Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 38 / 13.09.2004
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Tilmann P. Gangloff

Fernsehen kann Integration stärken

Politiker und Experten streiten über TV-Programme für Ausländer

Als der SFB am 6. Mai 1974 erstmals eine "Regionale Sendung für Türken in Berlin" ausstrahlte, hätte wohl niemand zu prophezeien gewagt, dass aus den zehn Minuten 20 Jahre später eine ganze Radiowelle würde. Seit 1999 gibt es auch vom WDR ein ganztägiges Hörfunkangebot für Ausländer. Geht es nach dem Willen der Politik, soll die ARD nun den nächsten Schritt tun und ein Ausländerfernsehen gründen.

Der Bremer Bürgermeister Henning Scherf hat diese Idee vor einigen Wochen öffentlich geäußert. Sie wurde im Kreise der Ministerpräsidenten sehr positiv aufgenommen. Das ist nicht weiter überraschend: Für Ideen dieser Art sind Politiker immer zu haben; so ist auch der Kulturkanal Arte entstanden. Scherf ist der Meinung, es müsse mehr für die Integration der Ausländer in Deutschland getan werden, und das sei doch eine gute Aufgabe für das Massenmedium Fernsehen. Hinzu kommt: Die hier lebenden Türken, Italiener, Griechen und anderen Migranten zahlen auch Rundfunkgebühren. Als Gegenleistung erhalten sie wie alle anderen die Angebote von ARD und ZDF. Ein Zielgruppenprogramm für Ausländer im Fernsehen aber gibt es nicht; dafür müssen sie Radio hören.

"Radio Multikulti" vom RBB ging am 18. September 1994 auf Sendung (damals noch als "SFB4 Multikulti"). Das Programm sendet bis 17 Uhr auf deutsch und anschließend in 17 verschiedenen Sprachen. Mittlerweile kann man es nicht nur in Berlin und Brandenburg, sondern auch in Frankfurt/Oder und Cottbus empfangen. "Funkhaus Europa" hat in diesem Jahr ebenfalls ein kleines Jubiläum feiern können. Als "Antwort auf einen tiefgreifenden Wandel unserer Gesellschaft" gründete der WDR das Programm für ausländische Mitbürger im Mai 1999. In Nordrhein-Westfalen leben 2,7 Millionen Menschen mit ausländischem Hintergrund, darunter allein 700.000 so genannte Spätaussiedler. In absehbarer Zeit, prognostiziert WDR-Intendant Fritz Pleitgen, machten die Zuwanderer und ihre Kinder die Hälfte der Ballungsraumbevölkerung aus. Auch "Funkhaus Europa" sendet in 17 Sprachen (plus deutsch). Neben NRW, wo der Sender unter den Ausländern auf einen Marktanteil von 11 Prozent kommt (jeder fünfte schaltet regelmäßig ein), ist "Funkhaus Europa" auch in Bremen und Teilen von Niedersachsen zu empfangen.

Allerdings ist völlig offen, ob ein Fernsehprogramm ähnliche Zahlen erzielen würde. Ausländer, die nicht ohnehin über Satellit die Angebote ihrer Heimatsender bevorzugen, bevorzugen erfahrungsgemäß vor allem kommerzielle Programme. Experten bezweifeln ohnehin, dass Medien großartig zur Integration von Ausländern beitragen können. "Nur in ganz bescheidenem Maß", sagt Beate Schneider vom Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung (Hannover); alle anderen Faktoren wie etwa das Alter oder der Geburtsort spielten eine größere Rolle. Andererseits hätten ihre Studien ergeben: "Wer viel deutsche Medien rezipiert, ist ein bisschen besser integriert und hat ein größeres Interessen an Information." Schneider räumt auch ein, dass maßgeschneiderte Medien aus Deutschland gegenüber den Heimatsendern große Vorteile hätten. Sie erläutert dies am Beispiel der Türken: Das türkische TV-Programm nehme natürlich keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der in Deutschland lebenden Landsleute, sondern stärke vor allem den Bezug zur Türkei. Andererseits schätzen sie nach Schneiders Erkenntnissen ARD und ZDF nicht besonders, weil sie die Programme als "zu belehrend empfinden".

Medienforscher Bernd Schorb vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig, würde es zwar begrüßen, "wenn ein TV-Programm gezielt die Integrationsanstrengungen der wichtigsten Ausländergruppen unterstützen" würde. Er ist aber ebenfalls skeptisch, ob dies einem öffentlich-rechtlichen Sender gelingen könnte; er setzt größere Hoffnungen auf die Offenen Kanäle.

Zur Sprache kommt auch immer wieder der Aspekt, dass zu einer gelungenen Integration zwei Seiten gehörten. Übereinstimmend fordern die Kritiker des Ausländerfernsehens mehr "fremde" Gesichter im deutschen Fernsehen, und zwar nicht nur, so Bernd Schorb, "als plakative Ausländer, sondern als normale Mitbürger". In dieser Hinsicht sind die Privatsender bereits einen Schritt weiter als ARD und ZDF: Hier sind Ausländer viel stärker integriert: als Moderatoren, Autoren oder Reporter. Allerdings ist keiner so prominent wie die Galionsfigur der "Ethno-Comedy", Kaya Yanar ("Was guckst du?!", Sat 1). Die Programmchefs von ARD und ZDF, so die Kritik aus den eigenen Reihen, versteckten sich hingegen hinter der vermuteten Publikumsmeinung.

Bernd Schorb ist zudem gegen ein "Medienghetto für Ausländer". Um die Integration zu erleichtern, brauche man nicht so sehr einen eigenen Kanal für Ausländer, sondern viel mehr eine Sendung wie den "ZDF-Länderspiegel", nur eben nicht mit Berichten aus den Bundesländern, sondern aus den ausländischen Bevölkerungsgruppen.

Die beiden Wellenchefinnen von "Radio Multikulti", Ilona Marenbach, und "Funkhaus Europa", Jona Teichmann, vertreten naturgemäß eine andere Position als die Skeptiker. Zwar sagen beide, man könne die Erfahrungen aus dem Hörfunk nicht eins zu eins auf das Fernsehen übertragen, doch das Radio habe durchaus die Möglichkeit, zur Integration beizutragen: weil man lokale oder regionale Zielgruppen erreichen und die Hörer unmittelbar in ihrem Lebensalltag ansprechen könne. Beim Medium Fernsehen hingegen sind Marenbach und Teichmann skeptisch: Der Erfolg ihrer Programme, so ihre übereinstimmende Meinung, basiere auf den maßgeschneiderten, regionalisierten Angeboten für die Angehörigen verschiedener Nationalitäten; derlei könne ein bundesweites TV-Programm gar nicht bieten.

Trotzdem gibt es auch in der ARD Befürworter von Scherfs Idee. Der ARD-Vorsitzende Jobst Plog, Intendant des NDR, und sein Vorgänger Fritz Pleitgen (WDR), haben bereits signalisiert, dass sie sich dieses TV-Programm für Ausländer gut vorstellen können. Plog hat "aufgeschlossen" reagiert, Pleitgen hält die Idee für "sehr überlegenswert". Tilmann P. Gangloff


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