Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 42 / 17.10.2005
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"Wir legen viel Wert auf Authentizität"

Interview mit Guido Knopp, Leiter der ZDF-Redaktion "Zeitgeschichte"
Dramatische Musik, Bilder von Hakenkreuzen, marschierende Soldaten. So beginnt das Doku-Drama "Die letzte Schlacht", das von den letzten Tagen des Nationalsozialismus erzählt - der Schlacht um Berlin im April 1945. Entstanden ist der ZDF-Film unter der Leitung von Guido Knopp. Der 57-Jährige gilt als einer der bekanntesten Historiker und Publizisten Deutschlands. Sein Motto: "Aufklärung braucht Reichweite". 1984 baute Guido Knopp die ZDF-Redaktion "Zeitgeschichte" auf, die seitdem von ihm geleitet wird. Berühmt geworden ist er mit seinen Filmen über die NS-Vergangenheit - zum Beispiel "Hitlers Helfer". Zuletzt wurde seine Dokumentar-Reihe "Goodbye DDR" ausgestrahlt. Ein Gespräch mit Guido Knopp über das Genre Doku-Drama und deutsche Geschichte im Fernsehen.

Das Parlament: Vor kurzem lief im ZDF die Dokumentar-Reihe "Goodbye DDR", in der Sie in vier Folgen die DDR-Geschichte von der Staatsgründung bis zum Mauerfall erzählen. Was wünschen Sie sich, was beim Zuschauer davon hängen bleibt?

Guido Knopp: Wir wollen fast 15 Jahre nach der Wiedervereinigung die Geschichten hinter den Geschichten erzählen. Und zwar nicht wie bei Ostalgie-Shows, die ja der DDR-Realität nicht gerecht geworden sind. Anhand von Zeitzeugenberichten und Originalausschnitten bereiten wir die 40-jährige Zeit neu auf. Wir erzählen zum Beispiel, dass die DDR schon 1980 völlig pleite war, ehemalige Wirtschaftsleute des Zentralkomitees geben das heute offen zu. Erich Honecker jedoch wollte davon nichts wissen, er hat einfach die Augen verschlossen.

Das Parlament: Begleitend zur Serie "Goodbye DDR" haben Sie von der Forschungsgruppe Wahlen eine Umfrage erstellen lassen, in der Deutsche in Ost und West gefragt wurden, was sie heute noch über die DDR wissen. Das Ergebnis lautet: nicht gerade viel.

Guido Knopp: Ja, das stimmt. Auf Anraten unserer Demoskopen haben wir die Fragen "as simple as possible" gehalten. Umso frappierender ist, dass das Nichtwissen sowohl im Osten als auch im Westen so weit verbreitet ist. Wir haben zum Beispiel gefragt, in welchem Jahr die Mauer errichtet wurde. Nur eine Minderheit der befragten Gymnasiasten konnte das beantworten. Da ist also noch viel zu tun.

Das Parlament: Was meinen Sie damit?

Guido Knopp: Wir wollen mit unseren Zeitgeschichtsfilmen historische Zusammenhänge vermitteln. Viele Zuschauer verfügen allenfalls noch über ein populistisches Wissen, das gerade mal für eine Quizsendung reicht - wenn überhaupt. Natürlich muss man solche Themen spannend und unterhaltsam aufbereiten, damit es die Zuschauer interessiert. Bei "Goodbye DDR" zum Beispiel haben wir die vier Folgen personalisiert: Neben Walter Ulbricht, Erich Mielke und Erich Honecker steht auch Kati Witt, die ja "das schönste Gesicht des Sozialismus" genannt wurde, im Mittelpunkt.

Das Parlament: "Goodbye DDR" ist eine Dokumentar-Reihe. Bei den Filmen "Deutschlandspiel", "Der Aufstand", der vom Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953 erzählt, und "Die letzte Schlacht" handelt es sich um Doku-Dramen. Was ist der Reiz dieses Genres?

Guido Knopp: Das Doku-Drama macht es möglich, Themen zu behandeln, die filmisch nicht ausreichend dokumentiert sind. Der Reiz besteht darin, die Geschichten hinter den Kulissen zu erzählen. Anhand von Protokollen, Zeitzeugenberichten und Archivmaterial lassen sich die Schlüsselszenen ideal mit gespielten Szenen verbinden und ergänzen. Dadurch wird Geschichte sinnlich erfahrbar - das löst bei den Zuschauern im Idealfall Neugier, Anteilnahme und Betroffenheit aus. Das Doku-Drama ist für mich eine Zukunftsform des deutschen Fernsehens.

Das Parlament: Wie viel Inszenierung steckt in den Spielszenen, etwa wenn sich in "Die letzte Schlacht" einige Berliner im Luftschutzkeller unterhalten? Haben diese Gespräche wirklich so stattgefunden?

Guido Knopp: Natürlich sind die Szenen inszeniert. Dennoch legen wir sehr viel Wert auf Authentizität. Schließlich sind die Spielszenen durch die Zeitzeugenaussagen inspiriert. Und wir inszenieren nur solche Szenen, deren Wahrheitsgehalt nicht nur von Zeitzeugen bestimmt, sondern noch einmal von Fachhistorikern überprüft wird. Wo es nötig ist, ergänzen unsere Autoren die Dialogszenen.

Das Parlament: Ist ein Doku-Drama noch/schon Kunst oder eine Mischung?

Guido Knopp: Natürlich ist es Kunst, das gilt genauso für klassische Dokumentationen: Auch hier gibt es Zuspitzungen, Dramaturgien und Inszenierungen. Die Basis von alldem jedoch ist gutes Handwerk. Ein Doku-Drama ist ein Fernsehspiel mit dokumentarischen Ergänzungen: 70 Prozent sind Spielszenen, 30 Prozent Archivmaterial und Zeitzeugenberichte.

Das Parlament: Ist das nicht eine gefährliche Mischung? Können die Zuschauer da immer zwischen Realität und Fiktion unterscheiden?

Guido Knopp: Man sollte die Zuschauer nicht unterschätzen. Sie können meiner Meinung nach auf jeden Fall unterscheiden, was Spiel und was Archivmaterial ist. Nicht zuletzt auch dann, wenn Originalaufnahmen meist in Schwarz-Weiß genutzt werden.

Das Parlament: Im Juli lief bei RTL2 die Discovery-Produktion "Die Verschwörung - Das Attentat vom 20. Juli". In diesem britischen Doku-Drama wurden Szenen des Hitler-Attentates von 1944 nachgespielt, dabei wurden den Schauspielern mit moderner Technik virtuell die Gesichter der realen Personen - etwa von Hitler -aufgespielt. Wie finden Sie das?

Guido Knopp: Ich habe den Film nicht gesehen, von dem Verfahren aber gehört. Diese Methode der Geschichtserzählung halte ich für fragwürdig, wir würden das nicht anwenden. Dadurch leidet die Glaubwürdigkeit des Films.

Das Parlament: Auch das Genre Doku-Drama steht ja immer wieder in der Kritik . . .

Guido Knopp: Lange Zeit stand die Legitimität von Spielszenen in der Diskussion, mittlerweile ist das Genre längst akzeptiert. Obwohl es in Deutschland zurückhaltender eingesetzt wird als etwa in den USA, Großbritannien und Japan. Was das Doku-Drama angeht, sind die Deutschen manchmal päpstlicher als der Papst.

Das Parlament: In der "Zeit" stand einmal, "Guido Knopp, der Starhistoriker des ZDF, organisiert Pauschalreisen in die NS-Vergangenheit". Was halten Sie von dieser Kritik?

Guido Knopp: (Er lacht laut.) Ach, wissen Sie, diese Kritik von Print-Kollegen ist man gewöhnt, wenn man so lange in der Branche arbeitet. Das gehört dazu - wie die gegenseitigen Sticheleien bei Politikern im Wahlkampf. Ich nehme das nicht so ernst.

Das Parlament: Sie sind einer der bekanntesten Historiker Deutschlands. Bei Hitler im TV denken viele Zuschauer auch an den Namen Guido Knopp. Finden Sie das seltsam oder sehen Sie das als Kompliment für Ihre Arbeit?

Guido Knopp: Das liegt wohl nicht zuletzt auch daran, dass viele der meinungsbildenden Dokumentationen über die NS-Zeit in den vergangenen zehn Jahren von uns gestaltet wurden. Auch wenn es ganz verschiedene Autoren waren: Als Leiter der Redaktion Zeitgeschichte steht man da eben auch in der Verantwortung. Es ist freilich so, dass sich lediglich 20 Prozent unserer Produktionen mit der NS-Zeit beschäftigen. Wir widmen uns ja etwa auch Monarchen oder prominenten Ehepaaren.

Das Parlament: Ihre Dokumentationen und Doku-Dramen werden auch ins Ausland verkauft, die Reihe "Hitlers Helfer" in über 40 Länder. Sind die Sender auch an anderen Projekten interessiert?

Guido Knopp: Unsere Filmreihe über die Kanzler der Bundesrepublik interessierte den History Channel in den USA - um es mal freundlich auszudrücken - eher wenig. Das gilt für den gesamten angelsächsischen Raum. Ganz im Gegensatz zu den NS-Themen. Trotzdem gibt es hin und wieder "Ausreißer": Unsere "Vatikan"-Serie lief etwa auch in 35 Ländern. Eine Doku "made in Germany" ist mittlerweile schon ein Markenzeichen.

Das Parlament: Sie beschäftigen sich nun schon so viele Jahre mit Hitler. Gibt es noch Bildmaterial, das Sie nicht kennen?

Guido Knopp: Das bekannte Bildmaterial habe ich natürlich weithin gesehen. Es ist aber verblüffend, dass auch nach so vielen Jahren immer wieder neues Material auftaucht. Derzeit beschäftigen wir uns in Sachen Nürnberger Prozess unter anderem mit Hermann Göring - alles Filmmaterial schien da bekannt zu sein. Doch wir haben eine hochinteressante neue Quelle erschlossen, die zweieinhalb Stunden nie gezeigtes Material bietet. Es hilft, ein Psychogramm des Menschen Göring zu erstellen.

Das Parlament: Wenn man sich so viel mit dem Thema Nationalsozialismus beschäftigt, träumt man nachts nicht irgendwann davon?

Guido Knopp: Nein, um Gottes Willen. Das wäre ja furchtbar. Und wie gesagt: Die NS-Zeit umfasst gerade mal 20 Prozent unserer Themenvielfalt.

Das Parlament: Gibt es eigentlich auch Bildmaterial, das Sie nie zeigen würden?

Guido Knopp: Seit einigen Jahren sind wir auf der Suche nach Filmmaterial, das die Hinrichtungen der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 zeigt. Diese Aufnahmen hat sich Hitler damals vorführen lassen, später wurden sie von der Roten Armee konfisziert. Auch wenn wir dieses Material einmal finden - wir würden es nie im Fernsehen zeigen. Das verbietet die Würde der Opfer.

Das Parlament: Glauben Sie, dass es irgendwann mal wieder einen einzigen Tag im deutschen Fernsehen geben wird, an dem kein Bild von Adolf Hitler zu sehen ist?

Guido Knopp: Solche Tage hat es sicher schon gegeben.

Das Parlament: Und sind das wünschenswerte Tage?

Guido Knopp: Durchaus. Dennoch darf uns die NS-Zeit nicht loslassen - zumal die Zeitzeugen ja gerade noch leben. In etwa zehn Jahren wird das nicht mehr der Fall sein. Es war ja eine Zeit der Grenzerfahrungen. Von solchen Erfahrungen können auch Jüngere etwas lernen - lernen, wozu Menschen fähig sind: im Guten wie im Bösen.

Das Parlament: Herr Knopp, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Das Interview führte Alva Gehrmann


Alva Gehrmann arbeitet als freie Journalistin in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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