Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 18 / 26.04.2004
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Bruno Schoch

Hoffen auf die politische Vernunft beider Seiten, damit die unselige Politisierung der brutal geteilten Insel endlich ein glückliches Ende hat

Die Völker Zyperns haben die Entscheidung in der Hand

Ende März verhandelte der UN-Generalsekretär hoch über dem Vierwaldstättersee mit den Repräsentanten der griechischen und türkischen Zyprioten und den Ministerpräsidenten der Türkei und Griechenlands. Noch vor dem EU-Beitritt sollte für die seit 30 Jahren geteilte Insel eine Regelung gefunden werden. Die imposante und legendenreiche Landschaft hatte einst schon Friedrich Schiller inspiriert. Kofi Annan eiferte ihm nach, als er optimistisch verlautbarte, "dass sich die in Jahrzehnten festgefahrenen Positionen aufzuweichen beginnen. Als der Schneefall nachließ und der Nebel sich lichtete, erschien die Sonne auf dem Bürgenstock und brach das Eis."

Ob der politische Frühling wirklich kommt, ist jedoch fraglich. Falls nicht, ist das Kofi Annan am wenigsten anzulasten. Er hatte 1999 die Initiative ergriffen, um zwischen der Republik Zypern und der - international nicht anerkannten - Turkish Republic of Northern Cyprus (TRNC) wieder Gespräche in Gang zu bringen. Sein umfassender Lösungsvorschlag wurde bekannt als Annan-Plan. Der Generalsekretär wollte das window of opportunity nutzen, das der 1999 in Helsinki erfolgte EU-Beschluss aufgestoßen hatte, mit Zypern Beitrittsverhandlungen zu beginnen.

Der Annan-Plan sieht vor, Zypern unter Beibehaltung seiner Souveränität in eine Konföderation zweier weitgehend selbstständiger Teilstaaten umzuwandeln. Diese regieren sich nach dem Vorbild der Schweizer Kantone selbst und üben alle legislativen und exekutiven Kompetenzen aus, die nicht ausdrücklich dem common state vorbehalten sind - Außen- und Verteidigungspolitik, Wirtschafts- und Währungspolitik sowie Staatsbürgerschaft. Aus Rücksicht auf die Angst, dass sich die ethnischen Mehrheitsverhältnisse verändern könnten, wird die Niederlassungsfreiheit zeitweilig eingeschränkt, ebenso die Eigentumsfreiheit. Vertriebene außerhalb der territorialen Verschiebung sollen überwiegend entschädigt werden. Das ist fraglos ein Verstoß gegen das Prinzip der Freizügigkeit in der EU, weshalb sie diesen zeitlich befristeten Einschränkungen des acquis communitaire zustimmen soll. Großbritannien, Griechenland und die Türkei sollen die drei Schutzmächte Zyperns bleiben. Schließlich ist die weitgehende Demilitarisierung der hochgerüsteten Insel vorgesehen.

Im März 2003 musste Kofi Annan enttäuscht einräumen, dass sein Plan vorerst gescheitert war. Er machte dafür den halsstarrigen Rauf Denktasch, greiser Präsident der TRNC, verantwortlich, kreidete aber auch den Politikern der anderen Seite an, sich nur halbherzig für eine Einigung engagiert zu haben. Kofi Annan beendete seine Mission.

Damit schien der Fall vorerst besiegelt. Zypern tritt am 1. Mai der EU bei. Seit 1974, als die Garantiemacht Türkei nach griechisch-nationalistischen Progromen den Norden besetzte, ist die Insel durch eine martialische Grenze geteilt. Ohne eine Einigung im allerletzten Moment tritt völkerrechtlich zwar die ganze Insel bei, de facto jedoch nur der griechische Süden. Der Norden bliebe eine international inexistente Entität. Das ergäbe eine bizarre Konstellation: Ein Drittel des Territoriums eines EU-Mitglieds widerrechtlich besetzt, noch dazu von einem Nachbarstaat, der selbst in die EU drängt. Erfüllt die Türkei die Beitrittskriterien, legt der Europäische Rat im Dezember 2004 den Beginn von Verhandlungen fest. Über den Beitritt wird Zypern mit entscheiden, daran könnten die türkischen Europa-Ambitionen scheitern.

Diese missliche Aussicht veranlasste Ankara und Athen, Kofi Annan händeringend um abermalige Vermittlung zu bitten. Zumal sich seit April 2003 überraschend eine neue Dynamik ergab. Anders als früher erhob sich gegen die intransigente Obstruktion Denktaschs in der TRNC massiver politischer Druck. Beeindruckende Protestdemonstrationen mobilisierten für einen EU-Beitritt auch den Norden für den Annan-Plan. Darauf ließ Denktasch unversehens die Demarkationslinie öffnen. Seitdem können die Zyprioten an drei Übergängen die zuvor hermetisch verriegelte Grenze passieren. Wie immer dieser Schachzug motiviert war, er brachte die festgefahrene Teilung in Bewegung. Seither überqueren täglich Hunderte die green line, mehr als 1,75 Millionen Besucher in beide Richtungen wurden bisher gezählt. Und es ist bisher zu keinen Zusammenstößen gekommen, wohl aber zu unzähligen Begegnungen. Das hat den von Nationalisten beider Seiten gehätschelten Mythos, beide Volksgruppen könnten nie wieder koexistieren, praktisch widerlegt.

In der Türkei haben die Wahlen vom November 2002 die parteipolitische Landkarte umgewälzt. Die AKP errang eine Zweidrittelmehrheit und hat seither ein beachtliches Reformtempo vorgelegt. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Außenminister Abdullah Gül tun alles, um die Kopenhagener Beitrittskriterien der EU zu erfüllen. Das schließt auch eine neue Kompromissbereitschaft in der Zypernfrage ein. Wie es scheint, haben die Proeuropäer in der Türkei gegenüber den kemalistischen Traditionalisten in Armee- und Staatsführung kräftig an Boden gewonnen. Ankara übt auf den zypriotischen Norden Druck aus, die Teilung zu überwinden. Hinzu kommt, dass im Dezember 2003 Wahlen auch die TRNC verändert haben. Die Oppositionsparteien, die Denktasch als Verhandlungsführer ablösen wollten, konnten kräftig zulegen und erreichten 48 Prozent, während die Konservativen drastische Verluste hinnehmen mussten und mit gut 45 Prozent abschnitten. Das ergab für beide Lager je 25 Parlamentssitze. So enttäuschend dieses Patt für die Wahlsieger war, so sehr drückt es wohl die widersprüchlichen Interessen aus: Dem Wunsch, die Teilung zu überwinden zugunsten einer europäischen Perspektive, die Armut, Stagnation und internationale Isolation beendet, steht das nach wie vor ausgeprägte Sicherheitsinteresse entgegen. Vor dem Hintergrund traumatischer Erfahrungen möchte man vor Majorisierung geschützt sein.

Durch sein Scheitern im März 2003 gewitzigt, stellte Kofi Annan Bedingungen für seine neuerlichen Vermittlungen: Zeitlimit bis Ende März, bei ausbleibender Einigung. Hinzuziehung Athens und Ankaras, schließlich das Recht, die letzte Fassung seines Plans beiden Völkern Zyperns zum Referendum vorzulegen. Dazu kam es jetzt am 24. April. Wie es scheint, könnten sich nun die Rollen vertauschen. Scheiterten bisher alle Vereinigungspläne an der TRNC, so scheint nun, nachdem die türkische Seite dem Plan zustimmt, Papadopoulos zum internationalen Spielverderber zu werden. An seinen Einsprüchen misslang die Einigung auf dem Bürgenstock. Im türkischen Norden rechnet man mit der Chance einer knappen Mehrheit. Ein EU-Beitritt verheißt dort, wo das Pro-Kopf-Einkommen bei weniger als 30 Prozent des Südens liegt, enorme wirtschaftliche Vorteile. Das könnte wichtiger sein als hergebrachte Sicherheitsbedürfnisse. Im griechischen Süden dagegen scheint die Ablehnung zu überwiegen. Des EU-Beitritts ist man sich ohnehin gewiss, warum also sollte man Macht abgeben? Doch steht dem das Interesse gegenüber, Teilung und türkische Besetzung zu beenden - das gibt es nur um den Preis, die türkischen Zyprioten als gleichberechtigt anzuerkennen.

Am 1. Mai tritt Zypern der EU bei. Bekommt der Annan-Plan nicht die Zustimmung beider Seiten, wird das EU-Recht im Norden nicht angewandt. Die TRNC wäre weiterhin eine nicht anerkannte Entität, ihre Einwohner blieben staatenlos. Vermutlich dürfte die EU dann darauf pochen, dass Nikosia das Embargo aufhebt und - analog etwa zur Bonner Ostpolitik Willy Brandts - den Norden de facto anerkennt, um seinen Bewohnern das Leben zu erleichtern. Weder die EU, noch die griechischen Zyprioten sind also das Problem los, wenn diese Annans Konföderationsplan ablehnen. Bleibt zu hoffen, dass diesmal auf beiden Seiten der brutal geteilten Insel die politische Vernunft triumphiert über die unselige Politisierung nationaler Ressentiments und Abgrenzungsbedürfnisse - also über jene Tradition, die Pogrome, Massaker, Vertreibungen, Besatzung und die Teilung der Insel einst verursacht haben. Bruno Schoch

Dr. Bruno Schoch ist Projektleiter der Fachgruppe "Demokratisierung und der innergesellschaftliche Frieden" der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung.


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