Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 41-42 / 04.10.2004
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Gottfried Niedhart

Zum Mythos geworden

Lothar Galls große Biographie über den Bankier Hermann Josef Abs / Von Gottfried Niedhart
Im Geflecht der Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und Politik gibt es auf Seiten der Hochfinanz in Deutschland im 20. Jahrhundert nur wenige Persönlichkeiten, die wie Hermann Josef Abs sowohl über Einfluss hinter den Kulissen als auch über Ausstrahlung in der breiteren Öffentlichkeit verfügten. Weit über die Grenzen Deutschlands hinaus galt Abs geradezu als eine der Symbolfiguren des Finanzwesens. Ihr hat Lothar Gall auf breiter Aktenbasis, darunter der umfangreiche Nachlass von Abs, eine Biografie gewidmet,

Galls Biografie leistet beides: die Charakterisierung der Person und ihrer beruflichen Leistung sowie die Einbettung dieser Individualität in politische und wirtschaftliche Tendenzen, die dieses lange Lebens zwischen 1901 und 1994 ausfüllten. Kaiserreich und Weimarer Republik bilden den Auftakt. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der NS-Zeit und der Bundesrepublik in den ersten zwei Jahrzehnten ihrer Existenz.

Der biografische Zugriff lässt besonders gut erkennen, dass über alle Brüche der Entwicklung hinweg ein beträchtliches Element der Kontinuität nicht zu übersehen ist. Nur für kurze Zeit war Abs, der 1937 in den Vorstand der Deutschen Bank berufen worden war, nach 1945 zur Untätigkeit verurteilt; vor allem die Amerikaner waren ihm ablehnend begegnet. Sie sahen ihn ihm "nicht ganz zu Unrecht" einen der "Hauptverantwortlichen für die Raubzüge der Deutschen Bank im von den Nazis besetzten Europa".

Abs war kein Parteigänger der Nationalsozialisten, wie er überhaupt nie einer Partei angehörte. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er die Weimarer Republik und insbesondere die Position Stresemanns bejaht, der einen Ausgleich mit den Westmächten suchte und eher auf wirtschaftliche, denn auf militärische Macht setzte. Aber als führender Repräsentant der Deutschen Bank war Abs eng mit dem NS-System verbunden und hat ihm "zumindest indirekt gedient". Gall vermeidet strikt jeglichen moralisierenden Ton, lässt aber keinen Zweifel an der "Nähe der Deutschen Bank zum Regime" aufkommen. Im Zuge seiner Expansion nahm sie beständig zu. "Am Ende stand in vielen Bereichen eine zwar nicht intentionale, aber faktische Zusammenarbeit mit dem NS-System."

Im Westdeutschland der Nachkriegszeit und der frühen Bundesrepublik verkörperte Abs in geradezu idealtypischer Weise sowohl Kontinuität als auch Neubeginn. Über den individuellen Fall weit hinausweisend leistet Gall einen anschaulichen Beitrag zu der immer wieder geführten Debatte um die sogenannte Stunde Null des Jahres 1945. Sie hat es einerseits nicht gegeben, "gerade auf dem für die weitere Entwicklung so entscheidenden Feld der Wirtschaft". Andererseits stand Abs dafür, dass die Nachkriegsrekonstruktion nur in einem "neuen Geist" der Öffnung nach Westen erfolgen könne.

Als politischer Anknüpfungspunkt diente das im Wilhelminismus nicht zum Zuge gekommene und auch in der Weimarer Republik unterlegene liberale Bürgertum. Wirtschaftlich war in den Augen von Abs die Zeit vor 1914 richtungsweisend, als ein lange nicht wieder erreichter Grad an Internationalisierung mit weltweitem Handel und festen Wechselkursen, gewissermaßen eine Globalisierung lange vor der Globalisierung zu konstatieren gewesen war.

An der Spitze der Kreditanstalt für Wiederaufbau und als Verhandlungsführer im Vorfeld des Londoner Schuldenabkommens spielte Abs bis 1953 national und international eine zentrale Rolle im öffentlichen Dienst und in staatlichen Funktionen. Danach kehrte er zur Bankierstätigkeit zurück. Als die Deutsche Bank, nachdem sie zuvor in drei Teilbanken zerlegt worden war, 1957 wiederhergestellt wurde, trat Abs wie selbstverständlich an ihre Spitze. Darüber hinaus bekleidete er zahlreiche Posten in Vorständen und Aufsichtsräten. Als "Mittler zwischen Kapital, Wirtschaft und Politik" stand er in engem Kontakt zu führenden Politikern, nicht zuletzt zu Adenauer. Wie Adenauer Rat suchte, aber auch - was am Beispiel des Vertrags mit Israel über Wiedergutmachung deutlich wird - seine berühmten einsamen Entschlüsse fasste oder im Interesse von Einflussnahme und Machtsicherung auch vor persönlicher Verunglimpfung nicht zurückschreckte - all das lässt Gall deutlich werden. In Teilen liest sich der Text wie eine Geschichte der jungen Bundesrepublik, die den Typus des Handelsstaats mit weltweiten außenwirtschaftlichen Interessen darstellte und deren politische Kultur "stark autoritäre Elemente" enthielt.

Abs trat im Rahmen seiner marktwirtschaftlichen Grundüberzeugung für einen sachorientierten Pragmatismus ein. Er hatte, was Gall wiederholt zitiert, "das Bedürfnis, Dinge, die der Ordnung bedürfen, in Ordnung zu halten oder zu bringen". Die ordnende Hand sollte allerdings nicht "unsichtbar" bleiben wie bei Adam Smith, sondern Abs als dem "Steuermann der deutschen Finanzwelt und der deutschen Wirtschaft" gehören. Als die "Deutschland AG", für die Abs gern als Sprecher auftreten wollte, im Übergang von den 60er- zu den 70er-Jahren in ihre zweite Gründungsphase eintrat, ging der Einfluss von Abs merklich zurück. Gleichwohl blieb seine markante Gestalt im öffentlichen Bewusstsein präsent. Noch ein Jahr vor seinem Tod bezeichnete ihn eine amerikanische Zeitschrift als den mit Abstand mächtigsten Mann in Deutschland. Ein Mythos war geboren.

Der Bankier Hermann Josef Abs. Eine Biografie.

Verlag C.H.Beck, München 2004; 526 S., 29.90 Euro

Der Autor ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Mannheim.


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