Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 10 / 01.03.2004
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Konrad Watrin

Editorial


Happy, Happy Afrika" lautet einer dieser unbeschwerten Songs über den Kontinent schwarzer Exotik und Erotik. Hoffnungslos scheint dagegen seit langem die Lage in vielen Ländern dort. Afrika, verlorener Kontinent? Oder die letzte globale Inspiration für Abenteurer und Künstler, vor allem die von hier inspirierte Musik. Denkt man an die ganze Länder überrollende AIDS-Pandemie, die sämtliche bescheidenen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte korrodieren lässt, an all die Kriege, Korruption samt Kindersoldaten - was dann? Von Entwicklungspolitik jedenfalls ist seit langem schon keine Rede mehr. Afrika, Wiege der Menschheit! Afrika, unaufhörliche Totenklage?

In einer konzeptionellen Mischung aus geographisch-politischem und strukturell-thematischem Ansatz versucht "Das Parlament" in dieser Themenausgabe, anhand von zwei Dutzend herausragenden Themen die wichtigsten Eckpunkte der aktuellen Situation auf dem rückständigsten der Kontinente zu setzen. Es soll ein knapper Überblick sein über die Armutsprobleme und Konflikte, aber auch über den Reichtum und die künftigen Chancen Afrikas, über seine Kultur und Gesellschaft. Sowohl der Grand Seigneur der Afrika-Wissenschaft, Franz Ansprenger, als auch "Zeit"-Korrespondent Bartholomäus Grill sehen die kolonialen Erblasten und die eigenen Verfehlungen in über 40 Jahren staatlicher Unabhängigkeit mittlerweile als nahezu gleichgewichtig an. Ähnlich wie in der arabischen Welt kommt auch der "Fluch der Ressourcen" hinzu, der heimische Wirtschaften zu Rentiersystemen verkommen lässt, wie Axel Harneit-Sievers von der Heinrich-Böll-Stiftung am Beispiel Nigeria aufzeigt. Gewöhnung und Abhängigkeit ganzer Teile dieser Volkswirtschaften von ausländischen Transferleistungen (früher: Entwicklungshilfe) analysiert der Mainzer Ethnologe Thomas Bierschenk. Von Aneignungsprozessen der Globalisierung sprechen Soziologen oder Ethnologen, wenn heimische Kulturen und Produzenten vernichtet werden, etwa wenn - wie der Bayreuther Ethnologe Hans Peter Hahn zeigt - in West-Afrika aus unerfindlichen Gründen fernöstliches Plastik die lokale Lederwaren-Kultur verdrängt, weil ersteres plötzlich als "schick" gilt.

Der Schlüssel zu den Kernproblemen des Kontinents - Armut, Krankheit, Gewalt - und darüber hinaus dürfte sich in einem Ansatz finden, wie ihn der Gießener Soziologe Trutz von Trotha in seiner Untersuchung der demographischen Entwicklung anwendet. Die Gegenfrage sozusagen, die Rainer Tetzlaff in diesem Zusammenhang stellt, lautet indes, ob nicht zunehmend Interventionen von außerhalb unerlässlich werden angesichts der Gravität und offenkundigen Unlösbarkeit der afrikanischen Sorgen und Probleme. Deren Auswirkungen wiederum, unter maßgeblicher deutscher Beteiligung, beschreibt der taz-Autor Dominic Johnson im Aufmacher anhand der prekären Lage am Horn von Afrika, wo auch Bundeswehr-Soldaten nach Al Qaida ausspähen.

Dennoch dürfte die soeben vom deutschen Bundeskanzler aufgesuchte schwarze Welt, bisher der "Katastrophen-Kontinent" schlechthin, für die entwickelte Erste und Zweite Welt überhaupt erst "interessant" werden, wenn - wie Schröder jüngst bei seiner Reise durch mehrere afrikanische Länder anklingen ließ - die von dort ausgehenden Sicherheitsprobleme diese ernsthaft tangieren. Spätestens jedoch dann, wenn alle benötigten Reichtümer der heute umworbenen und umkämpften Regionen in Nahen und Mittleren Osten, in Eurasien, vielleicht auch dereinst die noch riesigen Vorräte Russlands, endgültig und unwiderruflich zur Neige gehen.

Diese ziemlich hoffnungslose Situation könnte nach heutigen Analysen frühestens in 50 bis 100 Jahren entstehen. Dann aber wäre die Wiege der Menschheit unter Umständen doch deren letzter verbliebener Ressourcenraum, vielleicht sogar deren Rettung.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.