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Debatte
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Wortlaut der Reden

Günter Verheugen, SPD Dr. Burkhard Hirsch, FDP >>

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es interessant, einmal der Frage nachzugehen, warum dieses Thema eigentlich auch so viele nicht unmittelbar Betroffene so tief aufwühlt. Das kann nicht nur sportliches Interesse am Tauziehen zwischen zwei Städten sein, wir wir es gelegentlich erleben, wenn man sich über Industrieansiedlungen oder den Sitz eines Finanzamts streitet. Es kann nicht um strukturpolitische oder regionalpolitische Fragen allein gehen. Es kann auch nicht darum gehen, daß ein Investitionsschub östlich der Elbe dringend gebraucht wird. Da muß noch etwas mehr sein.

Keiner der bisherigen Redner ist ausgekommen, ohne den Begriff »Symbol« in Anspruch nehmen zu müssen. Ich glaube, genau das ist es. Wir diskutieren über ein Sinnbild für das, was unser Staat ist, bzw. für das, was er werden will.

Auch Demokratien brauchen Staatssymbole. Diese Staatssymbole sind Sinnbilder ihres Selbstverständnisses und ihrer Selbstdarstellung. Ihr Zweck ist es, Identität zu stiften. Genau hier liegt unser Problem. Das Provisorium Bundesrepublik Deutschland und die vorläufige Hauptstadt Bonn haben für viele, viele Menschen in den westlichen Bundesländern Identität gestiftet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mir gefällt es, wenn junge Leute, für die der Begriff »Bonn« bis vor kurzem eigentlich nur ein Synonym für einen schlechten Witz gewesen ist, von Bonn plötzlich als von »unserer« Hauptstadt reden, weil sie sich mit etwas identifizieren, was ich gut finde. Sie identifizieren sich nicht mit der Stadt als Stadt, sondern mit dem, wofür sie steht, meine Damen und Herren.

Wir Deutsche tun uns mit Staatssymbolen sehr schwer. Das hat einen guten Grund: historische Verspätung des Nationalstaates. Der totale Mißbrauch nationaler Symbole durch den Nationalsozialismus hat dazu geführt, daß wir Heutigen im Umgang mit nationalen Symbolen vorsichtig und auch unsicher geworden sind.

(Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)

Ich meine, die Hauptstadt als echte Hauptstadt, d. h. im Klartext als

Zentrum der Macht, ist ein starkes nationales Symbol. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, unser Verständnis von diesem nationalen Symbol zu klären und auf die tiefgreifenden Fragen, die der Hauptstadtstreit aufgeworfen hat, eine Antwort zu geben, in der wir unsere historischen Erfahrungen in Übereinstimmung bringen mit unserem heutigen Staatsverständnis.

Mehr als ein solches Staatsverständnis symbolisiert der Hauptstadtbegriff allerdings nicht. Deshalb -- Verzeihung, lieber Wolfgang Thierse -- fand ich den Begriff »Erniedrigung aller Ostdeutschen« -- wobei hinter »alle« schon einmal ein Fragezeichen gemacht werden muß -- in diesem Zusammenhang ganz und gar unangemessen. Im Mittelalter kam es vor, daß Fürsten bestimmte Städte erhöhen oder erniedrigen wollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben keine Fürsten mehr. Wir erhöhen nicht, und wir erniedrigen auch nicht.

Der Unterschied zwischen Berlin und Bonn als nationale Symbole könnte größer kaum sein, als er ist: im Äußeren als auch im Inneren, auch was die Geschichte angeht, die sich in den Städten widerspiegelt. Man darf Berlin nicht anlasten, was in seinen Mauern alles geschehen ist. Ich füge leise hinzu: Bonn übrigens auch nicht. Man darf Berlin nicht mit der unglücklichen Geschichte des Reiches identifizieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch für mich war und ist Berlin ein Symbol des Freiheitswillens der Deutschen. Aber Bonn ist es für mich auch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD -- Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Daran zweifelt ja auch gar keiner!)

Heute geht es nicht mehr darum, Identität unter den Bedingungen des Jahres 1949 zu stiften, sondern unter den Bedingungen von heute. In den Jahrzehnten seitdem haben wir ja einen in der Geschichte beispiellosen sozialen und kulturellen Wandel erlebt. Wir können die Hauptstadtfrage aus diesem Wandel nicht herausnehmen.

Ich gehöre schon zu der Generation, die Bekenntnisse zu einer alten und künftigen Hauptstadt nicht mehr abgelegt hat. Nicht, weil ich es abgelehnt hätte, sondern weil ich mir die deutsche Einheit nicht als Wiederherstellung eines größeren deutschen Nationalstaates vorstellen konnte, wie die meisten hier doch auch nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Für mich gab es eine Hauptstadtfrage überhaupt nicht. So haben die meisten in der alten Bundesrepublik das auch gesehen.

Ich möchte an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen aus den ostdeutschen Ländern eine Frage stellen: Meinen Sie nicht, daß die durch die Teilung herbeigeführte Wirklichkeit auch in den Köpfen und Herzen der Menschen im Westen Deutschlands Folgen hinterlassen hat und daß eine davon die Identifizierung mit den Grundwerten des Staates ist, der in Bonn seinen vorläufigen Regierungssitz genommen hatte? Ist das Zusammenwachsen wirklich eine Frage des Ortes, oder ist es eine Frage, was für Entscheidungen fallen, was ihre Qualität ist?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Frage ist, ob die Entscheidung für Bonn den Menschen in den neuen Bundesländern etwas wegnimmt, ob sie das Zusammenwachsen wirklich erschwert. Oder könnte man nicht auch sagen, daß Bonn gerade das Symbol für die Erfüllung des Lebenstraumes gerade vieler Menschen in den neuen Bundesländern ist?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind am Ende der Vorläufigkeit angekommen. Wir haben zu entscheiden, was wir jetzt sein wollen. Da liegt die Bedeutung des Staatssymbols Hauptstadt. Ich bin dafür, daß wir das sein wollen, was uns das in Bonn geschaffene Grundgesetz, das jetzt für ganz Deutschland gilt, vorgegeben hat. Ich bin dafür, daß wir das dazu passende Symbol wählen, nämlich Bonn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU -- Zuruf von der CDU/CSU: Das war die beste Rede

für Berlin!)

Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege Dr. Burkhard Hirsch.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_037
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