Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 15-16 / 05.04.2004
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K. Rüdiger Durth

Geldnot und Zukunft

Berlin im Grundgesetz verankern?

Nach Wowereit soll der Artikel 22 des Grundgesetzes, der bislang lediglich regelt, dass die Bundesflagge schwarz-rot-gold ist, um einen Berlin-Artikel ergänzt werden. Dieser müsste aussagen, dass der Bund für die hauptstadtbezogene Infrastruktur ebenso aufkommt wie für die Repräsentation des Gesamtstaates in Berlin. Das hat sofort die anderen Bundesländer auf den Plan gerufen, die sich um zusätzliche finanzielle Leistungen für Berlin sorgen. Die Hauptstadtfrage steht jedoch nicht nur auf der Tagesordnung der Föderalismus-Kommission, sondern auch im Mittelpunkt der vom Berliner Abgeordnetenhaus eingesetzten Enquete-Kommission "Eine Zukunft für Berlin". Und drittens liegt seit Herbst 2003 beim Bundesverfassungsgericht eine Klage Berlins gegen den Bund, der dazu verurteilt werden soll, Berlin mindestens 35 Milliarden Euro zur Schuldentilgung zu bezahlen.

Inzwischen hat der rot-rote Senat von Berlin festgestellt, dass es ihm bei seinen Initiativen weder darum gehe, aus Berlin einen regierungsunterstellten Distrikt analog der amerikanischen Bundeshauptstadt Washington zu machen, noch die Grundlagen des Bonn-Berlin-Gesetzes in Frage zu stellen, das den Ausgleich und die Aufgabenverteilung zwischen alter und neuer Hauptstadt regelt.

Berlin, so der Senat, will Bundesland bleiben (bei der zum Ende dieses Jahrzehnts angestrebten Fusion des Landes Berlin mit dem Land Brandenburg soll Berlin eine Kommune im neuen Bundesland Berlin-Brandenburg sein). Allerdings sollen sich der Bund und die übrigens 15 Bundesländer eindeutig zur deutschen Hauptstadt bekennen. Das hätte selbstverständlich auch finanzielle Konsequenzen.

Damit aber stößt Berlin auf taube Ohren. Bei Finanzminister Eichel ohnehin, aber auch bei den Ländern, die fürchten, Berlin könne auch für sie zu einem finanziellen Fass ohne Boden werden. So hat denn auch schon der Hamburger Senat erklärt, die Berliner Probleme könnten nur dort gelöst werden, wo sie auch entstanden seien.

Ähnlich sehen das die anderen Bundesländer, zumal Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin erklärt hat, die Bundeshauptstadt habe kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Gleichwohl hat der Senat bereits Ende 2002 offiziell festgestellt, dass sich Berlin in einer "extremen Haushaltsnotlage" befinde; ein knappes Jahr später reichte er in Karlsruhe die Klage ein. Was einst dem Saarland und Bremen gewährt wurde, fordert man nun auch für sich selbst, nämlich Milliarden-Hilfe zur Sanierung des Schuldenhaushaltes (inzwischen rund 61 Milliarden Euro).

Gegenüber dem Bundesverfassungsgericht haben die norddeutschen Bundesländer Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern darauf hingewiesen, dass in Berlin allein die bereits 1994 vorgenommene Gleichstellung der Tarif- und Besoldungsregeln in der einst geteilten Stadt zu erheblichen finanziellen Aufwendungen geführt hätten. Auch sind diese Länder überzeugt, Berlin solle mehr als bislang privatisieren. Umgekehrt weist Berlin darauf hin, dass es alles tut, um die Ausgaben zu senken - allein die Löhne und Gehälter für den Öffentlichen Dienst sind um durchschnittlich zehn Prozent abgesenkt worden. In der Tat hat Berlin, finanziell gesehen, kaum noch Luft zum Atmen.

Das Bundesfinanzministerium hat inzwischen vorgerechnet, dass Berlin seit dem Fall der Mauer Ende 1989 bis einschließlich 2002 Finanzhilfen und Steuervergünstigungen von über 140 Milliarden Euro erhalten hat. Das sind pro Jahr rund 14 Milliarden direkter und indirekter Zuwendungen bei einem Gesamthaushalt von etwa über 20 Milliarden Euro. Zu berücksichtigen ist, dass die Steuereinnahmen Berlins von über sieben Milliarden Euro weitgehend für Löhne und Gehälter sowie Pensionen des Öffentlichen Dienstes aufgefressen werden.

Was die anderen Bundesländer ebenfalls verärgert: Berlin versucht, mit günstigen Angeboten Unternehmen und Verbände an die Spree zu locken. Etwa im Bereich Medien, Mode, Werbung, was jene Länder in Rage bringt, die diese Unternehmen ziehen lassen müssen. Neue Arbeitsplätze werden dadurch nicht geschaffen, sondern nur verlagert. Damit hat allerdings auch Berlin zu kämpfen, wenn Unternehmen aus Berlin nach Brandenburg ziehen. Besonders deutlich hat im vergangenen Jahr der Kölner Oberbürgermeister Schramma seinem Ärger Luft gemacht, als bekannt wurde, dass die populäre und umsatzstarke "Popcom" vom Rhein an die Spree ziehen wird.

Zu den vielfältigen direkten Bundesgeldern für Berlin gehören seit 1995 die Bundesergänzungszuweisungen: 16 Milliarden Euro bis 2002. Von erheblicher Bedeutung sind auch die 4,5 Milliarden für den Aufbau-Ost. Weitere Beispiele aus der Vielzahl bundesstaatlicher Förderung für den Zeitraum 1989 bis 2002: 300 Millionen Euro für die Hauptstadtkultur, 200 Millionen für die Sicherheit im Parlaments- und Regierungsviertel, 2,5 Milliarden für hauptstädtisch bedingte Bau- und Entwicklungsmaßnahmen, 2,1 Milliarden für Verkehrsmaßnahmen, 5,7 Milliarden für Schulen und Hochschulen.

Der Senat wehrt sich. Die Polizeikosten, die durch den Bund entstehen, belaufen sich auf 110 Millionen Euro pro Jahr. Der Bund übernimmt nur 35 Prozent. Andererseits aber muss Berlin einräumen, dass sich der Bund verpflichtet hat, für die milliardenteure Sanierung der Museumsinsel aufzukommen. Was Berlin besonders ärgert: Die Länder weigern sich zu sagen, was ihnen Berlin als Hauptstadt wert ist. Umgekehrt fürchten die Länder eine zu starke Zentralisierung und sind bemüht, ihre eigenen Hauptstädte weiter auszubauen - um im vereinten Europa konkurrenzfähig zu bleiben. Schließlich legen sie Wert darauf, dass auch in ihren Hauptstädten Oper und Theater, Orchester und Museen von nationalem Ruf eine Zukunft haben.

Die Auseinandersetzungen um den Stellenwert der Bundeshauptstadt und die Finanzierung des total überschuldeten Berlin wird also weitergehen. Mit einer Aufnahme Berlins in das Grundgesetz wird es nichts. Viele Länder haben bereits abgewunken. Dafür wird es weder im Bundestag noch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit geben. Wowereit verfolgt in Wahrheit auch ein ganz anderes Ziel: Je mehr über die Hauptstadt diskutiert wird, desto geneigter könnte Karlsruhe werden, den Bund zu zwingen, Berlin bei der Entschuldung unter die Arme zu greifen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.