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Ein Jahr ist sie alt – die Agenda 2010. An sie und an die mit ihr verbundenen Hartz-Reformen haben sich hohe Erwartungen geknüpft: Vor allem auf dem Arbeitsmarkt sollte es wieder vorangehen. Doch was ist aus den Hoffnungen geworden? Wie sieht die Bilanz nach einem Jahr aus? Top oder Flop? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit dem Vorsitzenden der Mittelstands-Union, Hans Michelbach (CDU/CSU), und dem Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit, Rainer Wend (SPD). Das Gespräch führte Sönke Petersen.
Blickpunkt Bundestag: Hat sich der „Mut zur Veränderung“, den der Kanzler vor einem Jahr bei der Vorlage der Agenda 2010 forderte, ausgezahlt, Herr Wend?
Rainer Wend: Der Mut war alternativlos. Es haben sich dramatische Änderungen bei uns und in Europa ergeben: Wir stehen als Nation weltweit in einem Wettbewerb um Arbeitsplätze, Kapital und Investitionen; außerdem hat sich die demografische Entwick-lung unserer Gesellschaft dramatisch verändert. Darauf mussten wir unsere Wirtschaft und die sozialen Sicherungssysteme einstellen. Das hat der Kanzler vor einem Jahr angekündigt. Inzwischen ist das meiste davon umgesetzt. Es hat sich gelohnt.
Blickpunkt Bundestag: Das Volk steht dem Reformkurs eher skeptisch gegenüber. Die SPD hat mit schweren Wahlverlus-ten gezahlt. Für die CDU/CSU könnte das ein Grund zur Freude sein, aber darf man sich freuen, wenn es dem Land nicht so gut geht?
Hans Michelbach: Nein, natürlich nicht. Deshalb wollen auch wir, dass die Agenda 2010 am Arbeitsmarkt etwas bewegt, dass sie Wachstum stimuliert. Beides wurde leider nicht erreicht. Auf dem Arbeitsmarkt haben wir allein im letzten Jahr 400.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren, beim Wachstum haben wir Stagnation. Der Grund liegt darin, dass die Agenda zu halbherzig und teilweise widersprüchlich ist.
Wend: Unsinn. Die Maßnahmen waren weder falsch noch widersprüchlich. Wenn in diesem Jahr das Wachstum so hoch geht, wie es uns alle prognostizieren – zwischen 1,5 und 2 Prozent – wird durch eine niedrigere Beschäftigungsschwelle ab Sommer eine positive Wirkung spürbar sein.
Blickpunkt Bundestag: Sind Sie auch so hoffnungsvoll, Herr Michelbach?
Michelbach: Leider nein. Wir haben in wesentlichen Punkten – Beispiel: Bündnisse für Arbeit – keinerlei Erfolg. Wer Arbeit schaffen will, muss die Einstellungshürden niedriger machen, den Kündigungsschutz lockern oder für über 50-Jährige aufheben. Man muss bei Neueinstellungen viel konkreter an die Sache herangehen.
Blickpunkt: Es gibt aber schon jetzt den Vorwurf, die Reformen seien sozial ungerecht.
Wend: Wenn wir das machten, was Herr Michelbach vorschlägt, könnte man diesen Vorwurf zu Recht erheben. Unsere Reformen sind nicht ungerecht. Die Welt hat sich massiv verändert. Wenn wir uns darauf nicht einstellen, und zwar dort, wo Wachstum hergestellt wird, dann ist die beschworene soziale Gerechtigkeit wirklich am Ende. Deshalb ist das, was wir machen, sozial höchst gerecht.
Michelbach: Es ist richtig, dass sich die Welt verändert hat. Mein Vorwurf ist ja gerade, dass die Regierungskoalition den Bürgern nicht verinnerlicht hat, wie groß die Herausforderungen der Globalisierung sind, welche Veränderungen stattfinden müssen. Es ist nicht zu erkennen, dass man die Herausforderungen mit aller Konsequenz angeht.
Blickpunkt: Ziehen Sie sich diesen Schuh an, Herr Wend?
Wend: Wenn schon, müssen wir uns diesen Schuh gemeinsam anziehen. Wahr ist, dass sich andere Länder schon seit 15 Jahren auf diesen Reformkurs hinbewegt haben. Uns allen hat der Mut gefehlt, unbequeme Dinge durchzusetzen. Richtig ist auch, dass gerade die SPD lange geglaubt hat, es gehe immer weiter aufwärts. Wir müssen uns fundamental verändern, wenn wir noch die Dinge erwirtschaften wollen, die anschließend soziale Verteilung ermöglichen. Diese Vermittlung ist schwierig, aber alternativlos.
Blickpunkt Bundestag: Freuen Sie sich, Herr Michelbach, dass die CDU/CSU diesen schwierigen Part nicht auf sich nehmen muss?
Michelbach: Nein. Denn wir wollen ja regieren und Verantwortung übernehmen – und es besser machen. Deshalb demonstrieren wir schon jetzt unsere Reformfähigkeit. Sozial ist, was Arbeit schafft. International hat sich gezeigt, dass dieser Ansatz Erfolg versprechend ist. Nur über jede Art von Wachstumsanstrengung, über betriebliche Bündnisse, über einen deregulierten Arbeitsmarkt, über Steuersenkungen sind neue Arbeitsplätze und neue Existenzen zu schaffen.
Wend: So pauschal kann man das nicht sehen. Mit ihren betrieblichen Bündnissen propagiert die CDU/CSU doch nichts anderes als eine Machtverschiebung zu Lasten der Arbeitnehmer. So etwas wollen wir nicht. Etwas anderes sind Lockerungen beim Kündigungsschutz und bei Einstellungshürden. Hier haben wir aber in der Agenda wichtige Schritte bereits getan.
Blickpunkt: Sind Personal-Service-Agenturen (PSA) und Job-Floater-Programm („Kapital für Arbeit“) eher gescheitert?
Wend: Es mag alles noch nicht perfekt sein, aber es ist die richtige Richtung. Dass es bei den Personal-Service-Agenturen noch nicht so richtig läuft, liegt an der konjunkturell schwierigen Lage. In einer Wachstumsphase wird sich das verbessern. Und beim Job-Floater-Programm ist die anfangs in der Tat niedrige Entwicklung inzwischen in eine positive Richtung umgeschlagen.
Michelbach: Wenn man das so sieht, muss man schon sehr bescheiden sein. Bei den PSA sind gerade mal 7.000 statt der erhofften 500.000 in die Entwicklung gegangen. Beim Job-Floater haben wir bei 840 Millionen Euro Investitionskreditmitteln nicht mehr als 11.000 Fälle erreicht. Das ist doch kein Erfolg! Man muss grundsätzliche Weichen stellen, mit halbherzigen Maßnahmen geht nichts voran.
Blickpunkt Bundestag: Ab nächstem Jahr soll Hartz IV greifen, also die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Bei der Umsetzung liegen sich aber Kommunen und Arbeitsverwaltung kräftig in den Haaren. Droht hier neues Ungemach?
Michelbach: Es sieht ganz danach aus. Was hier passiert, hat wenig mit Kreativität und guter Umsetzung zu tun. Für uns ist ganz klar, dass die Kommunen künftig für diese zentrale Weichenstellung zuständig sein müssen. Sie sind näher am Menschen dran und können besser unterscheiden zwischen denen, die arbeiten können, und jenen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die Bundesagentur kommt ja schon mit den jetzigen Arbeitslosen nicht zurecht.
Wend: Wichtig ist: Hartz IV muss etwas bringen. Ich bin auch sicher: Hartz IV wird bei der Vermittelbarkeit etwas tun und beim Senken der Beschäftigungsschwelle etwas erreichen. Das wird aber kein Wirtschaftswachstum produzieren. Hartz IV ist die Ergänzung. Wir brauchen gutes Wirtschaftswachstum und eine sinkende Beschäftigungsschwelle, um aus Wirtschaftswachstum möglichst viele neue Arbeitsplätze zu machen.
Blickpunkt Bundestag: Werden wir am Ende des Jahres mehr Wachstum und Beschäftigung haben?
Michelbach: Ich bin skeptisch. Man muss über das hinausgehen, was jetzt mit der Agenda 2010 auf dem Tisch liegt. Die Wachstumszahlen sind nicht berauschend. Um am Arbeitsmarkt Wirkung zu haben, muss das Wachstum über zwei Prozent liegen. Das erreichen wir offensichtlich nicht. Deswegen werbe ich für weitere, wirksamere Maßnahmen in der Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Wend: Ich bin optimistischer: Wir werden ab dem Sommer ein Wirtschaftswachstum erreicht haben, das neue Beschäftigungsmöglichkeiten schafft. Der „turn-around“ ist in Sicht.
Das Gespräch führte Sönke
Petersen.
Fotos: Phalanx Fotoagentur
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