Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 12-13 / 15.03.2004
Zur Druckversion .
Helmut Heinzelmeier

Konquistadoren, Piraten, Sklavenhändler

Die wechselvolle Geschichte der karibischen Inseln

Weißer Sandstrand und schattenspendende Palmen, kristallklares Meer und erfrischende Cocktails, exotische Schönheiten und eingängige Reggae-Rhythmen - fertig ist das touristische Karibik-Klischee. Nur die Wenigsten wissen etwas von der anderen Seite karibischer Gegenwart. Armut am Rande der Großstädte, steigende Kriminalität und weit verbreiteter Drogenmissbrauch. Die Wenigsten wissen um die blutige karibische Geschichte. Jahrhunderte voller Konqistadoren, Piraten, srupelloser Sklavenhändler und -halter. Vor diesem Hintergrund wird Aktuelles - nicht nur in Haiti - verständlich.

Als Kolumbus 1492 in der Karibik landete, lebte dort zumindestens eine Million Indianer. Wenige Generationen später waren es nur noch einige tausend. Ursache dieser demographischen Katastrophe waren eingeschleppte Krankheiten und die brutale spanische Besatzungspolitik. Aber auch die Spanier wurden dort nicht glücklich. Es gab wenig Gold. Um zu überleben, hätte man das Land bestellen müssen. Deswegen hatte man die gefährliche Reise über den Atlantik nicht auf sich genommen. Einem Bauerndasein in Kastilien hatte man ja entfliehen wollen. So dachten insbesondere die spanischen Heerführer - in ihrer Mehrheit mittellose Kleinadlige. Sie träumten davon, möglichst viel Gold zusammenzuraffen, um in Spanien das Leben eines wohlhabenden Edelmannes zu führen. Als Hernán Cortés, dem Eroberer Mexikos, Ackerland auf der Insel Hispaniola - heute in Haiti und Dominikanische Republik unterteilt - angeboten wurde, war seine kurze Antwort: "Ich bin gekommen, um Gold zu holen, nicht um den Boden zu pfügen wie ein Bauer."

Die Spanier richteten den Blick auf Amerika. Da wurde man fündig und stieß auf die unermesslichen Gold- und Silberschätze der Azteken und Inka. Die Karibik verkam zu einer armseligen Etappe.

Stattdessen setzten sich in der unübersichtlichen Inselwelt Piraten aus aller Herren Länder fest. Alles Gold und Silber, das die Spanier in Amerika erbeuteten, verschifften sie via Karibik in Richtung Heimat. Das war leichter gesagt als getan. In der Karibik lauerten Hunderte von Piratenschiffen auf die goldbeladenen Galeonen. Das 17. Jahrhundert ging als Zeitalter der Piraten in die Geschichte der Karibik ein.

Deren starke Stellung kam nicht von ungefähr. Sie genossen lange die mehr oder weniger offene Unterstützung der Engländer, Franzosen und Holländer, denen an einer Schwächung des Erzrivalen Spanien gelegen war. Ende des 17. Jahrhunderts war es mit der Hochzeit der Freibeuter vorbei. Die nordwesteuropäischen Kolonialmächte fassten in der Karibik Fuß. Sie waren stark genug, den Spaniern Paroli bieten zu können. Die Piraten-Hilfstruppen wurden nicht mehr gebraucht. Im Gegenteil: Mit gemeinsamen Jagden machten die Kolonialherren dem Übel ein Ende.

Die Nordwesteuropäer forcierten den großflächigen Anbau insbesondere von Zuckerrohr. Die Karibik wurde Teil des so genannten "Plantagenamerika", das von den Südstaaten der heutigen USA über die Karibik bis Nordostbrasilien reichte. Auf riesigen Plantagen wurden tropische Exportgüter angebaut. Dafür benötigte man Arbeitskräfte. Indianer gab es kaum noch. Weiße kamen nicht in der erforderlichen Zahl. Also griff man auf die Sklaverei zurück, die es schon seit den Zeiten von Kolumbus gab. Im 18. Jahrhundert begann jedoch die hohe Zeit des transatlantischen Sklavenhandels.

Schätzungsweise zwölf Millionen Schwarzafrikaner sind im Laufe der Jahrhunderte nach Amerika verschifft worden. Der Menschenhandel richtete sich nach Angebot und Nachfrage. Fang und Verkauf blieben über die Jahrhunderte hinweg hinweg weitgehend unter der Kontrolle von Afrikanern - bis heute ein Tabu in der afrikanischen Geschichtsschreibung. Die Nachfrage kam, insbesondere im 18. Jahrhundert, hauptsächlich aus der Karibik. Die größten Sklavenhandelsnationen waren die Niederlande, England, Frankreich und Portugal.

Gefragt waren vor allem junge Männer. Angesichts der harten Plantagenarbeit war man an Muskelkraft interessiert. Die Pflanzer verfolgten eine sehr eigene "Einkaufspolitik". Nach ihrer Rechnung hatte sich der Kaufpreis eines Sklaven nach fünf Jahren amortisiert. Bis dahin wurde er schonungslos ausgebeutet. Nicht allzu viele überlebten diese fünf Jahre. Der Importbedarf war riesig. Deutlich geringer fiel er in den Südstaaten der USA aus, wo man eine andere Politik verfolgte. Man gestaltete das Zahlenverhältnis der Geschlechter günstiger, achtete auf natürliche Reproduktion und war deshalb weniger auf Importe angewiesen.

Spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts dominierte der Zuckerrohranbau sowohl die britischen - von Barbados im Osten bis Jamaica im Osten - als auch die französischen Besitzungen - unter anderem Martinique, Gouadeloupe und Haiti. Das Geschäft mit dem Zucker war kapitalintensiv und risikoreich, es drohten Naturkatastrophen, SKlavenaufstände oder Preisverfall in Europa. Blieb man davon verschont, lockten riesige Gewinne. Voraussetzung war der Rückgriff auf ein Millionenheer versklavter Arbeitskräfte. Ohne den forcierten Zuckerrohranbau hätte es nie einen derartigen Bedarf an Sklaven gegeben. Ihr Preis stieg stetig und sank erst wieder in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als England dem Sklavenhandel abschwor und gegen ihn vorging. Bei einigen westafrikanischen Herrschern brach darüber mittleres Entsetzen aus. Zu gut hatten sie am Verkauf ihrer Landsleute verdient. Verzweifelt offerierten sie billige Sonderangebote. Kuba, das im 19. Jahrhundert einen verspäteten Zuckerboom erlebte, profitierte davon.

Im 18. Jahrhundert war Jamaica die bedeutendste Zuckerinsel und stellte zeitweise über 40 Prozent der Weltzuckerproduktion. Die Kolonialherren im fernen Europa profitierten von dieser Entwicklung einiges - wenn auch nicht annähernd so viel, um damit, wie verschiedentlich behaupttet wird, in England die erste industrielle Revolution Europas finanzieren zu können. Auch im 18. Jahrhundert hielt sich der Anteil der Karibik am englischen beziehungsweise europäischen Außenhandel in engen Grenzen.

Mögen die Residenzen der Zuckerbarone heute wie eine ländliche Idylle anmuten, einst waren sie nicht weniger als das. Allein schon aufgrund des krassen Zahlenverhältnisses zwischen Weiß und Schwarz - bestenfalls 1:25, zumeist 1:100. Unter den wenigen Weißen ging stets die geheime Angst um, dass sich die schwarzen Massen einmal gegen sie erheben würden. Nicht zuletzt deshalb ging man auch bei kleinsten Unbotmäßigkeiten mit äußerster Härte vor.

Die Geschichte der Sklaverei war immer auch eine Geschichte des Widerstands. Das begann bereits auf der Überfahrt von Westafrika nach Westindien. Viele Gefangene flüchteten sich in den Freitod. Viele zogen sich in den Plantagen auf verdeckten Protest, verlangsamtes Arbeiten, Sabotage zurück. Andere schlossen sich in Geheimgesellschaften zusammen, die die Unterdrückung mit Gegenterror beantworteten - sei es mit einer Prise Gift im Essen des Herren. Immer wieder flackerte offener Aufruhr auf. Im 18. Jahrhundert drohte er sich auf Jamaica zu einem Flächenbrand auszuweiten. Die Aufbegehrenden auf Jamaica konnten sich - im Unterschied zu ihren Leidensgenossen auf kleineren Inseln wie Barbados - in die unzugängliche Bergwelt des Inselinneren flüchten. Von dort aus lieferten sie den Engländern generationenlang einen erbitterten Kleinkrieg. Wie verzweifelt jedoch die Aufstände geführt wurden - auf Jamaica, in der Karibik -, die Zuckerbarone mit ihren Bluthunden behielten stets die Oberhand Zur Abschreckung wurden die Anführer lebendig gekreuzigt. Nur ein einziger Sklavenaufstand führte zum Erfolg, der von Saint-Domingue 1791, im Gefolge der französischen Revolution.

Das Ende der Sklaverei war damals vorgezeichnet. Anfang des 19. Jahrhunderts begann sich der karibische, auf Zwangsarbeit basierende Zuckerrohranbau zu überleben. Überproduktion führte zu Preisverfall. In Europa entdeckte man den Rübenzucker.

Kaum irgendwo auf der Welt hat Geschichte so nachhaltig auf Gesellschaften eingewirkt wie in der Karibik. In Afrika und Asien kamen und gingen die Kolonialmächte, die Völker blieben. In der Karibik war dies anders. Die Urbevölkerung war ausgerottet. Mit den Sklaven aus Afrika und den vielen asiatischen Kontraktabeitern wurde eine völlig neue Bevölkerung geschaffen, was Folgen bis heute hat. Die karibische Gesellschaft ist unsicher und von vielen Selbstzweifeln geplagt und auf der Suche nach eigener Identität vornehmlich auf die USA, Kanada und Europa fixiert.

"Ein roter Nigger, der lieben das Meer,

Bin ich, mit echt kolonialem Diplom;

halb Holländisch, Nigger und English in mir,

Bin entweder niemand oder eine Nation.

(Derek Walcott, Literaturnobelpreisträger 1992)


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.