Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 41-42 / 04.10.2004
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Thilo Castner

Freiheit und Gerechtigkeit überall in der Welt

Unsere Zukunft hängt von der amerikanisch-europäischen Kooperation ab
Dem Autor, Historiker für Zeitgeschichte am St. Anthony's College in Oxford, geht es um nicht weniger als um die Zukunft der Menschheit, die er durch globale Fehlentwicklungen ernsthaft bedroht sieht. Nach seinen brillanten Büchern über den Ost-West-Konflikt und das Ende des Kalten Krieges weitet er fast zwangsläufig den Blick aus auf die drängenden Probleme der Welt.

Ash macht auf die bekannten Probleme aufmerksam: Gegenwärtig wächst die Weltbevölkerung in 12 bis 13 Jahren um eine Milliarde; werde in diesem Tempo weitergemacht, könnten es um 2050 fast 13 Milliarden sein. Jährlich verhungern in den Entwicklungsländern Millionen oder sterben an vermeidbaren Seuchen und Krankheiten, während in den reichen westlichen Ländern Millionen an Fettsucht leiden. Durch den verschwenderischen Umgang mit fossilen Brennstoffen, vor allem in den Ländern des Westens, kommt es zu klimatischen Veränderungen, die ähnlich verheerende Folgen hätten wie Massenvernichtungswaffen.

Extreme Armut, nach Ash die "am weitesten verbreitete Form fundamentaler Unfreiheit", führt zu massenweiser Landflucht und begünstigt Terrorismus. Die drei weltweit reichsten Männer, Bill Gates, Waren Buffett und Paul Allen, verfügten über ein Vermögen, das das "jährliche anfallende Bruttosozialprodukt aller Entwicklungsländer" deutlich übertrifft.

Die Ursache für die globalen Probleme liegt nach Ash eindeutig im verantwortungslos-egoistischen Verhalten des Westens. "Die Konsumorgie westlichen Stils ist im globalen Maßstab untragbar. Die Erde verkraftet auf Dauer nicht immer mehr Menschen, die immer mehr verlangen." Vor allem wegen der "gletscherartigen Machtverschiebung", die durch die "aufstrebenden Kolosse" Indien und China kurz bevorstehe, seien die westlichen Staaten gefordert, endlich "über seinen Schatten zu springen und sich selbst zu hinterfragen".

Doch genau das tue er momentan nicht. Ash analysiert, wie die USA und Europa immer wieder getrennte Wege gehen, in Umweltfragen, bei der Lösung ethnischer Konflikte, in Angelegenheiten des internationalen Rechts, obwohl vom kulturellen Hintergrund mehr Übereinstimmungen als Gegensätze bestünden. Wenn verhindert werden solle, dass die sich abzeichnenden Katastrophen irreparabel werden, dann müsse in Kürze eine gemeinsame, für alle Bewohner der Erde faire und vernünftige Außen- und Wirtschaftspolitik entstehen.

Was mahnt Ash im Einzelnen an? Die USA verfolgten unter Bush eine Strategie der Stärke, die an Hybris grenze, im Kern fundamentalistisch sei und bestehende Krisenherde gefährlich verstärke. Zurzeit betreibe man einen "Vulgär-Huntingtonismus", eine Art nationalistischen Kulturkrieg. Die Beiträge der USA zur Entwicklungshilfe lägen bei skandalösen 0,1 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts. Allein die Ausgaben für den Irakkrieg betrügen das Achtfache der jährlichen Aufwendungen für unterentwickelte Länder. Man sei in Washington meilenweit davon entfernt, andere Völker und Religionen als gleichwertig zu betrachten.

Europa sei hier zwar weiter, aber längst nicht weit genug. Die europäische Entwicklungshilfe liege mit 0,22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts noch erheblich unter den erforderlichen 0,7 Prozent. Wie in den USA habe man auch seitens der Europäer keine Skrupel, durch inländische Agrarsubventionen die Exportmöglichkeiten der armen Länder zu blockieren. Zum Beispiel lagen im Jahr 2000 die Milchsubventionen der EU bei 913 Dollar pro Kuh, ein Betrag, der fast dem doppelten Durchschnittseinkomen im südlichen Afrika entsprach. Die Entwicklungshilfe für die Menschen dort betrug dagegen acht Dollar pro Kopf.

Die gewählten Volksvertreter, für Ash zum erheblichen Teil Ignoranten und Egozentriker, werden den Durchbruch zu einer verantwortungsvollen Politik, die das Wohl der ganzen Menschheit im Auge hat, allein nicht schaffen. Deshalb appelliert er an die Millionen wohlhabender Bürger im Westen, ein Prozent ihres Jahreseinkommens "für sauberes Trinkwasser sowie die soziale und medizinische Grundversorgung der allerärmsten Regionen" zur Verfügung zu stellen die weit verbreitete politische Lethargie aufzugeben und in Parteien und Initiativen mitzuarbeiten. Wenn nicht dort, wo Demokratie, Liberalität und wirtschaftliche Sicherheit selbstverständlich geworden sind, ein Beitrag für eine global gerechte und friedvolle Welt geleistet wird, so die Befürchtung des Autors, kann die Erde eines Tages nicht mehr bewohnbar sein.

Es lohnt sich, dieses Buch aufmerksam zu lesen. Es enthält eine Vielzahl brisanter Fakten und mutiger Vorschläge, die aufzugreifen und umzusetzen unumgänglich sind, wenn der bittere Weg in die sich anbahnende globale Ausweglosigkeit noch verhindert werden soll. Frei und friedlich ist diese Welt erst, wenn alle in Frieden und ohne Mangel leben können.

Timothy Garton Ash

Freie Welt.

Europa, Amerika und die Chance der Krise.

Carl Hanser Verlag, München 2004; 368 S., 24,90 Euro

Thilo Castner ist freier Journalist; er lebt im fränkischen Kalchreuth.


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