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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Wolfgang Schulhoff, CDU/CSU Dr. R. Werner Schuster, SPD >>

Das Szenario um die heutige Entscheidung, Berlin oder Bonn, erinnert mich fatal an die heiße Phase der Diskussion um den NATO-Doppelbeschluß, denn damals wie heute findet die Debatte vor einer höchst emotionalisierten Öffentlichkeit statt, wofür ich Verständnis habe.

Kein Verständnis habe ich jedoch dafür, daß man persönlich vorgeführt und angegriffen wird. Gerade die heute anstehende Entscheidung verlangt den Respekt vor dem Andersdenkenden.

Wenn mir die Entscheidung für den Doppelbeschluß leichtfiel, fällt mir die heutige Entscheidung sehr schwer. Schwer, weil die Entscheidung über Regierungs- und Parlamentssitz sowohl die Geschichte unseres wiedervereinigten Landes, seine Gegenwart und auch seine Zukunft reflektieren als auch die geschichtliche Kontinuität bewahren muß.

Es darf keine Geschichtskürzung -- wie Herr Diepgen forderte -- geben, aber auch keine Geschichtsglättung, auch muß Geschichte fortgeschrieben werden. Zu dieser Betrachtung gehören die Jahre vor und während der Teilung und auch die Gründe, die zur Teilung führten und sie überwinden ließen.

Wenn ich unsere Geschichte so annehme, dann stehen dafür zwei Symbole, Bonn und Berlin, zeitunterschiedlich und auch zeitgleich. Deshalb kann es auch für mich keine Lösung des »entweder oder« sondern des »sowohl als auch« nur geben. Denn sowohl in Bonn als auch in Berlin wurde Geschichte gleichsam geschrieben.

Eine geschichtliche Aufrechnung, hier die Wilhelminische Zeit, die Weimarer Republik, die kurzen Jahre der Prosperität, dann die furchtbare Zeit des Nationalsozialismus, die Phase des Walter Ulbricht und seiner Genossen und dort die Zeit des Friedens, der längsten Phase in der Deutschen Geschichte, die wirtschaftliche Blüte und die Westintegration, um nur einige wenige Phasen Deutscher Geschichte zu nennen, führt meiner Ansicht nach nicht weiter, denn sie verkürzt nur und wird Berlin nicht gerecht. Wie auch das »Preußische«, Herr Kollege Brandt hat es zutreffend formuliert, mehr ist als nur für eine Karikatur gut. Wer diese Phase deutscher Geschichte nur so sieht, der vergißt, was von Kant und anderen prägend für unser Geistesleben ausging -- um nur einen Namen für viele zu nennen.

Berlin war in den letzten 40 Jahren Symbol der Freiheit nicht nur für die Menschen in unserem Land, sondern für die nach Freiheit rufenden Menschen in der ganzen Welt. Deshalb bleiben mir die Worte des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy »Ich bin ein Berliner« unvergessen und mahnen mich auch bei meiner heutigen Entscheidung.

Ohne Berlin, ohne den unbändigen Freiheitswillen seiner Bürger hätten wir keine Chance gehabt, die Teilung zu überwinden. Aber auch ohne Bonn, ohne unser Grundgesetz, seine Präambel und dem von dort ausgehenden freiheit- und friedenstiftenden Geist, hätten wir die Wiedervereinigung nicht erlangen können. Denn auch von Bonn ging der unbändige Willen aus, niemals auf das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen zu verzichten.

Für uns war es deshalb selbstverständlich, daß Berlin schon durch den Einigungsvertrag wieder unsere Hauptstadt wurde. Damit haben wir dem einen Teil unserer Geschichte Rechnung getragen.

Was, so frage ich mich, bleibt dann für den anderen übrig? Man kann doch jetzt nicht einfach einen Schlußstrich unter die letzten 40 Jahre ziehen, ganz nach dem Motto »Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan«. Bonn steht doch auch für eine ganz wichtige Phase unserer Entwicklung. Mit dem Namen dieser Stadt verbindet sich nicht nur die Soziale Marktwirtschaft, eine in der ganzen Welt bewunderte Wirtschaftsordnung, sondern auch das friedliche, um Aussöhnung mit seinen Nachbarn bemühte und die Europäische Integration fördernde Deutschland. Nach 40 Jahren kann man auch hier nicht mehr von einem Provisorium sprechen. Auch hier fühle ich mich verpflichtet.

Gerade unsere wechselvolle Geschichte verpflichtet uns auch zukünftig, auf beide Städte zurückzugreifen. Es geht weder mit Bonn noch mit Berlin alleine; es geht nur mit beiden zusammen.

Lothar de Maizière forderte seinerzeit, die Teilung durch teilen zu überwinden. Wenn dies gelten soll, so gilt das auch für Bonn und Berlin. Auch Föderalismus heißt teilen. Ich bin deshalb für ein Miteinander, wobei für mich eine Trennung von Regierung und Parlament zwar gut gemeint, aber nicht praktikabel erscheint. Trotz moderner Kommunikationsmöglichkeiten gehört die Regierung zum Parlament und umgekehrt.

Egal wie die Entscheidung heute ausfällt, es gibt für jede Stadt wichtige Argumente, die auch zu respektieren sind -- mit denen man auch leben kann. Ich persönlich halte bei sorgfältiger Abwägung die Argumente für Bonn als Parlaments- und Regierungssitz für schwerwiegender.

Berlin als Hauptstadt mit Sitz des Bundesrates, des Bundespräsidenten und noch weiterer wichtiger Verfassungsorgane, als kulturelles und geistiges Zentrum Deutschlands, und Bonn als Parlaments- und Verwaltungszentrum: Dieses Modell wird nicht nur unserer Geschichte gerecht, sondern ist zukunftsträchtig und auch friedenstiftend und entspricht dem Geist des Einigungsvertrages.

Obwohl die heutige Abstimmung von großer Symbolkraft ist, gibt es für mich -- obwohl ich nicht von Geld sprechen möchte -- zur Zeit noch wichtigere Probleme, um die Teilung unseres Vaterlandes zu überwinden.

Dr. R. Werner Schuster, SPD >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_187
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