Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 13.09.2004
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Igal Avidan

Leben mit einem Dauerkonflikt?

Zwei selbstkritische Bücher über Israelis und Palästinenser

Der israelische Historiker und Philosoph Moshe Zuckermann macht sich ernste Sorgen um die Zukunft seines Landes. Es ist ein ungewöhnliches Buch, denn es entstand zwischen drei verschiedenen Ereignissen - kurz vor den letzten Parlamentswahlen und dem Irak-Krieg, kurz nach der Wiederwahl Sharons als Regierungschef im Februar 2003 und schließlich gleich nach der ersten, misslungenen Tötung des inzwischen ermordeten Hamas-Chefs Sheich Ahmad Jassin.

Zuckermann, Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv, geht auf die Veränderungen in der politischen Landschaft Israels ein, stellt zugleich die grundsätzlichen Hindernisse einer friedlichen Beilegung des Konfliktes mit den Palästinensern dar und weist auf die unterschwelligen Auseinandersetzungen innerhalb der israelischen Gesellschaft hin, die zur Zeit nur angesichts des Bedrohung der Israelis in den Hintergrund treten.

Warum unterstützen die meisten Israelis Sharons repressive Politik gegenüber den Palästinensern, wenn ihnen doch klar sein muss, dass der Terror nicht mit militärischen Mitteln auszumerzen ist? Zum einen, sagt Zuckermann, weil die Arbeitspartei "ein halbtoter Politikadaver" ist, ferner weil die Israelis durch den gewalttätigen Alltag unter einem "deformierten Bewusstsein" leiden und ohnehin eine "militärische Mentalität" haben.

Wichtiger ist für Zuckermann, dass die meisten Israelis einen Bruderkrieg mit den gewaltbereiten Siedlern befürchten, weil sie damit den Fall des alten Königreichs Israel verbinden. Dass eine klare Mehrheit der Israelis einen Rückzug aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen befürwortet, ist eine optische Täuschung, "weil diese Deklarationen nie auf die Bewährungsprobe gestellt wurden". Außerdem hegen viele Israelis Sympathie mit den Siedlern, die sie als "echte Nachfolger des Siedlungszionismus" betrachten.

Der Autor scheint einen Bürgerkrieg in Israel einer Fortsetzung der Besatzung vorzuziehen. Vielleicht glaubt er, dass die Siedler letztendlich vor Gewalt gegen Juden zurückschrecken würden, vielleicht, dass das Blutvergießen nur kurz sein wird. Jedenfalls glaubt er nicht, dass die Sharon-Regierung Siedlungen evakuiert. Sharons "erstaunliche" Wende, in mdem er von "Besatzung", "schmerzhaften Kompromissen" und einem Palästinenserstaat spricht, sind, da ist sich Zuckermann sicher, nur leere Worte.

Für den Fall, dass Sharon wirklich Siedlungen räumen lässt, hält der Verfasser entgegen, dass die Palästinenser mit der Hälfte der Westbank nicht zufrieden sein können, die ihnen Sharon anbietet. Ein Palästinenserstaat ist deswegen "ein totgeborenes Kind". Daher blieben den Israelis nur zwei Alternativen, die gleichermaßen eine Auflösung des zionistischen Projektes darstellten. Entweder sie gründen in Groß-Israel ein Apartheidsystem oder einen binationalen Staat. Dass die Juden keine Minderheit im eigenen Lande sein wollen, steht außer Frage. Wohin Israel? "In den Dauerkonflikt", meint Zuckermann.

Indirekte Schuld am palästinensischen Terror gibt den Israelis auch die israelische Journalistin Amira Hass. Die einzige israelische Korrespondentin, die im Palästinensergebiet lebt, teilt Zuckermanns Ansichten auch bezüglich des Camp-David-Gipfels. Die Israelis behaupten, dass dieses Treffen scheiterte, weil Palästinenserpräsident Arafat das großzügige Angebot des israelischen Premier Barak abgelehnt hat. Zuckermann weiß, dass "die Israelis nicht zu einem wirklichen Kompromiss-Frieden bereit sind". Hass meint, dass Baraks Vorschlag in Camp David "einen lebensfähigen Palästinenserstaat unmöglich machen würde". Weil Israel große Siedlungsblocks behalten will, muss ein künftiger Palästinenserstaat in der Westbank aus drei voneinander getrennten Kantonen bestehen: Dem Norden, dem Süden und Ost-Jerusalem.

Die verbindenden Straßen sollten demnach unter israelischer Hoheit bleiben. Gleichzeitig dehnt sich die Siedlung Maale Adumim bei Jerusalem, die Sharon niemals räumen will, inzwischen auf 5.300 Hektar, aus und ist damit von der Fläche größer als die Stadt Tel Aviv. In Maale Adumim leben übrigens 25.000 Menschen, in Tel Aviv 60.000. Hass ignoriert die Tatsache, dass sogar im von führenden Israelis und Palästinensern unterzeichneten Genfer Abkommen Maale Adumim ein Teil Israel bleibt und die Palästinenser dafür ein gleich großes Gebiet innerhalb Israels erhalten.

Politisch sind Zuckermann und Hass gleicher Meinung, stilistisch unterscheiden sich ihre Werke stark voneinander. Während Zuckermann seine klaren Gedanken zu Israel in verschachtelten Sätzen und mit wissenschaftlichen Begriffen formuliert, beschreibt Hass in 37 ausgewählten Artikeln, die bereits in der Tageszeitung "Haaretz" erschienen sind, den Alltag der Palästinenser unter der israelischen Besatzung.

Haas ergreift offen Partei für die leidenden Palästinenser, nicht für Jassir Arafats Regime. Sie beschreibt das Leiden von Palästinensern, deren Häuser zerstört und Grundstücke enteignet wurden. Sie spricht mit einer Palästinenserin in Hebron, deren Nachbarn alle vor den Schikanen der Siedler geflohen waren und die einen israelischen Soldaten anflehte, Medikamente für ihre kleinen Kinder kaufen zu dürfen. Hass begleitet palästinensische Fahrgäste, darunter ältere und kranke Menschen, die einen Erdwall erklettern müssen, mit dem Israel alle Zufahrtsstraßen in die West Bank-Kleinstadt Beit Jala blockiert: "Zwei junge Männer stützen einen älteren Herrn, tragen ihn praktisch an den Armen. Er ist nicht ihr Vater. Sie saßen lediglich im selben Taxi."

Die "Haaretz"-Journalistin ist keine Propagandistin. Sie lässt einen Palästinenser auf die eigenen Militanten der Al-Aqsa-Brigaden schimpfen, sie seien "Kriminelle aus fragwürdigen Familien, halbe Analphabeten, die Kämpfer spielen". Die gesuchten Militanten räumen ihr gegenüber ein, dass die Liquidierung ihrer Führung sie schwer treffe und dass Arafats Fatah-Führer ihnen freie Hand geben würden, um durch Mord an Israelis mit dem Hamas um Popularität zu konkurrieren.

Die Palästinenser wollen nicht unter Israelis leben, können aber ohne Israel nicht überleben, so Hass. Einige gehen nach Israel, um zu morden, Tausende gehen dorthin, um ihr Brot zu verdienen. Wer sich daher Sorgen um Israel macht, muss auch die Sorgen der Palästinenser ernst nehmen. Igal Avidan

Amira Hass

Bericht aus Ramallah.

Eine israelische Journalistin im Palästinensergebiet.

Diedrichs Verlag, München 2003; 231 S., 19,95 Euro

Moshe Zuckermann

Wohin Israel?

Wallstein Verlag, Göttingen 2004;, 48 S., 14,- Euro


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