Bis vor wenigen Jahren waren in der Regel zehn Millionen Samenzellen für eine erfolgreiche Befruchtung nötig. Heute braucht ein Mann unter optimalen Laborbedingungen - dank der Spermieninjektion (ICSI) - für den Nachwuchs nur noch eine einzige Samenzelle, die ein Arzt per Operation im Hodensack aufspüren kann.
Mittlerweile bevölkern mehr als eine Million Menschen die Welt, die nicht im Mutterleib, sondern per In-vitro-Fertilisation (IVF) im Labor entstanden sind. In den USA, wo nahezu alles erlaubt ist, leben Kinder mit fünf Elternteilen: dem Samenspender und der Eizellgeberin als den genetischen Erzeugern, der biologischen Mutter, die das Kind ausgetragen hat, sowie den sozialen Eltern, bei denen das Kind aufwächst. Babymachen nach der Baukastenmethode.
Zugleich eröffnet die Medizin immer neue Chancen, nicht nur irgendein Kind, sondern ein gesundes Kind zu bekommen. Die Pränataldiagnostik schuf mit Ultraschall und Fruchtwasseruntersuchung die Möglichkeit, behinderte Kinder im Mutterleib zu erkennen und abzutreiben. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) verlegt den Test, unerwünschte Krankheiten aufzuspüren und zu vermeiden, zeitlich bereits kurz hinter die Zeugung. Auch das Geschlecht ihres Kindes können sich Eltern dank PID mittlerweile aussuchen. Schon ist es denkbar, werdendes Leben durch Eingriffe ins Erbgut zu reparieren - oder gar zu veredeln.
Viele Fruchtbarkeitsmediziner weisen solche Zukunftsszenarien als Phantastereien zurück. In der Tat orientiert sich der Großteil der heutigen Forschung noch immer an den traditionellen Zielen der Fortpflanzungsmedizin: die Erfolgsraten der künstlichen Befruchtung zu erhöhen und die Belastungen für die betroffenen Frauen zu vermindern. Denn bislang endet eine Kinderwunschbehandlung nur in jedem fünften Fall tatsächlich mit der Geburt eines Babys. In Deutschland, wo strenge Gesetze die Reproduktionsmedizin regeln, liegt die Lebendgeburtrate ("baby-take-home-rate") pro Versuch gar nur bei 15 Prozent.
Die Gründe für das Scheitern der künstlichen Befruchtung liegen noch immer häufig im Dunkeln. Mal sind die Embryonen geschädigt, weil die Zellteilung falsch verläuft. Mal baut sich die Gebärmutterschleimhaut zu schnell wieder ab. Zudem bleibt das Wagnis der so genannten Nidation: Bis heute ist die Frage, warum sich einige Embryonen einnisten und andere nicht, eines der "größten verbliebenen Rätsel" der Forschung, so der spanische Reproduktionsmediziner Carlos Simón. Die Embryonen auf ihre Güte zu testen und die Fehler zu entdecken, die eine Schwangerschaft verhindern, ist ein Weg der Wissenschaft, die Erfolgsquoten zu erhöhen. Eine andere Strategie zielt darauf ab, die Gebärmutter mit Hormonen noch besser auf die Einnistung vorzubereiten, so dass sie die befruchtete Eizelle annimmt.
Die geringen "Baby-take-home"-Raten bringen zwei gravierende Probleme der In-vitro-Medizin mit sich: Sie erhöhen das Mehrlingsrisiko und verschärfen die seelischen und medizinischen Belastungen der künstlichen Befruchtung. Da die Chancen auf ein Kind gering sind, setzen die Fruchtbarkeitsärzte mindestens zwei, in der Regel jedoch drei Embryonen in den Leib der Frau zurück - und laufen Gefahr, Drillinge zu erzeugen. Zudem muss, wer sich auf eine Kinderwunschbehandlung einlässt, noch immer mit einem Dutzend Arztbesuchen, täglichen Spritzen und einem operativen Eingriff rechnen. Die injizierten Hormone können extreme Stimmungsschwankungen und Unterleibsschmerzen verursachen, fast immer treiben sie zusammen mit der unnatürlichen großen Zahl von Eizellen den Leib auf. Schonendere Medikamente bleiben deshalb ein weiteres wichtiges Forschungsfeld der Zukunft.
Viele dieser Probleme würden sich lösen, hätte man Eizellen ähnlich wie Samenzellen in großer Zahl zu Verfügung und ließen diese sich einfrieren. Dann bräuchte eine Frau theoretisch nur noch ein einziges Mal die Prozedur über sich ergehen lassen. Nach diesem Eingriff würde der IVF-Mediziner ein Eizelldepot anlegen, das ein Leben lang hält.
Die Kühltechnik funktioniert bislang jedoch nur bei befruchteten Eizellen. Unbefruchteten weiblichen Keimlingen schadet der Gefriervorgang dagegen erheblich. Da sie zum großen Teil aus Wasser bestehen, bilden sich beim Abkühlen Eiskristalle, welche die Chromosomen schädigen. Man schätzt, dass weltweit erst rund 60 Babys aus Eizellen entstanden sind, die nach einer Tiefkühlung befruchtet worden waren. Gelänge der Medizin hier ein Durchbruch, könnte das die künstliche Befruchtung radikal verändern und die Frauen gegen den größten Feind der Fruchtbarkeit wappnen: ihr Alter. Ab 35 Jahre sinkt die weibliche Empfängnisfähigkeit dramatisch.
Oma-Mütter
Zwar kann die Medizin Frauen im Oma-Alter noch zu Müttern machen. Der Altersrekord einer Gebärenden liegt bei 67 Jahren. Alle diese Patientinnen sind auf gespendete Eizellen von jüngeren Frauen angewiesen. Gelänge die Frostmethode, wäre es möglich, dass junge Frauen eigene Eizellen in frühen Jahren als Versicherung gegen Unfruchtbarkeit einfrieren.
Nach Jahrzehnten beruflichen Wirkens könnte dann auch die 40-Jährige noch entspannt ans Kinderkriegen denken - mit ihren nur 20-jährigen tiefgekühlten Eizellen. Noch kennt jedoch kein Wissenschaftler die richtige Formel, um Eizellen beim Einfrieren und Auftauen zu erhalten. Ebenso wenig ist es bislang möglich, Vorstufen von Eizellen, die zu Tausenden in den Eierstöcken lagern, zur Reifung zu bringen. Selbst aus abgetriebenen Föten versucht die Forschung bereits Eizellen zu gewinnen: ein unbegrenztes Depot für ehrgeizige Wissenschaftler und kinderlose Paare.
Doch auf diese Weise verlässt die künstliche Befruchtung den engen Bereich der "Heilung von Unfruchtbarkeit" und wird zur Lifestyle-Medizin: Sie sucht ihre Klientel bei Männern und Frauen, die keine Krankheit an der Fortpflanzung hindert, sondern nur der Umstand, dass sie zu alt oder gleichen Geschlechts sind, die keinen Partner haben oder einfach nur Zeitpunkt und Umstände des Kinderkriegens punktgenau und medizinisch abgesichert planen möchten.
Wissenschaftler des "Reproductive Genetics Institute" in Chicago versprechen lesbischen Paaren schon bald gemeinsame biologische Nachkommen: Aus der Körperzelle der einen Frau wird die Hälfte des Erbmaterials entnommen und "als Ersatz für eine Samenzelle" in die Eizelle einer anderen Frau eingepflanzt. Selbst auf die Frau könnte man in Zukunft verzichten, sollten Pläne US-amerikanischer Wissenschaftler wahr werden: Sie sind dabei, eine künstliche Gebärmutter herzustellen, in der Babys ohne einen Mutterleib auskommen können. Inzwischen konnten die Forscher einen kleinen Erfolg verbuchen: Sechs Tage lang überlebten Embryonen in der Muttermaschine. "Wir glauben, in einigen Jahren eine völlig eigenständige künstliche Gebärmutter entwickelt zu haben", sagt Hung-Ching Liu von der New Yorker Cornell-Universität.
Natürlich versichert Hung-Ching Liu, nur Frauen helfen zu wollen, denen eine Gebärmutter fehlt. Aber sollte der Uterusersatz irgendwann tatsächlich existieren, was viele Wissenschaftler freilich bezweifeln, wird es auch an anderen Kunden nicht fehlen. Gleiches gilt für die genetische Qualitätssicherung des Nachwuchses. Bislang dient die Methode nur dazu, "kranke Gene" herauszufiltern. In naher Zukunft wird man versuchen, auch ungeliebte Eigenschaften wie die Anlage zu Fettsucht oder Depressionen aus dem genetischen Skript zu verbannen. Zum Wunsch, positive Eigenschaften hinzuzufügen, ist es dann nur ein kleiner Schritt. Wie in einem Restaurant, verheißt der Biologe und Buchautor Robin Baker, werden die Menschen in Zukunft einem Menü gleich auswählen, in welcher Konstellation sie ihr Erbgut kreuzen wollen und welche genetischen Eigenschaften ihr Nachwuchs tragen soll. Pech haben nur diejenigen, die ihrem Nachwuchs aus finanziellen Gründen keine "guten Gene" in die Wiege legen können. Bakers Kollege Lee Silver sieht deshalb eine gespaltene Gesellschaft voraus: Eine Aristokratie so genannter "GenReichen" herrscht über naturbelassene Habenichtsen.
Theoretisch lassen sich die Erkenntnisse der Genomforschung bereits jetzt für die künstliche Befruchtung nutzen. Praktisch jedoch steht die Wissenschaft noch vor riesigen Herausforderungen. Denn in der Regel ist nicht ein einzelnes Gen für eine Krankheit oder Disposition verantwortlich, zurückzuführen ist dies vielmehr auf mehrere Gene. Dieses Problem potenziert sich, wenn man die Grundlagen von menschlichen Merkmalen oder gar Eigenschaften im Erbgut entdecken möchte. "Niemals werden wir herausfinden, auf welche Weise die Gene Charaktereigenschaften wie Intelligenz oder Phantasie steuern", sagt der Humangenetiker Eberhard Schwinger von der Universität Lübeck. Vom Nachbauen ganz zu schweigen
Ein "Niemals" hat es in der reproduktionsmedizinischen Forschung jedoch schon öfter gegeben. Als Robert Edwards und Patrick Steptoe die erste In-vitro-Fertilisation ankündigten, wollten ihnen viele Wissenschaftler nicht glauben. Die Geburt von Louise Brown belehrte sie eines besseren. Die Entzifferung des Genoms hatte man frühestens für die Jahre 2010 bis 2020 terminiert: Sie gelang bereits 2001. Dass sich die Fortpflanzungsmedizin so rasant wie bisher weiterentwickelt, daran besteht kaum ein Zweifel. Dafür bürgen Hunderte ebenso ehrgeiziger wie hochkarätiger Köpfe weltweit, die in der Biomedizin wissenschaftlichen Ruhm anstreben. Das garantieren Pharmafirmen, die große Profite erwarten. Kinder und Gesundheit gehören heute in den westlichen Industrienationen zu den wichtigsten Ersatzreligionen. Die Reproduktionsmedizin bedient beide zugleich.
Martin Spiewak ist Wissenschaftsredakteur der "Zeit".