordostseite des Reichstagsgebäude, in unmittelbarer Nähe der Mauer.
Nach dem Ende der Mauer 1989 führten die Umgestaltungen des Ebert-Platzes dazu, dass die Mauerkreuze für eine Übergangszeit an einen neuen Standort versetzt werden mussten. Dieser Umzug hat sie noch bekannter gemacht, als sie es ohnehin schon waren. In unmittelbarer Nähe des Deutschen Bundestages, am Tiergarten/Ecke Scheidemannstrasse haben Hunderttausende von Menschen aus aller Welt sie besucht, der Ermordeten gedacht, Blumen und Kränze niedergelegt, Kerzen entzündet. Zugleich begann die Suche nach einem neuen, würdigen Platz für diese Symbole des Gedenkens. Schließlich wurde er ganz in der Nähe des alten Standortes gefunden - in Abstimmung zwischen dem Berliner Senat, dem "Berliner Bürger-Verein" und der "Bundesbaugesellschaft Berlin". Das Landschaftsarchitekturbüro Cornelia Müller/Jan Wehberg erhielt den Auftrag für ein Konzept, das die Mauerkreuze - in neuer Form - in die Umgestaltung des Spreeplatzes und des "Band des Bundes" insgesamt integrieren sollte. Auch dieses Konzept wurde eingehend diskutiert und schließlich einvernehmlich beschlossen.
Das Ergebnis sehen wir heute vor uns - zumindest zur Hälfte. Leider haben die Verzögerungen nicht zugelassen, dass bereits die Arbeiten am ganzen Spreeplatz abgeschlossen sind. Der westliche Teil ist fertig, der östliche dauert noch etwas länger - politisch kommt uns das ohnehin vertraut vor. Aber es gibt auch hier plausible Gründe. Das Bauvorhaben Ebert-Platz musste in zwei Schritte aufgeteilt werden, weil der Erschließungstunnel zum Bundestag und die Uferwandsanierung im östlichen Teil des Spreeplatzes erst später abgeschlossen werden. Schon heute ist jedoch zu erkennen, dass die landschaftsarchitektonische Einbindung des Spreeplatzes zwischen Paul-Löbe- und Elisabeth-Lüders-Haus, dem Reichstagsgebäude, dem ehemaligen Reichstagspräsidentenpalais und dem Jakob-Kaiser-Haus bis hin zur Marshall-Brücke überzeugend gelungen ist. Ich finde, dass die bewusst schlicht gehaltenen "Weißer Kreuze" inmitten der sehr modernen Architektur am Spreeufer besonders eindringlich zur Geltung kommen. Vergessen wir nicht: dort, wo jetzt die "Weißen Kreuze" angebracht sind, war damals im wörtlichen Sinn das rettende Ufer. Die Wasserfläche der Spree gehörte dagegen noch zum DDR-Gebiet und bedeutete in vielen Fällen den Tod.
Die neuen "Weißen Kreuze" erinnern beidseitig an die Opfer der Mauer - an jene, die zu Land einen Fluchtversuch unternahmen und an die, die es über das Wasser versuchten. Deshalb ist auch der Zugang zu den Kreuzen ein Doppelter. Viele Menschen aus allen Teilen der Welt werden über die spektakuläre Uferpromenade am "Band des Bundes" diesen eindrucksvollen Gedenkort besuchen. Von der Wasserseite her werden die Ausflugsschiffe der Schifffahrtsgesellschaften die Besucher auf die Kreuze aufmerksam machen und sie in unmittelbarer Nähe passieren. Ein doppeltes Erinnern also an Männer und Frauen, die ihr Leben riskiert haben, um aus der Unfreiheit in die Freiheit zu gelangen und dabei - das bleibt schreiendes Unrecht - zu Opfern einer menschenverachtenden Politik geworden sind. Erschossen, ertrunken, durch Minenfallen verletzt und an ihren schweren Verletzungen verstorben. Diese Gedenkstätte erinnert an alle Opfer des DDR-Grenzregimes - hier in Berlin wie überall in Deutschland.
Wir alle sind dem "Berliner Bürger-Verein" zu Dank verpflichtet, dass er das Andenken auch an die anonym gebliebenen Opfer der Mauer über solch lange Zeit gepflegt und wachgehalten hat. Das ist bürgerschaftliches Engagement im besten Sinne. Berlin braucht die Erinnerung an die Jahrzehnte der Teilung der Stadt, der Trennung der Menschen, um der gemeinsamen Zukunft willen. Um diese Erinnerung wachzuhalten, benötigen wir die großen und die kleinen Gedenkorte. Die Narbe der Mauer im Stadtkörper darf nicht verschwinden. Sie gehört ins Gesicht dieser Stadt, denn sie erinnert an menschliches Leid, ausgelöst durch ein unmenschliches System. Ich danke allen, die zur Neugestaltung dieses Gedenkortes "Weiße Kreuze" beigetragen haben, insbesondere dem Berliner Senat, dem Architektenteam Cornelia Müller und Jan Wehberg und der "Bundesbaugesellschaft Berlin".
Ein letzter Gedanke. Der Standort der Mauerkreuze hat mehrmals gewechselt, aber eines ist geblieben. Er befindet sich auch weiterhin in unmittelbarer Nähe des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Viele, wie ich hoffe, alle, die im vielzitierten "Herz unserer Demokratie" arbeiten, werden die "Mauerkreuze" immer wieder einmal besuchen. Denn jedes Gedenken schafft Verpflichtungen, ruft zum Handeln auf - gegen Unfreiheit, Unterdrückung und Gewalt. Wer die "Weißen Kreuze" besucht, ihre Geschichte erfährt und um die Ermordeten trauert, denkt zugleich an tödliche Grenzen in anderen Teilen der Welt, an Unterdrückung, Entmündigung, Verletzung von Menschenrechten in vielen Teilen unserer Erde. Die "Weißen Kreuze" rufen auf zum Einsatz für die Freiheit - jeden von uns, jeden Tag nicht nur in Deutschland, sondern überall dort, wo sie den Menschen vorenthalten wird. Die Unterdrückungsmechanismen, die zu Gedenkorten wie diesem führen, dürfen keine Zukunft haben - nirgendwo auf der Welt."
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Quelle:
http://www.bundestag.de/bic/presse/2003/pz_0306173