Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 12-13 / 15.03.2004
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Richard Woyke

Was zusammengehört, ist zusammen

Eine zu optimistische Stimme aus dem Europarat?

Vom Titel könnte man meinen, dass es sich um eine Längsschnittanalyse europäischer Geschichte über zwei Jahrhunderte handelt, doch Walter Schwimmer, seit 1999 amtierender Generalsekretär des Europarats, erzählt weitgehend spannend über Entwicklungen in Europa iwährend der beiden letzten Dekaden aus der Sicht eines Beteiligten. Dabei steht natürlich der Europarat, also jene 1950 von zehn (west)europäischen Staaten gegründete Organisation, im Zentrum.

Der besondere Stolz des Verfassers auf diese in der Öffentlichkeit doch weit unterschätzte internationale Organisation zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. So optierte er für die Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats anstelle der Mitgliedschaft im Europäischen Parlament, da er glaubt, im Europarat mehr bewegen zu können.

Zunächst zu Schwimmers Europabild: Danach unterscheidet sich Europa als Ganzes von den anderen Kontinenten durch den ihm eigenen kulturellen Fundus wie durch eine besondere wirtschaftliche, gesellschaftliche und sozialpolitische Ordnung. Für Schwimmer ist Europa eine "Schicksalsgemeinschaft", die keine Uniformität verlangt, dafür aber innere Auseinandersetzungen verträgt.

Um die europäische Identität zu bewahren, ist es geboten, so das von Schwimmer zitierte Statut des Europarats, "eine größere Einheit unter den Nationen zum Zwecke der Sicherung der Ideale und Grundsätze zu erreichen, die ihr gemeinsames Erbe darstellen, und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern". Schwimmer fordert für die Gesellschaften in Europa gegenseitigen Respekt, Achtung vor dem Anderen, vor seinen Traditionen, seiner Kultur, seiner Sprache, Offenheit statt nationalistischer Enge, Toleranz statt Ablehnung des Fremden.

Aber diese Ziele sind nicht zum Nulltarif zu haben. Europa braucht die Wachen, die Aktiven, die Aufmerksamen, die aktive Zivilgesellschaft. Schwimmer rechtfertigt durchgehend die besondere Bedeutung des Europarats für den europäischen Integrationsprozess. Für ihn ist der Europarat die einzige wahrhaftige europäische Organisation, da er mehr als 800 Millionen Bürger repräsentiert, inzwischen mit 45 Mitgliedstaaten nahezu alle europäischen Länder umfasst und für diese verbindliche Vorgaben erstellt hat.

Schwimmer arbeitet sehr gut die Bedeutung des Europarats in der Zeit des Strukturbruchs der internationalen Beziehungen 1989/1991 heraus. So wurde der Europarat zur ersten Anlaufstelle für die ehemaligen sozialistischen Staaten, die die "Rückkehr nach Europa" anstrebten und im Europarat den ersten Ansprechpartner fanden. Europa erhielt in diesen Umbruchszeiten eine neue Landkarte, die die Vision vom "einen" Europa zu dieser Zeit als machbar erscheinen ließ.

Es ist faszinierend, die politische Entwicklung in Europa zu jener Zeit aus der Sicht des Europarats noch einmal nachzuvollziehen. So war es das Präsidium der parlamentarischen Versammlung des Europarats, das die Idee einer Einladung an den damaligen KPdSU-Parteichef und sowjetischen Staatspräsidenten Gorbatschow nach Straßburg lancierte. So hielt Gorbatschow am 6. Juli 1989 eine bedeutende Rede vor dem Auditorium einer anderen "Glaubensgemeinschaft", "die noch bis vor kurzem, von Moskau ausgesehen, als das Bollwerk des kalten Krieges im westlichen Teil Europas galt".

Vor dem Europarat bekannte sich Gorbatschow - und dies war in der Tat etwas fundamental Neues - zu den Werten dieser Institution: pluralistische Demokratie, individuelle Menschenrechte und Primat des Rechtsstaats. Gorbatschow verstand den Europarat als eine der tragenden Säulen seiner Vision vom gemeinsamen europäischen Haus. Und es sollten sich sehr schnell die Grundkonstanten in Europa mit dem Mauerfall, der Auflösung des Sozialismus als Staats- und Gesellschaftsform in Osteuropa, der deutschen Wiedervereinigung wie auch der Implosion der Sowjetunion ändern. Für den Europarat bedeutete diese Entwicklung die sukzessive Erweiterung, die mit Ungarn im November 1990 als erstem der Reformstaaten begann.

Das zukünftige Europa sieht Schwimmer aus großen und kleinen Staaten bestehend, aus Völkern mit baltischem, germanischem, keltischem, romanischem, slawischem, zentralasiatischem oder anderem Ursprung. Darin werden Menschen unterschiedlichen Glaubens leben - katholische, orthodoxe und protestantische Christen, Juden, Moslems, und andere, einschließlich Agnostiker und Atheisten. Über 200 Sprachgemeinschaften werden in den verschiedensten europäischen Staaten miteinander leben. Neben nationalen Mehrheitsbevölkerungen wird es ethnische Minderheiten mit einem Recht auf Bewahrung ihrer Eigenart geben; ein einiges und vereintes Europa wird auch ein Europa der Vielfalt sein.

Der sich selbst als Optimist bezeichnende Schwimmer träumt von einem ungeteilten Europa der gemeinsamen Werte und des gemeinsamen kulturellen Erbes, einem Europa ohne Zwang und Bevormundung, einem Europa der bereitwilligen Zusammenarbeit, einem Europa der partnerschaftlichen Verantwortung für die Probleme der anderen, einem Europa der sozialen Solidarität und einem Europa der demokratischen Sicherheit. Dass er dabei die Rolle des Europarats vielleicht überschätzt, wird aus seiner Funktion erklärbar.

Walter Schwimmer

Der Traum Europa. Europa vom 19. Jahrhundert in das dritte Jahrtausend.

Springer Verlag, Heidelberg 2004; 297 S., 39,95 Euro


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