Bei meinem ersten Besuch in Angkor Wat vor zwölf Jahren erholte sich Kambodscha gerade von den Bürgerkriegswirren und war von demokratischen Zuständen noch weit entfernt. In der weltberühmten Tempelanlage im Nordwesten des Landes begegneten einem auf Schritt und Tritt Kinder zwischen neun und zwölf Jahren, die unaufdringlich und höflich ihre Dienste als Führer durch das von den Roten Khmer stark zerstörte Tempel-Labyrinth anboten. Später bekamen sie einen Dollar und bedankten sich mit leuchtenden Augen. Jahre danach war das die Ausnahme: Die Kinder lungerten nur noch in den restaurierten Säulengängen und bettelten die Touristen an: "One dollar, Sir."
Ein Beispiel aus dem Alltag eines der ärmsten Länder der Welt, das heute vom Tourismus profitiert, aber zugleich zeigt, dass die kurzzeitigen Besuche der Fremden aus aller Welt das Verhalten und die Gewohnheiten gravierend verändern. Sind es in Angkor Wat die Kinder, die zu Bettlern werden, so haben Kleinbauern am Rande des nahe gelegenen Ortes Siam Reap ihre Anwesen verkauft. Heute stehen dort moderne Touristenhotels. Bleiben die Touristen, aus welchen Gründen auch immer, eines Tages aus, dann haben die Bauern kein Land mehr, das sie vererben können, so wie sie das Land selbst von ihren Vätern ererbt haben.
Dennoch lässt sich auch hier in Südostasien das Rad nicht mehr zurückdrehen. Eines dieser Hotels in der Nähe von Angkor Wat wurde vor wenigen Jahren mit Hilfe der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft errichtet und gilt als Paradebeispiel für ökologisch verantwortlichen Tourismus. Eine eigene Kläranlage gehört zu dem Hotelkomplex, für den bevorzugt lokale Baumaterialien und kambodschanisches Kunsthandwerk verwendet sowie auf traditionelle Baustile zurückgegriffen wurde. Etwa 100 Mitarbeiter aus der Bevölkerung Siem Reaps fanden in dem Hotel eine Beschäftigung. Touristen werden hier bereits auf die kulturelle Einzigartigkeit der benachbarten Tempelanlage eingestimmt - was in den monotonen Bettenburgen aus Beton nicht so ohne weiteres gelingen will.
Nachhaltigkeit
Viele Reiseziele liegen in den Partnerländern deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Verbunden ist damit die Hoffnung, die Armut zu lindern, Arbeit zu finden und die Infrastruktur zu verbessern. Tourismus in der Dritten Welt ist heute nicht mehr denkbar, ohne das "Kapital" dieser Ländern, nämlich großartige Landschaften, attraktive Strände und die Kulturen in ihrer jeweiligen Besonderheit zu bewahren und äußerst behutsam auszubauen. Nachhaltige Entwicklung hat das Ziel, dieses Kapital zu erhalten und nicht einem kurzfristigen Vorteil zu opfern.
Ein weiteres Beispiel liegt in Uganda, wo das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die nationale Naturschutzbehörde beim Aufbau des Murchinson-Falls-Nationalpark unterstützte. Dieser Park mit den weltberühmten Wasserfällen war bis zum Bürgerkrieg in den 70er- und 80er-Jahren eine Touristenattraktion ersten Ranges. Die Einkünfte hatten einen entscheidenden Anteil an den nationalen Deviseneinnahmen. Während des Bürgerkrieges wurde jedoch nicht nur die Infrastruktur weitgehend zerstört, sondern es wurde auch der Bestand an Wildtieren wie Elefanten und Nashörnern stark dezimiert.
Hilfe zur Selbsthilfe
Mit deutscher Hilfe wurde der Park wieder zu einem funktionsfähigen Schutzgebiet aufgebaut, und die Förderung des Tourismus stand dabei an erster Stelle. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul beschreibt die Aufgabenstellung: "Es geht darum, im Wege der Hilfe zur Selbsthilfe aufzuzeigen, wie die schützenswerte Natur sich für die Menschen in der Region rentieren kann, ohne verbraucht zu werden. Nur wer von seinen kulturellen und natürlichen Ressourcen profitiert, schützt sie gern. Voraussetzung für den Erfolg unserer Bemühungen ist allerdings das Verantwortungsbewusstsein der Tourismuswirtschaft."
Der Anteil der Entwicklungsländer an den Gesamteinnahmen des weltweiten Tourismus lag in den 90er- Jahren bei rund einem Viertel und belief sich auf insgesamt 61 Milliarden US-Dollar. Die in Entwicklungsländern registrierten Touristenankünfte stiegen zwischen 1990 und 1998 um 46 Prozent: von 130 Millionen auf 190 Millionen. In jedem dritten Entwicklungsland ist der Tourismus die Haupteinnahmequelle für Devisen. Es ist zu erwarten, dass die Zahl deutscher Urlauber, die in die so genannte Dritte Welt reisen, auch in den kommenden Jahren weiter zunimmt.
Allerdings ist diese Entwicklung starken Schwankungen unterworfen, die verschiedene Ursachen haben können. Politische Repression oder religiöser Fundamentalismus können aus Urlaubsparadiesen innerhalb kürzester Zeit brandgefährliche Krisenherde machen. Niemand kann sagen, welche Auswirkungen die vor allem in Afrika und Asien erschreckend schnell um sich greifende Seuche AIDS auf den Tourismus haben wird. Wer weiß zudem - um ein Beispiel von vielen zu nehmen - was in einigen Jahren aus dem überaus prosperierende Golfstaat Dubai mit seinen Sieben-Sterne-Hotels wird? Die inneren Strukturen dieser Länder, zu denen auch und vor allem Saudi-Arabien zählt, sind viel zerbrechlicher, als dies aus europäischer Sicht erscheinen mag.
Eine vom Studienkreis vom Tourismus und Entwicklung durchgeführte Befragung bei deutschen Reiseveranstaltern hat ergeben, dass diese im Vergleich zu früher im Blick auf die Probleme des Dritte-Welt-Tourismus stärker sensibilisiert sind. Neben positiven Auswirkungen im wirtschaftlichen Bereich (Devisen, neue Arbeitsplätze, Ausbau von Infrastruktur) werden heute die negativen Folgen sehr genau wahrgenommen.
Deutlich im Vordergrund stehen dabei die soziokulturellen Beeinträchtigungen der "gastgebenden" Bevölkerung (Sextourismus und Kinderprostitution, kulturelle Verfremdung, Identitätsverlust und Verwestlichung), gefolgt von negativen Auswirkungen des Tourismus auf die natürliche Umwelt der angeflogenen Gebiete. Bei den Reisenden meinen rund 40 Prozent, dass es für sie bei der Wahl des Reiseveranstalters eine große Rolle spielt, ob dieser sich intensiv um den Schutz von Natur und Umwelt in den Urlaubsregionen kümmert. Robert Luchs Der Autor ist freier Journalist in Mainz.