Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 12-13 / 15.03.2004
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Anna Stefan

Betroffene und doch Außenseiterin während Mauer- und Nachwendezeit

Die holländische Schauspielerin Cox Habbema erinnert sich

Als sie den Mann, mit dem sie Jahre in Berlin- Ost gelebt hatte, nach der Wende anrief und ein Gespräch über die gemeinsamen Erinnerungen vorschlug, sagte der: "Was weißt du schon von der DDR?" Sie ist überrascht. Immerhin hat sie zwei Jahrzehnte, mit Unterbrechungen, in Berlin-Ost gelebt, einen Teil davon mit ihm. Trotzdem. Ihre Position war eine Ausnahme, ein seltenes Privileg. Was weiß sie wirklich von dem normalen Leben dort? Woran erinnert sie sich? Was ist ihr heute bedeutsam aus zwiespältiger Vergangenheit?

Cox Habbema ist Schauspielerin, populär aus DEFA-Filmen und vom Deutschen Theater, Regisseurin und Intendantin in den Niederlanden, ihrer Heimat. Lange war sie Wanderin zwischen den Welten, sie pendelte oft täglich zwischen Amsterdam und Berlin. Jetzt liegen ihre Erinnerungen vor.

Auch Erinnerungen an jene merkwürdigen Fahrten im plüschigen Zug von West über Berlin weit in den Osten und umgekehrt. Russen und Polen waren ihre Reisegefährten. Immer ist es ein Blick von draußen auf dieses geteilte, dann wieder zusammengesetzte, zusammengestanzte Deutschland. Die Folgen waren unabsehbar, die Erwartungen euphorisch und hoffnungsvoll, beunruhigend, maßlos.

Die Autorin kennt die Deutschen. Sie nimmt sie aus sehr kritischer Sicht wahr, beobachtet, urteilt und kommentiert. Manchmal erklärt, ja belehrt sie auch. Anerkennende Worte findet sie nur für wenige Kollegen, für Dieter Franke etwa und Klaus Piontek. Beide leben nicht mehr. Es muss eine sehr eigene Atmosphäre am Deutschen Theater gewesen sein, fast familiär. Sie fand so etwas nicht wieder. Nach der Wende zerbrachen Bindungen, Verträge und Freundschaften.

"Holländische Gewissheit"

Ihr Ehemann war damals Eberhard Esche, ein Star für ein Stammpublikum bis heute. Kennengelernt haben sie sich bei ihrer ersten gemeinsamen Arbeit "Wie heirate ich einen König?", ein Märchenfilm. Er sollte verboten werden, sie kämpften dagegen und setzten sich durch. Sie schreibt von ihrer "holländischen Gewissheit", Dinge verändern zu können. So gut wie nichts erfährt man jedoch im Buch von dem Zusammenleben des Paars, von dem, was beide unter so ungleichen Lebensverhältnissen verband und warum es zu Ende ging. Vielleicht wäre manches im Kontext der politischen Verhältnisse interessant gewesen.

Cox Habbema klammert persönliche Beziehungen nahezu aus. Sie schildert politische Entwicklungen, Meinungen, weiß aber auch von mancher Chance auf Inseln wie dem Deutschen Theater. Am interessantesten lesen sich die Geschichten von Menschen, die sie von anderen erfährt oder, besser noch, die sie selbst erlebt. Ziemlich am Schluss des Buches erzählt sie von Nachwendeschicksalen, kurz und pointiert:

Von einer Witwe, die die auf Westniveau zu bringende Kanalisation für ihr Haus nicht bezahlen kann und selbst um gnädige Bedingungen in den West-Stahlwerken betteln muss. "So etwas hatte sie noch nie getan." Ganz anders der wendige Schriftsteller. Sie fragt ihn: "Schreibst du noch?" Er: "Ununterbrochen." Es gehe ihm gut. Habbema: "Das stimmt, ihm ging es auch früher schon immer gut."

Sie findet harte Worte für den Charakter der Deutschen, ob Ost oder West. Sie stellt die Meinungen des einen über den anderen gegenüber. Natürlich sind es Klischees, aber die herrschen noch immer.

Einen Großteil ihrer Erinnerungen umfassen die Jahre nach der Wende. Da ist sie längst Intendantin an einem holländischen Theater. Gleich 1990 reist sie nach Berlin. Irgendwann will sie hier wieder eine Wohnung haben. Sie schreibt über Begegnungen, Wiedersehen mit alten Kollegen, Gespräche, Eindrücke. Sie erlebt Trauer und Entsetzen. Sie geht die früheren Wege vom Theater in die Friedrichstraße, sieht ohne Euphorie auf die neue Pracht.

Blick von draußen

Habbema meldet sich bei einer Freundin, will sie besuchen. "Weshalb kommst du?", fragt die kühl. Die meisten Wiedersehen bringen Verdruss, Missverstehen, Melancholie. Die Autorin fühlt sich wieder zwischen allen Stühlen: "Ich stehe draußen."

Doch gerade der Blick von draußen, jenseits von deutscher Enge, macht den Reiz dieser Erinnerungen aus. Oft wird sie gefragt: Warum noch dieses Buch? Es sei doch alles gesagt. Bei ihr aber kann man Neues erfahren, eine andere Sicht, ein überraschendes Urteil. Das ist spannend. Hier, in der Fremde, im eingemauerten Berlin, hat sie ihre großen Erfolge gefeiert, fand sie Freunde, ein euphorisches Publikum, Gründe genug zum Aufbegehren und - nehme ich mal an - auch Glück.

Cox Habbema

Mein Koffer in Berlin.

Oder das Märchen von der Wende

Militzke Verlag, Leipzig 2004;

192 S., 19,90 Euro

Anna Stefan arbeitet als freie Journalistin in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.