> Debatte > Essay 0904
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Es gibt viel zu tun! GLASKLAR „Arbeiten“ begleitet die
Abgeordneten durch die Sitzungswoche, schaut sich an, wie ein
Gesetz entsteht und hat junge Menschen getroffen, die im Bundestag
arbeiten. Und was macht eigentlich ein Bundestagspräsident und
was eine Fraktionsvorsitzende? GLASKLAR hat einfach mal
nachgefragt.
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Ein Essay von Paul Spiegel
Als Mitglied und Vertreter einer Minderheit sind mir die im Grundgesetz verbürgten Grund- und Freiheitsrechte heilig. Ich weiß, was es heißt, den Status als Bürger abgesprochen zu bekommen, aller Rechte beraubt und von staatlicher Seite zur Misshandlung und Ermordung freigegeben zu werden. Es gibt neben den Juden wohl keine andere Minderheit in der Geschichte, die auf so grausame Weise die Erfahrung von staatlich angeordneter Menschenverachtung bis hin zum Massenmord durchleiden musste.
Deshalb ist die Geschichte des jüdischen Volkes aus sich heraus immer auch ein Plädoyer für Toleranz und Mitmenschlichkeit, für rechtliche Gleichstellung und bürgerliche Freiheitsrechte. Zugleich ist die Geschichte der Juden seit dem Holocaust auch ein Plädoyer dafür, dass bestimmte Grenzen im Miteinander der Menschen niemals überschritten werden dürfen und Juden überall auf der Welt jede nur erdenkliche Berechtigung haben, sich gegen Antisemitismus und antisemitisch motivierte Provokationen entschieden zur Wehr zu setzen.
Naziaufmärsche vor jüdischen Gedenkorten oder religiösen Stätten werden auch von der Mehrheit der Nichtjuden als Provokation empfunden. Weite Teile der Bevölkerung erkennen, dass vermeintliche Demonstrationen rechtsextremer Gruppen von den Veranstaltern als gezielte Provokation gedacht sind. Das zeigen viele Beispiele, bei denen es den Rädelsführern lediglich darum ging und geht, Juden oder andere Minderheiten zu beleidigen und den Rechtsstaat herauszufordern. Mehr noch finden sich unter den Teilnehmern dieser Aufmärsche vielfach Personen, die die Schändung eines jüdischen Friedhofs, also eine Straftat, gutheißen, sich zugleich aber in der Auseinandersetzung um die Genehmigung einer rechtsextremen Demonstration auf ihre bürgerlichen Rechte, sprich das Versammlungsrecht, berufen. Zur Durchsetzung ihrer vermeintlich hehren, rein politisch motivierten Anliegen scheuen sie sich nicht, bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Ergänzend dazu geben führende Vertreter rechter Parteien offen zu, verfassungsfeindlich zu sein. Diese Selbstbezichtigung ist nicht nur skandalös, sondern einfach abstoßend. Unsere Verfassung und der Rechtsstaat werden durch solche Dreistigkeiten auf unerträgliche Weise verunglimpft.
Das Versammlungs- oder so genannte Demonstrationsrecht ist mit Blick auf die deutsche Geschichte ein zu hohes und wertvolles Gut, als dass ich dessen Einschränkung fordern wollte. Mit Bedacht und eingedenk historischer Erfahrung haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes solchen Ansinnen hohe Hürden gesetzt. Dennoch sind Demonstrationen mit antisemitischen, rassistischen oder die Menschenwürde beschädigenden Zielen und Aussagen nicht hinnehmbar.
Ein Naziaufmarsch vor einer Mahn- und Gedenkstätte oder vergleichbaren Erinnerungsorten verbietet sich von selbst. Eine Duldung widerspricht auch dem moralischen Empfinden der Bevölkerung und schadet dem Ansehen von Polizei und Justiz. Es erscheint zudem widersinnig, wenn einerseits zur Ächtung rechter Gewalt aufgerufen wird, andererseits aber – wenn auch mit Unbehagen – Naziaufmärsche an besonders symbolträchtigen Orten erlaubt werden. In einer solchen Frage richterlich entscheiden zu müssen, ist eine Gratwanderung. Eine Gratwanderung, die jedoch mit den bereits geltenden Gesetzen und dem von gesundem Menschenverstand geprägten Ermessensspielraum der Justizbehörden zu meistern sein müsste.
Foto: Picture Alliance
Erschienen am 15. Dezember 2004
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