Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 31-32 / 26.07.2004
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Alexander Weinlein

Das Geschenk des Jupiters

Grenzenloses Römisches Reich

19. August 14 n. Chr.: In Nola bei Neapel stirbt der todkranke Kaiser Augustus. Er hinterlässt ein Reich, das den gesamten Mittelmeerraum und große Teile der dahinter liegenden Landmassen umfasst. Das Imperium Romanum hat seine bis dahin größte Ausdehnung erreicht. Von der Atlantikküste im Westen bis zum Rhein und der Donau im Osten herrscht Rom unangefochten über Europa. Die Küstenländer Nordafrikas bis zum Rand des Atlasgebirges und der Sahara im Süden hält der römische Adler ebenso in seinen Krallen wie die Territorien des Nahen Ostens bis zum Euphrat, der Syrischen und Arabischen Wüste.

"Der Ozean und weit entfernte Flüsse", schreibt der römische Historiker Tacitus in seinen "Annalen", bilden beim Tod des Augustus die Reichsgrenzen. Und so soll es es bleiben - zumindest wenn es nach dem Willen des verstorbenen Kaisers geht. Testamentarisch erteilt er seinen Nachfolgern den Rat, das Reich in den bestehenden Grenzen zu belassen. Bemerkenswert, denn eigentlich ist den Römern der Aspekt von Grenzen im Sinne einer territorialen und politischen Selbstbegrenzung fremd. "Ein Reich ohne Grenzen in Zeit und Raum" habe er den Römern gegeben, lässt der Dichter Vergil den Jupiter in seinem Nationalepos, der "Aeneis", sagen - ein wahrhaft göttliches Geschenk. Und Kaiser August spricht in seinem "Tatenbericht" ganz selbstverständlich davon, er habe "dem römischen Volk den gesamten Erdkreis unterworfen".

Anspruch auf die Weltherrschaft

Der Anspruch auf Weltherrschaft wird bis zum Untergang des Reiches aufrechterhalten. Was sich auf den ersten Blick als pure Ideologie oder gar Caesarenwahnsinn darstellt, war in antiken Kulturen Normalität. Schon die Ägypter, Babylonier, Assyrer und Perser formulieren ihren Anspruch auf Weltherrschaft. Gemeint sind damit aber jeweils "nur" jene Regionen, die relevant waren: "Ihre" Welt ist deckungsgleich mit "der" Welt. Geografische Aspekte spielen eine untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme macht hier allenfalls das Reich Alexanders des Großen. Seine Feldzüge bis nach Indien, Südrussland oder zum Persischen Golf stehen immer auch unter der Frage: Wo sind die geografischen Enden der Welt zu finden?

In Rom hingegen glaubt man, diese Grenzen bereits erreicht zu haben. Bis an den "alles umspülenden Ozean" sind sie im Westen bereits gekommen, südlich der Sahara wähnen sie ebenfalls nur Wasser. "Die Welt": Das ist für Römer in erster Linie der Mittelmeerraum - und den beherrschen sie unangefochten. "Mare nostrum" (unser Meer) nennen sie es. Schwieriger gestaltet sich die Lage im Norden und Osten des Reiches. Die gewaltigen Landmassen an Euphrat und Tigris und jenseits davon sind mit den Eroberungen Alexanders des Großen in das Bewusstsein der Mittelmeervölker gerückt. Doch dort widersetzt sich das Reich der Parther allen Expansionsgelüsten. Augustus schließt 20 v. Chr. einen Friedensvertrag mit den unbeugsamen Parthern - der Euphrat wird Reichsgrenze.

Ähnlich gestaltet sich die Situation in Europa. Hatte Augustus ursprünglich den Plan verfolgt, Germanien bis zur Elbe zu unterwerfen, so lässt er diese Ambitionen nach der "Schlacht im Teutoburger Wald" (9 n. Chr.) und dem Verlust von drei Legionen - 28 standen dem Reich zur Verfügung - fallen; der Rhein bleibt Reichsgrenze. Pragmatismus pur: Die Grenzen des Machbaren definieren die territorialen Grenzen.

Die Wacht an Rhein und Donau

Zum ersten Mal nach Jahrhunderten einer ungebremsten Expansion verfestigen sich die Grenzen des Reiches. Die Legionen und ihre Hilfstruppen werden dauerhaft in den äußeren Provinzen stationiert. Nach und nach entstehen gut ausgebaute Legionslager und Kastelle, erst aus Holz, dann aus Stein - man richtete sich auf Dauer ein. Das Bild dieser wie an einer Perlenkette entlang von Rhein und Donau gelegenen Garnisonen - später auch an den Grenzanlagen in Germanien (Limes) und Britannien (Hadrianswall) -, hat die Vorstellung einer linearen Verteidigung entstehen lassen. Natürlich waren Roms Legionäre mit der Sicherung der Grenzen betraut, ebenso wie mit der Aufrechterhaltung römischer Ordnung in den Provinzen. Doch das Bild einer waffenstarrenden "Festung Europa" ist übertrieben. Selbst der germanische Limes zwischen Rhein und Donau war nur bedingt eine Verteidigungslinie. Zwischen dem heutigen Miltenberg und Lorch verläuft er über 80 Kilometer kerzengerade unter

Ignorierung aller militärischen Geländevor- oder -nachteile. Eine solche militärische Inkompetenz darf man den römischen Militärs nicht unterstellen.

Selbst die Flüsse Rhein und Donau spielen nicht die Rolle überdimensionierter Wassergräben, die sich besonders einfach verteidigen lassen. Die Flüsse selbst bilden auch gar nicht die Grenze: Sie sind Bestandteil des Reiches, und die Legionen werden in ihrer unmittelbaren Nähe stationiert, da sie so einfacher auf dem Wasserweg mit Nachschub versorgt werden können. Deshalb finden sich auf der jeweils anderen Uferseite Befestigungen, die diese Versorgungswege schützen. Die konkrete Grenzlinie bleibt unsichtbar; solche zogen die Römer meist nur innerhalb der Reiches zwischen den Verwaltungsprovinzen.

Die Aufgabe der Grenzanlagen war bis zum Beginn des Völkersturms auf Rom eher eine pragmatische und sehr "moderne": Als der Philosoph Appollonius die Ostgrenze des Imperiums überschreitet, wird er befragt, ob er Waren ins Reich einführe. Appollonius antwortet: "Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit und Ausdauer" - im Lateinischen alles weibliche Nomina. Die Grenzer glauben, es handele sich um fünf Sklavinnen und verlangen prompt Zoll. Strikte Kontrolle des Warenverkehrs: Marktprotektionismus ist keine Erfindung der Neuzeit. Alexander Weinlein

Der Autor ist Redakteur bei "Das Parlament".


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