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„Der Bundestag gilt als Vorbild“

Bild: Werner Patzelt
Der Dresdner Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt.

Der Dresdner Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt über das Profil und die Stellung des Bundestages im internationalen Vergleich

Blickpunkt Bundestag: Herr Professor Patzelt, Sie sind Fachmann für den internationalen Vergleich von Regierungen und Parlamenten. Wenn Sie den Bundestag mit den Volksvertretungen anderer demokratischer Staaten vergleichen, was fällt Ihnen da auf?

Werner Patzelt: Der Bundestag ist ein einflussreiches Parlament und gilt nach Ausstattung und Arbeitsweise als vorbildlich. Seine Funktionen der Regierungsbildung, Regierungskontrolle und Gesetzgebung erfüllt er im internationalen Vergleich sehr gut.

Blickpunkt: Bei den letzten beiden Bundestagswahlen hat sich im deutschen Parlament eine starke Umschichtung vollzogen. Jetzt hat jedes zweite Mitglied höchstens sieben Jahre Bundestagserfahrung. Gibt es einen solch starken personellen Wandel auch in anderen Parlamenten?

Patzelt: In gefestigten Regierungssystemen vollzieht sich der personelle Wandel von Parlamenten meist moderat, doch immer wieder in Schüben. Diese werden hervorgerufen durch das Auf- und Abtreten einer stark politisierten Generation oder durch Verschiebungen im Wahlverhalten. Letzteres erlebten wir unlängst. Im Vergleich ist auch der neue Bundestag ein stabiles und kontinuitätsstarkes Parlament.

Blickpunkt: Im Bundestag sind Juristen, Lehrer und Angehörige anderer Dienstleistungsberufe stark repräsentiert. Vertreter der Wirtschaft sind eher selten. Ist das auch im Ausland so?

Patzelt: Ja. Voraussetzung einer Abgeordnetenkarriere ist meist eine überdurchschnittliche Schulbildung zusammen mit beruflicher Abkömmlichkeit und großen, selbst gestaltbaren Zeitbudgets. Das privilegiert Anwälte, Lehrer und politiknahe Angestellte und benachteiligt Nichtakademiker sowie Selbstständige.

Blickpunkt: Es fällt auf, dass immer mehr junge Abgeordnete ihren Beruf als Mitarbeiter von Abgeordneten gelernt haben. Ist dieser Trend auch in den anderen Staaten spürbar?

Patzelt: Zwar gibt es da noch viele Unterschiede. Doch grundsätzlich sind die technischen Seiten des Abgeordnetenberufs immer professioneller geworden, was die an Kandidaten gerichteten Erwartungen wachsen lässt. Auch haben überall die Parteien an Mitgliedern außerhalb der quasiprofessionellen Aktivisten verloren. Das alles verbessert die Chancen derer, die im engsten Umfeld von Abgeordneten das Know-how erlernen und die zur Nominierung nötigen Netzwerke knüpfen können.

Blickpunkt: Der Frauenanteil im Bundestag stagniert bei etwas über 30 Prozent. Können die deutschen Politikerinnen vom Ausland lernen, wie sich ihre Repräsentanz erhöhen lässt?

Patzelt: Nur in 28 Ländern gibt es einen parlamentarischen Frauenanteil, der den deutschen erreicht oder übersteigt. Wir stehen da also nicht allzu schlecht da. An der Spitze liegt – noch deutlich vor den übrigen nordischen Staaten – Schweden mit 45 Prozent Frauen, desgleichen manche zweite Kammer wie der Senat der Bahamas mit 44 Prozent Frauen. Generell ist eine Frauenquote das sicherste Mittel, viele Frauen ins Parlament zu bekommen.

Blickpunkt: Ein Bundestagsabgeordneter ist durchschnittlich 50 Jahre alt. Wie sieht es mit der Altersstruktur in anderen Parlamenten aus?

Patzelt: Kaum anders: Der durchschnittliche Abgeordnete ist immer noch ein Mann mit akademischem Hintergrund aus der Mittelschicht in seinen besten Jahren.

Blickpunkt: Was könnte der Bundestag im Ausland lernen? Mehr frei gehaltene Reden, mehr Diskussion, mehr öffentlichkeit?

Patzelt: Der Bundestag dient den meisten anderen Parlamenten selbst als Maßstab. An Diskussion fehlt es diesem Arbeitsparlament keineswegs, und mehr wirklich frei gehaltene Reden im Plenum bringen kaum Vorteile. Es kommt nämlich auf griffige Formulierungen und auf knappe Präsentationen zentraler Entscheidungsgründe an, was beides nun einmal besser gelingt, wenn man sich seine Sätze vorher überlegt. Auch bietet der Bundestag jetzt schon mehr an öffentlichkeit und Informationen, als die Bürgerschaft tatsächlich nutzt. Zu verbessern ist anderes: Den Bürgern ist vor Augen zu führen, dass man im Bundestag ihre Probleme wirklich kennt – und diese Probleme sind dann mit konstruktiver Politik zu lösen.

Erschienen am 01. Dezember 2005

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Werner J. Patzelt ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Politikwissenschaft der TU Dresden.


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