Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 10 / 01.03.2004
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Sönke Giard-Weiss

Frauentotenlieder aus Afrika

Der Umgang mit der gewaltigen Katastrophe AIDS

In Afrika entwickelt sich die Immunschwächekrankheit AIDS zu einer gewaltigen Katastrophe. Gerade im südlichen Teil des Kontinents, wo in einigen Region schon heute schätzungsweise 40 Prozent der Bevölkerung mit dem HI-Virus infiziert ist. Besonders betroffen sind Frauen.

"Ich weiß nicht, wo mein Mann gerade ist." Mamokhethi Rathebe (30) steht vor ihrer Strohhütte. Irgendwo in Lesotho. Einem winzigen Königreich. Mitten im südlichen Afrika.

Mamokhethi ist HIV-positiv. In Deutschland würde man sagen: Sie hat AIDS. Hat sie aber nicht. Noch nicht. Bislang trägt sie nur den HI-Virus in sich. Wie lange sie noch zu leben hat, ist so ungewiss wie das Wetter. Ein Jahr. Zehn Jahre. Zwei Monate. Alles ist möglich. Ihr Sohn Malika ist neun und zupft an ihrem Rock, in ihrem Arm hält sie die einjährige Tsepiso. Ob ihre Kinder ebenfalls infiziert sind, weiß Mamokhethi nicht. Will sie auch nicht wissen.

"Vermutlich ist mein Mann bei einer seiner Freundinnen", sagt sie wenig später ganz offen und fügt hinzu: "Ich werde ihn bei seiner Rückkehr aber nicht fragen, wo er war." Warum, lautet die Frage. "Das macht man als Frau nicht", antwortet Mamokhethi und lächelt.

Bis zum Jahr 2010 wird sich die Zahl der AIDS-Waisen in Afrika von heute elf auf 20 Millionen nahezu verdoppelt haben, heißt es in der jüngsten UNICEF-Studie. Täglich sterben in Afrika 3.000 Menschen an der Krankheit. In Ländern mit hohem HIV/AIDS-Vorkommen wird jedes fünfte Kind zur Halb- oder Vollwaise werden: Südafrika, Simbabwe, Swaziland, Sambia, und Lesotho, wo Mamokhethi lebt, um nur einige Beispiele zu nennen.

"Als mein letzter Freund starb, habe ich mich auf HIV/AIDS testen lassen. Das Ergebnis war positiv", sagt Caroline Jaramba (37) aus Simbabwe. Die meisten ihrer Freundinnen sind arm und ohne Arbeit, sie hungern. Oftmals ist Prostitution der einzige Ausweg. "Die Männer hier benutzen keine Kondome. Das ist nicht richtig", sagt Caroline. Aber sie habe keine Wahl: "Es hilft uns ja keiner. Unsere Kinder hungern."

Zwar scheint die Weltöffentlichkeit AIDS heute ernster zu nehmen als noch vor zehn Jahren, und mehr und mehr Gelder werden flüssig gemacht, um gegen die Folgen der Immunschwächekrankheit zu kämpfen. (4,7 Milliarden US-Dollar im zurückliegenden Jahr. 23 Mal mehr als 1996.) Aber noch ist das längst nicht genug. UNAIDS, das AIDS-Werk der Vereinten Nationen, das weltweit die Folgen von der Krankheit beobachtet, verlangt von der Internationalen Gemeinschaft 10 Milliarden US-Dollar für 2005 und gar 15 Milliarden für 2007.

Es werden die Jahre sein, in denen die erste große Todeswelle über Afrika schwappen und viele Regionen ihrer Menschen berauben wird. Viele Länder können sich keine kostenlose Antiretroviral-Therapie für ihre Bevölkerung leisten. Kaum einer kann sie sich selber leisten.

Sie kostet umgerechnet 120 Euro im Monat; das Durchschnittseinkommen liegt zwischen 50 und 100 Euro, die Arbeitslosenquote ist oftmals bis zu 80 Prozent hoch. Vergleichsweise reiche Länder wie Botswana aufgrund der Diamantenminen versorgen ihre Bevölkerung dagegen mit freien Medikamenten.

"Es hat lange gedauert, bis ich meinen HIV-Status akzeptiert habe. Es war nicht leicht. Ich habe mich gefürchtet, wollte mir sogar das Leben nehmen", sagt Kgalalelo Ntsepe. Kürzlich wurde die 32-jährige Sozialarbeiterin aus Gaborone, der Hauptstadt Botswanas, zur Miss HIV/Stigma Free gewählt.

Heute habe sie ihre Ängste überwunden, denke und lebe "positiv". Als Miss HIV/Stigma Free sei es ihre Aufgabe, anderen Frauen Mut zu machen. Sie sagt: "Es gibt ein Leben mit Aids. Wir müssen nur solidarisch und stark sein, bis die Medizin endlich ein Mittel gegen diese Krankheit findet."

Was können Länder wie Deutschland tun, um entwicklungspolitisch einen Beitrag zur Bekämpfung von HIV/AIDS zu leisten. Kürzlich hat das christliche Kinderhilfswerk World Vision unter anderem folgende Forderungen gestellt:

- Ohne eine drastische Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit kann HIV/AIDS in vielen Ländern nicht wirksam genug bekämpft werden. Eine sukzessive Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit von heute 0,27 Prozent des Bruttosozialproduktes auf die bereits zugesagten 0,7 Prozent Deutschlands ist daher notwendig.

- Arme Länder mit hohem HIV/AIDS-Vorkommen brauchen einen zügigen Schuldenerlass. Simbabwe zum Beispiel muss schon 2005 bis zu 70 Prozent seines Gesundheitsbudgets für die Behandlung von AIDS-Kranken ausgeben.

- Eine Ratifizierung von UNICEFs "Strategischen Richtlinien für den Schutz, die Versorgung und die Unterstützung von Waisen und anderen, durch HIV/AIDS gefährdete Kinder" vom 21. Oktober 2003 muss durchgesetzt werden.

- Durch großzügige finanzielle Unterstützung des "Three by Five"-Projektes der Weltgesundheitsorganisation muss erreicht werden, möglichst viele Eltern am Leben zu erhalten. Das Ziel dieser Aktion: Bis zum Jahr 2005 drei Millionen Menschen mit AIDS-Medikamenten zu behandeln.

- Man muss nach Unterstützung für die Einrichtung eines Sonderstatus von besonders betroffenen Ländern bei internationalen Geldgebern suchen, wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds.

"Traurig ist, dass ich vor wenigen Monaten noch so schön war wie meine Zwillingsschwester. Heute ist das nicht mehr so. Ich sehe schlimm aus. Ich weiß", sagte Zanele Mazibuko (25) aus Johannesburg in Südafrika wenige Tage bevor sie starb.

Ihre Zwillingsschwester Queen saß an ihrem Sterbebett, pflegte sie bis zum Ende. Zaneles Kinder leben jetzt bei ihr. Ihre letzten Worte waren: "Ich habe so große Schmerzen. Mein ganzer Körper brennt. Aber ich habe kein Geld für Medikamente. Ich hoffe nur, dass meine Kinder gesund aufwachsen."

Sämtliche Hungersnöte in Afrika sind heute auch eine Folge von HIV/AIDS. Kranke haben weder die Kraft, ihre Krankheit zu bekämpfen noch können sie ihre Äcker bestellen. Die Folgen sind Hunger und Armut. Arme haben nicht das Geld, um vitamin- und mineralreiche Lebensmittel zu kaufen. Ihre Körper können sich immer weniger gegen Krankheiten und Viren wehren. Sie sterben.

Die Folge für ganze Länder: Tote Eltern können ihren Kindern nicht mehr beibringen, wie man das Land bestellt, eine Familie ernährt und eine Gesellschaft errichtet. Die Früchte, die eine vernünftige Entwick-lungspolitik bringen würden, kämen langsam, dafür aber nachhaltig. Geschieht nichts, wird das große Sterben erst noch kommen. Das Schlimmste ist zu befürchten.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.