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14. Wahlperiode
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Deutscher Bundestag
Protokoll Nr. 87 und 70
14. Wahlperiode

Rechtsausschuss
(6. Ausschuss)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss)

Protokoll der 87. Sitzung des Rechtsausschusses und der 70. Sitzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Mittwoch, dem 20. Juni 2001, 13.00 Uhr
Berlin, Plenarbereich Reichstagsgebäude, Saal 3 S 001


Öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung

- Drucksache 14/5429 -

Vorsitz: Christel Riemann-Hanewinckel (SPD)
Beginn der Sitzung: 13.20 Uhr

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel (SPD): Sehr geehrte Sachverständige, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir möchten gern beginnen. Es wird schon zurecht darauf hingewiesen, dass wir unpünktlich anfangen. Das ist allerdings auch dem Umstand geschuldet, dass bis Viertel vor eins hier in diesem Raum eine Anhörung stattgefunden hat und ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bis 12.45 Uhr gesessen haben und auch den Moment brauchten, um das eine oder das andere zu erledigen, was nach 3 Stunden Anhörung zu erledigen ist. Es sieht so aus, dass die Reihen der Sachverständigen gefüllt sind und die Reihen der Abgeordneten bisher weniger. Nichtsdestotrotz ? fangen wir an.

Ich eröffne hiermit die 87. Sitzung des Rechtsausschusses und die 70. Sitzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung mit der Drucksachennummer des Deutschen Bundestages 14/5429. Federführend ist der Rechtsausschuss, mitberatend sind der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Der Rechtsausschuss und der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben eine gemeinsame Anhörung beschlossen, und die werden wir jetzt hier auch durchführen.

Ich gehe davon aus, dass der eine oder die andere Kollegin oder Kollege der beiden Ausschüsse noch dazu kommen wird. Ich möchte Ihnen als Verfahren vorschlagen, dass die Sachverständigen jetzt die Möglichkeit haben, drei bis maximal fünf Minuten ? ich werde Sie dann an die Zeit erinnern ? die Punkte noch einmal zu nennen, die Ihnen besonders wichtig sind oder die Sie hervorheben möchten. Die schriftlichen Stellungnahmen, soweit sie eingereicht worden sind, liegen den Abgeordneten vor. Diese sollen und müssen hier nicht verlesen werden. Wir werden dann die Fragerunden so organisieren, dass in einer ersten Runde die Berichterstatterinnen und Berichterstatter der Fraktionen die Fragemöglichkeit haben und in der zweiten Runde dann jeder und jede, die noch Fragen hat, diese Fragen stellen kann. Ich gehe außerdem davon aus, dass wir spätestens 18.00 Uhr, so wie das vorgesehen ist in unserem Programm, die Anhörung beendet haben werden. Ich sagte spätestens. Wenn wir die Möglichkeit haben, mit der Anhörung eher zu Ende zu sein, bin ich mir ziemlich sicher, werden alle davon mindestens begeistert sein. Sowohl die Sachverständigen als auch die Abgeordneten.

Ich möchte noch etwas zu den Formalitäten sagen bzw. noch ein paar organisatorische Punkte nennen: Ich bitte Sie erstens, Ihre Handys auszuschalten bzw. auf ?Sitzung? zu stellen, weil das für alle Beteiligten, die nicht angerufen werden, immer etwas schwierig ist. Ich weiß selber, dass man das leicht vergessen kann. Deshalb weise ich Sie alle noch einmal darauf hin. Ein nächster Punkt. Es wird in der Anhörung keine Pause geben, das heißt, wer etwas essen, etwas trinken möchte - wir werden hier nachher mit dem ?fliegenden Wagen? versorgt werden. Dort gibt es Getränke und etwas zu essen. Bezahlen muss Mann und Frau selbst.

Ich rufe die Sachverständigen auf, und so sitzen sie jetzt auch schon in der Reihenfolge des Alphabetes, damit keinerlei Missverständnisse entstehen können. Das Alphabet ist da eine gute Hilfe. Ich bitte Sie, bei der Abgabe Ihrer Statements Ihren Namen noch einmal zu nennen und auch die Einrichtung oder das Institut, woher Sie kommen. Es ist für uns sehr wichtig, wenn wir das Protokoll vom Band schreiben, dass dies vorher noch einmal genannt wird.

Dann können wir beginnen, und ich bitte Herrn Dieter Bäumel, den Direktor des Amtsgerichts Hainichen/Radebeul, um sein Statement.

SV Dieter Bäumel: Sehr verehrte Frau Vorsitzende, vielen Dank. Mein Name ist Dieter Bäumel, Direktor des Amtsgerichts in Hainichen. Das liegt im Bundesland Sachsen. Ich bin Vorstandsmitglied des Deutschen Familiengerichtstags. Ich will mein Statement mit vier Thesen beginnen: Der Gesetzentwurf ist meines Erachtens im Hinblick auf die Definition der häuslichen Gemeinschaft zu ungenau und lässt zu viel Spielraum für Verfahren, die eigentlich von diesem Gesetz nicht mit umfaßt sein sollen. Das ist die These eins. Die These zwei - der Schutz Dritter - ist in diesem Gesetz unzureichend geregelt. Die vierte These: Das Verfahrensrecht ist zu kompliziert gestaltet und die fünfte These - die gerichtliche Zuständigkeit - so wie sie der Entwurf vorsieht, ist aus Sicht der gerichtlichen Praxis der Familiengerichte nicht sinnvoll. Zur These eins: Die Definition der häuslichen Gemeinschaft erscheint mir ungeeignet für die Fälle, die vom Gewaltschutzgesetz umfaßt sein sollen. Dies sind beispielsweise ja auch ältere Menschen, die in Wohngemeinschaft leben. Bruder und Schwester, das sind zwei erwachsene Kinder, die in Haushaltsgemeinschaft leben. Soll bei allen Streitigkeiten in diesen Fällen dann eine Wohnungszuweisung erfolgen können? Letztlich will man nichteheliche Lebensgemeinschaften, eheliche Lebensgemeinschaften damit schützen. Warum kann man das nicht so ins Gesetz rein schreiben. Der Schutz Dritter wird durch das Gewaltschutzgesetz meines Erachtens unzureichend verwirklicht. Insbesondere die Befristung, die § 2 des Gewaltschutzgesetzes vorsieht, kann in Beispielsfällen dazu führen, dass die aus der Wohnung ausgezogene Ehefrau die Miete für die neue Freundin des Ehemannes bezahlen muss, weil er zahlungsunfähig ist, die Wohnung aber von beiden Parteien angemietet wurde. Es kann sicherlich nicht Sinn einer solchen Regelung sein und würde wohl in Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten führen, zumal aus meiner Praxiserfahrung ? ich bin jetzt seit 10 Jahren im Familienrecht tätig ? der Anspruch auf Nutzungsvergütung in den allermeisten Fällen nicht durchsetzbar ist.

Verfahrensrecht und gerichtliche Zuständigkeit: Hier ist aus meiner Sicht nicht ganz sinnvoll, dass nach einer Trennungszeit von mehr als 6 Monaten die Familiengerichte nicht mehr zuständig sind. Das hat auch etwas mit der Bestimmung des § 1361 Abs. 4 BGB zu tun, mit der unwiderlegbaren Vermutung. Das würde bedeuten, die Frau, die vor ihrem schlagenden Ehemann ins Frauenhaus flüchtet und erst nach 6 Monaten einen Antrag auf Wohnungszuweisung stellen will, dass die dann nur über den § 1361b eine solche Wohnungszuweisung begründen könnte, nicht mehr aber aus § 2 des Gewaltschutzgesetzes. Jedenfalls nicht mehr vor den Familiengerichten. Warum diese Differenzierung zwischen Familiengerichtsbarkeit und allgemeiner Gerichtsbarkeit hier in den Entwurf mit aufgenommen wurde, erscheint mir jedenfalls nicht ganz nachvollziehbar. Warum man im übrigen die einstweilige Anordnung in drei verfahrensrechtlichen Bestimmungen, nämlich im § 620a, im § 621g und nochmals im FGG regelt - auch diese Notwenigkeit einer derartigen Regelung ist aus Praxissicht für den Rechtsanwender eher verwirrend, als dass es hier zu einer sinnvollen Regelung kommen konnte. Vielen Dank.

SV Prof. Dr. Michael Bock: Meine Damen und Herren, ich bin Kriminologe von der Universität Mainz und spreche hier auch als Kriminologe und nicht als Zivilrechtler. Frauen leiden unter häuslicher Gewalt, das ist eine traurige Realität. Es gibt aber noch andere traurige Realitäten. Werfen wir einen Blick auf ein Verlaufsmodell zur häuslichen Gewalt, damit ein kompletteres Bild der Lage entsteht. Ich habe das Blatt ausgeteilt. Zwei Menschen bringen ihre Geschichte mit, ihre Stärken und Schwächen, ihre Muster, mit Konflikten umzugehen. Sie sind in einem sozialen Kontext und in einer konkreten Lebenssituation, die in vielfältiger Weise belastet sein kann. Es formieren sich Machtverhältnisse. Subtile Formen der Demütigungen, der Degradierung oder des Rückzugs spielen sich ein. Es wird mit Gesten, mit Worten, mit Blicken verletzt, es wird gereizt bis aufs Blut, bis irgendwann einer der Partner - in der Regel der Schwächere - die Nerven verliert und die Grenze zur physischen Gewalt überschreitet. Provokationen und Reaktionen wechseln sich ab. Die Gewalt eskaliert bis zum völligen Kontrollverlust, des blinden aufeinander los gehen bis zum Einsatz einer eventuell sogar tödlichen Waffe. Was wissen wir darüber? Wenig über die Vorgeschichte, aber viel über die tatsächlich ausgeübte Gewalt. Es geht mir nicht um ein kleinliches Herumrechnen mit ein paar Prozentpunkten mehr oder weniger, aber repräsentative Untersuchungen haben ergeben: Die tatsächlich ausgeübte Gewalt zwischen Männern und Frauen ist im wesentlichen gleich verteilt. Verletzt fühlen sich etwas mehr Frauen als Männer, auch darüber habe ich Ihnen eine Folie ausgeteilt. Dort sind die Zahlen der einzig relevanten bundesdeutschen Untersuchung hierzu vorgestellt. Sie stammen vom kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen und wurden vom Familienministerium heraus-gegeben, also gewissermaßen regierungsamtlich abgesegnet. Auch Herr Pfeiffer ist Autor dieser Studie. Das Ergebnis ist überraschend, gewiss, aber es ist nur die Bestätigung dafür, dass es auch bei uns nicht anders zugeht als in anderen westlichen Industrienationen, denn dort sind die Befunde entsprechend. In meinem schriftlichen Gutachten habe ich dies ausführlich belegt.

Von Kindern und Senioren war bisher noch gar nicht die Rede. Der Forschungsstand ist hier nicht ganz so gut. Es gibt keinen vernünftigen Zweifel, dass Frauen auch hier in mindestens dem gleichen Umfang Gewalt ausüben wie Männer. Oft wird dies mit dem Hinweis verharmlost, Frauen seien eben mit der Erziehung, der häuslichen Pflege häufiger befaßt. Sicher, auch in diesem Bereich finden wir viel Überforderung, wir finden oft lange Eskalationsdynamiken in psychisch äußerst belastenden Konstellationen. Für die Opfer ist das ein schwacher Trost. Meine Damen und Herren, und auf diese überaus komplexen Abläufe, mit ihren biographischen Verstrickungen und Vorgeschichten, will nun die Bundesregierung mit einem Vorschlaghammer ein dreschen. Mit einem Instrumentarium, das rechtlich problematisch und präventiv ineffektiv ist. Rechtlich problematisch, weil wachsweiche Voraussetzungen, wie Bedrohung und unbillige Härte mit knallharten Vollstreckungsmöglichkeiten verknüpft werden. Eine Einladung zur gefälligen missbräuchlichen Verwendung. Präventiv ineffektiv, weil die Mehrzahl der Opfer häuslicher Gewalt durch das Gesetz überhaupt nicht geschützt wird. Männer wollen es auch in berechtigten Fällen in Anspruch nehmen, weil sie sekundär mit thematisiert würden. Gerade schwache und pflegebedürftige Senioren können es faktisch nicht in Anspruch nehmen, und Kinder dürfen es nicht in Anspruch nehmen, weil man es ihnen willentlich vorenthält. Verneinen muss man auch längerfristige präventive Effekte. An den Verhaltensmustern von Frauen und Männern lässt sich nachhaltig nur etwas ändern, wenn die gemeinsame Geschichte dieser konfliktreichen Beziehungen auch gemeinsam bearbeitet wird. Alle Formen von Therapie oder Mediation werden jedoch von vornherein im Keim erstickt oder ganz unmöglich, wenn einem der beiden Konfliktpartner ? hier der Frau ? eine Waffe in die Hand gegeben wird, mit der sie nicht nur den störenden Partner enteignen und loswerden, sondern vor allem eine einseitige Rollenverteilung zwischen einem ?bösen Täter? und einem ?guten Opfer? rechtlich und sozial verbindlich machen kann. Dies aber bewirkt nichts, als eine verständliche Verhärtung auf Seiten des zu unrecht als allein schuldig stigmatisierten Mannes und zu einer Verdrängung oder Verharmlosung des eigenen Anteils an der Gewaltgeschichte auf Seiten der allein als Opfer umsorgten Frau. Sind Kinder vorhanden, so werden sie bei ihren Eltern keine Verhaltensänderungen erleben, die eventuell noch die schon durch Gewalterlebnisse angerichteten Schäden kompensieren könnten. Sie bleiben wie üblich bei den Müttern, die sie ohnehin und als Alleinerziehende erst recht häufiger misshandeln und sich in ihrem Verhalten bestärkt fühlen können, nachdem der vermeintliche Störenfried entsorgt ist.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel (SPD): Herr Prof. Bock, ich muss Sie an die Zeit erinnern. Die fünf Minuten sind schon um.

SV Prof. Dr. Michael Bock: Eine Minute. Bleibt die Frage der unmittelbaren Krisenintervention. Hierzu ist zu sagen, dass ganz unabhängig von den geplanten Änderungen auf polizeirechtlicher Grundlage schon jetzt unter der Bezeichnung ?Rote Karte? zunehmend wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt praktiziert werden. Schon jetzt wird in zahllosen Initiativen der einschlägigen Länderministerien, der kommunalen Präventionsräte oder auch privater oder kirchlicher Vereine das Thema häusliche Gewalt bearbeitet. Änderungen der Polizeigesetze der Länder sind unbenommen, aber die Zeiten, in denen Polizei und Gerichte in Fällen häuslicher Gewalt abgewiegelt oder nur zögerlich reagiert haben, sind längst vorbei. Ausdrücklich festgehalten werden muss, wegen der Normalitätsvorstellungen über häusliche Gewalt als männliche Gewalt: Es weisen sowohl die bestehenden polizeirechtlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen als auch die geplanten zivilrechtlichen Maßnahmen massive Defizite bei Kindern, Männern und Senioren auf, während Frauen schon jetzt ein Monopol auf Opferstatus und Hilfe haben. Ich empfehle daher dem Bundestag nachdrücklich, den Entwurf insgesamt abzulehnen. Wer an die gemeinsame Verantwortung von Frauen und Männern glaubt, kann dieses Gesetz nicht wollen.

SV Frau Geißel: Mein Name ist Bettina Geißel, ich bin Rechtsanwältin, seit über 20 Jahren in Berlin auf diesem Gebiet tätig und mit entsprechenden Erfahrungen aus diesem Bereich, da ich seit über 20 Jahren im Rahmen der Frauenprojekte, Frauenhäuser etc. Beratungen mache und vor dem Familiengericht auftrete. Ich bin Fachanwältin für Familienrecht und arbeite seit Mitte der 90-iger Jahre, seit es BIG gibt, dort mit und spreche auch für BIG und die Interventionsprojekte. Und ich darf heute ausdrücklich sagen, dass alle Interventionsprojekte - das betrifft die Rostocker Frauen, die Frauen in Hannover, Schleswig-Holstein/Flensburg, Freiburg-Rheinland und die Gladbecker Frauen - ausdrücklich diesen Entwurf begrüßen und hoffen, dass er zum 1. Januar nächsten Jahres auch tatsächlich in Kraft tritt. Wir haben folgende Punkte, die aus unserer Sicht noch wichtig wären zu ändern bzw. noch einzufügen in den bisherigen Entwurf. Das ist einmal das Einfügen des Bereichs der psychischen Gewalt oder nennen wir es das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das bisher nicht von den Schutzgütern in § 1 des Gewaltschutzgesetzentwurfs enthalten ist. Wir gehen dabei davon aus, dass häusliche Gewalt, um die es hier geht, die Verletzung des physischen und psychischen Bereichs, also der Integrität des Opfers beinhaltet, also dieser Bereich, den wir kennen im Rahmen des Bevormundens, Kontrollierens, der Nachstellung, des Terrorisierens, Einsperrens, der sozialen Isolation der Frauen. Dies erreicht nicht unbedingt immer eine Stufe, in der wir bereits eine gesundheitliche Beeinträchtigung feststellen, eine solche wäre von § 1 Gewaltschutzgesetz bereits erfasst. Wir müssen auch im Rahmen der physischen Gewalt und der psychischen Gewalt den Bereich erfassen, der sozusagen als Stufe vorgeschaltet ist, nämlich den Bereich, wo eine messbare Beeinträchtigung noch nicht erreicht ist, aber bereits diese Gewalttaten an der Frau aufgetreten sind. Wir brauchen hierfür den Bereich der Strafbarkeit des fahrlässigen Handelns, gerade wenn wir davon ausgehen, dass eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schwierig oder die Fahrlässigkeit des Handelns wirklich bei Gericht nachzuweisen ist.

Ein vorsätzliches Handeln würde bedeuten, dass hier der antragstellenden Person ? das sage ich einmal so neutral, weil das Gewaltschutzgesetz ja nicht in seiner Formulierung ausschließlich Rechte der Frauen gegen Männer beinhaltet. Es ist ja geschlechtsneutral formuliert. Es bedeutet also, dass die Antragsteller den Vorsatzbereich, diese psychische Seite des Tatbestandes, ebenfalls noch bei Gericht nachweisen müssten. Auch dies kann nicht überbürdet werden.

Wir haben weiter das Problem der Fristen. In § 1361b und auch im Gewaltschutzgesetz

§ 2 einmal eine Drei-Monats-Frist und einmal eine Sechs-Monats-Frist. Diese Zeit ist zu kurz. Ich gehe davon aus, dass wir dazu auch noch aus dem Bereich der Frauenhäuser hören müssen. Wir müssen diese Fristenregelungen entschärfen, indem wir z. B. in § 1361b BGB mindestens ?unwiderleglich? streichen. Wenn wir schon keine Fristen ganz aus dem Gesetzestext herausnehmen, dann müssen wir wenigstens Öffnungsklauseln schaffen, also Möglichkeiten, dass dennoch in besonderen Fällen über die Sechs-Monats-Frist hinaus eine weitere Antragstellung möglich ist. Wünschenswert wäre aus unserer Sicht, dass insgesamt in den Gesetzestext hineinkommt, dass das Kindeswohl als Abwägungsmerkmal zu berücksichtigen ist. Wir haben es an einigen Stellen im Gesetz bereits verankert, und die Praxis zeigt auch - das ist meine langjährige Erfahrung -, dass das Kindeswohl sehr wohl ein Argument ist, was berücksichtigt wird. Es wäre aber klarer und im Sinne einer einheitlichen Rechtsprechung wirklich wünschenswert, wenn es grundsätzlich als Interessenmerkmal und Abwägungsmerkmal im Gesetzestext enthalten wäre.

Ganz wichtig aus unserer Sicht und aus der Erfahrung ist, dass diesem Gesetz in welcher Art und Weise auch immer, aber hoffentlich mindestens auf dem Standard wie wir es jetzt haben, begleitende Maßnahmen von der Bundesregierung und von der Gesetzesinitiative auf den Weg gegeben werden, wenn es verabschiedet worden ist. Wir brauchen aussagekräftige Dokumentationen und Erfassung, vor allem auch für den zivilgerichtlichen Bereich. Der gesamte Bereich der Justiz ist im Rahmen der häuslichen Gewalt bisher nicht erforscht. Uns fehlen die Zahlen; es ist uns im Rahmen der Arbeit von BIG in der Vergangenheit nicht gelungen, wirkliches Zahlenmaterial und eine wirkliche Begleitung der Maßnahmen zu erreichen. Wir brauchen die Öffentlichkeitsarbeit dazu, und wir brauchen die Aus- und Fortbildung aller Bereiche. Das betrifft ebenfalls die Justiz: Richter, Richterinnen, Anwälte, Anwältinnen. Wir brauchen die Fortbildung im Bereich der Rechtsantrags-Stellen und selbstverständlich auch im Bereich der Frauenprojekte und der Polizei. Wir brauchen des Weiteren, aber das ist nicht Sache dieses Gewaltschutzgesetzes, wir brauchen begleitend eine Reformierung der Polizeigesetze. Aber das ist, wie wir alle wissen, eine Sache auf Länderebene und nur aus unserer Sicht wichtig, wobei ich nochmals appellieren darf, dass wir uns schon weitergehende Möglichkeiten noch im Rahmen der Vollstreckung der zivilrechtlichen Anordnung gewünscht haben. Ich denke, dass wir nachher im Rahmen der Fragen dazu noch kommen, dass dieser Bereich ganz wichtig ist für die praktische Arbeit. Vielen Dank.

SV Dr. Doris Kloster-Harz: Wie Sie gerade gehört haben, bin ich auch Kollegin von Frau Geißel, und ich denke, wir haben in etwa das gleiche Maß an Berufserfahrung. Ich bin seit 25 Jahren Anwältin, Fachanwältin für Familienrecht. Ich habe eine ganz normale Anwaltspraxis in München und führe die Fortbildungsveranstaltung der Anwälte in München durch. Darüber hinaus bin ich Mitglied im Staatsinstitut für Frühpädagogik für den begleiteten Umgang. Das kurz zu meiner Person. Sie werden aber gleich sehen, dass zwei Anwältinnen mit gleicher Berufserfahrung trotzdem unterschiedliche Erfahrungen in der Praxis machen. Ich sage Ihnen ganz offen, das Gesetz mag eine politische Notwendigkeit sein, ich halte es nicht für eine juristische Notwenigkeit und befinde mich damit in zauberhafter Gesellschaft von Prof. Schwab, der das aber viel vornehmer als ich formuliert. Er hat in seinen Ausführungen gesagt: Die Vermutung liegt nahe, dass der familienrechtlichen Praxis die allgemeinen zivilrechtlichen Schutzinstrumente nicht hinreichend bewusst sind. Ich denke, er trifft damit den Nagel auf den Kopf, weil in § 1004 und in § 823 BGB eigentlich alles steht, und es ist schön, wenn Sie das noch einmal in einem Nebengesetz machen, aber als Juristin bin ich auch ein bisschen Puristin. Es tut einem fast weh, wie das System des BGB an so vielen Stellen verwässert wird, nur um politischen Strömungen Rechnung zu tragen. Das ist aber eine andere Frage. Ich denke, wenn Sie den § 1361b in der Form reformieren, dass aus der ?schweren Härte? die ?unbillige Härte? wird, dann sind wir schon sehr viel weiter. Weil schwere Härte natürlich in der Tat sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen des Einschreitens des Gerichts stellt. Da haben wir auch die interessanten Untersuchungen gesehen, dass die Richter in Ballungsräumen sehr viel großzügiger sind bei der Ausdehnung des Begriffs schwere Härte. Auf dem Land, da muss die Frau zwei blaue Augen haben und in der Stadt reicht ein blauer Fleck. Ich übertreibe jetzt etwas. Wenn sich das ändert und die Eingriffsschwelle herabgesetzt wird, finde ich das hervorragend, und das soll und muss auch so sein. Es ist für Anwälte in der Praxis eine unerträgliche Situation, mit hoch gehängten Begriffen zurecht zu kommen. Ich glaube, dass also hier der Rückgriff auf den § 3 Hausratsverordnung, wie er früher war, der schon die unbillige Härte enthielt, genau in Ordnung ist und dass es also auch die Hausratsverordnung und der § 1361b und die allgemeinen Vorschriften täten, weil das Gericht jetzt größere Auslegungsspielräume hat. Sie müssen eins wissen, wenn ich in meinem Berufsalltag da sitze und da sitzt eine Frau oder auch ein Mann, der mit Gewalt konfrontiert ist, und ich zähle ihm die Rechtsprechungsfälle auf, damit ist nichts geholfen. Die müssen ganz klar wissen, ?kriegen Sie meinen Mann aus der Wohnung oder nicht?. Und da glaube ich, ist es ein wichtiger Schritt zu sagen, ?unbillige Härte? reicht und die Schwelle damit niedriger zu setzen. Ich sehe allerdings auch ein Problem. Jetzt gibt es verschiedene Beweislastveränderungen. Natürlich ist es schwierig, wenn mir eine Frau gegenüber sitzt und sagt, mein Mann schlägt mich. Da sage ich: ?Haben Sie Zeugen?. Ich muss es ja im Eilverfahren, wie es ja auch hier vorkommt, glaubhaft machen. Und diese Glaubhaftmachung ist einerseits relativ einfach, wenn der Richter der eidesstattlichen Versicherung glaubt. Das hat aber auch einen Haken. Auf den möchte ich gleich hinweisen. Wenn ich im Eilverfahren, wie das hier vorgesehen ist, ruck zuck eine einstweilige Anordnung habe, die vor der Zustellung wirksam ist und die dann noch in der Konsequenz nach sich zieht, dass der Mann, wenn er dagegen verstößt, sich strafbar macht, dann muss ich sagen, da verstehe ich eigentlich jede Rechtstaatlichkeit nicht mehr. So kann man nicht vorgehen im Rahmen eines Gesetzes. Bei allem Verständnis dafür, dass schnell vollstreckt werden müsse, dass Frauen auch geschützt werden müssen. Sie können nicht mit dem Argument der doppelten Beweislast der Justiz kommen - einmal im zivilrechtlichen FGG-Verfahren, was zum Erlass der einstweiligen Anordnung führt, zum anderen beim Strafrichter ? und deshalb erklären, man müsse das ja nicht doppelt machen. Wenn es der Zivilrichter einmal überprüft habe und der Mann dagegen verstoße, dann sei klar, dass er sich auch strafbar mache und ein Jahr Freiheitsstrafe verdient habe.

Das halte ich für ganz problematisch, und ich denke, das wird auch verfassungsrechtlich nicht durchgehen, das hält nie. Das sage ich Ihnen ganz offen. Das geht nicht. Noch einen Mangel, den ich im Gesetz sehe: Sie können aus dem Eilverfahren, wenn Sie eine einstweilige Anordnung erwirkt haben, mehrfach vollstrecken. Wenn aber dann die Hauptsache entschieden ist, dann können Sie nur noch einmal vollstrecken. Das verstehe ich auch nicht. Ich finde diese Mehrfachvollstreckung auch problematisch. Stellen Sie sich bitte ? Sie, Herr Prof. Bock haben es gerade angesprochen ? die Paardynamik in diesem gewaltbelasteten Paarverhältnissen vor. Da kommt ein Katz-und-Maus-Spiel heraus. Die Frau hat eine einstweilige Anordnung, schmeißt den Mann aus der Wohnung, dann versöhnen sie sich wieder, dann ist er drin und dann sagt sie: ?Hör mal zu, wenn du das und das nicht machst, den Mülleimer heraustragen, mir mehr Haushaltsgeld geben, dann hol ich sofort dieses im Eilverfahren erwirkte Papier wieder heraus. Du fliegst wieder raus und kannst bei deiner Mutter, die du sowieso nicht leiden kannst, wieder wohnen. Das halte ich für etwas problematisch und da müssen Sie auch überlegen, ob das gewollt ist, bei dem, was Sie hier vorhaben. Zumahl auch die Geltungsdauer fortwirkt, ohne neue Zustellung an den Schuldner. Da hat man ? wie soll ich das sagen ? das Schwert in der Tasche und kann es jederzeit herausziehen, wer immer das ist.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel (SPD): Frau Kloster-Harz, ich muss Sie an die Zeit erinnern.

Ich bin sofort fertig, noch zwei Dinge. Die Rolle des Gerichtsvollziehers, die ist sehr merkwürdig geregelt. Er darf Gewalt selbst anwenden und er darf Dritte ? schwarze Sheriffs ? dazu ziehen oder wie? Ich weiß es nicht. Das finde ich auch sehr problematisch. Wie der Gerichtsvollzieher zum Beispiel diese ?telefonische Belästigung? überwachen soll, weiß ich auch nicht. Soll er sich in die Wohnung setzen, den Telefonanschluss herausziehen, wenn der Mann wieder anruft ? das ist wohl nicht praktikabel. Ein weiteres Problem sehe ich auch darin, wie der Umgang mit Kindern ausgeübt werden soll, wenn solche einstweiligen Anordnungen da sind. Noch zwei Punkte: Die Rechte des Vermieters sind hier in keiner Weise berücksichtigt. Er bekommt einen armen Vertragspartner unter Umständen auf unabsehbare Zeit aufgebürdet, und nicht jeder Vermieter holt das Geld nur aus der Tasche, sondern manchmal sind Kredite zu bedienen. Das ist sehr problematisch. Ich halte das in Hinblick auf Artikel 14 für unvertretbar. Denken Sie auch bitte darüber noch mal nach. Abschließend noch etwas in eigener Sache. Ich arbeite gern, ich arbeite auch gelegentlich umsonst, aber in diesem Fall haben Sie den Gebührentatbestand für die Anwälte vergessen. Es muss also im § 41 der Gebührenordnung noch der 621g ZPO, wenn es denn so werden sollte, wie Sie vorhaben, eingefügt werden, sonst werden sich die Anwälte immer überlegen, ob die Gewalt so stark war, denn sie bekommen kein müde Mark dafür. Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

SV Thomas Mörsberger: Vielen Dank für die Einladung, Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren. Mein Name ist Thomas Mörsberger. Ich bin Jurist, leite das Landesjugendamt Baden in Karlsruhe und bin zudem Vorsitzender des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht. Für manch einen früher unter dem Namen Deutsches Institut für Vormundschaftswesen noch vertraut. Wir sind zuständig für die Beratung insbesondere von Jugendämtern, die als Mitglieder unseren Verein tragen. Ich habe Ihnen vorher eine schriftliche Stellungnahme zukommen lassen, will aber pointiert knapp in 10 Punkten Anmerkungen machen. Der vorliegende Entwurf ist meines Erachtens ein Schritt in die richtige Richtung. Rechtssystematisch sicherlich sehr gewagt, aber dazu will ich hier jetzt weiter keine Ausführungen machen. Ich sage richtige Richtung mit einem ?Aber?. ?Aber? im Sinne von Ergänzungsbedürftigkeit und dies benannt aus der Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe.

Der Entwurf betrifft einerseits einen allgemeinen Schutz gegen bestimmte Gefahren und andererseits geht er gezielt auf Beziehungskonflikte ein. Einerseits in ehelicher Gemeinschaft und dann allgemein in häuslicher Gemeinschaft. Um es kurz zu fassen, die Fälle von nicht ehelicher Gemeinschaft sind im Hinblick auf die Kinder nicht erfasst. Hier ist eine Ungleichbehandlung, die angesichts der Kindschaftsrechtsreform etwas überrascht. Zweiter Punkt: Ich denke, es muss alles getan werden angesichts dessen, was sicherlich veränderungsbedürftig ist. Für Deeskalation sorgen, und ich sage, dass es ganz sicher dramatische Fälle gibt, auf die dieser Entwurf, so wie er jetzt dasteht, 100prozentig passt. Aber in der Gesamtwirkung gibt es Dinge, von denen ich sage: hier ist Ergänzungsbedarf. So wie jetzt der Entwurf dasteht, besteht die Gefahr, dass der erleichterte ? ich nenne es jetzt mal Platzverweis ? in vielen Alltagsfällen eher zu einer Eskalation der Gewalt führt. Der Druck zur Selbstregulierung wird genommen, Verantwortung wird abgegeben, Hilfe wird erschwert. Dritter Punkt: Als ein Repräsentant der Kinder- und Jugendhilfe bekenne ich mich zum Prinzip der Hilfe vor Strafe. Nicht Hilfe statt Strafe. Es gibt Fälle, wo Strafe eingreifen muss. Das will ich hier nicht weiter ausführen, aber ich denke, dass dies eine Messlatte ist. Der Entwurf wäre meines Erachtens, wenn man das, was da ermöglicht wird, als Auffangposition schwieriger Situationen verstehen würde, hilfreich. Ich behaupte aber, so wie es jetzt ohne Ergänzung dasteht, ist die Gefahr da, dass ? darf ich das überspitzt sagen ? dieser Antrag, dieser Anspruch eher zu einer Erstschlagwaffe wird. Punkt 4: Ich bin mir nicht sicher, von welcher Situation in familiären oder überhaupt in Beziehungskonflikten der Entwurf wirklich ausgeht? Ich behaupte, dass in Beziehungskonflikten Gewalterfahrung fast alltäglich ist. Wer sich existentiell in der Beziehung bedroht fühlt, bei dem ist Gewaltausübung in kleiner oder großer Form nichts besonderes. Ich weiß, warum ich das sage. Ich finde, darüber sollte nicht lamentiert werden. Die Frage ist, wie man genau die Grenze hin bekommt zwischen nicht mehr zwischen den Beteiligten zu bewältigenden Erfahrungen und einer Erfahrung, die hier doch sehr wohl selbst in den Griff zu bekommen ist.

Ich meine, dass wir in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung haben, dass eben genau vor richterlichen, justizorientierten Entscheidungen, andere Verfahren im Vorfeld gesucht werden müssen, und dass die Gefahr besteht, dass, wenn hier nicht der Entwurf ergänzt wird, zu schnell zu dieser Waffe gegriffen wird. Ich nehme nur ein Wort: Mediation. Ich meine, dass hier eine Botschaft in eine andere Richtung geht, als sie in den letzten Jahren bei uns Gott sei Dank auf den Weg gekommen ist. Fünfter Punkt: Wir haben seit 1977 einen kontinuierlichen Abbau von gewaltsamen Lösungen im Kontext von Familien ? das behaupte ich. Ich behaupte, dass durch die Veränderungen im Familienrecht ein wesentlicher Beitrag geleistet worden ist. Ich will das hier nicht weiter ausführen, aber wir haben auch immer Ausweichmanöver. Das weiß jeder aus der Praxis. Nach 1977 wurde alles auf die Regelung der elterlichen Gewalt geschoben, alles was vorher Schuldfrage war, kam in diesen anderen Bereich. Sie kennen die ganze Entwicklungsgeschichte.

Wir sind jetzt in einer Situation, wo im umgangsrechtlichen Bereich diese Dinge auftauchen. Aber auch da bietet sich jetzt möglicherweise an, das Thema Gewalt in offensiver Weise vorzutragen und dies jetzt nicht mehr mit den Vorgaben, wie wir sie eigentlich im Kindschaftsrecht hatten, wenn, wie gesagt, die Reihenfolge nicht stimmt, wie ich sie versuche im Sinne eines Ergänzungsvorschlages ins Spiel zu bringen. Wir haben 1980 mit der Installierung des § 1666 a BGB im Bereich der Sorgerechtsregelungen ein Modell entwickelt, von dem ich meine, dass es vorbildlich ist, dass nämlich, bevor richterliche Entscheidungen greifen, zulässig ist, dass hier andere Formen der Hilfe ausprobiert werden müssen. Dazu besteht eine entsprechende Verpflichtung. Warum wird nicht ein ähnliches Modell - analog sozusagen - hier in diesen Kontext hineingebracht.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel (SPD): Herr Mörsberger, ich muss auch Sie an die Zeit erinnern, obwohl Sie erst bei Punkt 5 sind.

SV Thomas Mörsberger: Nein, dann habe ich Punkt 6 nicht benannt. Das ist jetzt schon Punkt 7 und den nenne ich dann ganz kurz. Das Jugendamt wird meines Erachtens falsch verstanden in vielen Ausführungen, die ich dazu auch schon bisher gehört habe, ich meine, auch im Vorfeld dieser Beratungen. Wir werden zu sehr als eine Institution der Tatsachenermittlung verstanden und nicht als Hilfeinstanz. Wir sind es gewöhnt, mit Dingen umzugehen, die nicht bewiesen sind, aber auch nicht bewiesen werden müssen. Es geht in erster Linie um Hilfe. Damit kommen wir auch an Kinder. Punkt 8:

§ 49 a FGG im Entwurf halte ich für unhaltbar. Da soll das Jugendamt dann eingeschaltet werden, wenn alles schon verloren ist. Ich meine, hier kommt es darauf an, gerade im Vorfeld Dinge auf den Weg zu bringen. Punkt 9: Ich meine, dass das Gericht andere Aufgaben hat, als es hier indirekt auf das Gericht zugeschrieben ist. Letzter Punkt: Ich meine, dass, wie ich es eben im Kontext von § 1666 BGB angesprochen habe, ein Vorbehalt eingebaut werden sollte, und dass damit meines Erachtens die Sache selbst, die ich für richtige halte, gut auf den Weg gebracht werden könnte. Vielen Dank.

SV Prof. Dr. Dagmar Oberlies: Vielen Dank für die Einladung, meine Damen und Herren. Ich werde wenig zu dem sagen, was ich bereits in der schriftlichen Stellungnahme vorgetragen habe, weil sich auf dem Podium inzwischen ein paar Fragen angesammelt haben, zu denen ich auch in dem Zusammenhang gerne etwas sagen würde. Zu meiner Person: Ich bin Juristin und Mediatorin. Ich war Anwältin und habe sehr viele Scheidungen durchgeführt und Nebenklagen vertreten. Ich war Referatsleiterin im Ministerium und bin jetzt Professorin in einem sozialen Fachbereich, bilde also die zukünftigen Mitarbeiter der Jugendämter aus. Unter anderem habe ich ein Buch zu dem Thema Rechtsberatung bei Misshandlungen geschrieben und bilde Frauenhausmitarbeiterinnen rechtlich fort und das gibt mir Anlass, an die Ausführungen von Herrn Bock anzuknüpfen. Ich würde für mich in Anspruch nehmen, dass ich auch Kriminologin bin. Ich habe meine Doktorarbeit über Tötungsdelikte zwischen Männern und Frauen geschrieben. Eine empirische Untersuchung, die Ihnen vielleicht nicht bekannt ist, aber in der ich anhand von 177 repräsentativ ausgesuchten Tötungsurteilen festgestellt habe, dass die Chance von Frauen, innerhalb einer Lebensgemeinschaft Opfer eines Tötungsdeliktes zu werden, 9mal größer ist als die Chance eines Mannes, in dieser Beziehung Opfer eines Tötungsdeliktes zu werden. Ich finde, diese Zahl widerlegt, unabhängig davon, was ich Ihnen noch zu den Urteilen sagen könnte, nämlich, dass sich aus meiner Sicht die Gesellschaft hier immer mitschuldig gemacht hat, weil sie nicht rechtzeitig, nicht die richtige Hilfe und nicht zur richtigen Zeit und am richtigen Ort Hilfe angeboten hat, also allein diese Zahl wiederlegt, dass wir sagen können, hier werden Männer und Frauen gleichermaßen Täter und Opfer der Gewalt. Spätestens da, wo es nun wirklich nicht nur auf eine subjektive Einschätzung ankommt, was Gewalt ist, sondern wo wirklich jemand tot ist, kann ich Ihnen sagen, ist das Verhältnis 9 : 1.

Insofern muss ich sagen, ich bin jetzt etwas verärgert und erregt, weil ich es schon fast zynisch finde, wenn man sich solche Zahlen anguckt. Was mir sehr wichtig ist und insofern auch noch einmal zu Ihnen, Frau Kloster-Harz. Natürlich hätte ein solcher Gesetzentwurf vor allem die Aufgabe, Handlungsklarheit für die Beteiligten herzustellen. Das wäre eine wichtige Funktion, und wenn das sozusagen in eine Prävention münden würde, wären wir alle froh darüber um die Klarheit dieses Entwurfs, wenn das zu kompliziert ist zu wissen, wo man welche Hilfe bekommt. Das, finde ich, ist eine richtige Richtung, die dieser Entwurf nehmen muss. Insofern muss er ein annehmbares Angebot für die Frauen bereitstellen, das ist sehr wichtig und er muss klare Handlungskonzepte verfolgen, an die sich sowohl die Männer halten können, also dass klar ist, was ihnen passieren kann, als auch die Gerichte Klarheit haben müssen. In allen drei Bereichen sehe ich noch Mängel in dem Entwurf. Genannt wurden schon die Ausschlussfristen. Wenn ein Entwurf wirklich ein Schutzkonzept verfolgen will, und ich finde das ein bisschen hochgehängt, dass dieser Gesetzentwurf sich Gewaltschutz-gesetz nennt, weil er weder vor noch nach Gewalt wirklich schützt. Dazu bräuchte man irgendwelche Gesamtkonzepte. Das tut er sicher nicht, er macht ein paar überfällige Änderungen im Zivilrecht, die auch sicher wichtig sind, aber wenn man so ein Schutzkonzept verfolgt, dann muss man eben auch den Weg zu Ende denken und zu Ende gehen und sagen: im Zweifel für den Schutz.

Also nicht jeder Nachweis muss gelingen, sondern ich muss auch sagen, ich gehe ein Risiko ein in der Hoffnung, dass ich die eine oder andere Frau vor schlimmeren bewahre. Ich komme aus der Erfahrung mit den Tötungsurteilen. Also insofern müssen die erforderlichen Zeiten von Frauen respektiert werden, damit es überhaupt ein annehmbares Angebot für Frauen ist. Insofern sehe ich die Fristen in § 2 Abs. 3 des Gesetzentwurfs und § 1361 Abs. 4 BGB auch sehr problematisch. Was ich ebenfalls problematisch sehe, ist, dass der Gesetzentwurf in seinen Formulierungen, in dem er immer wieder solche Öffnungen drin hat, ?berechtigte Interessen?, ?schwerwiegende Belange?, eigentlich eine Rechtfertigungstendenz fördert, die, das wissen wir aus allen Studien aus Amerika, eigentlich nicht hilfreich ist. Weil sie genau dazu führen, was der Herr Bock hier vorgeführt hat, dass letztlich ein Streit um Schuld oder Unschuld, um die Entwicklung von Gewaltdynamiken entsteht. Und hier soll es aber um Schutz gehen und nicht um Schuldzuweisung. Das ist etwas völlig anderes. Im Zweifel muss die Person geschützt werden, die heftiger von Gewalt bedroht ist. Das kann vielleicht auch mal der Mann sein.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Frau Prof. Oberlies, Ihre Zeit ist auch schon um.

SV Prof. Dr. Dagmar Oberlies: Einen Punkt zum Schluss. Es wäre schön, wenn

§§ 823, 1004 BGB sozusagen alles regeln würden, aber als Puristin wissen Sie auch, es ist eine Analogiebildung. Also gerade nichts ist geregelt, sondern wir wenden etwas entsprechend an. Mein Problem ist ein ganz anderes. Nämlich das Problem: Wird hier nicht durch den Gesetzgeber eine Lücke geschlossen, die die analoge Anwendung von §§ 823,1004 BGB geradezu verhindert für die Zukunft. Wenn das so wäre, dann würde der Schutz des Gewaltschutzgesetzes hinter der bisherigen Analogie §§ 823, 1004 BGB zurückbleiben, und davor möchte ich zum Schluss noch mal gewarnt haben. Den Rest können Sie meiner schriftlichen Stellungnahme und hoffentlich meinen Antworten auf die Fragen entnehmen. Danke.

SV Hanspeter Peine: Meine Damen und Herren, mein Name ist Hanspeter Peine. Ich bin Fachanwalt für Familienrecht und im Vorstand des Verbandes ISUV/VDU Interessenverband Unterhalt und Familienrecht. Das Anliegen unseres Verbandes ist es im wesentlichen, dass aus unabdingbaren Gründen heraus ganz grundsätzlich jeglicher Reformgesetzentwurf jetzt neutral zu formulieren ist. Das gilt auch für das vorliegende Gewaltschutzgesetz. Zentraler Punkt ist im wesentlichen, das wird uns auch in der Praxis am meisten beschäftigen, die Neuregelung von § 1361 BGB. Zentraler Punkt ist die geschlechtsspezifische Interessenlage. Auch aus meiner eigenen Praxis kann ich bestätigen, wenn physische Gewalt ausgeübt wird, so wird sie mit Sicherheit von Männern ausgeübt. Es kommt selten mal vor, dass auch ein Mann kujoniert wird und möchte die Wohnung haben. Aber es kommt vor. Es liegen darüber auch Urteile vor, und ich bin mit dieser Meinung nicht alleine, sondern ich verweise auf die Abhandlung von Prof. Mäder ?Familien und Recht?, Ausgabe Mai - ist mir gerade gestern in der Kanzlei zugegangen. Auch er weist darauf hin, dass es im Einzelfall eben so sein kann, dass Ehefrauen Gewalt ausüben gegen Männer. Ich habe in meiner Praxis auch so etwas schon erlebt. So erstaunlich das zunächst einmal das klingt. Häufiger ist es da der Fall, wenn die Männer schon krank sind oder alt sind. Wir haben nicht nur den Bereich der physischen, sondern wir haben auch den Bereich der psychischen Gewalt. Im psychischen Bereich sieht es meines Erachtens schon ganz anders aus. Psychisch terrorisieren kann jedes Geschlecht, jeder Ehegatte den andern genauso. Das weiß ich aus meiner eigenen Praxis zu genau. Es gibt auch Frauen, die haben hier eine erhebliche Energie. Deshalb war es und ist es unser Anliegen, dass man alle Interessenlagen berücksichtigt, und es kann gar nicht anders sein, als dass ein solcher Gesetzentwurf geschlechtsneutral formuliert wird.

Nun lassen Sie mich eine kurze Anmerkung machen zum zentralen Kernpunkt, der materiellen Regelung § 1361 b BGB. Man kann schon die Frage stellen, ob eine unzureichende gesetzliche Regelung ersetzt werden soll durch eine möglicherweise etwa genauso unzureichende Regelung. Wenn ich mir das Tatbestandsmerkmal der schweren Härte anschaue, sehe jetzt, dass man dieses Tatbestandsmerkmal austauschen will durch die unbillige Härte, so kann man schon die Frage stellen: Was ist da gewonnen? Auch Coester, der wohl einer der wesentlichen Initiatoren für diesen Gesetzentwurf war, hat in seiner Abhandlung von 1993 diese Auswechselung des Begriffes als ?Glasperlenspiel? betrachtet. Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder lässt man es, wenn man schon reformieren will, bei einem neuen Generalbegriff, oder man denkt darüber nach, dass man den Gesetzentwurf mit Fallkonstellationen versieht. Hierfür hat sich Erbach, Richter am Landgericht, in der neu erschienenen Ausgabe der Zeitschrift ?Familien und Recht?, ebenfalls ausgesprochen. Ich habe es in meiner Stellungnahme schon dargelegt. Ich bin an und für sich kein Freund von extensiv formulierten Fallkonstellationen. Warum: Ich befürchte, dass das Gesetz noch unklarer, unübersichtlicher wird. So müssen wir uns wahrscheinlich mit dem Nachteil eines heutigen Gesetzes zufrieden geben, also wenn man sagen will, unbillige Härte, überlassen wir es den Gerichten, wie auch schon bei der schweren Härte, was Sie daraus machen. Wir haben ja schon sehr unterschiedliche Rechtsprechungen zum Begriff der schweren Härte.

Es ist auch meine Erfahrung, in Ballungsgebieten, speziell aus München kann ich das bestätigen, gerade wenn Kinder im Haushalt leben, werden die Gerichte natürlich auch wie bisher schon versuchen, eine Regelung zu schaffen. Es sah bisher so aus, dass man den Begriff der schweren Härte, wenn man die Gesetzesvorgabe ansieht, an und für sich über dehnt hat. Nun gut. Man kann die Hoffnung haben, dass die unbillige Härte wiederum durch die Oberlandesgerichte, durch die Familiengerichte im Laufe der nächsten Jahre so präzisiert wird, dass man wiederum Fallkonstellationen vorfinden kann, wie es auch jetzt schon der Fall ist. Ich bin auch überzeugt, dass die Gerichte für die unbillige Härte eine geringere tatbestandliche Eingriffsermächtigung sehen und sicher mehr Wohnungszuweisungen aufgrund dieses Reformgesetzes erfolgen können. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob der Gesetzentwurf in allen Absätzen, auch wenn man mal die unbillige Härte jetzt so stehen lässt, so glücklich geregelt ist. Besonders, wenn ich mir den Absatz 4 ansehe, § 1361b Absatz 4 BGB. Da wird gesagt: Ist nach der Trennung der Ehegatten im Sinne von § 1567 Abs. 1 BGB ein Ehegatte aus der Ehewohnung ausgezogen und hat er binnen 6 Monaten nach seinem Auszug dem anderen Ehegatten eine ernstliche Rückkehrabsicht nicht bekundet, dann wird unwiderleglich vermutet, dass er nicht zurückkehren kann.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Herr Peine, ich muss auch Sie an die Zeit erinnern.

SV Hanspeter Peine: Nur ein Letztes zu dieser Verfassungsfrage. Hier ist in der Tat, darauf hat auch Erbach in seiner Abhandlung hingewiesen, das Problem, dass man die Trennungszeit unterläuft, wenn man sagt, es wird vermutet, dass die Ehe zerrüttet ist, nach Ablauf von einem Trennungsjahr. Jetzt ist ein Ehegatte nach 6 Monaten aus der Wohnung draußen. Was ist die Konsequenz? Dann ist ja eigentlich das Trennungsjahr vorfristig schon mit 6 Monaten abgelaufen.

Ein Ehegatte ist ausgezogen, der andere nutzt die Ehewohnung allein. Dann ist er praktisch aus der Ehewohnung ausgezogen. Bisher hat die Rechtsprechung immer gesagt, das Trennungsjahr beginnt mit dem Zeitpunkt des endgültigen Scheiterns der Ehe, und da nimmt man als praktisches Kriterium, wenn die Ehegatten sich räumlich trennen. Ich sehe hier jedenfalls ein Problem. Frage wäre: Ob man hier nicht eine nähere gesetzliche Eingrenzung treffen könnte. Außerdem bin ich nicht glücklich mit der unwiderleglichen Vermutung. Nehmen wir mal den Fall, einer zieht aus - wird krank ? gerät in einen Verkehrsunfall ? fällt ins Koma, dann wird hier auch unwiderleglich vermutet, nach Ablauf von einem halben Jahr, dass er nicht mehr einziehen will. Das geht meines Erachtens nicht, es muss zumindest in irgendeiner Form die Vermutung widerlegbar sein. Dankeschön.

SV Petra Raddant: Mein Name ist Petra Raddant. Ich bin Leiterin des Frauenhauses in Eggesin (Mecklenburg-Vorpommern). Das tue ich seit 10 Jahren. Ich habe in diesen 10 Jahren ungefähr 700 von Gewalt betroffene Frauen betreut. Ich begrüße im Namen der Fachschaft die Entscheidung der Bundesregierung, sich im Rahmen des Aktionsplanes mit dem Gewaltschutz für Frauen bzw. für die Opfer von Gewalt zu beschäftigen. Das Gesetz wird von den Fachbereichen Frauenhäusern, Beratungsstellen und Notrufen begrüßt. Ich möchte hier in Anbetracht der Kürze der Zeit nur auf zwei wesentliche Dinge eingehen. Nachdem schon einige Anregungen der Fachgruppe Frauenhäuser im Gesetzentwurf eingearbeitet wurden, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass wir der Auffassung sind, im § 1 Abs. 1, die Gesundheit oder Freiheit sind sehr weit gefasste Begriffe. Sie schreiben in Ihrer Dokumentation auf Seite 40 dazu: Mit dem Schlagwort psychische Gewalt bezeichnete Sachverhalte werden im weiten Umfang über den bürgerlich-rechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und über das Gewaltschutzgesetz mit dem Schutz vor Drohung und unzumutbaren Belästigungen erfasst. Zwar finden sich Gesundheitsschäden als fortgesetzte Handlungen psychischer Gewalt über den bürgerlich-rechtlichen Schutz des deutschen Persönlichkeitsrechts im BGB wieder, wie aber bezeichnen wir die Situation, in denen Frauen in ihrem Selbstbestimmungsrecht auf freie Entfaltung verletzt und in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden? Ich möchte Ihnen hierzu nur einige Beispiele aus meiner 10-jährigen Berufspraxis nennen. Androhung des Entzugs der materiellen und wirtschaftlichen Grundlagen, wie Geld, Vermögen, Eigentumsreduzierung. Androhung der Entmündigung, Einweisungsandrohung in Psychiatrie oder Pflegschaftsmissbrauch, Androhung oder tatsächliche Wegnahme der Kinder, zeitweiliger Kindesentzug oder Terror durch Verhaltensweisen wie Schlechtmachen im Freundeskreis, Einreden von Minderwertigkeit, Drohung der Vernichtung des persönlichen Eigentums, Verletzung des Briefgeheimnisses, Ausschluss aus dörflichen Gemeinschaften etc.

Frauenhausmitarbeiterinnen und Multiplikatorinnen der Frauenhausarbeit regen daher an, beispielhaft beschriebene Situationen wenigstens in die Gesetzesbegründung aufzunehmen und sie ebenfalls dem Schutzbereich des Gewaltschutzgesetzes zuzuordnen, zumindest wenn sie im häuslichen Bereich geschehen. Denn sie stellen auch ohne sofort medizinisch nachweisbare Folgen eine kontinuierliche psychische Gesundheitsbeeinträchtigung dar. Wir begrüßen die Konsequenz der Zuweisung der Ehewohnung in jedem Falle an das oder die Opfer. Dabei muss unserer Auffassung nach der Schutz des Lebens vor dem Schutz des Eigentums stehen. Wir sehen ein weiteres Problem für Mütter und Kinder in den Regeln des reformierten Kindschaftsrechts. Die in § 1 Gewaltschutzgesetz vorgesehenen Näherungs- und Kontaktverbote gehen nicht konform mit dem neuen Kindschaftsrecht. Nach Erfahrung von bereits arbeitenden Koordinierungsstellen als auch Frauenhäusern mussten den Vätern die Kinder auch in Fällen häuslicher Gewalt zugeführt werden, wenn er das Besuchsrecht wahrnehmen will. Das Umgangsrecht sollte generell bei Gewalttätigkeit ausgesetzt werden. Mindestens sollte klargestellt werden, dass mit der Anordnung von Näherungs- und Kontaktverboten nur ein begleitender Umgang in Frage kommt. Ebenso sollte die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge in diesem Problembereich erwogen werden. Es ist unbedingt zu beachten, dass eine unbillige Härte auch dann gegeben ist, wenn das Wohl von im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist (§ 1 Abs. 2). Das ist unser Vorschlag zur Änderung. Ich stimme den Vorrednerinnen Frau Geißel und Frau Oberlies zu, die Antragsfrist in besonderen Fällen muss unbedingt verlängert werden.

Wir sind auch der Meinung, dass für die Ordnung der eigenen Verhältnisse sowohl materieller als auch für die Überwindung der Probleme und Ängste, die Frauen mehr Zeit benötigen, als die hier im Gesetzentwurf vorgesehene Frist. Des Weiteren möchte ich noch eine kurze Bemerkung zum Zeugnisverweigerungsrecht machen. Das heißt, wir sind der Meinung, dass Beraterinnen das Zeugnisverweigerungsrecht zugebilligt werden muss, weil es die Lage der Beraterinnen erschwert. Da sie vertrauensvolle Daten entgegennehmen, haben sie mehr Kenntnis und sind daher Fragen des Datenschutzes besonders ausgesetzt. Dankeschön.

SV Prof. Dieter Schwab: Frau Vorsitzende, sehr verehrte Damen und Herren. Ich bin Dieter Schwab, Zivilrechtler an der Universität Regensburg. Ich halte diesen Entwurf für ein wichtiges Projekt. Es ist schon wahr, dass sehr viel schon bisher gemacht werden könnte aufgrund der geltenden Rechtslage. Allerdings nicht alles, was in § 2 dieses Entwurfes vorgesehen ist und schon um diese ganze Problematik in ein anderes öffentliches Bewusstsein zu heben, wäre es wichtig, spezielle Instrumente der Gewaltprävention zu schaffen. Ich hab auch eine Reihe von Punkten, die ich ganz kurz auflisten möchte. Erstens: Der Entwurf in § 1 - das sind die sofortigen Maßnahmen zur Beendigung der Gewalt ? greift insofern zu kurz, als er nur Unterlassungspflichten, aber nicht die Pflicht zur Beseitigung einer noch andauernden Störung enthält. Ich will sagen, derjenige der schon in der Wohnung sitzt, aber raus soll, der soll nicht rausgeklagt werden können auf diese Weise, sondern es soll ihm erst das Betreten der Wohnung verboten werden. Dann wäre, wenn keine Ehe besteht, für den Hinauswurf, die allgemeinen Zivilgerichte zuständig. Für das Unterlassen künftigen Betretens die Familiengerichte. Das halte ich nicht für sinnvoll.

Zweiter Punkt: Auch eine Rechtschutzlücke. Das Gesetz ist auf eine Paarbeziehung, obwohl das nicht genannt wird, ausgerichtet. Es ist immer der Täter oder die Täterin und die verletzte Person. Es sind ja auch noch Kinder da. Nun sagt uns dieser § 3, wenn gegen Kinder Gewalt geübt wird, dann sind die Instrumente des Kindschaftsrechts zuständig (§ 1666 BGB). Wenn die Gewalt gegen den Partner geübt wird, dann § 1 oder 2 Gewaltschutzgesetz. Das geht nicht ganz auf. Wenn z. B. nur die Kinder misshandelt werden, dann sieht das Kindschaftsrecht kein Instrument vor, damit eine Wohnungszuweisung zu verbinden. Zumal das auch völlig unabhängig vom Sorgerecht ist. Man muss dann bei § 1666 BGB ansetzen ? ich habe es in keinem Kommentar gefunden, dass § 1666 die Möglichkeit erwägen will, wegen der Misshandlung der Kinder nun den Täter aus der Wohnung heraus zu setzen und noch die Wohnung auf ein halbes Jahr oder ein viertel Jahr zur alleinigen Benutzung zuzuweisen. Hier ist eine Rechtsschutzlücke. Man muss sich diesen § 3 noch einmal überlegen oder bei dem § 1666 BGB einen Zusatz machen. Dann habe ich noch ein paar andere Dinge. Die Fristen bei der Wohnungszuweisung sind sehr lange. Es läuft ja die Mietforderung weg und wenn derjenige, der in der Wohnung bleibt, kein Einkommen hat, dann zahlt also der Täter, muss eine eigene Wohnung mieten und steht für die Miete gerade. Das Gewaltschutzgesetz ist Reaktion und zwar sofortige, umgehende Reaktion auf eine Gewalttaten, in der sofort was geschehen muss ? egal, wie die Rechtsverhältnisse im übrigen sind. Alles was längerfristig gehen soll, das muss auf einer Rechtsgrundlage zwischen den Partnern, zwischen den Beteiligten beruhen ? entweder Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft oder auch, was ich noch hinzufügen möchte, gemeinsame Verantwortung für Kinder. Ich komme noch gleich darauf, wenn ich noch Zeit dazu habe. Überlegen Sie sich diese Länge ? ich hab ja alles ausgeführt in meiner schriftlichen Stellungnahme. Dann möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Rechte und Interessen Dritter nicht hinreichend berücksichtigt sind, sowohl bei der Frage der Verfügungsbeschränkungen als auch bei den Zuweisungen. Das ist auch näher ausgeführt mit Beispielen in meiner Stellungnahme. Ich möchte zu bedenken geben, wenn wir uns überlegen, es gibt zwei grundlegend unterschiedliche Regelungen. Das eine ist die sofortige Gewaltprävention, auch mit zivilrechtlichen Mitteln und das andere ist die Zuweisung bei Ehegatten nach § 1361 b BGB , wenn sie getrennt leben oder leben wollen. Das sind zwei ganz unterschiedliche Ebenen. Der § 1361 b BGB hat zwar auch sehr häufig mit Gewaltfällen zu tun, aber er findet auch in sonstigen Fällen, wo die Partner sich trennen wollen, Anwendung. Ich finde es richtig, wenn der Gesetzgeber es vorsieht, nicht alle möglichen Haushaltsgemeinschaften im Rahmen des § 1361 b zu behandeln. Aber es stellt sich die Frage, ob nicht bei Eltern, bei gemeinsamen minderjährigen Kindern, ob das nicht ein Rechtsverhältnis ist, nämlich die gemeinsame elterliche Verantwortung, die eine Regelung nach Art des § 1361 b auch erfordert, mit der Folge, dass Regelungen über ein halbes oder ein Jahr hinaus getroffen werden könnten.

Ich danke, wenn ich noch kurz die Bemerkungen machen darf.

§ 1361 Abs. 4 BGB sollte beseitigt werden, das ist schon ein paar mal angesprochen worden. Der auf Dauer angelegte gemeinsame Haushalt als Begriff, eine Mixtur aus einer Definition des Bundesverfassungsgerichts für die eheähnliche Gemeinschaft minus der sexuellen Komponente ist sehr problematisch, darauf hat der Herr Bäumel schon hingewiesen, und letztendlich, man möge vielleicht überlegen: Diese Gewaltschutzmaßnahmen des § 1. Denken wir uns in einem häuslichen Umfeld oder in einem Umfeld, wo persönliche Beziehungen angebahnt werden sollen. Ein junger Mann stellt einem Mädchen unentwegt nach oder umgekehrt. Es könnte natürlich auch für die Presse Bedeutung haben, wenn die Nachstellung oder das Belästigen durch Fernkommunikationsmittel und der gleichen, wenn das durch ein Gericht verboten werden kann. Und wenn dann der Verstoß gegen das gerichtliche Verbot strafbar ist, dann ist natürlich auch ? Stichwort Paparazzi ? in einem Bereich, an den wir vielleicht im Augenblick gar nicht gedacht haben - es ist keine Einengung, die Presse darf nichts widerrechtliches tun - aber es ist natürlich eine neue Sanktion da. Ich wollte nur darauf hingewiesen haben, damit man weiß, welche Auswirkungen das auch haben könnte. Ich bin nicht gegen diese Regelung, nur dass man diesen Aspekt mit in die Beratungen nimmt.

SV Dr. Brigitte Sellach: Sehr geehrte Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren. Ich komme von der Frauenhaus-Koordinierungsstelle beim Paritätischen Gesamtverband. Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern aus allen Bundesländern und Multiplikatorinnen aller Trägergruppen haben in diesem Rahmen, im Rahmen der Frauenhaus-Koordinierungsstelle des Paritätischen Gesamtverbands den Gesetzentwurf ausführlich beraten. Als erstes möchte ich sagen, wir begrüßen das Gesetz und das Gesetzesvorhaben ausdrücklich. Bei der Erarbeitung der Stellungnahme, die Sie in den Unterlagen finden, standen in erster Linie die Interessen der Frauen und ihrer Kinder, die Opfer häuslicher Gewalt sind, im Mittelpunkt. Entsprechend wurde geprüft, inwieweit die Formen von Gewalt, denen Frauen ausgesetzt sind, im Gesetzentwurf angemessen erfaßt sind. Es wurde geprüft, inwieweit die sofortige räumliche Trennung des gewalttätigen Mannes, oder häufig des gewalttätigen Mannes, von der betroffenen Frau so möglich ist, dass er die Wohnung verlassen muss. Des Weiteren, inwieweit eine unmittelbar wirksame und ausreichende Sicherheitssphäre für die Betroffenen gestaltet werden kann, in der sie vor weiteren Übergriffen geschützt sind. Weiter, inwieweit indirekt Entlastungsmöglichkeiten im Gesetz enthalten sind zugunsten der Täter bzw. welche Hürden Frauen bei der Durchsetzung ihres Schutzanspruches überwinden müssen. Zum Beispiel, inwieweit Verfahren der Beweissicherung weiterhin zu Lasten der Opfer geregelt sind oder unbestimmte Rechtsbegriffe, neue Interpretationsspielräume zu Lasten der Opfer eröffnen. Was auch wichtig war, inwieweit Migrantinnen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zivilrechtlichen Schutz in Anspruch nehmen können und schließlich, inwieweit das Wohl der im Haushalt lebenden Kinder berücksichtigt ist. Das waren die Prüfkriterien, und vor diesem Hintergrund möchten wir einige Schwerpunkte in der Stellungnahme hervorheben. Wir haben den Entwurf immer an seiner Zielsetzung gemessen. Von Gewalt betroffene Frauen und Kinder sollen effektiv geschützt werden, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind, ob sie auf Dauer mit dem Täter zusammenleben oder welchen Aufenthaltsstatus sie haben. Sechs Schwerpunkte in der Stellungnahme möchte ich besonders hervorheben. Erstens: Der Begriff des ?Vorsätzlichen?, weil dies für die betroffenen Frauen bedeutet, dass sie im Verfahren vor dem Familiengericht oder dem Zivilgericht nicht nur das objektive Tatgeschehen, das widerrechtliche Verhalten also des Täters darlegen müssen, sie müssen außerdem auch zur subjektiven Seite seines Verhaltens etwas sagen, ob er das vorsätzlich gemacht hat.

Frauenhausmitarbeiterinnen sehen darin eine indirekte Entlastung des Täters, da die Frau dem Täter den Vorsatz nachweisen muss, um eine der Schutzmaßnahmen zu erreichen. Sie regen an, das Wort ?vorsätzlich? aus dem Gesetz zu streichen. Zweitens: Frauenhausmitarbeiterinnen können nicht erkennen, warum die Beweiserleichterung für die verletzten Frauen im Entwurf nicht ausdrücklich genannt worden ist. Aus der Arbeit mit den Opfern häuslicher Gewalt ist bekannt, dass ihre Beweissituation in der Regel besonders schwierig ist, da oft Zeugen fehlen und sie nicht daran denken, das Material zu sammeln, sie auch gar nicht wissen, was als solches gelten könnte. Auch fällt es den betroffenen Frauen häufig schwer, angesichts der tiefen emotionalen Verstrickung zum Misshandler, Abstand zum Misshandlungsgeschehen zu gewinnen und die Beweismittel zu sichern. Weiterhin ist bekannt, dass die Partner der überwiegenden Mehrzahl der Frauen, die Schutz im Frauenhaus suchen, mehrfach Gewalt ausgeübt haben, und die Wiederholungsgefahr im Sinne einer widerlegbaren Vermutung sollte daher im Gesetz ausdrücklich benannt werden.

Drittens: Ein Problem aus der Sicht der Frauenhausmitarbeiterinnen ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Frist von 3 Monaten. Aus der Praxis ist bekannt, dass die Frauen sehr lange und sehr sorgfältig überlegen, ob sie Schutz suchen, ob sie ausziehen wollen, weil mehr daran hängt. Sie fühlen sich verantwortlich für den Zusammenhalt der Familie und sehen, dass mit ihrem Auszug diese Familie auseinander geht. Und außerdem müssen wir wissen, dass sie gedemütigte Frauen sind aufgrund des Gewaltgeschehens. Daher halten wir die Befristung des Anspruchs auf 3 Monate für zu gering, und daraus ergeben sich auch Probleme.

Zum einen können die Frauen, die z. B. ins Frauenhaus gegangen sind und Sozialhilfe erhalten, mit Bezug auf die Frist unter Druck gesetzt werden, innerhalb der 3 Monate in die Wohnung zurückzukehren, unabhängig von der Schwere oder der Häufigkeit der Verletzungen. Das andere Problem sehen wir darin, dass den Frauen mit dem Druck in die Wohnung zurückkehren zu müssen, die notwendige Zeit beschnitten wird, die sie für eine Neuorientierung benötigen. Die Frauenhausmitarbeiterinnen sehen daher eine Erweiterung der Frist auf 6 Monate als gerechtfertigt an.

Die Dimensionen der psychischen Gewalt im Gesetzentwurf fallen heraus, und es gibt Studien, nach denen körperliche Symptome, wie Kopfschmerz, Migräne oder so, deren Ursachen bereits als Gewaltbeziehungen vermutet werden, aber bei den Ärzten gar nicht als solches erkennbar sind. Außerdem haben Frauen auch einen Anspruch auf Schutz, bevor sie so ernst erkranken, dass sie beispielsweise einen Arzt aufsuchen müssen. Fünftens: Was uns ganz besonders wichtig ist, für die Frauen besonders wichtig ist, ist das Kindeswohl. Bei der Berücksichtigung des Kindeswohls werden noch Defizite gesehen. Die Frauen sind insbesondere über die Kinder erpressbar, was sich jetzt auch bei der neuen Kindschaftsregelung der elterlichen Sorge zeigt. Von den Jugendämtern wird so ein Druck auf die Frauen ausgeübt, dass sie den Vätern die Kinder zuführen sollen, und das bringt die Mütter und Kinder häufig in ganz gefährliche Situationen. Von daher sollte auch noch mal darüber nachgedacht werden, inwieweit nicht das Kindeswohl noch ausdrücklicher genannt werden sollte.

Abschließend sollte für Migrantinnen, die einen eheabhängigen Aufenthaltsstatus haben, sichergestellt werden, dass nach dem Gesetz angeordnete Schutzmaßnahmen als Nachweis einer besonderen Härte im Sinne von § 19 Ausländergesetz gelten kann. Abschließend möchte ich ergänzen, dass sich der Paritätische Gesamtverband e. V. und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege der Stellungnahme der Frauenhausmitarbeiterinnen angeschlossen haben, die Argumente daher auf einer breiten, fachlichen Grundlage beruhen. Dankeschön.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Herr Dr. Michael Stormann bitte.

Sie begrüße ich ganz besonders, weil Sie ja als Gast aus unserem Nachbarland ? aus Österreich ? hergekommen sind.

SV Dr. Michael Stormann: Frau Vorsitzende, hoher Ausschuss, meine sehr verehrten Damen und Herren. Mein Name ist Michael Stormann. Es ist mir eine Freude und eine Ehre, hier vor Ihnen zu sprechen. Zunächst eine kurze Vorstellung. Ich bin seit etwas weniger als 3 Jahrzehnten im Familienrecht tätig. Ich bin seit etwas mehr als einem viertel Jahrhundert in Österreich in der Gesetzgebung des Familienrechts tätig, und ich bin in verantwortlicher Position der Gesetzgebung für das Familienrecht seit mehr als einem Jahrzehnt tätig.

Zu meinem Aufgabenbereich gehört das umfassende Abklopfen, wo gibt es einen Regelungsbedarf, wo drückt der Bevölkerung der Schuh. Es geht durch die österreichische Familiengesetzgebung fast ein roter Faden. Wir haben 1978 in der Erziehung des Kindes das elterliche Züchtigungsrecht mit dem Wissen abgeschafft, dass Züchtigung dann wohl unzulässig sei. Und als wir von österreichischen Strafgerichten ? ich würde fast sagen, eines Schlechteren belehrt wurden ? wurde dann 1989 ein Gewaltverbot in der Erziehung minderjähriger Kinder eingeführt, auf dass es alle Teile der österreichischen Justiz auch geglaubt haben. Diese Diskussion über das Gewaltverbot scheint es gewesen zu sein, die um die Mitte der neunziger Jahre auch in Österreich eine Diskussion zur Frage ausgelöst haben, wie sieht es eigentlich mit einem effektiven Gewaltschutz innerhalb der Familie aus?

Der Zugang unseres Hauses war zunächst der, dass wir gemeint haben, es gibt keine rechtlichen Instrumente, ausgenommen Notwehr und ähnliche Dinge, die Gewaltanwendung erlauben. Folglich ist die Gewalt unzulässig und im übrigen haben wir im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch ohnedies eine sehr weite Bestimmung, die ungefähr so lautet, dass jedermann angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte hat.

(Kurze Unterbrechung der Anhörung durch die Vorsitzende zur Klärung, ob die Abgeordneten zu einer Hammelsprung-Abstimmung gerufen wurden.)

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Ja, dann können wir hier weitermachen. Normalerweise klingelt es etwas länger zum Hammelsprung als nur anderthalb Minuten oder wie lange auch immer jetzt. So, das tut mir leid, dass das jetzt so mitten rein platzt, aber bevor Sie jetzt weitergeredet hätten und alle hätten hier miteinander konferiert, ist es, glaube ich, so herum besser. Entschuldigung.

SV Dr. Michael Stormann: Also, wir haben in Österreich eine allgemeine Bestimmung, die, jetzt verkürzt ausgedrückt, die Menschenrechte regelt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt § 16 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches ? ein Gesetzeswerk, das fast ein Jahrhundert älter ist als das Deutsche BGB ? und die Bestimmung lautet etwa, dass jedermann angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte hat. Die Fachleute streiten jetzt, ob die Schlusssätze dieses Paragraphen, der da lautet: ?Sklaverei und Leibeigenschaft sind in unseren Ländern nicht gestattet? noch gilt oder teilweise gilt oder sonst etwas oder durch die de facto Abschaffung von Sklaverei und Leibeigenschaft gegenstandslos ist, aber das wollen wir mal bei Seite lassen. Es bestand eigentlich auch unter den Fachleuten völlige Klarheit darüber, dass Kraft dieser Bestimmung eigentlich jedermann gegen jeden anderen, von

dem aus eine Gewaltanwendung droht, einen Unterlassungsanspruch hat und dass dieser Unterlassungsanspruch wohl auch mit gerichtlicher einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden könnte, sofern die Gefahr besteht. Denn schließlich und endlich kann man eine derartige Verfügung als Richter leicht erlassen, weil sich der Anspruch direkt aus dem Gesetz ergibt und nur die Gefahr zu bescheinigen wäre. Dessen ungeachtet, haben wir uns überzeugen lassen, dass ein Bedarf nach einer speziellen Regelung gegeben ist. Und zwar war der Bedarf deswegen merkbar, dass unsere theoretischen Überlegungen von niemanden in der Praxis auch nur annähernd nachvollzogen wurden. Das heißt, was hier theoretisch gedacht wurde, welche Möglichkeiten es gab, das hat die familienrechtliche Praxis niemals realisiert. Es ist niemals einer auf die Idee gekommen in Österreich, fußend auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Unterlassungsansprüche gegen Gewalt geltend zu machen. Die Ehre wurde eingeklagt, gegen die Gewalt ging es nicht.

Wir haben uns daher dann umgesehen nach geeigneten Vorbildern, und wir wurden dann vor allem in den USA und in Kanada fündig. Wir hatten bei diesen Vorbildern immer ganz große Probleme, diese Vorbilder umzudenken in Systeme, in denen die Europäische Menschenrechtskonvention gilt. Denn das, was ein amerikanischer Richter kann, das würde sein deutscher Kollege nicht können, weil das Bundes-verfassungsgericht davor ist.

Und wenn es ein österreichischer letztinstanzlicher Richter macht, dann ginge es direkt zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, weshalb die menschenrechtliche Dimension in Österreich auch immer etwas lauter gedacht wurde, weil sozusagen die Gefahr, dass der Staat selbst in ein Verfahren verwickelt wird, deutlich größer ist als in unserem etwas größeren Nachbarland. Wir haben dann überlegt, was für ein Konzept könnte hier gefunden werden, das praktisch funktioniert. Eine unserer Ausgangsüberlegungen war ein sehr betrüblicher Umstand. Anders als in Deutschland, gibt es in Österreich keinen zivilgerichtlichen Journaldienst. Es gibt zwar bei den Landesgerichten einen Strafrichter, der Haftbefehle erlassen kann, der erste Pflichtverhöre durchführen kann, der die Untersuchungshaft verhängen kann, aber es gibt keinen Experten für Familienrecht, der rund um die Uhr Dienst hat. Das war für Österreich eine sehr entscheidende Schlussfolgerung, denn unsere gesamten praktischen Überlegungen führten immer wieder zum Ergebnis, dass der Bedarf zu gering sei, um einen gerichtlichen Journaldienst einzuführen. Ganz abgesehen davon, hat sich in den Diskussionen noch zunehmend herausgestellt, dass es in erster Linie der Sicherheitsapparat, also Polizei und Gendarmerie ist, an die sich die Bevölkerung wendet. Sei es die Bevölkerung, die Hilfe sucht, sei es die etwas weniger liebenswerte Bevölkerung, die sich über die Schmerzensschreie der Frau in der Nachbarwohnung beklagt haben. Es war nun mal klar, wer da gerufen wird, sind die Organe der öffentlichen Sicherheit.

In den Gesprächen, die geführt wurden, unter anderem ist es auch ein Gespräch gewesen, an das ich mich noch bildhaft erinnere, der wunderschöne Barocksaal unseres Palais Auersberg, unser derzeitiger Ministerpräsident Dr. Michallek ist dazu gestoßen, als am Rande einer Veranstaltung eine Besatzung eines Wiener Funkstreifenwagens bittere Klage darüber geführt hat, dass sie so häufig zu einer familiären Auseinandersetzung gerufen werden, und dass sie eigentlich nichts machen können. Sie schreiben etwas in ihr kleines Büchlein und dann fahren sie wieder. Sie können nicht helfen, denn es liegt kein Haftgrund nach dem Strafprozessrecht vor; es ist nicht schwer genug gewesen, was vorgefallen ist, aber sie riechen irgendwie, hier hätte man etwas tun müssen. Hilfe wäre nötig gewesen. Sie selbst als Beamte mit der Dienstwaffe am Gürtel fühlten sich ohnmächtig in der Situation familiärer Gewalt. Das hat uns nun veranlasst, ein Konzept zu entwickeln. Das Konzept sollte wie folgt aussehen, ergaben dann die näheren Gespräche:

Die Polizei schreitet zur Intervention, aber diese Intervention endet nicht damit, dass bei Feststellung einer konkreten Gefährdung die gefährdende Person weggewiesen wird und dass ihr verboten wird, sich an diesen Platz wieder hinzubegeben. Täte die betreffende Person etwas, dann könnte sie von den Sicherheitskräften verhaftet werden. Nun, das war schon mal was. Aber dann wurde weitergedacht. Dann wurde gesagt, es müsste wohl das Gericht irgendwie tätig werden, denn das, was die Polizei macht, kann nicht sehr lange halten. Das bitte auch vor dem Hintergrund, dass wir in Österreich einen sehr schlechten Verwaltungsrechtsweg haben. Wenn Sie sich vorstellen, dass es für Österreich ein einziges Verwaltungsgericht in Wien gibt, das wäre wohl überfordert, wenn es mit allen Interventionen und deren Kontrollen überschwemmt würde. Also wurde gesagt, die polizeiliche Maßnahme kann nur kurz dauern, das ist gerade noch zu rechtfertigen, aber dann soll das Gericht entscheiden und wer das Gericht anruft, der bewirkt damit gewisse zeitliche Verlängerung der polizeilichen Maßnahme.

Dann wurde etwas weiteres gedacht. Jene Personen, die familiärer Gewalt ausgesetzt sind, sind in einer ganz signifikanten Weise hilflos. Sie mögen vielleicht aus ihrer eigenen Grundpsyche heraus hilflos sein, sonst würden sie schon was gegen die Gewalt unternehmen, aber sie sind auch durch die Anwendung von Gewalt in ihrem Durchsetzungsvermögen eingeschränkt. Sie brauchen daher jemanden, der ihnen hilft. Sie brauchen nicht allein den Buchstaben des Gesetzes, der einem eine Möglichkeit gibt, sondern sie brauchen jemanden, der zu ihnen geht und ihnen Zuspruch gibt. Daher wurde das Konzept entwickelt, dass die Polizei nicht nur wegweist und ein Betretungsverbot ausspricht, sondern dass die Polizei eine Hilfseinrichtung verständigt, die sogenannte Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, und von dort schwärmt dann eine Sozialarbeiterin aus, um mit der betreffenden Person zu sprechen, um abzuklären, was notwendig ist, um über die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung zu beraten. Handelt es sich um ein minderjähriges Kind, dann verständigt die Polizei den Jugendwohlfahrtsträger. Da wir ja wissen, dass es hier ein gewisses Problem gibt, haben wir sogar vorgekehrt, dass der Jugendwohlfahrtsträger, wenn etwa die Mutter gar nicht involviert ist in die Sache und auch sonst ein ängstlicher Typ ist, an deren Stelle als gesetzlicher Vertreter des Kindes eine gerichtliche Maßnahme beantragen kann.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Herr Dr. Stormann, jetzt muss ich Sie auch an die Zeit erinnern.

SV Dr. Michael Stormann: Entschuldigung, ich werde gleich zu Ende kommen.

Dieses Konzept hat sich vor allem in der Durchsetzung durch Pragmatismus ausgezeichnet. Wir denken nicht lange über Vollzug nach. Bitte, meine Damen und Herren, der Schlüssel wird abgenommen vom Gericht bzw. der Polizei. Wenn ich Empfehlungen aussprechen darf, dann bitte die: Man möge nach Möglichkeit den Personenkreis weit ansetzen. In Österreich hat sich herausgestellt, dass die anfängliche Kritik, der Personenkreis sei so weit, der Kritik gewichen ist, dass er zu eng ist. Das Missbrauchsargument haben wir am Anfang auch immer wieder gehört.

Seit Inkrafttreten des Gesetzes gibt es im Bundesministerium für Justiz in Ermangelung einer Landesjustiz drei Vorgänge, die auf ein Versagen, auf eine Kritik am Gewaltschutzgesetz hinauslaufen. In einem Fall hat sich ein Mann über eine unrichtige gerichtliche Beweiswürdigung beklagt. Wir haben es dann nachgestellt und kamen dann darauf, der Richter hat wahrscheinlich richtig gehandelt. In einem anderen Fall konnten wir nicht überprüfen, wie das ganze de facto gelaufen ist; und im dritten Fall hat man sich darüber beklagt, meiner Meinung nach völlig zu Recht, dass das Gesetz versagt hat, weil die Frau gestorben ist durch die Gewaltanwendung. Das ist, so glaube ich, einer der wichtigen Punkte. Ich glaube, sehr vieles, was man am Anfang gegen ein solches Gesetzgebungskonzept sagen kann, stellt sich im Laufe der Praxis dann als obsolet heraus. Ich kann hier folgendes zusammenfassen:

Die Gewalt tritt auf. Wir werden durch ein derartiges Gesetz ? wir haben es in Österreich nicht geschafft ? die Gewalt nicht an ihrer Wurzel packen können. Wir können nur Symptom-Theraphie betreiben, aber es ist ein effektives Instrument. Unsere Erfahrungen sind positiv und ich ermutige daher Deutschland, ein Konzept zu beschreiten, das aus einer Kombination zwischen polizeilicher Intervention und zivilgerichtlicher Tätigkeit besteht. Ich weiß, dass hier die Verfassung eine andere ist, hier geht es um den zweiten Teil und mein Befund der Vorlage, deren Details ich als Ausländer nicht beurteilen möchte, ist, dass es im wesentlichen zielgerichtet und gut ist. Meine Bemerkungen zu Details habe ich schriftlich abgegeben und möchte auf diese verweisen. Ich glaube, dass ich mich hier nicht in Details verlieren sollte. Dankeschön.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Herzlichen Dank, das war noch ein Blick über unsere Grenzen hinweg. Es war eigentlich verabredet, dass die Berichterstatterinnen und Berichterstatter als erstes das Wort haben. Im Moment sind von den Berichterstatterinnen und Berichterstattern nicht alle da, deshalb machen wir es jetzt der Reihe der Meldungen nach. Frau Wolf hatte sich als erste gemeldet. Dann gehen wir hier die Runde herum, so dass jede Fraktion einmal vertreten ist und danach ist die Runde freigegeben. Frau Wolf, bitte.

Hanna Wolf, MdB: Unsere Berichterstatter haben mir das Erstfragerecht zugestanden, weil ich noch in einen anderen Ausschuss muss.

Herr Stormann, ich glaube, wir haben den Österreichern sehr viel zu verdanken, sie haben uns eigentlich auch wirklich auf den Weg gebracht, wie wir das hier auf den Weg bringen konnten. Das war unheimlich wichtig. Ich möchte Sie fragen und auch die Frau Prof. Oberlies: Es wurde hier schon die Problematik des Umgangsrechts angesprochen. Ich frage zunächst erst mal Frau Prof. Oberlies: Ist da nicht wirklich eine Lücke bei dem gemeinsamen Sorgerecht insofern, dass in dem Fall der Gewalt und Verweisung des Ehemannes oder des Partners aus der Wohnung, in diesem Falle des Ehemannes, schon der Tatbestand des Kindeswohlgefährdung besteht, indem die Frau in Anwesenheit der Kinder geschlagen wird? Es besteht doch aber wohl die Möglichkeit, dass trotz ausgeübter Gewalt, trotz des Tatbestands Verweisung aus der Wohnung, das Umgangsrecht erhalten bleibt und somit keine Sanktion stattfindet, auch wenn die Kinder in ihrem Kindeswohl massiv beeinträchtigt sind. Müsste da nicht doch für diese Zeit der Verweisung aus der Wohnung geregelt sein, dass da wenigstens das Umgangsrecht ruht, um hier auch zu zeigen, dass es nicht angehen kann, dass es eine Einheit ist, wenn die Mutter geschlagen wird, es eben auch die Kinder betrifft? Da hätte ich gerne von Ihnen eine Antwort, ob Sie das auch so sehen und ob da tatsächlich eine Lücke ist. Ich würde gern Herrn Stormann fragen: Wie ist das in Österreich mit dem gemeinsamen Sorgerecht und in der Problematik läuft das automatisch weiter für den Vater ? seine Rechte aus dem gemeinsamen Sorgerecht oder ist da auch etwas vorgesehen zur Unterbrechung für diesen Fall? Wie regeln Sie es in Österreich?

Norbert Geis, MdB: Bezug nehmend auf diese letzte Frage von Frau Wolf. Widerspricht das nicht dem Kindeswohl, wenn das Umgangsrecht in dieser Weise eingeschränkt werden würde, weil der Vater sich durch Gewalt mit der Mutter auseinandergesetzt hat? Ist nicht allein die Frage nach dem Kindeswohl entscheidend dafür, ob das Umgangsrecht nun stattfinden kann oder nicht? Und nicht die Frage, ob es eine Auseinandersetzung, wenn auch tätliche Auseinandersetzung zwischen Vater und Mutter gegeben hat. Es kann ein Hinweis dafür sein. Mein Augenmerk richtet sich allein darauf, ist für eine solche Frage nicht wirklich nur allein entscheidend das Kindeswohl? Ich richte meine Frage an Herrn Prof. Bock, Frau Dr. Kloster-Harz und Herrn Hanspeter Peine.

Irmingard Schewe-Gerigk, MdB: Sowohl Frau Geißel als auch Herr Peine hatten das Thema der psychischen Gewalt angesprochen und befürwortet, dass das hier zusätzlich aufgenommen wird. Nun gibt es ja mehrere Möglichkeiten, das zu übernehmen. Einmal die psychische Gewalt in das Gesetz hineinzuschreiben, was möglicherweise Definitionsprobleme mit sich bringt, oder aber eine erhebliche Verletzung der Persönlichkeitsrechte, weil es dazu eine Rechtsprechung gibt, oder keine Beschränkung auf vorsätzliche Taten, weil die bei psychischer Gewalt nur schwer nachweisbar wären. Deshalb würde ich meine Frage an Sie zunächst stellen, Frau Geißel. Sehen Sie die Gefahr, dass ohne Aufnahme der erheblichen Verletzung des Persönlichkeitsrechts die praktischen Chancen, eine Unterlassungsanordnung zu erwirken evtl. sogar sinken, und was würde Ihrer Meinung nach alles unter erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts fallen?

SV Dr. Michael Stormann: Zu der Frage Umgangsrecht, elterliche Sorge. Wir haben in Österreich eine gewisse Forderung, im Kindschaftsrecht auf den familiären Gewaltschutz Rücksicht zu nehmen, insbesondere, wie es in Österreich heißt, das Recht auf persönlichen Verkehr ausdrücklich einzuschränken. Wir haben derzeit eigentlich, so zeigt die Rechtsprechung der Gerichte, einen derartigen Regelungsbedarf nicht, aber möglicherweise auch deshalb, weil wir in unserer österreichischen Art weniger perfekt, sondern pragmatisch sind. Es ist nämlich dem österreichischen Familiengericht aufgetragen, seine Entscheidungen nur zu vollziehen, wenn das Wohl der Betroffenen auch gewahrt ist. Das heißt, wir können mit der Situation leben, dass nicht nur bloß ein gesetzlicher Anspruch auf Besuchskontakt, sondern sogar ein in einer gerichtlichen Entscheidung konkretisierter Anspruch auf Besuchskontakt besteht, und das Gericht kann zum Ergebnis kommen, dass es seine eigene Entscheidung nicht in Vollzug zu setzen hat, weil es kontraproduktiv wäre. Das heißt, mit diesem Trick kommen wir um eine ausdrückliche gesetzliche Regelung bezüglich des Umgangsrechts herum. Was die Frage der gemeinsamen elterlichen Sorge betrifft, so ist folgendes zu sagen: Wir haben in Österreich genau genommen keine gemeinsame, sondern eine konkurrierende Sorge. Das heißt, grundsätzlich in den meisten Angelegenheiten, ausgenommen der super wichtigen, die kaum vorkommen, ist ein Elternteil allein berechtigt, das Kind zu vertreten. Das heißt, wir können Dank unseres Pragmatismus damit leben, das, verkürzt ausgedrückt, ein Elternteil das Kind hat, dass eine gemeinsame Sorge beider Eltern besteht, aber die gemeinsamen Angelegenheiten würden erst bei der Auflösung eines Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses beginnen, nicht bei dessen Eingehung. Das heißt, den Lehrvertrag könnte die Mutter bereits völlig allein unterschreiben, auch wenn der Papa aus dem Haus gewiesen ist. Wir haben damit folglich keine enormen praktischen Probleme und haben uns bei unserem Gesetz, das muss ich ganz offen zugeben, auch nicht von derartigen theoretischen Überlegungen leiten lassen. Hier gibt es keine Legislativforderungen, ich meine, dass es auch keine praktischen Probleme bei uns gibt.

SV Prof. Dr. Dagmar Oberlies: Wir gehen manchmal mit dem Begriff des Kindeswohls um, als wüßten wir alle, was damit gemeint ist. Der Begriff des Kindeswohls ist aber ein unbestimmter Rechtsbegriff. Insofern, Herr Geis, stimme ich Ihnen zu, dass maßgeblich das Kindeswohl ist, aber wir sind trotzdem in der Verantwortung zu sagen, was dem Kindeswohl schadet und was ihm nicht schadet. An der Stelle werden wahrscheinlich Wertungsunterschiede anfangen, die verschiedene Personen, die sich das angucken, haben in dieser Frage. Klar ist, dass das Kindeswohl gefährdet ist, wenn das Kind selbst geschlagen wird. Da ist es unmittelbar eine Einwirkung auf das Kind. Klar ist auch wahrscheinlich noch, auch für Sie, da werden Sie mir wohl zustimmen, dass das Kindeswohl dann gefährdet ist, wenn aufgrund Misshandlungen, die zwischen den Eltern stattfinden, das Kind psychische Auffälligkeiten vorweist. Schwierig wird die Frage, wenn sich diese Störungen, und dieses Problem stellt sich hier, möglicherweise erst sehr viel später herausstellen. Dann hat man ? ich habe heute morgen schon den Scherz mit Tucholsky gemacht -, dass das Problem an der Prognose sei, Aussagen über die Zukunft zu treffen. Da haben Sie nämlich genau das Problem. In dem Moment, wo Sie fragen müssen, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, haben Sie noch keine Symptome. Wenn sie die Symptome haben, ist es aber irgendwie zu spät.

In dem Problemfeld stehen Sie sehr oft bei der Frage: Beeinträchtigt es das Kindeswohl, wenn der Vater die Mutter schlägt? Ich würde immer dazu neigen, zu sagen: ja. Ich kann Ihnen auch sagen, dass ich das statistisch belegen würde, nämlich mit Zahlen, die wir darüber haben, wie viele Kinder, in Sonderheit männliche Kinder, die in Gewaltbeziehungen ihrer Eltern gelebt haben, die auch vielleicht selbst Gewalt erfahren haben, nachher ihre Frauen in Beziehungen schlagen. Da sage ich, da ist eine Störung eingetreten, die stellen wir vielleicht sehr spät fest, auf die müssen wir aber im Moment der Entscheidung reagieren, und da würde ich immer statistisch argumentieren wollen und sagen: Wenn diese Gefahr besteht, dann gibt es auch eine Gefahr für das Kindeswohl. Wenn wir sozusagen statistisch wissen, dann müssen wir auf diese statistische Gefährdung reagieren und können nicht warten, bis sie konkret wird. Also, das ist für mich ein sehr wichtiger Punkt. Insofern ist natürlich die Frage: Wie bewerten im Moment die Gerichte die Gewalt zwischen den Eltern im Hinblick auf das Kindeswohl? Sie können die eine Haltung einnehmen und sagen: auch ein misshandelnder Ehemann ist ein guter Vater. Ich würde diese Haltung nicht einnehmen, sondern würde sagen, da es eine solche Gefährdung gibt, dass es wirklich Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes hat, auf die psychische und seelische Entwicklung, wie es in § 1666 BGB steht, ist es auch etwas, was für das Kindeswohl relevant ist, und was deshalb auch dazu führen kann und vielleicht auch führen muss, dass das Umgangsrecht ausgeschlossen werden muss. Ich möchte noch einen zweiten Punkt anfügen, der gerade in den anglo-amerikanischen Ländern einen ganz großen Stellenwert einnimmt, nämlich dass dort festgestellt wurde, dass gerade bei der Ausübung des Umgangsrechts mit dem Kind wieder Gewalttätigkeiten gegenüber der Mutter stattfinden, wenn nicht sozusagen eine Trennung der Elternteile bei der Übergabe stattfindet. Das ist sehr häufig, ich habe das in meiner eigenen Praxis erlebt, dass das Abholen des Kindes dazu genutzt wird, letztlich die Frau zu sehen, sie zu bedrohen, unter Druck zu setzen und sie vielleicht auch ? in einem Fall war es bei mir so ? sie auch noch mal zusammen zu schlagen. Das muss man eben auch mit berücksichtigen, dass man den Umgang des Kindes mit seinem Vater nicht isolieren kann von der elterlichen Beziehung. Im übrigen würde ich aber sagen, dass sicher der Herr Schwab der bessere Sachverständige in dieser Frage ist.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Herr Prof. Bock jetzt auf die Frage von Herrn Geis.

SV Prof. Dr. Michael Bock: Auf die Gefahr hin, dass ich wieder als zynisch gelte, ich bin gegen einen solchen Umgangrechtsautomatismus, und zwar wieder nicht aus zivilrechtlichen Gründen, davon verstehe ich auch weniger als Herr Schwab, wahrscheinlich auch weniger als Frau Oberlies, sondern einfach wieder aus empirischen Argumenten. Es bedeutet für das Kindeswohl oft einen extremen Nachteil, wenn es in dieser Weise von einem Elternteil entfernt wird. Da muss man Vor- und Nachteile sehr genau abwägen, und ich würde viel eher dem Herrn Stormann zustimmen, dass wir da eine differenzierende pragmatische Lösung brauchen. Was diese ganzen Fragen betrifft, dass vorwiegend geprügelte Jungen wieder Gewalt ausüben, so möchte ich noch mal darauf hinweisen, wenn jetzt immer und immer wieder behauptet wird, häusliche Gewalt ginge von Männern aus, so ist das einfach nicht wahr. Es gibt hier am Tisch jede Menge Leute, die sagen, ich habe 25 Jahre Berufserfahrung, ich bin in einem Frauenhaus, ich arbeite mit Fällen häuslicher Gewalt, das ist richtig. Sie arbeiten mit einem Ausschnitt von Fällen häuslicher Gewalt, und zwar mit dem Ausschnitt, der öffentlich geworden ist. Deshalb müssen wir endlich zur Kenntnis nehmen, sobald wir repräsentative Untersuchungen haben, ist die Gewalt gleich verteilt, und zwar auch das Stechen mit Messern und das Verwenden von Schusswaffen. Wenn ich das noch anfügen darf, Frau Oberlies ? ich hatte leider nur zwei Wochen Zeit, um dieses Gutachten zu erstellen, habe daher Ihre Arbeit nicht gelesen. Wenn Sie aber die polizeiliche Kriminalstatistik aufschlagen, da sind in der Tabelle 92 getrennt ausgewiesen die Opfer von Tötungsdelikten, nach Geschlecht aufgelistet, und nach Bekanntheitsgrad zum Täter. Das ist nicht punktgenau das, was wir brauchen. Das ist völlig richtig. Da gibt es die Kategorien Verwandtschaft, das sind die Angehörigen nach § 11 StGB und die Bekanntschaft. Wenn wir die Opfer von Tötungsdelikten in Verwandtschaft und Bekanntschaft addieren, dann haben wir mehr Männer als Opfer von Tötungsdelikten als Frauen. Wer sind die Täter, das ist nicht klar, das ist völlig richtig, nur ein Verhältnis von 9 : 1 kann nicht herauskommen. Wir haben keine entsprechenden Untersuchungen wie in den USA, da gibt es die zuhauf, da kann man genau sozusagen die geschlechtsspezifischen Täter- und Opferrelationen sehen und da kommen wir regelmäßig zu dem Ergebnis, es ist ungefähr 3 : 5, aber nicht 1 : 9.

SV Dr. Doris Kloster-Harz: Ich darf kurz an Sie anknüpfen, was Sie, Herr Prof. Bock, gerade ausgeführt haben. Es ist natürlich sehr viel einfacher für eine Frau zuzugestehen, dass sie geschlagen worden, als für einen Mann. Das erlebt man in der Praxis immer wieder, weil es für einen Mann eine größere soziale Schwelle zu überwinden gilt zu gestehen, dass er zu Hause Prügel bekommt. Man kann sich damit in der Öffentlichkeit im Grunde nicht sehen lassen. Ich will es aber dabei belassen, um auf den Kern Ihrer Frage zurückzukommen. Wie sieht es aus mit dem Umgangsrecht?

Sie, Frau Prof. Oberlies, haben gerade angeführt, der Mann kann natürlich die Chance nutzen, zu sagen, ich möchte mein Kind sehen, um der Frau noch mal eine runterzuhauen. Umgekehrt müssen wir natürlich auch sehen, es hat ja immer alles im Leben zwei Seiten, dass die Frau die Chance nutzen kann zu sagen, der haut mich, der haut auch mein Kind, du siehst auch dein Kind nicht mehr. Also hier ist eine gewisse Gefahr des Missbrauchs mit dem Gewaltschutzgesetz ? es kann auch der neue Missbrauch mit dem Missbrauch wieder eintreten. Es hat alles zwei Seiten, wir Anwälte lernen das täglich in unserer Lebenspraxis. Zum Kern Ihrer Frage: Ich habe ja nun gerade zwei Bücher geschrieben zu dem Thema: ?Wir bleiben Eltern, trotz Trennung?. Das ist ein gesellschaftlicher und wichtiger Lernprozess, dass wir die Paar- und Elternebene zu trennen gelernt haben. Wir sollten diesen Lernprozess nicht wieder auflösen, weil es sich zu Lasten der Kinder auswirken wird. Ich denke, Kinder lieben ihre Eltern. Beide brauchen beide Elternteile und die Paarkonflikte sollten nicht dazu führen, dass man den Umgang eines Kindes mit einem anderen Elternteil generell versagt. Es mag sicher Fälle geben, wo das richtig ist. Bitte stellen Sie sich das vor, wenn diese einstweilige Anordnung ergangen ist im Rahmen vom Gewaltschutzgesetz. Der Vater darf keinen Telefonkontakt aufnehmen, er darf sich der Wohnung nicht nähern, wie soll der arme Kerl sein Umgangsrecht ausüben; und das Kind hat trotzdem das Gefühl, es will seinen Papa sehen. Das ist in größeren Städten wie in München kein Problem. Wir haben im Staatsinstitut für Frühpädagogik ausgezeichnete Stellen, wo Kinder übergeben werden können im Rahmen von begleiteten Umgang. Wie das aber gemacht werden sollte in kleineren Orten, wo das nicht der Fall ist, das sehe ich als problematisch an, und ich denke, dass wir auch einen Gedanken von Herrn Mörsberger wieder aufnehmen sollten, nicht immer gleich mit dem dicken Hammer des Gewaltschutzgesetzes, sondern vielleicht wie es das FGG auch im Bereich Kindschaftsrecht vorsieht, doch die Möglichkeiten von Mediation, von vorgeschalteten Verfahren, wie es auch das FGG an dieser Stelle vorsieht zu nutzen, und zwar bevor man diese großartigen Dinge tut, die sehr viel zerstören. Vermittlungsversuche und auch die Funktion des Jugendamtes zu stärken, das halte ich für sehr wichtig und auch hier ist zu überlegen, inwieweit es Vorschaltmöglichkeiten gibt. Denn der Charme, den der Palais Auersberg ausübt, der letztendlich von den Österreichern herkommend uns dieses Gesetz beschert hat, der hat ja auch einen polizeirechtlichen und weniger einen zivilrechtlichen Hintergrund. Deshalb müssen wir überlegen, inwieweit dieses Gesetz in die Systematik und in unsere Landschaft paßt, wie wir es im Bereich des Zivilrechts institutionalisieren.

SV Hanspeter Peine: Zunächst zur Frage der Aufschlüsselung der Gründe des § 1361 b BGB nach psychischer und physischer Gewalt. Ich glaube, ich bin etwas missverstanden worden. Ich habe keine explizite Forderung gestellt, in das Gesetz jetzt auch die unbillige Härte auf die psychische Gewalt zu münzen, denn wenn man jetzt den Entwurf so nimmt, haben wir die physische Gewalt in Absatz 2 geregelt und die psychische Gewalt findet sich in Absatz 1 wieder. Wenn man das von der Gesetzessystematik ? bitte Prof. Schwab, andere sind sicher berufener ? wenn man das jetzt noch weiter aufschlüsseln würde, dann wären wir wieder vor der Frage, reicht dann diese Generalklausel ?unbillige Härte? oder wollen wir hergehen und in diesen Gesetzentwurf Fallkonstellationen einbauen. Ich meine, dann wäre es besser, man läßt es bei dieser einen Generalklausel ?unbillige Härte? und hofft darauf, dass eben die Oberlandesgerichte, die Familiengerichte hier gewisse ? wie ich das vorhin schon sagte ? Fallgruppen durch ihre Urteilsfällung treffen.

Aggressionen, jetzt Konfrontationen, der Eltern untereinander bei Gewalt und Ausübung des Umgangsrechts, da schließe ich mich schon Frau Dr. Kloster-Harz an, dass wir wohl beim Kindeswohl zwei Seiten ins Blickfeld nehmen müssen. Einmal die Interessenlage des Kindes auf Umgang mit beiden Eltern und natürlich auch die Situation, wie ist die Gewaltsituation psychisch oder physisch zwischen den Eltern selber. Für mich ist es ein Unding. Jetzt nehmen wir mal an, ein Ehegatte wird gewalttätig gegenüber den anderen, will das Umgangsrecht haben, die Kinder haben zu dem gewalttätigen Ehegatten ein sehr intensives Verhältnis, wie es überwiegend der Fall sein dürfte ? es wäre sicher ein Unding, wenn man jetzt sagen würde, aus dem Kindeswohl, aus der Interessenlage des Kindes heraus bekommt der gewaltausübende Ehegatte unumschränkten Umgang und dann provoziert man die Konfron-tationssituation zwischen den Eltern, und das kommt wirklich vor, dass dann im Regelfall auch die Mutter wieder attackiert und auch geschlagen wird. Das lösen, soweit ich das sehe aus meiner Praxis, jedenfalls im Großstadtbereich die Gerichte überwiegend dadurch, dass sie dann ein begleitendes Umgangsrecht mit anordnen. Mit einem begleitenden Umgangsrecht ist zumindest diese Konfrontationssituation nicht mehr so prekär. Auf der anderen Seite, wenn ich mit die psychischen Auswirkungen auf Kinder vorstelle, die in einer gewalttätigen Familiensituation eingebettet sind, so sagen auch die psychologischen Sachverständigen, deren Gutachten ich berufsmäßig lesen muss, dass das natürlich Auswirkungen auf die Psyche und die Entwicklung der Kinder langfristig hat. Es ist sicher das Kindeswohl tangiert durch einen Ehegatten, der den anderen immer mit Gewalttaten permanent überzieht. Man muss aber unterscheiden, wenn es sozusagen aus einer Spannungssituation zu einer einmaligen Gewaltsituation gekommen ist und die Wiederholungsgefahr ist nicht mehr gegeben, dann tritt das ja auch nicht in Kraft. Ich will noch mal auf das Spannungsfeld aufmerksam machen. Wenn man sagen würde: Der Ehegatte der Gewalt ausübt, verliert für eine gewisse Zeit das Umgangsrecht mit den Kindern, dann würde eine solche gesetzliche Regelung quasi eine Strafsanktion aussprechen. Aber dann muss man meines Erachtens abwägen, hilft im Augenblick erst mal das begleitete Umgangsrecht und wenn das begleitete Umgangsrecht bei einer bestimmten Situation auch nichts mehr helfen sollte, muss man natürlich überlegen, ob man das Umgangsrecht für eine gewisse Zeitdauer versagen muss. Das Instrumentarium, also die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs, sollte schon gewährleistet werden.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Frau Geißel ist jetzt bitte dran, die Antwort auf die Frage von Frau Schewe-Gerigk.

SV Bettina Geißel: Ich muss jetzt mal gucken, dass ich das, was wir jetzt auch hier im Rahmen der Vorredner gehört haben, kurz sortiere. Um das noch mal klarzustellen, es geht heute und hier um den Bereich der häuslichen Gewalt. Es geht nicht um allgemeine Gewalttaten. Im Hinblick darauf ist unbestritten, dass Männer natürlich die größte Zahl der Opfer darstellen. Es geht hier um häusliche Gewalt und in diesem Bereich sind es die Frauen, die zu 90 Prozent die Opfer darstellen. Wir dürfen das nicht verwechseln. Es geht hier um das Gewaltschutzgesetz. Es betrifft den sozialen Nahraum und nicht allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen, denen wir auch noch Einhalt gebieten müssen, aber nicht heute hier an dieser Stelle.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Ich möchte an dieser Stelle noch mal darauf hinweisen, dass die Sachverständigen untereinander nicht diskutieren müssen, sondern auf die Fragen eingehen sollten, die hier gestellt worden sind.

SV Bettina Geißel: Das gehört zu meinem Teil der psychischen Gewalt. Psychische Gewalt gehört nach der Definition wie wir sie bei BIG erarbeitet haben und ich darf immer nur betonen, dass daran sehr viele Richterinnen mitgewirkt haben, sowohl vom Familiengericht, allgemeinen Zivilgericht, Kammergericht. Wir definieren häusliche Gewalt als physische Gewalt, sexuelle Gewalt, psychische Gewalt, emotionale Gewalt, soziale Gewalt und ökonomische Gewalt. Psychische Gewalt ist Teil dieses Oberbegriffs.

Wenn gesagt wird, häusliche Gewalt geht genauso von Männern wie von Frauen aus, das muss ich an der Stelle noch mal erwähnen, dann frage ich mich, wieso die Berliner Polizei in ihrem Leitfaden zu diesem Bereich ausdrücklich sagt, bei häuslicher Gewalt geht es immer um Gewaltstraftaten, die fast ausschließlich von Männern in enger- stehenden oder ehemaligen Beziehungen zu Frauen ausgeübt werden. Ich hab so bei der Vorbereitung gedacht, dass wir wirklich nicht sagen können, dass es sich bei der Berliner Polizei um eine straff organisierte feministische Kadergruppe handelt. Das hat doch Gründe, warum das einfach in diesem polizeilichen Leitfaden drinsteht. Wenn wir jetzt zu dem Bereich psychische Gewalt kommen, das stellt eine erhebliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Ich habe einfach nur mal ? ich werde mich hüten, den Pahlandt vorzulesen, das ist auch viel zu schwierig ? zu sagen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht, da steht drin, der Schutz umfaßt die Persönlichkeit in doppelter Hinsicht. Einmal in statischer Sicht in ihren Rechten, in Ruhe gelassen zu werden, und in der dynamischen Sicht in ihrem Recht auf freie Entfaltungsmöglichkeit und aktive Entschließungs- und Handlungsfreiheit. Das sind genau die Punkte, die ich vorher erwähnt habe, als die Bestandteile, aus denen die häusliche Gewalt in diesem Rahmen besteht. Es geht um das Kontrollieren, um das Nachstellen, um das Drangsalieren, um das Beeinträchtigen. Genau dieser Punkt ist, anders als wir es jetzt hier gehört haben, von den Schutzgütern in § 1 nicht mit umfaßt. Wir haben Körper, Gesundheit, Freiheit.

Zu dem Bereich Gesundheit kann es gehören, aber erst dann, wenn es nach außen messbar geworden ist. Diese Vorstufe der psychischen Gewalt, wir können uns diese als Rad der Gewalt vorstellen. Aus meiner Praxis kann ich sagen, es ist wirklich fast immer die Vorstufe der später dann einsetzenden physischen Gewalt. Diese Vorstufe, auch dieser gilt es einen Riegel vorzuschieben. Warum müssen wir warten, bis es, ich habe es selber nicht gelesen, aber vor der Sitzung hier gehört, im ?Tagesspiegel? steht: Ein neuer Fall einer Ermordung einer Frau im sozialen Nahbereich, gestern abend hier in Berlin. Wir sehen also, wie aktuell das ist. Wir müssen also bei Beginn anfangen, um unsere Maßnahmen und diesen gesetzlichen Schutz eingreifen zu lassen. Ich denke, dass ich damit erst einmal die Frage Persönlichkeitsrecht, psychische Gewalt soweit beantwortet habe.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Vielen Dank. Jetzt ist die nächste Fragerunde dran. Frau Bläss bitte.

Petra Bläss, MdB: Meine erste Frage richtet sich an Frau Raddant betreffs ihrer Perspektive aus der Praxis als Leiterin eines Frauenhauses. Vielfach wird das Argument genutzt, die notwendigen Mittel für die Frauenhausfinanzierung zu kürzen, weil so ein Gesetz in Anmarsch sei. Vielleicht können Sie Argumente dafür geben, dass das bevorstehende Gesetz überhaupt kein Grund ist, die Mittel zu kürzen und vielleicht einen kurzen Einblick auch in die Finanzlage der Frauenhäuser geben. Meine zweite Frage richtet sich an Frau Geißel. Ich nehme die schöne Wendung von der straff organisierten feministischen Kadergruppe der Polizei auf. Sicher sind wir noch nicht so weit, aber Sie haben vorhin in Ihrem Eingangsstatement gesagt, dass es auch notwendige Konsequenzen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit Weiterbildung/Fortbildung geben muss. Mich würde einerseits interessieren, welche Strategien Sie vorschlagen, damit tatsächlich die Gruppe auch erreicht wird, die die notwendige Hilfe braucht? Und in Richtung Weiterbildung Polizei: Welche Erfahrung gibt es hier auch vor allem in den Kommunen, die bereits BIG-Projekte hatten? Eine dritte Frage an Frau Oberlies. Das betrifft die nachfolgenden notwendigen Änderungen im Bereich der Polizeigesetze. Ob Sie vielleicht dazu was sagen könnten? Vor allem, was die notwendige Zusammenarbeit zwischen Familiengerichten, Polizei und Jugendämtern betrifft.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Herr Kollege Pofalla bitte.

Ronald Pofalla, MdB: Ich hab zwei Fragen. Die erste bezieht sich darauf, und zwei der Sachverständigen sind auch darauf eingegangen. Die bestehende rechtliche Regelung ist §§ 823, 1004 BGB analog. Die entscheidende Frage für mich ist, wo geht nach Ihrer Auffassung, ich glaube das ist eine Frage an die Juristen, die jetzt beabsichtigte Regelung möglicherweise über die bisherige rechtliche Regelung hinaus, und auch diese Frage ist spannend, wo bleibt sie möglicherweise zurück zur bestehenden Regelung §§ 823, 1004 BGB analog. Alle Debatten, wer von wem verprügelt wird, finde ich nicht sonderlich spannend, wenn ich mir die Anmerkung erlauben dürfte. Wir wollen die schützen, die von Gewalt bedroht sind. Ob das drei Achtel da oder fünf Achtel da sind, finde ich eine unerquickliche Debatte. Mich interessiert zum Schutz derer, die da verprügelt werden, wo bleibt möglicherweise die beabsichtigte Regelung hinter der jetzigen Rechtsprechung zurück? Man muss auch anders herum fragen, wo geht sie möglicherweise darüber hinaus? Das war die erste Frage.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: An wen stellen Sie die?

Ronald Pofalla, MdB: An die Juristen. Ich will da keine Beschränkung vornehmen.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel: Das ist etwas schwierig. Es sind fast alles Juristen.

Ronald Pofalla, MdB: Ich finde, es ist eine spannende Frage. Ich will ganz bewußt nicht zielgerichtet fragen. Die zweite Frage ist auf der Ebene der Vollstreckung. In Paarsituationen, Trennungssituationen, die zum Teil auch dramatische Konflikt-situationen sind, ich will mich mal so ausdrücken, ist es ja nicht unüblich, die Wirklichkeit zu verzerren. Bestimmte Dinge, und ich unterstelle mal zunächst keine Boshaftigkeit, nicht so wahrzunehmen, wie sie tatsächlich stattfinden. Die Frage, die ich habe ist - weil wir über Vollstreckung und Platzverweise und andere Fragen reden: Stimmen die Ausjustierungen des Gesetzentwurfes auf der Ebene der Beweisführung? Also, da gibt es Veränderungen, auch auf der Ebene beispielsweise des 64 b Abs. 2 FGG stimmen die, um diesen Verzerrungssituationen ? jeder der in der Praxis ist, weiß, das es sie gibt ? tatsächlich oder wird hier möglicherweise billigend in Kauf genommen, Tatbestände oder Sachverhalte als Faktum anzunehmen, die sich aber wenige Wochen danach als ganz anders herausstellen. Gibt es dann genügend Korrekturmöglichkeiten, die Sachen auch wieder zu korrigieren?

Vorsitzende Riemann-Hanewinkel: Entschuldigung, jetzt muss ich noch mal fragen. Die letzte Frage ging an?

Ronald Pofalla, MdB: Das ist genauso. Es tut mir wirklich leid. Es sind für mich zwei völlig wichtige Fragen. Ich fordere ja nicht jeden auf, sich zu melden, sondern, wer glaubt, was dazu sagen zu können. Aus meiner Sicht halte ich die beiden Fragen für wichtige Fragen und will sie nicht personenmäßig zuordnen.

Vorsitzende Riemann-Hanewinkel: Wir haben dann nur die Situation, dass wir, wenn ich das richtig sehe, bis auf zwei der Sachverständigen alle Juristinnen und Juristen sind. Wir werden sehen. Die nächste Fragerin ist bitte die Kollegin Simm.

Erika Simm, MdB: Ich wollte eigentlich zu den Ausführungen des Herrn Bock nichts sagen, aber irgendwo habe ich den Eindruck, dass sein Beitrag uns ein Stück weggeführt hat, von dem, was uns hier interessieren müsste. Deswegen will ich das nicht so im Raum stehen lassen. Herr Prof. Bock, es irritiert mich schon, wie Sie ihren Beitrag ? die Frage, ob jetzt mehr Gewalt von Frauen oder mehr Gewalt von Männern ausgeht bzw. die von Ihnen behauptete Tatsache, es ginge mehr Gewalt von Frauen aus - zum Hauptgegenstand Ihres Gutachtens gemacht haben. Ich lese unseren Gesetzentwurf immer noch als geschlechtsneutral formuliert. Vor dem Hintergrund Ihres Beitrages, der die Unterstellung enthält, dass wir sozusagen nur zum Schein geschlechtsneutral formuliert hätten, aber in Wirklichkeit dies ein Gesetz sei, das sich gegen Männer richtet, das möchte ich nicht unwidersprochen hier stehen lassen. Das ist mir ganz wichtig, dass das klargestellt wird. Mir ist auch wichtig klarzustellen, dass es uns durchaus ernst ist damit, dass wir auch Gewalt, die von Frauen ausgeht, im sozialen Nahbereich nicht tolerieren oder irgendwo geringschätzen oder geringachten

in dem Sinn, gerade auch, was die Auswirkungen auf die Kinder angeht.

Ich war selber jahrelang Jugendrichterin und habe, glaube ich, ganz realistische Vorstellungen. Einmal, was die Realität in unserer Gesellschaft ist, und zum anderen auch, was die Auswirkungen auf Kinder sind, wenn sie in gewalttätigen familiären Verhältnissen aufgewachsen sind. Ich weiß auch, dass gerade nicht selten oder relativ häufig von Müttern Gewalt geübt wird, wenn es um die Misshandlung von Kindern geht.

Mit der Partnerbeziehung haben Sie mich nicht überzeugt. Ich halte das auch wirklich nicht für das entscheidende Problem. Unser Gesetz soll für beide Geschlechter gelten. Ich möchte auf etwas hinweisen, weil ich den Eindruck habe, dass Sie bei dem einen oder anderen vielleicht doch nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben könnten, dass ich einiges für unseriös halte, was Sie hier machen. Zum Beispiel benützen Sie eine Aussage, dass mindestens genauso viel Frauen oder noch mehr Frauen, 52 %, so aggressiv oder aggressiver seien als Männer mit der Schlußfolgerung, dass dementsprechend mehr Frauen gewalttätiger seien als Männer. Ich denke, zwischen Aggression und Ausübung physischer Gewalt gibt es einen Unterschied. Wenn Sie hier sagen, dass es nur ein geringfügiger Unterschied sei zwischen der Zahl der nach Geschlecht unterschiedenen Opfer, ob die Männer Opfer sind oder die Frauen, diesen Unterschied für geringfügig erklären, gleichzeitig aber sagen, 62 % der Opfer seien Frauen, dann schließe ich daraus, dass nur 38 % der Opfer Männer sind, dann habe ich ein Verhältnis von 62 : 38, das ich nicht für so geringfügig finde.

Ich möchte auch noch sagen, wenn man genau hinsieht, und ich habe Ihr Gutachten gelesen, die Mühe habe ich mir gestern Abend noch gemacht, dann denke ich fließt da einiges, ja Vorurteil oder was immer Sie motiviert, ein, was ich eigentlich nicht als seriös ansehen kann und wo ich auch nicht überzeugt bin, dass das auf hinreichenden empirischen und wissenschaftlichen ermittelten Fakten beruht. Das war mir jetzt schon wichtig, das auch mal zu sagen, weil Sie das so apodiktisch in den Raum stellen, letztlich sich berufen auf Untersuchungen in Amerika, die keiner von uns kennt und nachvollziehen kann, so dass ich meine Skepsis angemeldet haben möchte.

Margot von Renesse, MdB: Meine Frage richtet sich zunächst an Herrn Mörsberger. Sie haben das interessante Wort von der Gefahr eines Erstschlagsinstruments genannt. Ich finde das ist sehr nachdenkenswert. Nach meiner familienrichterlichen Erfahrung dient es einer Vielzahl von Frauen absolut nicht, wenn ihre Männer tatsächlich sozusagen zusammengeknautscht werden und dann im Ergebnis weder als Unterhaltszahler noch als Familienväter weiter zur Verfügung stehen. Im Grunde sind viele dieser Wohnungszuweisungsanträge, jedenfalls unter Eheleuten, auch Hilferufe. So habe ich das jedenfalls verstanden. In vielen Fällen, nicht in allen. Es gibt da große Unterschiede. Ich wäre sehr unglücklich, wenn das das tatsächlich in dieser Form von den Frauen selber oft nicht gewollte Endgültige sein würde, mit denen sie sich selber im Grunde genommen genau so verstümmeln, wie sie ihre Männer verstümmeln. Zumal dann auch Aggressionen die Folge sein können, gegen die man sie kaum noch schützen kann. Man kann sie nicht rund um die Uhr mit Polizeischutz versehen. Aber meines Erachtens gibt es ein Problem. Ich rede jetzt mal von Frauen, denn in der Tat, die Gewaltausübung, da hat meine Kollegin Simm völlig recht, ist jedenfalls seitens der Männer die härtere. Es gibt sehr häufig die Fälle, dass zwar beide Eheleute keine Engel sind, aber dass jedenfalls die Todesstrafe in der Regel darauf nicht steht, jedenfalls nicht nach dem Gesetz. Ich denke, dass das Problem des Leidensdrucks für die Männer sehr viel weniger erreichbar ist, ohne ein solches Instrumentarium. Wenn wir also eine sehr häufige Situation haben - Gewalt ist in der Familie üblich. Die Frau hat irgendwann die Schnauze voll und wendet sich ans Frauenhaus oder einen Anwalt, dann kommt als erstes der Gang zum Gericht, nicht zur Mediation. Zumal der Mann nicht bereit ist zur Mediation. Es gibt kaum Fälle, wo Männer von sich aus zur Beratung gehen. Wenn sie aber im Familiengericht landen, sind sie so klein mit Hut und sagen, ich wollte mich doch nur aussprechen oder etwas vergleichbares, wenn sie die Kinderzimmertür aufgetreten und ihre Frau mit Gewalt zusammengeprügelt haben. Sie wollten sich doch nur versöhnen oder etwas derartiges. Dann kann man sie tatsächlich packen. Wenn ich aber überhaupt nichts habe, als das Angebot der Mediation und habe dieses Instrument nicht, dann bekomme ich sozusagen genau die Situation nicht, die eigentlich erwünscht wäre, nämlich nicht die endgültige Trennung, weil die Frau das oft auch nicht wünscht, sondern eine Veränderung der Lage.

Wie kann man das schaffen, ohne dass man eben diesen Leidensdruck bewirkt, der gerade bei den prügelnden Männern nicht besteht, weil das sozusagen ihre Leidensabfuhr ist ? die Handgreiflichkeit? Ich kann mir vorstellen, dass wir ins Gesetz schreiben, ähnlich wie in § 1666 BGB, wenn andere Maßnahmen nicht für Abhilfe sorgen können, damit das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das eigentlich jedes Gesetz durchlebt, deutlicher wird. Möglicherweise kann man auch die Jugendämter einbeziehen, obgleich ich fürchte, dass viele sich überlastet fühlen. Also, ein sehr idealistisches Bild von Jugendämtern, obgleich ich sie sehr schätze, hab ich nicht. Denn das, was ich gesehen habe mit der Beratung im Umgangsrecht für Kinder ist nicht das, was ich mir so vorgestellt habe, als wir das reingeschrieben haben. Jetzt haben wir eine Beratungspflicht für Kinder in der Wahrnehmung von Besuchen, aber davon habe ich in der Praxis bisher wenig gesehen.

Wie kann man das erreichen, dass wir den notwendigen Leidensdruck auf seiten der prügelnden Männer oder Frauen haben, dass sie tatsächlich auch ihre Situation als hilfsbedürftig erkennen. Das ist mein Problem bei der ganzen Geschichte.

Dann haben Sie darauf hingewiesen, dass das Problem der nichtehelichen Kinder nicht so geregelt sei nach ihrer Meinung, wie es sein müsste. Es gibt ja in der Tat diese Patchworkfamilien viel häufiger als man denkt - meine Kinder, deine Kinder, unsere Kinder. Ich stelle mir vor, ein Mann verprügelt seine Freundin, die er ins Haus genommen hat, weil er zwei Kinder zu versorgen hatte nach geschiedener Ehe. Was machen wir dann? Aber wenn dann noch meine, deine, unsere dazukommen - wird es schwierig.

Wäre nach Ihrer Auffassung der Vorschlag von Herrn Schwab, den ich auch noch mal dazu befragen möchte, sozusagen als Ergänzung, dass das, was einige kühne Familienrichter tun mit § 1666, nämlich möglicherweise Maßnahmen auch gegen Dritte.

Das würde uns auch sehr helfen, wenn Straftaten gegen Kinder begangen werden, nicht in der selben Wohnung, sondern im selben Haus. Es gibt ja auch die sexuellen Übergriffe von Mithausbewohnern, denen wir, wenn sie nicht in U-Haft kommen, nicht abhelfen können, wenn wir nicht den § 1666 in die Richtung dehnen. Aber so klarstellen, dass man nicht der großen Kühnheit bedarf. Das wäre auch meine Frage an Herrn Schwab.

Eine weitere Frage an die Frauenhauserfahrenen. Sie reden immer wieder von psychischer Gewalt. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass wir dann statt einer schlagkräftigen Regelung, die wir im Gesetz anstreben, die man notfalls eben auch am grünen Tisch machen kann, wenn ich mir auch die mündliche Verhandlung sofort danach wünsche, es wäre meines Erachtens auch nicht unwichtig, dass man das auch macht, nicht zuletzt um die Aggressionen dann noch mal abzufangen. Aber sehen Sie nicht die Gefahr, dass der Familienrichter dann in der Ethologie eines Konflikts versandet? Psychische Gewalt, da gebe ich Herrn Bäumel völlig Recht, ist etwas, was sich zwischen Männern und Frauen gleichermaßen abspielt. Da sind die Frauen auch nicht von Pappe. Das ist eine Auseinandersetzung, wie ich sie als Mutter erlebe, wenn die Kinder sich zanken. Das ist kein Regelungswerk für so etwas. Darum scheint es mir jedenfalls an der Grenze der Straftat.

Sie reden hier von messbaren Folgen, Frau Geißel ? aber es erscheint mir notwendig, dass man hier eine Grenzziehung macht, die dem Familienrichter ein schnelles Handeln überhaupt erst ermöglicht.

Irmingard Schewe-Gerigk, MdB: Ich möchte eine Frage an Frau Sellach richten. Sie hatten in Ihrer Stellungnahme von einer Verlängerung der Frist, innerhalb derer die Frauen nach der Tat die Überlassung der Wohnung verlangen müssen, gefordert. Sie haben gefordert, dass diese von 3 Monaten auf 6 Monate zu verlängern ist. Deshalb würde ich Sie gern fragen, liegt die letzte Tat häufig über 3 Monate zurück, wenn die Frauen sich an ein Frauenhaus wenden, und ist es häufig so, dass Frauen länger als 3 Monate brauchen, um sich über ihr weiteres Vorgehen überhaupt Klarheit zu verschaffen?

Eine Frage an Frau Oberlies. Weil der Deutsche Juristenbund uns in seiner Stellungnahme aufgefordert hat, bei der Unterlassungsanordnung, die Formulierung: ?Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhalten muss?, zu ändern in: ?Klarzustellen, dass die Frau auch an Orten vor einem Zusammentreffen geschützt ist, wo sie sich regelmäßig aufhält?. Es kann nämlich sein, dass eine Frau regelmäßig zum Sport geht, da muss sie natürlich nicht hingehen, aber man könnte durch so eine kleine Gesetzesänderung hier möglicherweise etwas ausschließen. Sehen Sie sonst die Gefahr, wenn wir diesen Text so lassen mit ?aufhalten muss?, dass dieses Beispiel so ausgelegt wird, dass weitergehende Anordnungen in der Regel dann unzulässig sind?

Ilse Falk, MdB: Ich habe noch mal Fragen an Herrn Prof. Bock und Frau Geißel, die sich auf Gewalt beziehen, soweit das hier jetzt noch nicht in verschiedenen Fragen auch schon angesprochen ist. Also, im Grunde nur ergänzend noch dazu.

Herr Prof. Bock, Sie heben in der Tat sehr stark darauf ab, auf das Ungleichgewicht zwischen männlicher und weiblicher Gewalt oder auf das Gleichgewicht. Gut, aber im Gesetz ist dies offensichtlich ungleich behandelt, und ich glaube, wir sind uns völlig einig, dass, wenn wirklich körperliche Gewalt eingesetzt wird, Schnitte notwendig sind und Schnitte bedeuten, einer von beiden muss raus. Es ist logisch, wenn dann derjenige raus muss, der Gewalt angewandt hat. Insofern ist dem Ansatz völlig Recht zu geben, dass, wenn die Frau diese körperliche Gewalt angewandt hat, auch sie diejenige dann sein muss, die raus muss aus der Wohnung.

Wenn das unzureichend im Gesetzentwurf ausgedrückt ist, und wenn ich richtig weiß, ist es im wesentlichen in der Begründung sehr ungleichgewichtig ausgedrückt worden, wenn das verändert würde, könnten Sie dann diesen Gesetzentwurf leichter mittragen?

An vielen Stellen kommen Sie zu dem Ergebnis, dass da notwendige Maßnahmen auch ergriffen werden und dann geht es mir noch einmal um die psychische Gewalt. Das ist auch die wesentliche Frage an Frau Geißel, weil wir alle wissen, dass das Berliner Interventionsprogramm gegen Gewalt ein sehr beispielhaftes und gutes ist. Wenn Sie jetzt sagen, sie möchten auch die psychische Gewalt da hinein haben, ist das schon sehr ernst zu nehmen. Deswegen an Sie beide die Frage: Wird der Konflikt deutlich, dass Männer häufiger diejenigen sind, die körperliche Gewalt anwenden und die Frauen die psychische Gewalt anwenden, weil es die Waffen der Frauen sind, weil sie körperlich oft unterlegen sind? Das ist dann die Stelle, an der sehr schwer ein Beweis erbracht werden kann und an der sehr schwer sofortiger Handlungsbedarf nachgewiesen werden kann. Wenn psychische Gewalt als Mittel eingesetzt wird, dann zu beweisen, jetzt muss die Frau aus der Wohnung heraus, kann ich mir schwer als umsetzbar vorstellen. Für mich wäre das der klassische Fall, dort mit Prävention einzusetzen, was auch immer für Instrumente in Frage kommen. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass man da durchaus zu einer übereinstimmenden Meinung kommen könnte, wenn es vielleicht um einzelne Formulierungsveränderungen ginge. Das wäre also meine Frage.

Erika Simm, MdB: Ich wollte noch mal nachhaken bei der Forderung, die ja fast geschlossen aus der Frauenhausszene kommt, dass diese Drei-Monats-Frist verlängert werden müsse. Ich sage ganz offen, obwohl ich selber seit vielen Jahren die Frauenhausszene gut kenne und selber Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Niederbayern-Oberpfalz bin und bei uns auch Frauenhausvereine organisiert sind, sehe ich das aus verschiedenen Gründen sehr skeptisch.

Ich hätte deswegen gerne die Frau Sellach und auch den Herrn Prof. Schwab gebeten, weil das für mich zum einen einen sozialpädagogischen Aspekt, oder wie immer man das nennen will hat, aber auch einen rechtlichen Aspekt. Ich bin gegen eine Verlängerung. Ich bin deswegen skeptisch, weil ich manchmal, Sie verzeihen mir wenn ich das so sage, auch den Eindruck habe, dass man in den Frauenhäusern gelegentlich zu einer gewissen Überbehütung tendiert. Ich bin der Meinung, wenn die Frau sich entschließt, dass sie raus geht aus der Wohnung, ins Frauenhaus geht, dann müsste sie es mit den Hilfen, die sie dort institutionell bekommt, davon gehe ich bei einem gut geführten Frauenhaus aus, binnen drei Monaten schaffen, sich zu entscheiden. Es wäre eigentlich auch im Interesse der Frau und, wenn Kinder vorhanden sind, dass man diese Sache nicht so lange in der Schwebe läßt, weil das auch ein belastender Prozess ist. Dieses Trenn-ich-mich-von-ihm oder Geh-ich-wieder-zu-ihm-zurück, wir wissen ja, ganz viele Frauen entscheiden, dass sie wieder zurückgehen, oder trage ich den Konflikt jetzt wirklich so hart mit ihm aus, dass ich die Wohnung verlange. Ich hab das Recht dazu, das ist mir gesagt worden. Will ich jetzt den Konflikt wirklich auf die Spitze treiben, was dann möglicherweise die Frage nach der Trennung oder Nichttrennung auch mit entscheidet. Ob es unter diesem Aspekt überhaupt wünschenswert ist, diesen Prozess hinauszuzögern, wenn ich die Frau sehe, die evtl. vorhandenen Kinder sehe.

An Prof. Schwab unter rechtlichen Gesichtspunkten und dem Aspekt von Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit: Zuweisung der Ehewohung ist ja immer auch Eingriff in zumindest Besitzrechte, häufig auch in Eigentumsrechte. Nicht nur jetzt bei den beiden unmittelbaren Kontrahenten, sondern nicht selten auch bei betroffenen Dritten. Da ist der Vermieter, da sind es die Eltern, denen die Eigentumswohnung gehört, die sie dem Sohn überlassen haben, der jetzt gehen soll, weil er seine Frau geschlagen hat. Es sind verschiedenste Konstellationen denkbar, wo immer auch die Rechte Dritter tangiert sind. Es geht auch darum, dass es Mitbewohner gibt in einer Wohnung, Verwandte oder wie Frau von Renesse auch gemeint hat, eventuell auch seine Kinder. Wenn er gehen muss und die Kinder mit in der Familie gelebt haben, was wird mit denen? Es sind eine ganze Menge von Dingen, die in der Schwebe gehalten werden, während der drei Monate, wo die Frau sich entscheiden können soll. Meine Frage: Ob das unter den verschiedenen Aspekten, die ich jetzt angesprochen habe, wirklich vertretbar und wünschenswert ist, diese Frist zu verlängern?

Vorsitzende Riemann-Hanewinkel: Jetzt setzen wir zur Antwortrunde an. Ich fange diesmal auf dieser Seite an. Frau Dr. Sellach, Sie waren gefragt worden von Frau Schewe-Gerigk, Frau von Renesse und Frau Simm. Bitte schön.

SV Dr. Brigitte Sellach: Ich möchte zu den drei Monaten etwas sagen. Und zwar aus der Perspektive der Frauen. Die Frauenhäuser in Schleswig-Holstein haben in Vorbereitung auf dieses Gesetz einfach mal im Februar ihre Frauen befragt, die in den Frauenhäusern sind. Findet ihr so ein Gesetz gut? Dann haben die alle ?ja? gesagt. Dann wurden sie gefragt: ?Sagt mal, wie oft habt Ihr denn Gewalt erlebt?? Es stellte sich heraus, dass die Mehrzahl, fast über 90 Prozent Gewalttaten mehrfach erlebt haben. Trotzdem waren sie vielleicht zum ersten Mal im Frauenhaus. Das ist der erste Punkt. Die Frauen haben einen sehr langen Entscheidungsprozess aus mehreren Gründen. Einen jahrelangen Entscheidungsprozess, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Sie sind nicht nur Opfer, sie sind auch aktiv Handelnde dabei. Sie entscheiden immer über ihre weiteren Schritte. Das erste wichtige, was zu sehen ist, ist die Scham. Sie sind Opfer von Gewalt. Sie leben mit einem Mann zusammen, den sie einmal geheiratet haben oder mit dem sie zusammenleben, mit dem sie vielleicht Kinder haben, und der ist der Täter. Das ist eine ganz schwierige Geschichte. Vorhin wurde erwähnt, dass die Männer sich schämen, aber das stimmt für die Frauen noch viel mehr, weil sie sich die Verantwortung dafür geben. Sie sind schließlich für die Familie verantwortlich. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass sich der Mann ordentlich verhält. Also, sie nehmen die Verantwortung auf sich. Sie haben sie nicht wirklich, aber sie nehmen sie auf sich.

Die Beratungsstellen für Männer sagen, dass gewalttätige Männer die Verantwortung selbst für ihr Handeln nicht übernehmen. Da liegt ein Verantwortungsdefizit, was die Frauen dann auf sich nehmen. Das zweite ist, wenn ich sage, sie sind aktiv Handelnde. Sie können außerdem das Geschehen zu Anfang gar nicht richtig einordnen. Es hat sich ja langsam aufgebaut und fängt mit psychischer Gewalt an, um noch mal darauf zurückzukommen, dann wird es auch körperliche Gewalt. Sie können es gar nicht einordnen, was passiert und werden selbst dadurch beeinträchtigt. Jetzt sind sie aktiv Handelnde.

Die andere Seite der Medaille. Sie tragen die Verantwortung für die Familie und wenn sie raus gehen, geht die Familie auseinander. Es betrifft auch die Kinder. Die ganze Diskussion um das Kindeswohl ist immer auch eine Diskussion, die an die Mutter anknüpft. Wenn du nicht gehst, wenn du die Kinder nicht dem Vater zuführst, dann haben allein die Kinder einen Schaden. Das hören die Mütter auch sehr aufmerksam. Sie übernehmen im Grunde auch die Verantwortung, damit die Familie zusammen bleibt und bezahlen dafür auch sehr viel. Vor diesem Hintergrund ist es ein langer Entscheidungsweg, und das drückt sich darin aus, dass die Frauen auch häufiger wieder aus dem Frauenhaus herausgehen und zu dem schlagenden Mann zurückgehen.

Nun betrifft ja diese Drei-Monats-Frist nicht nur Frauen, die im Frauenhaus sind, sondern sie betrifft alle Frauen. Die Bundesregierung gibt eine Studie in Auftrag, um repräsentativ zu ermitteln, was ist eigentlich häusliche Gewalt und wie viele sind da eigentlich wirklich betroffen. Viele Frauen, das wissen wir aus der ambulanten Beratung, die rufen einfach an, lassen sich beraten, dann verschwinden sie wieder. Viele Frauen kommen nicht ins Frauenhaus, gehen zu Freundinnen, gehen zu Verwandten, gehen aus der Familie heraus. Auch die haben diesen langen Entscheidungsprozess und ich finde, sie sollten ein Recht haben, sich Zeit zu nehmen und vor allen Dingen ? ein ganz wesentlicher Aspekt ? wenn die Frauen über Jahre oder über Wochen hinweg misshandelt wurden, dann sind sie auch krank, dann sind sie erschöpft, dann blicken sie manchmal auch nicht richtig durch. Dann haben sie ganz große Probleme und dieses Sich-selber-wieder-aufzubauen, um eine wirkliche Entscheidung zu treffen: das ist ja eine Entscheidung fürs Leben, die die ökonomische Situation betrifft, sie werden möglicherweise alleinerziehend sein - dies alles findet in dieser Phase statt. Ich denke, so erfahren das die Frauenhausmitarbeiterinnen auch, die Frauen als Opfer ? sozusagen als Folteropfer ? und dies muss auch berücksichtigt werden. Es gibt auch keine Begründung für die drei Monate. Es gibt auch keine Begründung für die sechs Monate. Die drei Monate sind aus der Sicht der Frauenhausmitarbeiterinnen und aus ihrer Praxis einfach zu kurz.

SV Prof. Dieter Schwab: Zu dem Normverhältnis der allgemeinen zivilrechtlichen Normen, zu diesen Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes wäre viel zu sagen. Ich will das jetzt nicht tun. Ich will nur sagen, darüber hinaus gilt natürlich eindeutig der § 2. Also niemanden wäre bisher eingefallen, aufgrund des § 1004 BGB eine Wohnung zuzuweisen. Das ist von der Rechtsfolge her eine echte Steigerung. Deswegen muss man auch mit den Fristen etwas vorsichtig sein, weil es ja unabhängig von den Rechtsverhältnissen geschieht zur Gewaltprävention.

Deswegen bitte ich auch darum, die Frist noch mal zu überlegen. Ob es auch zurück bleibt, das würde ich eigentlich nicht so sehen. Wenn wir uns mal den § 1 Gewaltschutzgesetz ansehen, alle Übergriffe oder Eingriffe in Rechte, die dort nicht genannt sind, die sind weiterhin nach den allgemeinen Regeln geschützt. Also etwa die Geheimsphäre, die Privatsphäre, das Verbot des Öffnens der Post und ähnliche Dinge. Ich hätte nur die Bitte, den Beseitigungsanspruch unter diese Maßnahme zu fassen, dass man aufgrund einer sofortigen Maßnahme jemanden aus der Wohnung raussetzen kann, nicht bloß das künftige Betreten verbieten kann. Sonst hat man ein Nebeneinander. Man kann hoffen, dass die Polizei ihn oder sie rauswirft? ich will das geschlechtsneutral machen. Man soll es auch zivilrechtlich können, um nicht plötzlich wieder zwei Wege zu haben.

Bei dieser Gelegenheit darf ich die Bemerkung anfügen: So sehr ich Ihre Argumente und die Argumente von Frau Geißel respektiere, ich würde dringend raten, psychische Gewalt, die ein völlig offener Begriff ist, draußen zu lassen. Sie wird sich unter anderem gegen die Frauen richten, das ist völlig klar. Sie ist nicht justiziabel. Wenn wir damit anfangen, dann wird man die Fälle, um die es geht ? also mit der Gewalt gegen die körperliche Unversehrtheit und die Fortbewegungsfreiheit, darum geht es ? einsperren: Es ist ein gewisses Level erreicht, und hier muss interveniert werden. Alles andere ist ein weites Feld.

Gewaltschutzregeln, so sehen es die Österreicher, die müssen auf klare Tatbestände eine möglichst umgehende klare Antwort geben. Ich bitte darum, das zu berücksichtigen. Vollstreckungsprobleme ? natürlich sind Fälle denkbar, in denen solche Instrumente missbraucht werden. Das ist natürlich auch eine Frage der Gerichtsbarkeit, wie sie mit so etwas umgeht. Ich verstehe schon die Bedenken, die man da haben kann, dass plötzlich einer nach Hause kommt, die Sache ist wirksam geworden durch Übergabe an die Geschäftsstelle und jetzt kann natürlich die Anschuldigung falsch sein. Das ist eine Frage, wie die Gerichte damit umgehen. Wenn Gewalt droht und schwere Gewalt droht und der Richter davon überzeugt ist, dann muss es auch mal möglich sein, so eine sofortige Maßnahme durchzuführen, ohne dass die rechtsstaatlichen Garantien ausgereizt sind. Ich würde nur sagen, man kann solche Instrumente aber nicht immer nur vom Missbrauch her sehen. Das ist ein schwieriges Problem. Das wird auch in der Praxis kein leichtes Problem werden, aber uns sagt Herr Dr. Stormann, dass ? jedenfalls in Österreich, wo das ähnlich funktioniert ? das keine gewaltigen Probleme gemacht hat.

In Deutschland wird das vielleicht etwas höher gereizt als im Palais Auersberg, aber man müsste das sehen. Es ist ein Problem, das will ich sofort zugeben, aber das Problem muss durch einen verantwortungsvollen Umgang durch die Richter ? genügt die bloße Behauptung oder muss ich das irgendwie objektivieren, was verlange ich an ärztlichen Zeugnissen und ähnlichen Dingen ? geklärt werden.

Zu der Frage von Frau von Renesse. Ich würde das einfach für dringend halten, die Kinder in das Gewaltschutzgesetz einzubeziehen, wie die Österreicher das gemacht haben ? ich würde überhaupt sagen, schauen so noch mal genau in das österreichische Gesetz. Ich danke den Damen und Herren, die den Entwurf ausgearbeitet haben, ich will das ja nicht kritisieren. Es ist irgendwie praktischer. Vielleicht sagt Herr Stormann noch was dazu. Es geht gar nicht so sehr um Zuweisung der Wohnung zum alleinigen Nutzen. Es ist sowieso komisch, wenn da mehrere sind. Es kommt erst mal darauf an, dass derjenige oder diejenige, die Gewalt geübt hat, weg ist, und erst mal eine Zeit lang bleibt. Erst macht das die Polizei, dann geht das in ein gerichtliches Verfahren über und dann kann es auch länger sein.

Warum sage ich das? Wegen der Kinder. Die Kinder haben ein eigenes Antragsrecht in Österreich. Das kann dann auch durch den Sorgeberechtigten oder durch ein Elternteil wahrgenommen werden. Es muss möglich sein, eine solche Maßnahme, auch wenn nur die Kinder bedroht sind, durchzuführen. Es darf nicht den Interpretationskünsten der künftigen Gerichte und Kommentatoren überlassen werden, sondern das sollte man hineinschreiben. Überlegen Sie sich diesen § 3 doch noch mal ganz in dem Sinne, in dem Sie das angesprochen haben.

Schließlich zu den Fristen, Frau Simm. Es gibt zwei Fristen in diesem Entwurf. Die eine finden wir in § 2 Abs. 3 Nr. 2. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn die verletzte Person nicht innerhalb von drei Monaten nach der Tat die Überlassung der Wohnung schriftlich verlangt, da diese Regelungen des Gewaltschutzgesetzes Reaktionen auf eine Gewaltsituation, und zwar unmittelbare Reaktionen sein sollen. Nicht etwa längerfristige Regelungen. Es geht nicht um Ehewohungen, nicht um Dauerlösungen, sondern es geht um Beendigung der Gewaltsituationen. Da hätte ich für diese Frist ein gewisses Verständnis. Kein Verständnis habe ich allerdings, für die Frist bei dem § 1361 b Abs. 4. BGB, dass, wenn sich die Frau - nehmen wir mal an, sie wäre die Bedrohte - ein halbes Jahr nicht gemeldet hat, unwiderleglich vermutet werden soll, dass sie dann dem anderen das alleinige Nutzungsrecht überläßt. Das machen auch die Gerichte nicht mit. Ich stelle mir jetzt mal vor, dass eine Frau zu ihren Verwandten oder ins Frauenhaus geflohen ist und sich einfach in der Bedrohungssituation nicht aus der Deckung traut. Jetzt müsste sie, es geht ja um die Ehewohnung bei § 1361 b BGB, um ihre Rechte zu wahren, sich binnen einen halben Jahres melden. Sie kann natürlich Bevollmächtigte schicken, aber immerhin ist es ein Kontakt, und über den Kontakt besteht die Angst, dass man über den Bevollmächtigten auch an die Adresse herankommt. Eine unwiderlegliche Vermutung ? was hat sie denn für einen Grund?

Vorsitzende Riemann-Hanewinkel: Herr Prof. Schwab, Frau von Renesse hat direkt dazu eine Frage.

Margot von Renesse, MdB: Gedacht ist dabei an folgende Konstellation, Herr Professor. Wenn Sie sich vorstellen, es verläßt eine Frau einen Mann, die Wohnung, weil sie nämlich zu Freundinnen, Freund zieht. Dann gibt es Kniest. Es hat meinetwegen ein drei Viertel Jahr gedauert, und der Betreffende oder die Betreffende steht wieder auf der Matte und sagt: ?Meine Ehewohnung?. Der andere hat sich inzwischen eingerichtet ? die andere - und hat den Antrag gar nicht gestellt, weil man davon ausging, der andere ist ja weg. Aber wenn die Ehewohnung auf Dauer bleibt bis zu dem Punkt der Scheidung, dann ist man ständig bedroht von dem Damoklesschwert, ob der andere wiederkommt, weil die neue Beziehung auseinander gegangen ist.

SV Prof. Dieter Schwab: Dann würde ich das ?unwiderleglich? streichen, wenn jemand wegen Gewaltausübung gezwungen ist, sich aus einer Wohnung zu entfernen oder ins Frauenhaus zu gehen. Die Frage der Freiwilligkeit ? das ist auch so ein Problem. Wenn jemand aus einer Gewaltsituation sich wegbegeben hat, dann kann man für diesen Fall nicht vermuten, dass, wenn der Betreffende oder die Betreffende sich ein halbes Jahr bedeckt hält, darin der Wille zum Ausdruck käme, dem anderen auch noch das Nutzungsrecht zu überlassen.

Auch Verzichte setzen normalerweise eine Abrede voraus. Vielleicht machen Sie eine Ausnahme oder Sie streichen das ?unwiderleglich? oder Sie sagen, dass das nicht in den Fällen des Absatzes 2 gilt oder irgend so etwas.

Vorsitzende Riemann-Hanewinkel: Frau Raddant bitte, auf die Frage von Frau Bläss und Frau von Renesse.

SV Petra Raddant: Im Prinzip geht es um die Rolle der Frauenhäuser. Sind Frauenhäuser weiter notwendig? Natürlich sagen wir aus dem Arbeitsbereich Frauenhäuser, dass es weiterhin notwendig ist aus folgenden Gründen. Die Frauen, von denen wir jetzt gesprochen haben, sind nur ein Teil der Frauen, die die Frauenhäuser aufsuchen. Ein anderer Teil sind die Frauen, die beispielsweise jahrelange Gewalterfahrung haben bzw. psychischen Terror erleiden mußten und von selbst z. B. das Frauenhaus aufgesucht haben oder die beispielsweise über Ärzte, über Sozialämter, über Jugendämter oder ähnliches vermittelt wurden, also wo von Dritten der Frau zugeraten wurde, das Frauenhaus als Hilfeeinrichtung aufzusuchen. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass ein Frauenhaus auch nur ein Hilfeleister in der großen Kette der Hilfeleister für die Frauen ist. Es ist nur ein Bestandteil im gesamten Netzwerk.

Wir versuchen den Frauen in Frauenhäusern Hilfe und Beratung zu geben bei der Überwindung der teilweise sehr schrecklichen Gewalterfahrungen, Hilfe zu geben bei der Neuorientierung. Sie brauchen einfach, so wie hier auch in der Diskussion deutlich wurde, professionelle Begleitung und Beratung. Die finden sie in den Teams der Frauenhäuser oder zum Beispiel in den Konfliktberatungsstellen, in den allgemeinen Kontakt- und Beratungsstellen. Ich denke schon, dass Frauen weiterhin Frauenhäuser aufsuchen werden, zumal die Erfahrungen aus Österreich von den Kolleginnen der Interventionsstellen ganz klar vermittelt wurden, dass es keinen Rückgang an Frauenhausaufnahmen zu verzeichnen gab und auch gleichzeitig kein Anheben der Obdachlosigkeit der Männer in Österreich zu verzeichnen war. Das ist immer so eine Frage. Wir leisten natürlich als Anlaufstelle nachsorgende Beratung und Betreuung.

Das ist auch ein Bestandteil unserer Arbeit, der nicht immer so unbedingt in den Vordergrund gerückt wird, der auch weiterhin notwendig sein wird. Wir sind jetzt, ich denke, die Kolleginnen der Interventionsstellen können das bestätigen, die Partner der Interventionsstellen und aller Institutionen, welche mit Gewalt betroffener Frauen zu tun haben, wie Polizei, Jugendämter usw. Die Arbeitspraktiken der Frauenhäuser und der Frauenhausmitarbeiterinnen haben sich auch qualitativ verändert, und es geht eigentlich in Richtung Prävention und in Richtung nachgehende Beratung und Nachsorge. Die Finanzlage der Frauenhäuser ist schwierig. Da kann ich nur erst mal aus meiner eigenen Sicht etwas sagen. Das ist natürlich ein Problem, weil es keine Pflichtaufgabe in irgendeiner Form im SGB ist. Ich habe zum Beispiel das Glück, das meine Einrichtung in meinem Landkreis als teilpflichtige Aufgabe aufgenommen wurde und somit auch eine Haushaltsstelle im Landkreis erhalten hat, wovon ein Anteil der Finanzierung des Frauenhauses mit abgesichert wird. Ansonsten gibt es unterschiedliche Finanzrichtlinien in den Ländern für Frauenhäuser, die auch sehr unterschiedlich gehandhabt werden und über denen auch immer das Damoklesschwert der Streichung und Kürzung der Mittel steht. Ich bin mir in den zehn Jahren meiner Arbeit nie sicher um die Finanzen gewesen. Das Problem ist auch, dass wir fast alle Mischfinanzierung haben, das heißt, ich habe manchmal 15 ? 20 Finanzierer in einem Jahr zu bearbeiten, was dann noch zusätzlich zu der Aufgabe meiner eigentlichen Sozialarbeit kommt.

Im Zusammenhang mit der Entwicklung in den Ländern ist es wichtig zu verdeutlichen, gerade die Erfahrungen mit Mecklenburg-Vorpommern, wir haben eine Interventionsstelle oder zwei, die auch haushaltsmäßig geführt sind, wo aber von vornherein gesagt wird, es sind nur für dieses Jahr in diesem Haushalt vorgesehene Mittel und was in den nächsten ein bis zwei Jahren wird, kann kein Mensch sagen. Wir befürchten schon, obwohl das immer anders lautend dargestellt wird, dass auch zu Ungunsten von Frauenhäusern Finanzierungen nicht bereitgestellt werden, die wichtig und richtig sind. Das wäre der falsche Weg. Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern werden beispielsweise in diesem Jahr vier Frauenhäuser geschlossen. Ganz einfach aus Kostengründen. Wir haben da auch keine Chance, wenn die Vereine, die Partner, die Geldgeber sagen, das Geld ist alle. Dann ist auch die Möglichkeit nicht da für uns, in Widerspruch zu gehen. Das ist auch immer wieder der tägliche Widerspruch; hier wird über die Qualität der Arbeit gesprochen. Was uns sehr freut, dass den Geldgeber die Statistik interessiert, die Aufnahme der Frauen, die Aufenthaltsdauer der Frauen, also die gesamten Themen, die eigentlich nicht den Inhalt der Arbeit widerspiegeln. Über den Inhalt der Arbeit, über die Sozialarbeit mit den Frauen spricht kaum ein Geldgeber mit uns. Das ist natürlich unser Problem. Ich denke, das sind Länderfragen, die auch in Ländern diskutiert werden müssen, was wir in Mecklenburg-Vorpommern tun und weiter tun werden, aber es wäre gut, wenn auch hier aus diesem Gremium ein Rückenhalt käme.

Zur psychischen Gewalt, zu dem was Prof. Schwab vorher sagte, möchte ich noch kurz anmerken: Ich denke, es geht auch um einen präventiven Ansatz, um einfach auch zu sagen, das auch mit zu beachten. Auch ohne sichtbare gesundheitliche Beeinträchtigungen ist psychischer Druck auf die Frauen ausgeübt worden, und ich könnte Tausend Beispiele nennen; es ist schwierig es einzuordnen, das verstehe ich auch. Deshalb unser Vorschlag, vielleicht im Begleittext dazu eine Erläuterung zu machen. Mit prägnanten Beispielen. Wenn beispielsweise eine Frau von einem Mann ein Viertel Jahr von ihrem Mann in einem Dorf in ihrem Haus eingesperrt wurde - das ist ja nicht das Problem, dass die Frau diese Situation, wie Prof. Schwab gesagt hat, nicht so richtig eingeordnet hat, dass das z. B. Freiheitsberaubung für sie war. Sie kam dann zu uns ins Frauenhaus. Die Repressalien gehen ja dann weiter. Nämlich das Arbeitsamt hat eine Sperre über finanzielle Zuwendungen, also über Arbeitslosengeld, verhängt, weil die Frau nicht die Termine wahrgenommen hat im Arbeitsamt. Die Frau stand unter Druck und hat im Prinzip am Ende keine finanziellen Mittel gehabt. Wir haben ziemlich viel arbeiten müssen, um das Arbeitsamt davon zu überzeugen, dass das eigentlich nicht Schuld der Frau war. Die Frau geht nicht hin und sagt: Ich wurde der Freiheit beraubt. Sie zeigt auch nicht den Mann an, der sie zusammengeschlagen hat. Das ist das Problem. Ich denke, einfach hier einen präventiven Ansatz zu sehen, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht immer nach außen sichtbar sind. Der psychische Druck auf die Frauen unter bestimmten Situationen ist da.

Vorsitzende Riemann-Hanewinkel: Frau Oberlies bitte. Sie hatten Fragen von Frau Bläss, Schewe-Gerigk und ich denke, auch von Herrn Pofalla.

SV Prof. Dr. Dagmar Oberlies: Ich fange mal hinten an. Ich habe in der schriftlichen Stellungnahme zu dieser Frage, wo es weitergehend und wo es vielleicht einengend ist, etwas vorgetragen und hätte eigentlich auch Bedarf für ein richtiges Fachgespräch in dieser Frage und deshalb versuche ich noch mal langsam und laut zu denken, was ich mir überlegt habe. Bislang haben wir Maßnahmen auf die Analogie zu § 823, 1004 BGB gestützt. Wenn der Gesetzgeber jetzt tätig wird, wird er tätig, um die Lücke, die bislang nicht explizit gesetzlich geregelt war, zu schließen. Damit geht die Grundlage für eine Analogie verloren und die Frage ist: Inwieweit will der Gesetzgeber jetzt eine Lücke schließen, und wo bleibt noch Platz, auf Analogien zurückzugreifen? Da habe ich jetzt folgendes Problem. Richtig ist, was Herr Prof. Schwab gesagt hat, es gibt die Seiten, die eindeutig weitergehen, nämlich der Umfang der Maßnahmen, die angeordnet werden können, auch die Klarheit in der Rechtsfolge - sehr zu begrüßen. Aber obwohl das Gesetz nur eine verfahrensrechtliche Regelung treffen will, haben Sie trotzdem die Situation, dass sehr ausdrücklich, die Maßnahmen auf vorsätzliche Handlungen eingeschränkt werden. Das, was schon gesagt wurde, das allgemeine Persönlichkeitsrecht ? gut, das steht in § 823 BGB auch nicht, da haben wir kein Problem, noch einmal die Analogie der Analogie zu bilden ? aber man hätte vielleicht die Gelegenheit wahrnehmen können, das zu benennen.

Wir haben von Herrn Schwab gehört, dass der Beseitigungsanspruch, der bislang auf die Analogie gestützt worden ist, sich hier nicht ausdrücklich wiederfindet, sondern erst nur ein Unterlassungsanspruch, und Sie haben noch Besonderheiten in der Formulierung des Gesetzes, die ich manchmal wie einen ?Eiertanz? erlebe. Ich muss es jetzt mal deutlich sagen. Ständig, wenn irgend eine Seite benannt ist, kommt sofort die Einschränkung noch einmal. Wenn ich Sätze lese, wie: Das ?widerrechtliche Zusammentreffen, das vorsätzliche und widerrechtliche Zusammentreffen könnte in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgen?. Das ist ein ?Rumgeeiere?, oder, wenn ich ?unzumutbare Belästigung? lese oder eine ?Nachstellung gegen den Willen?. Nachgestellt wird mir immer gegen meinen Willen. Das steckt schon in dem Wort ?Nachstellung? drin. Da haben Sie natürlich auch eine Geschichte, die haben sie in

§ 823, 1004 BGB so nicht.

So, um jetzt noch mal die Kurve zu ziehen. Schließt der Gesetzgeber bewusst diese Lücke nur für vorsätzliche Taten, nur im Hinblick auf die Unterlassung von bestimmten Dingen oder sagt er, ich schließe jetzt eine kleine Lücke und ich lasse aber noch eine andere kleine Lücke offen. Dazu muss sich der Gesetzgeber äußern, wenn er nicht haben will, dass die Gerichte sagen, das ist eine abschließende Regelung; daneben ist kein Platz für eine Analogie. Ich wäre dankbar, wenn mir jemand sagt, dass ich Unrecht habe. Ich hätte es gern, dass ich Unrecht habe. So, das zu Ihrer Frage Einschränkung oder Ausdehnung.

Die weiteren Fragen von Frau Schewe-Gerigk und Frau Bläss würde ich gerne noch mal an einer anderen Ecke aufhängen. Wenn ich dieses Gesetz lese, denk ich mich noch einmal an meine geliebte Zeit als Anwältin zurück. Also frage ich mich sofort, was wird eine Frau in der Beratung von mir wollen, was würde ich ihr sagen. Sie wird wissen wollen, was wird. Aufgrund dieses Gesetzes habe ich sehr oft das Gefühl, dass ich ihr nicht wirklich sagen könnte, was wird. Weil ? andere Seite ? ich würde den Mann vertreten, ich wüßte sofort, was ich einwenden würde. Das ist normal, das kann aber befördert oder ein Stück weit unterbunden werden. In dem Bereich, das sage ich, da sind wir uns, glaube ich auch, alle einig: Die größte Präventionswirkung hat diese Vorschrift, wenn sie klar und einfach ist. Jede Relativierung ist eine Aufforderung an die Anwälte, dazu was vorzutragen.

Frau von Renesse, Sie waren lange genug Familienrichterin. Sie wissen, was Sie aufgrund dieses Gesetzes zu hören bekommen. Es ist eine Aufforderung zum Wehklagen. Der Mann wird wehklagen, dass er eben doch berechtigte Interessen hat. Das alles müssen wir sowieso berücksichtigen. Wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Das ist doch überhaupt keine Frage. Nur die Frage ist, mache ich ein Gesetz so, dass man der Frau, die zu einem kommt, sagt: ?Ich weiß nicht? oder mach ich es so, dass ich sage: ?höchstwahrscheinlich?. Dieses Gesetz ist ein bisschen ?vielleicht?. Da steckt wirklich eine große Sorge für mich drin.

Jetzt komme ich auf die konkreten Beispiele zurück. Es steht vorn drin ?aufhalten muss?. Es steht aber hinten als Beispiel der Arbeitsplatz drin. Da muss ich mich aufhalten. Dazu haben wir heute morgen gehört: Direktionsrecht des Arbeitgebers. Beim Kindergarten muss ich mich nicht aufhalten. Die Kindergärtnerin hat kein Direktionsrecht. Also sofort macht man doch anhand dieser Beispiele die Frage auf:

Muss die da eigentlich sein oder muss die da eigentlich nicht sein? Könnte die nicht auch irgendwo anders sein? Es wird Ihnen passieren, wenn Sie das machen, dann machen Sie ein Rechtspflegebelastungsgesetz und ich finde das an der Stelle nicht nötig, weil wir genug ganz normale rechtliche Handhabungsmöglichkeiten über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit haben, solche Sachen einzuschränken.

Genau die gleiche Geschichte, ?was wird?, ist bei der Frage der Frist, zu der ich nicht gefragt bin, zu der ich trotzdem gerne etwas sagen würde.

Stellen Sie sich vor, die Frau kommt in die erste Beratung zur Anwältin und möchte wissen, ?was wird?. Und ich muss ihr bei der ersten Beratung sagen : Ab jetzt tickt die Uhr, du hast jetzt drei Monate Zeit. Für alle, die sich mit Beratung auskennen: ?Denke mal nicht an einen rosa Elefanten?, ist der berühmte Scherz aus der Kommunikationspsychologie. Da denken alle sofort an einen rosa Elefanten. Wenn ich zu der Frau sage, nicht schlimm, aber in drei Monaten musst du dich entschieden haben, dann ist sofort der Kloß im Hals, um Himmels Willen, in drei Monaten muss ich das durchgezogen haben. Und zwar in der Situation, in der sie sich im Moment entscheidungsunfähig fühlt und von mir gerne Vorgaben hätte. Meine Frage: Muss das wirklich sein? Ich verstehe, man kann andersherum argumentieren und sagen, natürlich ist das zu schaffen ? logisch und wünschenswert ist es noch allemal. Muss es sein, in dieser Situation einen Druck auszuüben, oder hätten wir nicht auch andere Möglichkeiten, damit umzugehen. Ich muss es der Frau in der ersten Beratung sagen. Ich kann nicht nach drei Monaten sagen, jetzt hattest du drei Monate Zeit, jetzt läuft deine Frist ab. Sonst mache ich mich haftungsrechtlich angreifbar.

Alle solche Sachen, die habe ich mir überlegt. Die sind schwierig, und da hätte ich mir mehr Klarheit und auch oft mehr Einfachheit im Gesetzentwurf gewünscht.

Zu der Frage: Notwendige Änderung im Polizeigesetz? Gibt es überhaupt keine. Wenn Sie sich angucken, dass Baden-Württemberg aufgrund der geltenden Rechtslage tausend Platzverweise ausgesprochen hat, dann finde ich, ist vielleicht gar keine Änderung im Polizeigesetz nötig. Aber hilfreich, wie hier auch, ist es in jedem Fall, wenn Handlungsklarheit besteht. Ich hätte mir gewünscht, wenn schon ein Gewaltschutzgesetz gemacht wird, dass es dann wirklich ein Gewaltschutzgesetz geworden wäre. Das hätte für mich eine andere Konzeption vorausgesetzt. Für mich etwas ganz wichtiges, ähnlich wie im KJHG § 27 Hilfe zur Erziehung. Wir hätten einen Rechtsanspruch auf die notwendige Hilfe zum Beispiel festschreiben können. Den gibt es an verschiedenen Stellen. Er hätte die große Signalwirkung gehabt: Dir wird geholfen.

Wir brauchen, glaube ich, so etwas wie eine Clearingstelle. Es ist eigentlich unerträglich, wie viele Stellen in diesem Zusammenhang mit zuständig sind: Jugendämter, Polizei, Familiengerichte, Strafgerichte, das Versorgungsamt ? da geht es um die Opferentschädigung ? und noch das Sozialamt usw. Wer findet sich durch? Die Frau kann Glück haben, wenn sie ins Frauenhaus geht. Tun das alle? Dort wird ihr geholfen. Sie kann aber auch Pech haben, dann muss sie sich durch diesen Dschungel durcharbeiten. Das ist, finde ich, nicht gut für ein Gewaltschutzgesetz. Da hätte ich mir gewünscht, dass es irgendwann einmal Überlegungen gibt, Clearingstellen einzurichten.

Und ? da komme ich jetzt zu Ihrer zweiten Frage. Natürlich braucht man letztlich ein abgestimmtes Interventionskonzept. Das ist jetzt im Moment ein bisschen denen überlassen, die da alle darin herumfuhrwerken. Man hätte sich auch vorstellen können, dass man, wenn man schon ein Gewaltschutzgesetz macht, ein bisschen überlegt, wie die einzelnen Einrichtungen zusammenwirken.

Wir haben es da viel schwerer als Österreich. Ich mache immer den Scherz: Drei Leute am Stammtisch in der Kneipe können so ein Gewaltschutzgesetz machen.

In Deutschland brauchen Sie 51 Ministerien für das gleiche Gesetz, weil Bund, Länder und die Kommunen über die Jugendämter beteiligt sind. Da sind die Kommunen noch gar nicht beteiligt bei den 51 Ministerien. Das macht es ungleich schwerer und eigentlich gerade deshalb müsste sich mal jemand hinsetzen und sich die Frage stellen: Wie hängen die eigentlich alle zusammen? Das Jugendamt, um das noch zu sagen, finde ich nicht den besten Adressaten. Die Frauen machen die Erfahrung, dass ihnen dort nicht geholfen wird.

Abgesehen davon hatte das Jugendamt seine Chance, weil seit 1990 ein Beratungsauftrag, auch wenn in der Partnerschaft Gewalt angewandt wird, über § 16, 17 KJHG besteht. Was ich aber sehr problematisch finde, ist, im Moment meine Erfahrung mit Jugendämtern, dass sie gerne in die Richtung Beratung gehen und auch in die Richtung Mediation. Hier brauchen wir aber Intervention statt Beratung. Und wir brauchen nicht Hilfe statt Strafe, ? Entschuldigung ? Körperverletzung ist eine Straftat! Wir sollten nicht das Signal setzen, dass die Körperverletzung, die ich in den vier Wänden begehe, was anderes ist als eine Straftat, sondern, dass wir daneben Hilfe und Unterstützung anbieten müssen, und zwar für beide. Ich sage es ausdrücklich. Für die Frauen, die gewaltbetroffen sind, aber auch für die Männer, die Gewalt anwenden und als drittes auch für die Kinder, die vielleicht nur zusehen. Das ist doch völlig selbstverständlich, aber strafersetzend ist es nicht. Genauso, wie Beratung nicht Intervention ersetzt. Darüber reden wir hier. Über Intervention. Ich glaube, ich habe alles gesagt, was ich zu sagen hatte.

SV Thomas Mörsberger: Auf die Frage von Frau von Renesse.

Sie haben darauf angespielt oder Sie haben gesagt: Es könnte doch sein, dass entgegen den Vorstellungen und Erwartungen, die Frauen hiermit verbinden, diese sich möglicherweise auch selbst zum Teil schädigen. Dass da etwas passiert, was sie nicht beabsichtigen. Es ist natürlich für mich jetzt schwierig, in diese Richtung zu spekulieren. Ich wage es trotzdem. Ich bin nach meinen Erfahrungen und Einschätzungen der Meinung, dass es - wenn ich dieses Gesetz hoch rechne auf alle Fallkonstellationen, nicht nur die spezifischen, die immer wieder im Gespräch sind, wie ich es auch in meinem Eingangsstatement deutlich gemacht habe -, solche Fälle gibt. Natürlich gibt es diese Fälle, wo es genau hinhaut. Ich glaube in der Tat, dass Dynamiken ausgelöst werden, die am Anfang nicht so gemeint werden, wie sie nachher herauskommen.

Damit bin ich bei einem zentralen Punkt. Ich darf es einmal so formulieren; in Anspielung an meine Vorrednerin lassen wir den ?rosa Elefanten? einmal auf dem Teppich. Wir sind selbst alle aus Institutionen, die damit befasst sind, Teil eines Streitsystems. Es ist sowieso meine Anfrage an die Gewaltdiskussion, die hier stattfindet. Ich finde, es wird zu wenig differenziert. Einerseits zwischen dem Aspekt des Streits im Kontext, den wir hier diskutieren, und andererseits dem, was als Tat in Beziehung auf Täter/Opfer diskutiert wird. Wir haben nicht umsonst im Kontext des Familienrechts seit vielen Jahren, und das hat sich bewährt, die Berücksichtigung von Ambivalenz, Erfahrung und Einschätzung. Das hat etwas mit Streit zu tun, hat etwas damit zu tun, dass man nicht so präzise zuordnen kann, wer Verursacher und wer Opfer ist. Das soll nicht die Dinge herumdrehen, es soll nichts dadurch verharmlost werden. Was ich als Ausgangsthese hier hereinbrachte, wir sollten präziser gucken, was bedeutet es, wenn wir selbst Teil des Systems sind. Was bedeutet das einerseits für die Justiz? Sind hier nicht zum Teil Perfektionserwartungen, ich sage jetzt mal überspitzt ?Heilserwartungen? an die Justiz, die auch die Justiz nicht erfüllen kann. Einige perfektionistische Vorstellungen sind für mich dafür ein Indiz. Selbiges sage ich übrigens sehr oft intern auch an die Adresse der Jugendämter. Signalisiert nicht Möglichkeiten, die Ihr nicht habt. Sagt endlich, wo die Grenzen liegen, aber betont auch, wo Möglichkeiten bestehen. Das gilt aber auch für andere. Ich denke - so erlebe ich auch die Diskussion, und so gehe ich auch auf Ihre Frage ein -, wir müssen meines Erachtens noch einmal präziser nachfragen: Wird konsequent nach den Wirkungen gefragt oder ist nicht doch in der Ehediskussion seit jeher subtil die Schuldfrage drin? Die ganze Debatte um Männer und Frauen, wer ist da öfter Täter, hat doch wieder genau diese Geschichte. Wer ist der bösere und wer ist der bessere? Wird wirklich konsequent gefragt, wie wirkt sich was aus? Das ist jedenfalls meines Erachtens etwas, was im Vordergrund stehen muss. Ich will dann noch, weil Sie meine These von der Erstschlagwaffe aufgegriffen haben, deutlich sagen, damit das nicht missverstanden ist. Natürlich geht es dabei um die Rolle des Staates oder der öffentlichen Seite. Es ist die Frage, wenn eine Privatperson sich an eine öffentliche Stelle wendet, was ist das erste Signal einer öffentlichen Stelle? Ist es die einer auf den Gewaltmonopol beruhenden Intervention oder ist es die Erfahrung, dass er hingewiesen wird auf Unterstützung und Hilfe. Das ist für mich das Signal und damit komme ich nochmals auf Ihre Rückfrage. Wer könnte da wie wirken? Bitte schön, Sie dürfen mir unterstellen, dass ich in Sachen Mediation kein Naivling bin und glaube, dass man den Leuten anbietet, da wird euch einer was vermitteln, dass das dann greift. Ich bin jetzt lange genug im Geschäft. Ich kann nur sagen, früher hieß es, in der Wirtschaft wird sich für so etwas keiner interessieren. Sie wissen, wie man heute in der Wirtschaft mit Mediation viel Geld verdienen kann. Ich bin überhaupt kein Prediger für Mediation. Ich sage, es ist eine Frage, wo ich da ansetze. Ich stimme Ihnen zu, dass sich sicherlich viele in diesen Situationen eher an das Gericht wenden, als etwa an das Jugendamt. Wir müssten weiter darüber nachdenken, warum das so ist? Ich finde, darüber wird viel zu wenig nachgedacht.

Wir fördern doch eine Gerichtsgläubigkeit dieser Gesellschaft, das heißt, dass man glaubt, wende dich dahin, da bekommst du dein Recht, anstatt deutlicher zu machen, man sollte Selbstverantwortlichkeit und Eigenkräfte fördern und unterstützen. Nicht zynisch darauf verweisen, aber man muss wirklich darauf hinweisen, da gibt es auch andere Möglichkeiten. Was ist das für eine Botschaft in der Anfangssituation, Frau von Renesse? Es ist aus Österreich der Hinweis gekommen, ich kann ihn voll bestätigen; der erste Gedanke ist nicht das Gericht, sondern die Polizei. Da gibt es eine problematische Situation in unserem Staat, ich werfe das auch einigen Repräsentanten der Jugendhilfe vor, dass aus bestimmten negativen Erfahrungen da gegenüber der Polizei noch ein Feindbild besteht. Ich meine, wir haben gute Beispiele, wo in enger Kooperation, nicht in einer Verbrüderung, die nicht mehr durchschaubar ist, in klarer Kompetenzabgrenzung gute Kooperation auch zwischen Polizei und Jugendhilfe passiert, und dass, wenn dies auf einer guten Basis läuft, ganz viel auf den Weg gebracht werden kann. Und dann ist meine Vorstellung auch hinsichtlich des zivilgerichtlichen, des FGG-Verfahrens, dass diese Interventionsmöglichkeiten im Hintergrund stehen. Das heißt, bestimmte Beratungen, ich nenne sie nicht Zwangsberatung, aber ich nenne es natürlich einen sinnvollen Druck, der hier entsteht, weil die Möglichkeit besteht. Aber nicht der Automatismus. Stichwort Leidensdruck - der Leidensdruck besteht oftmals nicht aus der familiären Situation heraus. Das sehe ich auch so. Dann mag zur Not der Leidensdruck entstehen, weil gesagt wird, du bekommst Ärger, du bekommst Ärger auch über die Justiz. Das heißt, ich muss mit dieser Variante meines Erachtens agieren können, aber das bedeutet in der praktischen Konsequenz, und das ist mein Vorschlag an den Gesetzentwurf, dass deutlicher gemacht wird, es muss hier vorgeschaltet sein. Wenn das Gericht eingeschaltet wird, dass dann noch andere Wege der Konfliktbewältigung überhaupt ins Spiel kommen.

Zwei Anmerkungen möchte ich hier noch ergänzend machen. Das eine: Hier tauchte des öfteren das Kindeswohl als Kriterium auf. Meine Damen und Herren, ich möchte ganz einfach sagen, ich habe meine Zweifel, ob dieser Kindeswohlaspekt wirklich konsequent aus Rücksicht auf das Kind untergebracht ist, oder ob hier dieses Kind gewissermaßen auch zum Machtmittel wird, ohne dass wir das wollen. Da erlaube ich mir die kritische Anfrage, ob nicht in mancher Diskussion, auch fachpolitisch, eine ziemliche Gleichsetzung der Interessenlage der Frauen und der Kinder unterstellt wird. Das frage ich kritisch. Ich erlebe es oft so. Das ist selbstverständlich nicht immer so. Ich möchte sicher stellen, dass die Kindesperspektive wirklich konsequent, jetzt sage ich mal, als Rücksichtperspektive ins Spiel kommt. So wie ich das hier in der Diskussion um den Entwurf erlebe, sehe ich zu sehr, dass ins Spiel kommt:

wenn das Kind belastet ist, ist das ein Grund mehr, dass entsprechend gehandelt wird. Ich meine, es muss auch gefragt werden, und die Frage habe ich noch nicht gehört, welche Wirkung hat das auf das individuelle Kind ? bitte nicht mit Statistiken ? welche Reaktionen löst das bei einem Kind aus? Wenn ein Kind erlebt, dass jemand rausgeworfen wird unter Zuhilfenahme von öffentlichen Stellen, dann kann dies ein ähnliches traumatisches Erlebnis sein, wie eine eigene Verletzung. Da sind wir uns vermutlich auch alle einig. Das soll kein polemisches Argument gegen den Entwurf sein. Im Gegenteil, ich unterstütze den Entwurf, aber es darf eben nicht in dieser Richtung missbraucht werden, sondern es muss in einer deutlichen Weise im Gesetz festgeschrieben sein, alles, was da erwogen wird, muss immer unter dem Vorbehalt stehen, dass Kinder da nicht unnötig belastet werden. Nebenbei gesagt, nicht jede körperliche Verletzung ist zugleich eine Kindeswohlverletzung. Das möchte ich hier auch mal sagen. Das ist eine ganz heikle Geschichte. Es ist in einem anderen Stichwort gekommen: Ein Kind liebt seine Eltern und in aller Regel, das ist sogar dramatisch, das wissen wir aus der Kinderschutzbewegung, gerade geprügelte Kinder lieben ihre Eltern ganz besonders. Das ist schon pathologische Form von Liebe. Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht mit unseren Vorstellungen jetzt einfach - ich sage es mal so bewußt ? ?reinhauen in guter Absicht, aber etwas ganz anderes bewirken.

Zur Rolle des Jugendamtes: Frau von Renesse, Sie haben gesagt, dann haben diese noch mehr Arbeit. Ich bin ziemlich überzeugt - meine Mitteilungen aus Österreich sind da auch etwas andere -, für die Jugendämter ist es voraussichtlich weniger Arbeit, wenn sie frühzeitig eingeschaltet werden, als wenn sie gucken müssen, wo sie bleiben, weil auf einmal der Mann irgendwo herumstreunt, weil er keinen Platz mehr hat. Die Frau sagt, wie komme ich überhaupt mit der Situation klar. Das heißt, die sozialen Folgen entsprechend der Initiativen, sind für mich nicht überschaubar.

Ein kleiner Schlenker: Ich frag mich, was ich den Landräten und Bürgermeistern bei uns sagen soll. Wenn es hier ganz klar heißt, die Absicht sehe ich wohl, im Frauenhausbereich wird es keinen Abbau der Stellen geben. Das könnte Schwierigkeiten geben in der Begründung dafür, dass man hier so ein Gesetz auf den Weg bringt. Ich weiß, dass ich hier etwas Riskantes sage. Jedenfalls darf man jetzt nicht abbauen, das kann allenfalls in einigen Jahren sein. Nur jetzt schon vorauszusagen, dass es keine Einschränkung gibt, das würde mich argumentativ in Schwierigkeiten bringen. Noch mal zurück zur Jugendhilfe. Das Jugendamt bietet sich wunderbar an, als Prügelknabe der Nation, weil das Jugendamt permanent zwischen allen Stühlen sitzt. Einmal wird vorgeworfen, Ihr setzt die Mütter unter Druck, um eine Gesetzesvorschrift auch wirklich umzusetzen; einmal wird vorgeworfen, Ihr beratet zu sehr bei den anderen, Ihr greift zu sehr ein, was in der Kindschaftsrechtsreform einhellig gefordert war. Es wird jetzt vorgeworfen, dass das unter dem Blickwinkel des Kindes ins Spiel gebracht wird, aber ich will Ihnen nicht erzählen, dass es nur wunderbare, superperfekte Sozialarbeiter in den Jugendämtern gibt ? ich rede nicht über die Richterinnen und Richter, die im Familiengericht manchmal nicht ganz kompetent sind ? aber ich sag es einfach einmal.

Trotzdem halte ich hier ein Plädoyer dafür, dass es eine Institution gibt, die dafür sorgt, dass in einer schwierigen Lage mit einem entsprechenden Hintergrund - also nicht nur eine Initiative, die das mal versucht hinzukriegen -, mit einem stabilen Hintergrund für Familien, sagt, denk noch einmal nach, geh? offensiv mit deinen Ambivalenzen um.

Da muss es nicht der Top-Sozialarbeiter sein, da ist es sinnvoll, dass es diese Institution gibt, die auch noch entsprechende andere Bereiche hat. Insofern, das möchte ich auch noch los werden, Frau Dr. Sellach, die Schlenker dann immer gegen das Jugendamt so von wegen, die Frauen, die sind da nicht sehr dankbar. Ich sehe es anders, da hat sich sehr viel getan. Allerdings, Frau von Renesse hat es mit angesprochen, es gibt Effekte der Kindschaftsrechtsreform, die wir noch dringend aufarbeiten müssen, aber auch in der Politik, nicht nur da. Kurzum, nach wie vor bin ich der Meinung, dass dies hier die richtige Stoßrichtung ist. Ich meine, es muss die Auffanglinie sein, dass das Familiengericht hier entsprechend intervenieren kann, wie es im Gesetzentwurf vorgesehen ist, aber eben nicht als Erstschlag, sondern als eine Möglichkeit, die im Hintergrund hilfreich wirken kann. /p>

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel (SPD): Frau Geißel bitte. Sie hatten Fragen von Frau Bläss, Frau von Renesse und von Frau Falk.

SV Bettina Geißel: Ich habe versucht, dieses Sammelsurium jetzt noch etwas zu sammeln. Es gab aber vorhin die Anfrage an alle Juristen, da fühle ich mich schon noch angesprochen und darf ganz kurz etwas dazu sagen. Dass wir mit den neuen Regelungen des § 823, 1004 BGB, jetzt in die Form des Gesetzes gegossen, dahinter zurückbleiben, beziehe ich auf das eingangs Gesagte, dass wir nur die vorsätzliche Begehung, wie schon in § 1 als Grundsatz erwähnt, für die Eingriffsmöglichkeit haben und da aus unserer Sicht die Erwähnung der Fahrlässigkeit fehlt. Bisher brauchten wir bei § 823, 1004 BGB nur die Widerrechtlichkeit. Da ging es nicht um den Nachweis zur subjektiven Tatseite. Das Gericht brauchen wir mit Heilserwartung oder nicht. Noch mal ganz klar: Wir sind hier in einem Teil, wo es um Gewalt geht und nicht um Streit. Ich denke, das müssen wir uns noch mal klar machen.

Auf einen Teil der Fragen von Herrn Profalla wurde vorhin noch nicht geantwortet, wenn ich das richtig sehe. Das betrifft den Bereich der Vollstreckung. Auch der liegt mir oder uns ganz besonders am Herzen. Mir, sage ich mal aus der anwaltlichen Praxis, auch wenn die Frage vielleicht in eine andere Richtung gemeint war. Die Frage zielte darauf, ob § 64 b) FGG in seinem neuen Vorschlag zu einer Verzerrung führen könnte, wohl in die Richtung, zu sagen: Könnten es dann evtl. die Frau missbrauchen, immer wieder den Gerichtsvollzieher zu holen oder immer wieder versuchen, eine Situation zu schaffen, die sozusagen den Mann in Misskredit bringt.

Ich kann an der Stelle nur noch einmal daran appellieren: In den über 20 Jahren, in denen ich das mache, habe ich es nicht erlebt, dass Frauen dazu neigen zu übertreiben. Ganz im Gegensatz. Die anwaltliche Praxis ist davon geprägt, dass es schwierig ist, aus den Frauen herauszubekommen, was sie erlebt haben. Ich darf das nochmals aufgreifen, sie schämen sich. Es fällt ihnen schwer zu sagen, was los gewesen ist. Sie erzählen im Krankenhaus oder beim Arzt, warum sie Verletzungen aufweisen. Sie werden aber nicht von sich aus zum Arzt gehen und sagen, meine Schlafstörungen beruhen darauf, dass dies und jenes zu Hause passiert. Sie versuchen ja gerade, es zu kaschieren und nach außen hin immer noch die heile Familie aufrecht zu erhalten.

Deshalb ist meine Frage immer: Wir gucken so ganz fasziniert darauf, dass dem Täter, wir können auch gerne der Täterin sagen, wenn es sie wirklich in der Praxis gibt, nicht Unrecht geschieht. Die Praxis zeigt etwas anderes. Das Unrecht ist doch eigentlich, dass, so wie ich es in diesen vielen Jahren erlebt habe oder erlebe, die Frauen mit den Kindern auf der Straße sitzen, die Frauen das Problem haben, sich ihren Schutz zu beschaffen. Überhaupt Schutz - erst einmal als ein Stück Papier. Da setzt unser Problem in der Praxis mit der Vollstreckung ein. Es ist ein Stück Papier, worin ein Zivilgericht jemandem untersagt, was derjenige nicht tun darf. Das ist es erst mal. Die Frauen gehen davon aus, dass dies wirklich einen Schutz herbeiführt.

Von daher war unsere Vorstellung, diese einfachen Möglichkeiten haben wir in Österreich, dass da natürlich der erste Ruf wäre, sich polizeiliche Hilfe suchen. Von daher ist der § 4 mit seiner Strafbewehrung aus meiner Sicht ganz wichtig, um hier sehr viel nachhaltiger einer gerichtlichen Anordnung - das müssen wir uns immer klar machen, das ist nichts, was irgend jemand sich ausdenkt oder was jemand nicht überprüft -, sondern das ist eine zivilgerichtliche Entscheidung, der einfach zu ihrer Geltung und zu ihrer Wirksamkeit verholfen werden soll. Die Frage ist: Warum halten wir uns oder warum halten diejenigen Antragsgegner, die es betrifft, sich von sich aus schon daran? Somit müssen wir nun mal mit entsprechenden gerichtlichen oder staatlichen oder institutionellen Mitteln darauf reagieren.

Es gab dann noch die Frage zum Bereich psychische Gewalt. Ob es denn nicht so ist, dass die Männer mit der physischen Gewalteinwirkung arbeiten und die Frauen mit der psychischen. Meine Erfahrung aus der Praxis ist es nicht. Das ist auf der Ebene der Streitigkeit, der Stichelei, die wir vorhin hatten. Ich denke, darüber reden wir aber nicht. Wir sind im Bereich häusliche Gewalt. Wir sind wirklich auf einer anderen Ebene. Wir könnten zu einer solchen Frage kommen, ob Frauen auch üblicherweise Täterinnen psychischer Gewalt sind, wenn wir von einer Gleichstellung ausgingen. Wenn wir davon ausgingen, dass die Ressourcen zwischen Männern und Frauen tatsächlich gleich verteilt sind ? sie sind es aber nicht.

Ich denke, es ist für uns alle wirklich schwer vorstellbar, dass wir Familienkonstruktionen haben, wo die Frau dem Mann sagt, du darfst aber nicht arbeiten gehen, du bleibst zu Hause, du darfst deine Verwandten nicht sehen, du darfst deinen Vater nicht sprechen, du darfst deine Freunde nicht besuchen, du bleibst jetzt gefälligst zu Hause, kochst, machst alles und erziehst die Kinder, bis ich abends nach Hause komme. Ich denke, das ist eine Art von Witzfigur, wenn wir uns das überlegen. Die Wirklichkeit sieht ? leider ? nach wie vor anders aus. Von daher ist dieser psychische Bereich der Gewalttätigkeit nach wie vor männlich besetzt.

Wir hatten eingangs noch die Frage zur Weiterbildung/Fortbildung. Das ist ganz dringend erforderlich in allen Bereichen, wie es auch schon seit längerer Zeit ansteht und auch betrieben wird. Das betrifft den polizeilichen Bereich, um das noch einmal zu sagen. Das betrifft die Jugendämter, das betrifft Richter und Richterinnen, das betrifft Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen. Und es betrifft natürlich den gesamten Bereich der Anwender und Anwenderinnen, also auch Frauenhäuser, Frauenhausprojekte. Alle, die mit diesem Problem zu tun haben. Wenn ich das richtig sehe, wird ja auch gerade im Rahmen der Bund-Länder-AG daran gearbeitet, bestimmte Standards und Qualitätssicherungen für diese Aus- und Fortbildung zu betreiben. Wir werden, das wurde hier auch schon angesprochen, selbstverständlich im Rahmen dieser gesetzlichen Veränderungen weiterhin Interventionsprojekte benötigen, selbstverständlich Interventionsstellen, die Begleitung und Beobachtung dieses Gesetzes. Und wir brauchen die Schulungen auch im Bereich der Rechtspfleger und was auch bereits begonnen hat, die Schulung der Multiplikatoren. All dies ist aber dabei, auf dem Weg gebracht zu werden.

Wenn wir davon ausgehen, dass wir ab 01.01. nächsten Jahres eine andere gesetzliche Grundlage haben, ist dies aber erst recht dringend erforderlich, schon auch um zu sehen, welcher eventuelle Nachbesserungsbedarf an den gesetzlichen Regelungen, wie Sie sie auf den Weg bringen werden, dann erforderlich ist. Vielleicht entschärfen sich auch Bedenken aus unserer Sicht einfach im Rahmen der Praxis. Auch das können wir nicht ausschließen. Auch die Österreicher haben festgehalten, sich nach dieser Zeit zusammenzusetzen und zu sehen, welche Dinge verändert werden müssen, vielleicht um festzustellen, dass das, was als großes Problem gesehen worden war - nämlich der obdachlose Mann, der dann auf der Straße steht -, dass das in der Praxis tatsächlich kein Problem war. Auch das könnten wir dann feststellen.

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel (SPD): Herr Prof. Bock bitte. Sie hatten die Frage von Frau Falk und eventuell eine Reaktion auf Frau Simm.

SV Prof. Dr. Michael Bock: Was war das von Frau Simm? Das war keine Frage. Ich habe es als psychische Gewalt empfunden. Ich denke, es passt ganz gut, wenn ich die Antworten verbinde und auch einfach mal wie Frau Oberlies plaudere, wie es mir mit diesem Gutachten ergangen ist. Ich habe vor rund zwei Wochen, vielleicht waren es auch drei, ich habe seither wenig geschlafen, die Anfrage bekommen, dieses Gutachten zu erstellen. Ich habe natürlich schon vorher was gewußt und was gelesen. Dann habe ich mir den österreichischen Entwurf angeschaut und dachte, Krisenintervention, Polizeirecht, das passt. Dann habe ich mir die bestehenden rechtlichen Regelungen angeschaut und die täglichen Meldungen aus Baden-Württemberg gehört. Schon wieder 80 ? 100, inzwischen sind es 1000 Störern die rote Karte gezeigt. Dann habe ich mich genauso beleidigen lassen müssen im kommunalen Präventionsrat der Stadt Mainz, im Landespräventionsrat Rheinland-Pfalz, und ich bin es eigentlich schon gewohnt, es wird zuerst gelacht und dann, wenn die Fakten stärker werden, dann geht es über in die persönliche Disqualifikation. Derjenige, der die nicht passende Botschaft überbringt, wird stigmatisiert. So ist das hier. Dann habe ich genauer geguckt. Die Bundesregierung sagt, der Entwurf sprengt die Systematik des BGB völlig. Es sind auch massive, auf den ersten Blick erkennbare ? die Frau Kloster-Harz hat einige davon benannt - massive verfassungsrechtliche Bedenken vorzubringen. Ich brauche diese im einzelnen gar nicht mehr aufzuführen. Es ist viel dazu gesagt worden. Von meinen juristischen Kollegen eigentlich feige wenig. Jetzt habe ich mich gefragt, mit welcher Begründung will die Bundesregierung einen systematisch nicht passenden, verfassungsrechtlich bedenklichen Entwurf. Dann habe ich gelesen, es gibt eine empirische Bedarfslage. Da finde ich es schon verheerend, wenn der Vertreter der Opposition sagt, diese empirische Bedarfslage interessiert ihn nicht. Mich interessiert, auf welcher empirischen Grundlage in der Begründung der Bundesregierung allein der Schutz von Frauen gelegentlich ? ganz am Rande werden die Kinder genannt ? vordringlich sein soll. Dann sehe ich da eine Literaturliste. In dieser Literaturliste steht - verzeihen Sie, irgendwann werden Sie auch das kapiert haben ? in dieser Literaturliste steht ?Hellfeld-Literatur? mit Ausnahme der KFN-Studie, die gewissermaßen Hofberichterstattung ist, weil sie unter anderem auch von Herrn Pfeiffer gemacht worden ist. Da drin stehen die gleichen Befunde, wie in den internationalen Studien und dann stellt sich für mich die Frage, wie kann denn eigentlich die Bundesregierung dem Bundestag, meine Assistenten würden vielleicht so formulieren, die ?Faxenbrille aufsetzen? ?. Der empirische Forschungsstand wird nicht zur Kenntnis genommen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:

Vorsitzende Riemann-Hanewinckel (SPD): Herr Prof. Bock, jetzt finde ich es schon etwas schwierig. Sie können überhaupt nicht beurteilen, was wir außer dem, was hier in der Anhörung passiert, zur Kenntnis nehmen oder nicht. Ich denke, es wäre ganz gut, die konkreten Fragen zu beantworten.

SV Prof. Dr. Michael Bock: Ich komme schon zu den Fragen, ich bin schon mitten in der Antwort. Es ist ganz einfach so. Eine riesige Forschungsliteratur wird nicht erwähnt. Dafür gibt es nur zwei Begründungen. Entweder Desinformation der Öffentlichkeit oder sträfliche Ignoranz. Ich habe mir diese Untersuchungen angeguckt. Ich hab mir nicht nur die KFN-Studie, sondern aus der ersten psychologischen Zeitschrift einen Aufsatz zitiert aus dem Jahre 2000, wo es ein britischer Wissenschaftler noch einmal gewagt hat, eine Meta-Analyse all dieser Hunderten von Studien durchzuführen. Er hat diejenigen, die einigermaßen methodisch zu rechtfertigen sind, genommen, und der kommt eben zu diesem Schluss - es ist im wesentlichen derselbe, wie die Pfeiffer-Untersuchung: 52 % Frauen sind Täterinnen, wenn man das aggressive Verhalten nimmt. Es sind die schweren Formen der physischen Gewalt.

Frau Falk, ich kann mich leider nicht auf diese Kompromisslinie einlassen, dass es die psychische Gewalt ist, für die die Frauen zuständig sind, und für die physische die Männer. Lesen Sie die KFN-Studie. 62 % ist ein anderer Messwert. 62 %, das habe ich auch deutlich hingeschrieben, sind die wahrgenommenen Verletzungen von Frauen. Die sind häufiger. Das ganze heißt aber jedenfalls, dass dieser ganze Begründungsansatz der Bundesregierung, es gebe ein rein geschlechtsspezifisches Bedarfsproblem im Rahmen häusliche Gewalt, so grob unrichtig ist. Dann habe ich weiter gefragt: ?Was sind denn die präventiven Effekte?? Da kann ich nur 1 : 1 übernehmen, was Herr Mörsberger gesagt hat. Dieser Gesetzesentwurf ist durch und durch gekennzeichnet von destruktiven Lösungen und nicht von konstruktiven Lösungen. Die präventiven Effekte im Rahmen des Gewaltschutzes werden verheerend sein. Ich meine, das finde ich auch schon ein bisschen .... ich will nicht beleidigend werden.

Da wird jetzt auf einmal mit dem Umgangsrecht operiert und die Kinder haben ein Antragsrecht nach dem Gewaltschutzgesetz, obwohl sie die mit Abstand häufigste Gruppe der Opfer häuslicher Gewalt sind. Wir wissen über die psychische Gewalt nichts. Es wäre für mich ein leichtes gewesen, da irgendwas auszugraben und zu sagen, da sind die Frauen ? nein, wir wissen es nicht.

Es ist bei der verbalen Gewalt ungefähr auch 1 : 1. Man muss endlich einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir ein massives Problem haben von Opfern häuslicher Gewalt, die nicht als solche in der Öffentlichkeit in der sozialpolitischen Diskussion wahrgenommen werden. Weil dieses Gesetz Normalitätsvorstellungen transportiert, natürlich auch vom Aktionsplan und von ganzen Kampagnen begleitet wird, wird es eine destruktive Wirkung haben. Und deshalb kann ich mich nicht mit irgendwelchen salomonischen kleinen Änderungen begnügen und empfehle nach wie vor, den Gesetzentwurf insgesamt abzulehnen und auf eine österreichische Lösung auf Landesebene hinzuarbeiten.

SV Dieter Bäumel: Frau Vorsitzende, ich wollte eigentlich gern zu der Fragestellung von Herrn Pofalla noch mal ganz kurz Stellung nehmen. Ich denke, dass der Gesetzentwurf ein wichtiger und richtiger Gesetzentwurf ist, weil wir in der gerichtlichen Praxis in der Vergangenheit tatsächlich Schwierigkeiten hatten, über den von den Oberlandesgerichten definierten Begriff der ?schweren Härte? Wohnungszuweisungen vorzunehmen, wenn diese Grenze nicht erreicht war. Deswegen muss man ganz klar sagen, ist es wichtig, dass der § 1361 b BGB geändert wird, dass diese ?schwere Härte? ersetzt wird durch eine ?unbillige Härte?. Ich finde es auch wichtig, weil über den § 1361 b BGB wohl nicht erfassbar ist, dass man auch diese Maßnahme nach § 12 Gewaltschutzgesetz möglich macht. Ich teile die Bedenken nicht, dass man deswegen nach § 823 und § 1004 BGB künftig nicht vorgehen könne, denn der Entwurf sagt ja ausdrücklich, dass das Gericht solche Maßnahmen treffen kann, und dann werden beispielhafte Regelfälle erwähnt, was das Gericht insbesondere anordnen kann.

Wo der Entwurf meines Erachtens hinter der derzeitig geltenden Gesetzeslage und Rechtslage zurückbleibt, das ist die Begrenzung in § 1361 Abs. 4 BGB. Frau Renesse, ich sehe natürlich den Wunsch des Gesetzgebers, da klare Verhältnisse zu schaffen, wenn jemand freiwillig ausgezogen ist und an der Wohnung keine Rechte mehr geltend machen will. Sie haben andererseits in dieser Begrenzung des § 1361 Abs. 4 BGB auch den Ehegatten erfaßt, der in einer Ehekrise, um Abstand zu gewinnen, aus der Ehewohnung auszieht, und sich dann nach sechs Monaten mit dem neuen Türschloss konfrontiert sieht, wenn er zurück in die Ehewohnung will, weil er meint, dass er jetzt die Ehe fortsetzen kann.

Das halte ich verfassungsrechtlich für äußerst bedenklich. Wir haben bisher in der Rechtsprechung dieses Trennungsjahr angewandt, wenn es darum ging zu sagen, jetzt kann man die Ehewohnung leichter zuweisen, weil durch diese einjährige Trennung die Parteien zu erkennen gegeben haben, dass sie diese Ehe nicht mehr fortsetzen wollen. Wenn wir diese Frist jetzt herabsetzen auf sechs Monate und noch dazu mit dieser Unwiderlegbarkeit arbeiten, dann kann ich als Richter einem Ehegatten das Besitzrecht an der Ehewohnung nicht mehr einräumen, wenn er sieben Monate nach seinem Auszug kommt und sagt, jetzt möchte ich wieder in die Ehewohnung. Im übrigen differenziert die Rechtsprechung in der Vergangenheit auch bei der Wohnungs-zuweisung danach, ob der Ehegatte aus eheerhaltenden Gründen wieder in die Ehewohnung zurück möchte. Das kann er nach dem Entwurf spätestens nach sechs Monaten nicht mehr.

Die Frage ist, wie Sie mit dem Besitzschutz des Mitmieters oder Miteigentümers umgehen, ob der nach sieben Monaten schon erledigt werden kann. Darüber kann man auch sprechen, Frau von Renesse. Nur, wenn Sie das mit dieser unwiderlegbaren Vermutung ins Gesetz reinschreiben, dann ist der Richter gebunden. Dann kann er nicht mehr. Das halte ich für bedenklich.

Genauso halte ich die Möglichkeit für bedenklich ? wir hatten vorhin die Überlegung Vollstreckungsmaßnahmen/Beweisproblematik. Im schlimmsten Fall kommt der geschädigte Ehegatte, der unter den erleichterten Voraussetzungen des FGG-Verfahrens glaubhaft darlegt, er sei Opfer einer Tat im Sinne des § 1 Gewaltschutzgesetz. Und dann erläßt das Gericht einen Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Anhörung des anderen Ehegatten - kann es ja nach § 64 b FGG ? der sofort vollzogen werden kann, der wirksam wird, bevor der andere Ehegatte auch nur die Möglichkeit hatte, sich dazu zu äußern. Ich kann nur hoffen, dass alle Richter, die mit solchen Fragestellungen konfrontiert sind, den § 12 FGG so ernst nehmen, dass sie zumindest versuchen, das rechtliche Gehör dem anderen Ehegatten zu gewähren, der von dieser Maßnahme betroffen ist.

Wir sprechen immerhin bei der Frage der Wohnungszuweisung auch über grundgesetzlich geschützte Positionen des anderen. Vom Eigentumsrecht bei dringlicher Mitberechtigung gar nicht zu sprechen. Das halte ich für sehr problematisch, was die gerichtliche Praxis betrifft. Ich sehe natürlich auch gleichzeitig, dass man in dringenden Fällen den Sofortschutz braucht. Aber das wäre in der Tat die Überlegung, kann man das nicht auf polizeirechtlicher Ebene durch diese Wegweisung besser regeln als durch diesen auch von der zivilen Systematik her etwas problematischen Eingriff in diese Rechtsposition.

Irmingard Schewe-Gerigk, MdB: Noch eine Frage. Nach der jetzigen Formulierung im

§ 1361 b BGB ist eine nur teilweise Überlassung der Ehewohnung nach vorangegangener Gewalt nur in der Regel ausgeschlossen, das heißt, in Ausnahmefällen ist das üblich oder ist es möglich. Ich wollte eigentlich Frau Geißel fragen oder vielleicht könnten das auch Frau Oberlies oder Frau Sellach beantworten: Können Sie sich eigentlich konkrete Fälle vorstellen, bei denen bei vorangegangener Gewalt eine teilweise Überlassung der Ehewohnung sinnvoll wäre?

SV Dr. Dagmar Oberlies: Ich kann da im wesentlichen auf meine schriftliche Stellungnahme verweisen, dass ich mir solche Fälle nicht vorstellen kann, und wenn es die gäbe, die sowieso nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu lösen wären. Wenn keine weitere Bedrohung mehr da ist, dann könnte ein Richter natürlich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sicher auch zu anderen Überlegungen kommen. Das reinzuschreiben gehört für mich in die Rubrik ?Eiertanz?.

SV Dr. Brigitte Sellach: Weswegen die Wohnung zugewiesen wird, ist als eine massive Grenzverletzung zu sehen. Wieso sollte die dann plötzlich aufhören, wenn die Wohnung teilweise zugelassen wird. Geht es um ein teilweise genutztes Mietshaus von 4 Etagen, wo der Mann oben wohnt und die Frau unten, oder geht es um eine gemeinsam genutzte Wohnung. Da gibt es gemeinsam genutzte Funktionsräume, und wie ich mir da vorstellen soll, wie in den gemeinsam genutzten Funktionsräumen diese Grenzverletzung nicht mehr stattfinden soll, das Gericht hat doch eigentlich zugestimmt, hat dem Mann Recht gegeben, so schlimm war es gar nicht, was du gemacht hast. Deswegen könnt ihr die Wohnung gemeinsam nutzen. Wir können nicht von Villen-Haushalten ausgehen oder von irgendwelchen großzügigen Räumen, sondern wir gehen von ganz normalen Drei- oder Zwei- oder Vier- Zimmer - Familien-Wohnungen aus, und da ist mir das nicht vorstellbar. Die Tatsache der Grenzverletzung führt doch gerade dazu, dass die Wohnung zugewiesen werden soll. Wieso sich das plötzlich ändern soll? Wieso der Mann dann seine Verantwortung plötzlich erkennen soll und möchte das Schlafzimmer benutzen oder in das Wohnzimmer darf er auch mal rein: ?Jetzt mach ich das alles gar nicht wieder.? Das ist einfach unrealistisch. Aus der Sicht der Frauen, die versuchen sich fernzuhalten von den Männern, aus der praktischen Erfahrung auch mit der Wohnung, halte ich es für unrealistisch. Es ist im Grunde so. Wenn es der Richter zuweist, dann muss die Frau gehen. Das ist schlicht und einfach die Sache. Wenn der Richter die Wohnung zum Teil zuweist, dann muss die Frau gehen, um sich zu schützen.

SV Bettina Geißel: Es gibt aus meiner Sicht zwei Gründe, die dazu führen könnten, dass eine Teilweise-Regelung, also auch ein Verbleib der Frau in der räumlich geregelten Wohnung auf den ersten Blick sinnvoll erscheint. Der eine Regelungsbereich sind die Kinder und die andere Frage ist: Wie sind die ökonomischen Gegebenheiten? Ist das wirtschaftlich machbar, gibt es ? ob gemeinsame oder nicht ? zu betreuende Kinder, wo es auf den ersten Blick bestechend erscheint, das natürlich in räumlicher Nähe und Enge weiter so zu betreiben?

Wir haben aber hier den Zusatz, bei vorhergegangener Gewaltanwendung. Damit schließt sich das einfach schlicht und ergreifend aus. Ich kann mir schwer die gemeinsame Betreuung und Absprache, die erforderlich sind für die Kinder vorstellen, wenn es vorher zu einer solchen Gewaltanwendung gekommen ist. Aus der Praxis kann ich dazu sagen, dass wir es gerade in den vom Wohnungsmarkt her schwierigen Jahren gesehen haben, es ist immer ein Argument beim Familiengericht was dahintersteht. Also, in den Jahren 1980 bis 1990, hatten wir in Berlin sehr häufig, dass Wohnungen aufgeteilt wurden. Ich war damals dazu übergegangen, immer die Grundrisse schon fertig gezeichnet mit zum Familiengericht zur mündlichen Verhandlung zu nehmen, weil wirklich immer nur erst mal darüber verhandelt wurde, wer welches Zimmer bekommt.

Wir haben schon den Hinweis auf die immer gemeinsam zu nutzenden Funktionsräume gehört, was nicht unterbleibt, und die Frauen sagen, was soll ich denn machen? Auf dem Flur begegne ich ihm. Ich werde weiter beschimpft, ich werde weiter bedroht. Meine Zimmertür kann ich bestenfalls abschließen. Es ist aber einfach, diese einzutreten. Ich habe es sehr häufig erlebt, dass Frauen aufgrund dieser gerichtlich nur teilweise erfolgten Zuweisung, schlicht und ergreifend verzichtet haben. Nicht, weil sie ihre jetzigen Wohnverhältnisse für besonders schön hielten und meinten, dann ist es doch jetzt besser, sondern weil sich das einfach für die Praxis ausschloss.

Ich darf da auch noch anschließen, dass ganz viele Frauen von vorn herein aufgrund der Bedrohung, die sie ahnen, nicht nur ahnen für die Zukunft, sondern die sie erlebt haben, in der Vergangenheit bis zum Ist-Zustand, von vorn herein davon Abstand nehmen und darauf verzichten, diesen Wohnungsantrag zu stellen, weil sie sagen, mein Mann, mein Partner weiß dann, wo ich lebe. Ich bin bestenfalls in der Wohnung sicher, aber ich bin schon gar nicht vor der Wohnung sicher. Ich brauche leider eine neue Anschrift, die wenigstens erst einmal versuchsweise geheim bleibt. Von daher halte ich das nicht für praktikabel.

Margot von Renesse, MdB: Ich möchte hier ein Lanze für den Gesetzentwurf brechen. Denn genau das, was sie schildern, ist auch meine Erfahrung, und das steht hinter dieser Formulierung, dass nämlich bei Wohnungszuweisungen nach § 1361 a BGB, bisher erst einmal nach der Wohnungsteilung geguckt wurde. Was passierte: Man hat seinen Termin, man hat seine Verhandlung und dann fragt man den Mann: Wo können Sie denn sonst wohnen? Wegen der Verhältnismäßigkeit, Frau Oberlies. Man muss, die Verletzung, die Gefahr, die einem Opfer droht, und die Alternative, dass einer unter der Brücke schläft und alles zusammenbricht bei ihm und oft auch bei der Familie berücksichtigen. Dann sagt er, bei meinen Eltern kann ich nicht wohnen, die können mich nicht aufnehmen. Freunde habe ich nicht. Man steht vor der Frage, obgleich man weiß, dass die Obdachlosigkeit ein relativ geringes Problem ist. Man muss aber konkret darauf reagieren. Dass man sagt, o.k., heute Nachmittag schnürst du dein Bündel, dann bekommst du deine Papiere und siehst, wo du bleibst. In dieser Situation greifen viele Familienrichter, viel zu viele als erstes zur Wohnungsteilung. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit. Der Entwurf versucht, dieses Regel- Ausnahmeverhältnis umzukehren. Das ist das Ziel. Das ist kein weißer Schimmel, Frau Oberlies, sondern hier wird dem Richter gesagt, Freunde, bei Gewalt, denkt bitte zunächst an die alleinige Zuweisung. Nur wenn alle Stricke reißen, an eine teilweise.

Die Familienrichter müssen wegen der Verhältnismäßigkeit, das braucht kein Gesetzgeber herein zu schreiben, auch an die teilweise Zuweisung denken. Darum ist das hier kein weißer Schimmel, sondern das Regel-Ausnahme-Verhältnis wird genau gekippt. Wenn wir da nichts drüber schreiben würden, dann würde da stehen, Zuweisung der Ehewohnung. Was würde passieren? Genau dasselbe wie heute. Der Mann weint dem Richter die Hucke voll oder der Täter, die Täterin, dass er/sie keine Unterkunft findet und die Nacht in Regen und Schnee verbringen muss. Der Richter sagt, um Himmels Willen, dann bleibe wenigstens in dem einen Kinderzimmer und die Frau zieht ins Schlafzimmer. So ist das doch de facto. Damit ist der Entwurf, wie ich finde, an dieser Stelle sehr weise, weil er die Richter an dieser Stelle dreht ? ihren Kopf dreht. Zunächst ist in Fällen von Gewalt, genau wie Sie das hier sagen, an die alleinige Zuweisung zu denken und nur ausnahmsweise an die gemeinsame Nutzung.

Im übrigen darf ich auf folgendes hinweisen: Es gibt zu den flankierenden Maßnahmen, ich habe mich gewundert, Herr Mörsberger, dass Sie nicht darauf zu sprechen gekommen sind, meines Erachtens eine sinnvolle Ergänzung, und vielleicht darf ich das zum Schluss noch sagen. Es gibt ein oder zwei Männerunterkünfte in jeder Kommune. Ich habe das nämlich gehabt und bin damit wunderbar gefahren - wegen der Verhältnismäßigkeit. Da konnte man sagen: ?Sie schnüren Ihr Bündel. Sie, Frau Sowieso, bleiben in der Stadt. Bis zwei Uhr haben Sie es geschafft, dann sind Sie weg und Sie, Frau Sowieso, gehen dann nach Hause; vorher nicht.? Dann sagt er, was soll ich denn tun? Wo soll ich hin, nach meinen wirtschaftlichen Verhältnissen geht das nicht? Dann konnte ich sagen: ?Das Familiengericht sorgt für Sie, wie eine Mutter. Gehen Sie heute sofort zu Herrn Sowieso und dann wird ein Zimmer für Sie da sein mit Schrankbett, Tisch und Stuhl.? Die blieben keine zwei Nächte, aber sie hatten Sozialarbeiter, und sie standen im Tresen mit anderen Opfern dieser Art, die sich beschwerten über diese blöde Familienrichterin und außerdem über die Anwältinnen. Der eine konnte dem anderen wunderbar sagen, was der andere falsch gemacht hatte. Nur nie über sich selbst.

Vorsitzende Christel Riemann-Hanewinckel: Das war jetzt ein Schlusswort. Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Weder von der einen noch von der anderen Seite. Vielen Dank für das intensive Mitarbeiten, Zuhören und Reden. Sie können sicher sein, meine Damen und Herren Sachverständigen, den Hauptteil der Arbeit haben wir noch vor uns, die Anhörung nicht nur als Protokoll zu schreiben, sondern dann vor allem auszuwerten und ein Gesetz zu machen, das den Namen dann auch verdient.

Die Sitzung ist damit geschlossen.

Quelle: http://www.bundestag.de/ausschuesse/archiv14/a13/a13_anh/a13_anh70
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