Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07-08 / 16.02.2004
Zur Druckversion .
Ines Gollnick

Weniger Unfälle durch mehr Praxis hinter dem Steuer

Demnächst dürfen 17-Jährige Auto fahren - in Begleitung

Auto zu fahren bedeutet mobil zu sein, und Freiheit bedeutet Unabhängigkeit. In mehreren Bundesländern könnte das Fahren mit 17 Jahren in diesem Jahr Wirklichkeit werden, allerdings - und das ist der kleine Haken - nur in Begleitung. In dem Modellversuch "Begleitetes Fahren ab 17" ist vorgesehen, dass junge Leute mit 17 Jahren den Führerschein B erwerben und dann mit dem Partner auf dem Beifahrersitz durchstarten können. Sobald sie 18 sind, dürfen sie allein fahren.

Niedersachsen will Jugendliche bereits in diesem Frühling hinter das Steuer lassen, unabhängig davon, ob der Bundesverkehrsminister die notwendige Verordnung genehmigt. Der Bundesrat hat über den Modellversuch auf der Grundlage des niedersächsischen Entschließungsantrags bereits Ende November 2003 abgestimmt. Auch in Nordrhein-Westfalen ist der Verkehrsminister optimistisch, dass 17-Jährige in diesem Jahr ein Auto steuern dürfen. Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe "legt den Ländern keine Steine in den Weg". Ein Anhänger des Modellversuchs ist er allerdings nicht.

Bei dem Modellversuch "Begleitetes Fahren" geht es nicht nur um mehr Freiheit, sondern vor allem um mehr Verkehrssicherheit für die Fahrer und Fahrerinnen zwischen 18 und 24 Jahren. Mit einem fünffach höheren Unfallrisiko gegenüber dem Gesamtdurchschnitt ist die Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen am stärksten gefährdet. 2002 verzeichnete das Statistische Bundesamt nahezu 1.550 von rund 6.850 Verkehrstoten in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen. Ursache: zu wenig praktische Erfahrung.

Hier setzt der Modellversuch an. In der normalen Fahrschulausbildung mit 18 Jahren fährt ein Schüler zwischen 500 und 1.000 Kilometer. Die Entwickler des neuen Modells, das eben zusätzlich zu allen anderen Ausbildungswegen angeboten werden könnte, gehen davon aus, dass während der Ausbildung und dem Fahren in Begleitung eine "Lernstrecke" von rund 5.000 Kilometern zurückgelegt werden könnte. Es geht im Prinzip um ein vorgezogenes praktisches Lernen. In der Fachsprache heißt das: "fahrpraktischer Erfahrungsaufbau". Und dieser sei ein wirksames Mittel zu einer nachhaltigen Verringerung des Fahranfängerrisikos. Aus neuen Untersuchungen zum Verlauf des Unfallrisikos geht hervor, dass das Unfallrisiko von Fahranfängern innerhalb der ersten neun Monate nach Erwerb der Fahrerlaubnis auf 50 Prozent des Ausgangsrisikos sinkt, nach zweieinhalb Jahren auf ein Restrisiko von zehn Prozent.

Professor Detlev Leutner, Lehr- und Lernpsychologe an der Universität Duisburg-Essen, gehört der Projektgruppe "Begleitetes Fahren" an, in der Experten aus Bund und Ländern, maßgebliche Verbände der Praxis und Fachleute aus der Wissenschaft Vorstellungen zum Modellversuch zusammentrugen. Diese wurden auch auf dem 41. Deutschen Verkehrsgerichtstag präsentiert, um eine breit angelegte Diskussion anzuschieben.

Nach Leutners Einschätzung sind fehlende Praxis und Routine die Ursache dafür, warum Jugendliche kognitiv überlastet seien, um eine Verkehrssituation immer angemessen wahrnehmen und einordnen zu können. Leutner ist einer der wenigen deutschen Lehr-Lernforscher, der sich international orientiert und sich auf der Basis empirischer Forschung mit Problemen des Erwerbs von Fahr- und Verkehrskompetenz befasst.

Fahren mit 17, aber nur mit einem Elternteil. Das könnte zum Horror für beide Seiten werden, sind doch in dieser Phase des Lebens die sozialen Spannungen zwischen Eltern und Kindern sowieso schon ausgeprägt genug. "Die Projektgruppe entschied sich deshalb, den Kreis der Begleiter groß zu halten", so Leutner. Verwandte, Bekannte, Freunde, Nachbarn, in deren Familie vielleicht auch gerade ein Jugendlicher den Führerschein erwirbt, können deshalb Fahranfänger begleiten. Sie müssen allerdings mindestens 30 Jahre alt sein, eine fünfjährige Fahrpraxis nachweisen und dürfen nicht mehr als drei Punkte auf dem Flensburger Konto haben. In einer 90-minütigen Schulung soll ihnen vermittelt werden, was sie tun sollen und was nicht. Denn die Begleiter sind keine Fahrlehrer. Sie sollen beim vorausschauenden Fahren helfen und Erfahrung weitergeben. Der Kommunikationspartner lässt somit Raum für selbständige Fahrentscheidungen. Und wenn es mal brenzlig wird, kann er den Fahrer oder die Fahrerin emotional entlasten: "Bleib' jetzt gelassen. Lass dich doch nicht anmachen!" Leutner sieht darin eine große Chance, dass eine nicht gleichaltrige Person an Bord ist. Wer Jugendliche erlebt, weiß, sie suchen nach Grenzen der Leistungsfähigkeit, auch Sensationslust ("Ich kann das besser als ...") und ein Wetteifern in Anwesenheit Gleichaltriger nach dem Motto: "Stell dich nicht so an ...", provozieren Unfälle. Auch könnte der Versuch für junge Erwachsene typische und gefährliche Situationen besser eindämmen, wie den Dis-kobesuch mit vielen Mitfahrern an Bord, die Alkohol getrunken haben.

Was den Modellversuch so überzeugend erscheinen lässt, sind die Ergebnisse aus dem Ausland. Die Bundesanstalt für Straßenwesen wertete ausländische Erfahrungen aus, die das begleitete Fahren beziehungsweise eine gestufte Fahrerlaubnis testeten. Die Unfallzahlen gingen beträchtlich zurück. In Nordamerika, je nach Ausgestaltung der Maßnahme, zwischen vier und über 60 Prozent, in Schweden um 46 Prozent. In Österreich gibt es das "Modell L 17" seit 1999. Es ähnelt dem deutschen Vorschlag. Dort sind laut niedersächsischem Verkehrsministerium die Unfallzahlen in der Gruppe der jungen Fahranfänger um 15 Prozent gesunken. Skeptisch blickt der ADAC auf das "Begleitete Fahren". Dort glaubt man nicht daran, dass ein Begleiter "die höhere Risikodisposition eines Fahranfängers kompensieren kann". Der Interessenverband favorisiert die so genannte "Zweite Ausbildungsphase", die jetzt zum Jahresbeginn in 13 Bundesländern startete. Fahranfänger können sechs Monate nach dem Führerscheinerwerb eine Fortbildung mit Theorie und Praxis machen. Wer hier teilnimmt, kann seine Probezeit um maximal ein Jahr verkürzen. Geübt wird in Übungszentren. Bundesweit verfügt auch der ADAC über rund 50 solcher Einrichtungen. Dort gibt es allerdings keine Leitplanken, keine Bäume und keinen Gegenverkehr. Auf Übungsplätzen wird also eine Laborsituation geschaffen, die der Realität nicht nahe kommt. Gefährliche Situationen würden dort eben gefahrlos simuliert, sagt der ADAC. Einige Bundesländer wollen beide Modelle einsetzen und dann vergleichen. Problematisch wird es auch dann, wenn das "Begleitete Fahren ab 17" in einigen Bundesländern erlaubt ist, in anderen nicht. Muss das Auto dann an der Ländergrenze abgestellt werden? Die Deutsche Polizeigewerkschaft gibt außerdem zu bedenken, dass die schlechte Personalsituation die Kontrolle der Regelung äußerst schwierig mache.

Unabhängig davon, wie die Entscheidungen aussehen, sie sollten im Interesse der jungen Fahranfänger zugunsten ihrer Sicherheit fallen. Jeder Verkehrstote ist einer zu viel. Vieles spricht für den Modellversuch "Begleitetes Fahren ab 17". Nicht nur der Experte Detlev Leutner geht davon aus, dass der Modellversuch das Anfänger- und Jugendlichkeitsrisiko beim Fahren verkleinern kann.

www.f-17.de

www.zweitephase.de

www.bast.de (Bundesanstalt für Straßenwesen)


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.