> Glasklar > Erzählen
Die aktuelle Ausgabe von Glasklar liegt jetzt vor. Sie können sie hier als PDF-Datei öffnen oder herunterladen.
Wie war das damals? Die erste Wahl gehört für jeden in eine bestimmte Zeit - ob es der Fall der Mauer war, die Nachkriegsjahre oder die wilden 70er. Und die erste Wahl ist ein Erlebnis, das man so schnell nicht vergisst. Vier Bundestagsabgeordnete erinnern sich und erzählen von ihrem ersten Mal.
Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich an den Wahlen in der DDR teilgenommen. Nur wenige Bürger trauten sich, als „Nichtwähler“ aufzufallen, denn man musste persönliche Sanktionen fürchten. Obwohl Kandidaten verschiedener Parteien auf den Einheitslisten standen, waren es nie echte Wahlen, denn diese Kandidaten wurden unter Kontrolle der SED von den Parteien und Massenorganisationen aufgestellt. Man ging zur „Wahl“, faltete die Einheitsliste und steckte sie in die Wahlurne.
Dann kam der Mauerfall 1989 und die Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990. Die erste freie Wahl in der DDR.
Ich war seit Oktober 1989 Mitglied der Liberalen und natürlich besonders am guten Abschneiden des „Bundes Freier Demokraten“ (BFD) interessiert. Ich wollte eine wirklich freie, starke liberale Partei der DDR, denn an eine schnelle Wiedervereinigung war damals noch nicht zu denken. Chancengleichheit für alle Parteien war ja schon ein ungeheurer Fortschritt.
Also bin ich wie viele (93,4 Prozent Wahlbeteiligung!) hoffnungsvoll zur Wahl gegangen. Es war schon ein erhebendes Gefühl, erstmalig mit meiner Stimme tatsächlich Einfluss auf die Zusammensetzung der Volkskammer und damit auf die künftige Politik nehmen zu können. Das Ergebnis führte zu einer Koalition aus CDU, DSU, Demokratischer Aufbruch, SPD und BFD.
Die rasante Entwicklung zur deutschen Wiedervereinigung weckte in mir den Wunsch, politisch gestaltend mitzuwirken. Deshalb habe ich 1990 bei der ersten gemeinsamen Bundestagswahl für die FDP kandidiert und bin heute seit vier Wahlperioden brandenburgischer Bundestagsabgeordneter.
Dass ich im Dezember geboren wurde, ärgerte mich als Kind, da die Geschenke für Geburtstag und Weihnachten meist „zusammenfielen“. Im Dezember 1990 ärgerte ich mich aber aufgrund einer anderen Tatsache: Am 2. Dezember war Bundestagswahl und ich musste noch für 14 Tage 17 Jahre alt sein. Während ein Großteil meiner Schulfreunde wählte, musste ich noch vier Jahre warten. So erinnere ich mich noch gut an mein letztes „Nicht-Wählen-Dürfen“.
Ein Trostpflaster gab es 1991: Die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz – da durfte dann auch ich. Und dann das: Die CDU verlor die Regierungsmehrheit und wurde von einer sozial-liberalen Koalition abgelöst. Irgendwie dachte ich, ich hätte selbst verloren, hatte ich doch die CDU gewählt. Übrigens nicht, weil es mir meine Eltern vorgeschrieben hätten – in einer Partei waren beide nicht. Aber als Kind durfte ich immer mit ihnen in die Wahlkabine.
Bei meiner ersten Wahl habe ich den Zettel komplett durchgelesen. Natürlich war ich bestens präpariert mit Wahlbenachrichtigungsschein und Personalausweis. Die Briefwahl kam für mich auch nicht in Frage, viel zu unspannend. Das Einwerfen des Stimmzettels war natürlich unspektakulär – kein Blitzlichtgewitter wie bei prominenten Politikern. Dennoch war es etwas Besonderes. Doch die erste „richtige“ Wahl war für mich eigentlich erst die Bundestagswahl 1994. Es war die zweite gesamtdeutsche Wahl, ein intensiver Personenwahlkampf. Auf der einen Seite Helmut Kohl, auf der anderen Seite Scharping, Schröder, Lafontaine. Kohl gewann, und diesmal war auch ich zufrieden.
1974 setzte der Bundestag das Volljährigkeitsalter von 21 auf 18 Jahre herab. Zuvor war schon das aktive Wahlrecht auf 18 gesenkt worden. Ich empfand das als großen Freiheitsgewinn, denn ich war früher als erwartet auch offiziell erwachsen und wirklich für mich verantwortlich. Auch in der Schule durfte ich mich nun selbst entschuldigen. Die erste Wahl, an der ich teilnahm, war die bayerische Landtagswahl von 1974. Die erste Bundestagswahl, bei der ich wählen durfte, war die von 1976.
Wichtig war für mich das politische und kulturelle Klima jener Zeit. Der Einfluss der 68er-Bewegung war sehr stark und bewirkte eine Öffnung im Leben und Denken. Und gerade wir jungen Erwachsenen waren sehr kritisch. Emanzipation und Autonomie waren die Stichworte – auch bei uns in der schwäbisch-bayerischen Provinz. Es war ein befreiendes, großartiges Gefühl, in einer Gemeinde zu wählen, in der eine bestimmte Partei 80-Prozent erzielte – mit der Vorstellung, dass sich das auch ändern könnte ...
In Bayern gab und gibt es eine ganz eigene Kultur der Kritik und des Engagements. Ich begann mich für Bürgerrechte, Menschenrechte, Freiheitsrechte zu engagieren, auch kritische Kunst und Kultur waren mir sehr wichtig – als junge Assistentin am Memminger Theater oder an der Münchener Uni.
Aktuell wünsche ich mir, dass möglichst viele Erstwählerinnen und –wähler an der Bundestagswahl teilnehmen, dass sie die Parteien, die Programme und Kandidaten wirklich kritisch prüfen und dass sie populistischen Versprechungen nicht auf den Leim gehen.
Gewählt habe ich das erste Mal bei der Bundestagswahl 1961. Ich war 24 Jahre alt. Bei der Wahl 1957 durfte ich, nach damaligem Wahlrecht, als 20-Jähriger noch nicht wählen.
Für Politik engagiert war ich schon lange vorher durch persönliche Erlebnisse. Kindliche Erinnerungen an die Kriegs- und Nazizeit ergänzten sich mit bewusster Wahrnehmung der Nachkriegsgeschichte: Teilung Deutschlands, Berlin-Blockade, Aufstand in der sowjetischen Besatzungszone, Debatte um die Wiederbewaffnung, NATO-Beitritt, Aufstand in Ungarn – das waren einige der aufrüttelnden Ereignisse. Sie gingen einher mit dem Wiederaufbau, dem deutschen Wunder.
1961 war ich Student, aber schon verheiratet und Vater einer Tochter. Der Wahlkampf wurde überschattet vom Bau der Berliner Mauer, die die Stadt bis November 1989 geteilt hat. Als sie fiel, lebte Willy Brandt noch. Er war 1961 SPD-Kanzlerkandidat und erzielte ein um 4,5 Prozent verbessertes Ergebnis, blieb aber in der Opposition, obwohl die Union die absolute Mehrheit verlor. Doch der Wechsel bereitete sich vor. Er kam 1969, mit Willy Brandt als Kanzler.
Ich habe seit 1961 an allen Bundestagswahlen teilgenommen, 1983 erstmals als Kandidat. Es war mir nie gleichgültig, wer die Wahl gewinnt. Das Wort von der Politikverdrossenheit habe ich nie akzeptiert, weil ich immer überzeugt war, dass man den Verdruss nicht durch Verweigerung, sondern nur durch aktive Beteiligung ausräumen kann. Wenn die Dinge nicht gut sind, soll man versuchen, sie zu verbessern. An diese aktiv-demokratische Maxime halte ich mich bis zum heutigen Tage.