Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 15-16 / 05.04.2004
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Karl-Otto Sattler

Gute Miene zum bösen Spiel

Streit um Emissionshandel ist noch nicht endgültig entschieden
Ein Kompromiss in letzter Minute, über den gleichwohl nicht endgültig entschieden ist: Nach wochenlangem Streit über den Emissionshandel samt finalem Polit-Krimi, bei dem SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement gegen den grünen Umweltressortchef Jürgen Trittin die Genehmigung eines deutlich höheren Kohlendioxidausstoßes als geplant durchsetzte, konnte das Kabinett kurz vor Toresschluss den "Nationalen Allokationsplan" mit den Zielmengen für die Schadstoffabgaben nach Brüssel melden.

Sicher ist aber nur, dass Industrie und Kraftwerke bis 2007 ihren Kohlendioxidausstoß um zwei Millionen Tonnen reduzieren müssen: Die erneute Verminderung der Umweltbelastung durch den Klimakiller bis 2012 um weitere acht Millionen Tonnen ist lediglich als unverbindliche Vorgabe formuliert. Öko-Politiker bei SPD und Grünen wollen nun im Gesetzgebungsverfahren noch nachbessern.

High-Noon zur Geisterstunde: Der nächtliche Poker zwischen Clement, Trittin, Regierungschef Gerhard Schröder, Außenminister Joschka Fischer und Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier dürfte als einer der Marksteine der rotgrünen Koalition in die Geschichte eingehen. Die Runde musste sogar unterbrochen werden: Erst nach telefonischen Beratungen Fischers und Trittins mit ihrem Parteivorsitzenden Reinhard Bütikofer konnte vermieden werden, dass die sich abzeichnende Niederlage der Grünen in eine Krise des Bündnisses mündete. Bütikofer meint nach dem Schlagabtausch, das Klima in der Koalition sei "rauer" geworden.

Im Januar 2005 beginnt EU-weit der Emissionshandel, bei dem umweltschonend arbeitende Firmen Zertifikate für "überflüssige" Kohlendioxidtonnen gewinnbringend an Unternehmen mit einem über dem zugeteilten Limit liegenden Ausstoß des Gases zu deren Lasten verkaufen können: Auf diese Weise soll marktwirtschaftlich und kostengünstig die klimaschädliche Schadstoffabgabe insgesamt sinken. In den Emissionshandel einbezogen sind hierzulande rund 2500 Kraftwerke und Betriebe.

Trittin wollte über die Lizenzvergabe für den Start 2005 durchsetzen, dass Energieproduzenten und Industriefirmen ihren Kohlendioxidausstoß von jetzt 505 Millionen Tonnen jährlich bis 2007 auf 488 Millionen Tonnen und bis 2012 auf 480 Millionen Tonnen vermindern. Mit dem Argument, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichern zu müssen, wehrte sich Clement erbittert gegen diese Absicht. Und er darf als Gewinner des Machtkampfs gelten: Nun ist die Industrie bis 2007 nur auf eine Reduzierung der Schadstoffabgabe um zwei Millionen Tonnen verpflichtet - und über die für 2012 avisierte Absenkung auf dann 495 Millionen Tonnen soll in zwei Jahren noch einmal gesprochen werden.

Clement hatte die stärkeren Bataillone auf seiner Seite: die Wirtschaft, ausnahmsweise einmal die Gewerkschaften, demonstrierende Arbeiter aus betroffenen Unternehmen und die Wirtschaftsminister der Länder. Clement verkniff sich Siegesfanfaren und sprach zurückhaltend von einem "sehr guten Ergebnis". Trittin versuchte eine halbwegs gute Miene zum unerfreulichen Spiel zu machen und konstatierte einen "schwierigen, aber tragfähigen Kompromiss". Der Umweltminister stellt es als Erfolg heraus, dass über die im Detail komplizierte Zertifikatszuteilung auf einzelne Kraftwerke und Firmen ein frühzeitiger Ersatz besonders schmutziger Altanlagen durch den Neubau sauberer Betriebe möglich werde.

Klarer als diese diplomatischen Bewertungen offenbart die Begleitmusik, wer in diesem Konflikt Koch und wer Kellner ist. Die Wirtschaft ist voll des Lobes. BDI-Präsident Michael Rogowski: "Wir können alle Herrn Clement sehr dankbar sein." Beim Stromerzeuger RWE ist von "großer Erleichterung" die Rede. Katastrophenstimmung ist dagegen bei Öko-Verbänden anzutreffen. Regine Günther, Klimareferentin beim WWF Deutschenland: "Rot-Grün hat den Emissionshandel de facto kastriert." Der Naturschutzbund empört sich über den "Kniefall vor den Interessen der Industrie". "Kohle-Clement" habe gesiegt, klagt Greenpeace. Das Öko-Institut fragt, wie die Regierung die Ziele von Kyoto erreichen wolle, wenn die Industrie ihre Abgasmengen nicht in ausreichendem Maße vermindert.

Mit dieser Kritik werfen die Freiburger Wissenschaftler ein Schlaglicht auf die ungelösten Probleme. Nach dem Kyoto-Abkommen und nach den EU-Vereinbarungen soll Deutschland bis 2012 den Ausstoß von Kohlendioxid im Vergleich zu 1990 um 21 Prozent senken. Eine Verminderung um 18 Prozent ist bereits verwirklicht, vor allem als Folge der Stillegung umweltbelastender Firmen in der Ex-DDR. Zur Gewährleistung des 21-Prozent-Minus müssen von insgesamt noch ausgepusteten 863 Millionen Tonnen Kohlendioxid bis 2012 weitere 17 Millionen "eingespart" werden. Dies sollten nach dem Willen Trittins Kraftwerke und Industrie tun. Da diesem Sektor nun aber nur eine Bringschuld von zehn Millionen Tonnen auferlegt wird, müssen Autofahrer, Hausbesitzer und Kleingewerbe für die verbleibende Reduzierung um sieben Millionen Tonnen sorgen.

Solche Pläne existieren aber im Ressort von Verkehrs- und Bauminister Manfred Stolpe bisher nicht. In Frage kämen etwa Steueraufschläge aufs Benzin, Tempolimits oder teure Programme zur Wärmedämmung in Gebäuden. Nicht unbedingt zur Klarheit trägt Jürgen Trittin mit einer nebulösen Interpretation bei: Bei Autos und in Privathaushalten werde sich der Ausstoß von Kohlendioxid künftig ohnehin weiterhin vermindern, etwa als Folge der Öko-Steuer. Wird der ominöse Restposten von sieben Millionen Tonnen also irgendwie von selbst verschwinden?

Noch nicht aufgeben wollen die Umweltpolitiker in den Koalitionsfraktionen, sie möchten die Industrie auf eine stärkere Kohlendioxid-Reduzierung verpflichten. Der Grüne Winfried Hermann: "Wir sind mit dem Ergebnis absolut unzufrieden." Auch SPD-Abgeordnete wie Michael Müller und Axel Berg wollen im Bundestag noch nachbessern.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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