Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 42 / 17.10.2005
Zur Druckversion .
Bert Rebhandl

Nicht immer ganz stilsicher

Von den Mühen eines Genre: Der Multikulti-Film
"Brauchst du Probleme?" Mit dieser Frage traten Erkan Maria Moosleitner und Stefan Lust, Deutschtürken vom Planet Döner, in die deutsche Filmgeschichte ein. Mit ihren mittlerweile drei Genre-Parodien haben sie wesentlich dazu beigetragen, die Comedy-Form aus dem Fernsehen ins Kino zu exportieren. Die Konflikte bei Erkan und Stefan entstehen nicht aus nationaler Zugehörigkeit oder religiösen Unterschieden, sondern aus der ganz normalen Überforderung, die eine Sozialisation unter den Bedingungen einer wild gewordenen Popkultur darstellt. Ihr Slang ist die einzige Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Ihre infantile Freundschaft ist eine Abwehr gegen die Zumutungen einer entwickelten Sexualität. Ihre Welt ist halb virtuell, halb Jugendzimmer.

Mit Deutschland als politischem Gemeinwesen haben sie weniger zu tun als mit einer transnationalen Konsumkultur, deren bevorzugter Frauentyp die Computerspiel-Ikone Lara Croft und deren wichtigstes Kommunikationsmittel das Mobiltelefon ist. Auch wenn die Filme ("Erkan und Stefan", "Erkan und Stefan gegen die Mächte der Finsternis", "Erkan und Stefan - Der Tod kommt krass") nicht so erfolgreich waren wie die Comedy-Serie bei Pro7, so gehören die beiden Entertainer doch zu einem Kraftzentrum des deutschen Films. Michael "Bully" Herbig war der Regisseur ihres Kinodebüts, noch bevor er mit "Der Schuh des Manitu" seine eigenen, genuin deutschen Wildwestfantasien auf Spielfilmlänge brachte und einen Sensationserfolg schaffte. Während für Herbig die spießigen 50er-Jahre die normative Epoche der deutschen Unterhaltung sind, sind Erkan und Stefan ganz deutlich Produkte der identitätspolitischen 90er-Jahre.

Ihre internationalen Vorbilder, zum Beispiel der britische Komiker Ali G, entstammen Gesellschaften, die viel früher als die deutsche offensiv auf kulturelle Bruchlinien reagieren mussten. Die ehemalige Kolonialmacht England hatte in den 60er- und 70er-Jahren immer wieder mit schweren Klassen- und Rassenunruhen zu kämpfen. Erst in den 90er-Jahren entstand aus der Absonderung der indischen und westindischen Bevölkerung der Ansatz einer Multikulturalität, nun aber bereits unter den Bedingungen der Unterhaltungsindustrie. Ethnische Vielfalt (der Musikstile, der Mode, der Idiome ...) wurde als Reichtum erkannt und sukzessive einer gezielten Verwertung zugeführt. Das deutsche Kino laboriert auch auf diesem Feld an den Verspätungen, die immer noch den historischen Umständen des Nationalsozialismus und der nationalen Teilung geschuldet sind. Sowohl das west- wie das ostdeutsche Nachkriegskino waren kulturell homogen. Das gilt für die DDR-Filme wie für die "Heimatfilme" und für "Papas Kino", aber auch für den Neuen Deutschen Film nach 1962.

Rainer Werner Fassbinders "Angst essen Seele auf" (1973/74) war eine auffällige Ausnahme. Die tragische Liebesgeschichte zwischen Emmi (Brigitte Mira), einer 60-jährigen Putzfrau, und Ali (El Hedi Ben Salem), einem 30 Jahre jüngeren Automechaniker aus Nordafrika, hatte den Arbeitstitel "Alle Türken heißen Ali" und brachte darin zum Ausdruck, welche Schwierigkeiten die Deutschen mit den "Gastarbeitern" hatten, die ins Land kamen, ohne dass man sie als Bürger für voll nahm. Fassbinder war ein Regisseur, der politische Umstände in den Kategorien des von ihm bewunderten amerikanischen Genrekinos wahrnehmen und ausdrücken konnte. Deswegen ist "Angst essen Seele auf" gleichermaßen Hommage an das Melodram der einsamen Frau, wie es Douglas Sirk in "All that Heaven Allows" (1955) idealtypisch realisiert hatte, und Analyse der bundesdeutschen Gegebenheiten in den 70er-Jahren.

Noch in Fatih Akins "Gegen die Wand" (2004), in dem die beiden Deutschtürken Cahit und Sibel an einer Liebe verzweifeln, zu der sie nicht mehr den Mut und die Kraft aufbringen, ist das Motiv für das negative Ende eher melodramatisch als soziologisch. Drei Jahre zuvor war Fatih Akin mit dem Versuch eines großen Liebesfilms gescheitert: In "Im Juli" (2000) ist die Reise nach Istanbul, die Daniel unternimmt, keine Fahrt in das kulturell Andere - auch wenn er einer exotischen Schönheit hinterherreist -, sondern ein Erkenntnisprozess, in dem er seine Liebe zu einem deutschen Mädchen begreift. Fatih Akin zielte mit "Im Juli" deutlich auf großes Gefühlskino und wollte damit vielleicht auch aus den Beschränkungen seines Herkunftsmilieus in Hamburg ausbrechen. Dort hatte er 1998 den Film "Kurz und schmerzlos" gedreht, wofür er Vergleiche mit "Mean Streets" von Martin Scorsese geerntet hatte.

Diese Tradition bleibt im deutschen Kino bis heute unterrepräsentiert: Die Darstellung urbaner Verdichtung, häufig im Genre des Polizei- oder Kriminalfilms, hat in den Fernsehformaten wie "Tatort" ihren Ort und konnte im Kino nie wirklich Bedeutung gewinnen. Dabei gibt es charismatische Darsteller wie Erdal Yildiz, der in "Freunde" (2000) von Martin Eigler eine Hauptrolle spielte. Eigler kommt vom Fernsehkrimi und arbeitet inzwischen auch wieder hauptsächlich dort. "Freunde" ist der rare Fall eines stilsicheren Films zwischen den Milieus, in diesem Fall in Berlin.

Da das deutsche Kino, wo es nicht auf eine prekäre Weise die eigene - nationalsozialistische - Vergangenheit ausbeutet, immer nach internationalen Vorbildern schielt, konnte der Trend zur multikulturellen Komödie nicht unbemerkt bleiben. Im Einwanderungsland USA sind alle Bevölkerungsgruppen im Kino repräsentiert und sieht man von Ausnahmen wie Paul Haggis' pathetischem "LA Crash" (2005) ab, dann hat sich die Komödie als das Genre für den multikulturellen Alltag durchgesetzt. Der britische Hit "Kick it Like Beckham" (2002) oder der amerikanische Indie-Erfolg "My Big Fat Greek Wedding" (2002) haben Nachahmer auch in Deutschland gefunden. Anno Sauls "Kebab Connection" (2004) war ein besonders unverhohlener Versuch, in einen griechisch-türkischen Konflikt in Hamburg auch noch den Genre-Mehrwert des asiatischen Kampfsportkinos zu integrieren. Die ungeschickte Hybridität dieses Films ist ebenfalls Symptom des Nachahmertums des deutschen Kinos in allen Bereichen der kulturellen Differenz.

Die Mühen der multikulturellen Ebene, von Ethno-Gastronomie bis zu Asyldramen, wurden in den vergangenen Jahren in der Fernsehserie "Lindenstraße" durchgearbeitet. Es ist dabei schwer einzuschätzen, ob eine politische Korrektheit, die ihre Rigidität noch aus der Vergangenheitsbewältigung und der schwierigen Versöhnung mit den Juden bezieht, diese Themen mit einem Tabu belegt hat oder ob es tatsächlich einen starken Wunsch nach gesellschaftlicher Homogenität in Deutschland gibt, den das Kino als kommerzielle Kunst nicht stören wollte. Die Profite der Differenz, die in der ganzen Welt inzwischen honoriert werden, erweisen sich dann aber doch als das stärkere Motiv.

So wurde sogar das letzte multikulturelle Tabu in Deutschland gebrochen: In Dani Levys Komödie "Alles auf Zucker" darf über das orthodoxe Judentum gelacht werden. Die Geschichte eines säkularen Ostberliners mit verschütteter jüdischer Identität wurde als Fernsehfilm gedreht, weil sie für eine Kinoauswertung zu kontrovers erschien. Erst nach dem positiven Echo auf die Sendung wurde "Alles auf Zucker" in den Kinos gestartet und damit zu einem Kandidaten für den Deutschen Filmpreis. Dass auch Dani Levy eher auf Klamauk denn auf Witz setzt, deutet allerdings darauf hin, dass das deutsche Kino in diesen Fragen noch immer alles andere als stilsicher ist. Nur krasse Dummköpfe wie Erkan und Stefan können ohne Skrupel multikulturell leben.


Bert Rebhandl arbeitet als freier Journalist und Autor in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.