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November 04/1998
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Stühlerücken im Plenarsaal

Der 14. Deutsche Bundestag hat sich konstituiert

Bevor im Hohen Haus die politische Kultur in Form niveauvoller Debatten über die großen Fragen dieses Landes einziehen konnte, mußte erst einmal Profanes erledigt werden. Weil der Wähler am 27. September 1998 die politische Landschaft durcheinander gewirbelt hat, mußten im Plenarsaal Männer anrücken, die weniger von Politik, dafür aber viel von handfestem Handwerk verstanden. Das große Stühlerücken war angesagt. Fünf Schreiner einer Kölner Baufirma montierten die blauen Abgeordneten-Sessel ab und verschoben sie - gemäß den neuen Machtverhältnissen - von rechts nach links. Die SPD-Fraktion ist vom Wähler mit zusätzlichen 46 Parlamentariern versehen worden, was wiederum für die Bündnis-Grünen mit einem für sie wohl eher ungewöhnlichen Rechtsruck verbunden war. Sie sitzen jetzt nicht mehr links vom Mittelgang, sondern rechts. Die Sessel für die gestärkte SPD-Fraktion schraubten die Handwerker kurzerhand bei der CDU/CSU und der FDP ab. So ergänzten sie das Wahlergebnis durch eine handwerkliche Variante und machten es sozusagen sichtbar. Das ist auch bei der PDS so. Saß bislang zum Beispiel ihr bisheriger Gruppen-Sprecher Gregor Gysi nur in der zweiten Reihe, so rückte er jetzt als Vorsitzender einer Fraktion etwas nach vorne und kam damit mit den anderen Fraktionsvorsitzenden sozusagen auf gleiche Höhe. Gysi sitzt links neben dem neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, der bisher parlamentarischer Geschäftsführer war. Sein Vorgänger Rudolf Scharping wechselte als neuer Verteidigungsminister auf die Regierungsbank. Die neuen Minister sitzen alle auf alten Stühlen. Die blaue Qualität des Stuhlwerks muß so gut gewesen sein, daß die Bundestagsverwaltung keine neuen Sessel einkaufen mußte. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder sitzt auf dem Sessel seines Vorgängers Helmut Kohl. Auch das dürfte ein Stück Kontinuität sein.

669 Abgeordnete

Dem 14. Deutschen Bundestag gehören 669 Abgeordnete an, drei weniger als in der 13. Legislaturperiode. Die SPD ist mit 298 Parlamentariern, die CDU/CSU mit 245, das Bündnis 90/Die Grünen mit 47, die FDP mit 44 und die PDS mit 35 vertreten. Für alle steht nun der Stuhl am richtigen Platz. Und nachdem nach den Schreinern auch noch die Experten für die Akustik für den richtigen Ton im Plenum gesorgt haben, stand der Plenarsaal für die kommenden großen Debatten zur Verfügung. Die politische Arbeit begann am 26. Oktober mit der konstituierenden Sitzung, die traditionell durch das älteste Mitglied des Hauses eröffnet wurde. Das war bei diesem Mal der PDS-Abgeordnete Fred Gebhardt (70). Der frühere Sozialdemokrat zog für die PDS als Parteiloser über den ersten Platz der hessischen Landesliste in den Bundestag ein. 1994 kam der Alterspräsident auch aus den Reihen der PDS. Es war der Schriftsteller Stefan Heym. Heym zog sich während der laufenden Legislaturperiode aus dem Bundestag zurück. Sein Vorgänger als Alterspräsident war gleich drei Mal der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt. Nach der Rede des Alterspräsidenten wählte der Bundestag den SPD-Abgeordneten Wolfgang Thierse aus Berlin-Mitte als Nachfolger von Rita Süssmuth zum neuen Präsidenten des Deutschen Bundestages.

Wegweiser und Patenschaften für 178 Neulinge

Ein neuer Bundestag lockt den Blick der Beobachter auch immer auf die neuen Abgeordneten. Diesmal sind es 178 frisch gebackene Parlamentarier. Und ebenso verlockend ist die Suche nach Superlativen. Carsten Schneider ist mit seinen 22 Jahren Deutschlands jüngster Parlamentarier am Rhein und demnächst an der Spree. Der gelernte Bankkaufmann gehört der SPD-Fraktion an und kommt aus dem Wahlkreis Erfurt. Allen Newcomern half die Bundestagsverwaltung dabei, sich in ihr neues politisches Umfeld möglichst schnell einzuleben. Dazu gehört ein dicker Umschlag mit den wichtigsten Unterlagen und Ausweisen. Und damit die Neulinge so gut wie auf jede Frage eine Antwort fanden und finden, wurde ihnen ein spezieller Führer in Buchform überreicht.

Orientierung in neuer Umgebung

Wo ist der Bundestags-Friseur? Klarer Fall - Obergeschoß der Ladenzeile am Rhein. Der Wegweiser für Abgeordnete ist aber nicht nur bei den ganz Neuen gefragt, auch die schon erfahrenen Parlamentarier wissen seine Ratschläge zu schätzen. Wer hat schon die Telefonnummer der Kindertagesstätteim Kopf?
Katherina Reiche aus Potsdam ist mit ihren 25 Jahren die Jüngste in den Reihen der CDU/CSU-Fraktion. "Der Wegweiser ist so etwas wie die kleine Fibel in der ersten Klasse", meinte sie. Das begehrte Buch hat 231 Seiten und wurde an alle Abgeordneten sowie an jedes MdB-Büro und an die verschiedenen Referatsleiter der Verwaltung kostenlos verteilt. Dabei ist die Lebensdauer des Wegweisers wegen des anstehenden Umzugs nach Berlin beschränkt. Im Sommer nächsten Jahres kommt ein neuer Berliner Wegweiser auf den Parlamentsmarkt. Daran wird schon fleißig gearbeitet. Im letzten Kapitel des jetzigen Wegweisers werden die Abgeordnetenschon auf den Umzug vorbereitet.

"Parlamentshasen" helfen bei politischen Alltagsfragen

Außer den Tips im Wegweiser gibt es natürlich auch die der alten Parlamentshasen. Die Fraktionen haben sich einiges einfallen lassen. So bekam die 48 Jahre alte Gesamtschul-lehrerin Christel Humme noch einmal einen Patenonkel. Der heißt Adolf Ostertag, ist SPD-Abgeordneter aus dem nordrhein-westfälischen Sprockhövel und vertritt seit 1990 im Bundestag den Wahlkreis Ennepe-Ruhr-Kreis I. Er half Christel Humme bei ihren ersten parlamentarischen Schritten, erklärte ihr die großen und kleinen Probleme beim Ölen der Gesetzgebungs-maschinerie und erleichterte ihr so den politischen Einstieg. Beide hatten schon während des Wahlkampfes Kontakt.
Humme gewann den Wahlkreis Bochum II. Vor der ersten Fraktionssitzung bekamen zum Beispiel die SPD-Abgeordneten einen zweiten dicken Umschlag. Die Fraktionsführung hatte ihnen einen weiteren Wegweiser zusammengestellt. Diesmal nicht für Wege, Adressen, Telefonnummern und Internet-Details, sondern für die parlamentarischen Alltagsfragen. Wie stelle ich eine Anfrage? Welche Abstimmungen gibt es? Wie lautet die Geschäftsordnung und so weiter. Fragen über Fragen, Antworten über Antworten. Die politische Arbeit in Bonn ist halt doch etwas komplizierter als die im heimischen Stadtrat.
Katherina Reiche von der CDU hat keinen Paten zur Seite gestellt bekommen. Den vermißte sie aber auch nicht. Sie hatte einen frischen und sympathischen Ausweg gefunden. "Ich gehe den Leuten so lange auf den Geist, bis sie mir erzählen, was ich wissen will." Reiches Kollegin Ekin Deligöz gehört mit ihren 27 Jahren in den Reihen der Bündnis-Grünen zu den jüngsten Neulingen. Sie kommt aus Ulm und nahm den Anfang in Bonn erst einmal gelassen hin. Es wird sich alles schon finden.

Neulinge im Parlament -  Routiners in der Politik

Unter den sogenannten Neulingen sind in allen Fraktionen auch Abgeordnete, die in der Politik nun wirklich so neu nicht sind. Für die CDU zog zum Beispiel der 43jährige Diplom-Mathematiker und sächsische Landesminister Arnold Vaatz in den Bundestag ein. Vaatz gehört sicher zu den Politikern in den Reihen der Union, die von Journalisten als Hoffnungsträger bezeichnet werden. Zu früheren DDR-Zeiten ging der junge Familienvater dereinst lieber in den Knast der damaligen Nationalen Volksarmee, als womöglich gegen die freie Gewerkschaft Solidarnosc nach Polen kommandiert zu werden. Vaatz gehörte zu jenen, die in Sachsen die Landesverwaltung aufgebaut haben. Erfahrungen als Minister in einem Bundesland bringt für die FDP auch der 53jährige rheinland-pfälzische Minister für Wirtschaft, Weinbau und Verkehr, Rainer Brüderle, mit. Ein journalistischer Kalauer besagt, daß es Brüderle in Rheinland-Pfalz endgültig politisch zu eng wurde, als er alle Weinköniginnen mindestens einmal geküßt hat.
Einen ähnlich gewichtigen Namen bringt der neue SPD-Abgeordnete Ernst Ulrich von Weizsäcker in den Bundestag ein. Der Diplom-Physiker ist Leiter des Wuppertaler Umwelt-Instituts, Mitglied im Club of Rome und ehemaliger Direktor des UN-Zentrums für Wissenschaft und Technik in New York. Er ist ein Neffe des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und wird innerhalb der SPD-Fraktion sicherlich eine wichtige Rolle als Umweltexperte spielen. Bekannt auf Ebene der Grünen ist auch der 59jährige Berliner Hans-Christian Ströbele, der schon einmal im Bundestag saß. Von 1985 bis 1987 gehörte der Rechtsanwalt dem Parlament als Nachrücker an. Ströbele trat im Wahlkampf im Wahlkreis Kreuzberg-Schöneberg an. Ströbele gehört zur Gründergeneration der Grünen. Für die CSU kam der 54jährige Jurist und ehemalige Münchner Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl in den Bundestag. Die CSU will den gewieften Innenpolitiker im Innenausschuß plazieren. Denkbar ist aber auch eine Rolle in der Steuer- und Haushaltspolitik. Uhl ist Steuerjurist.

Durchschnittsalter beträgt  49,7 Jahre

Ein Blick in die Unterlagen des Bundeswahlleiters zeigt interessante Zahlen. So ist das Durchschnittsalter in der SPD-Fraktion 50,3 Jahre. Die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion sind im Durchschnitt mit 51,1 Jahren nur geringfügig älter. Die vergleichsweise jüngste Fraktion stellen mit 43,2 Jahren die Bündnis-Grünen. Insgesamt liegt der Altersdurchschnitt des neuen Bundestages bei 49,7 Jahren. Die jüngsten Abgeordneten sind nach den Fraktionen: Carsten Schneider (SPD), Katherina Reiche (CDU), Ilse Aigner (CSU), Christian Simmert (Grüne), Birgit Homburger (FDP), Sabine Jünger (PDS). Die ältesten Abgeordneten sind: Hans-Eberhard Urbaniak (SPD), Heiner Geißler (CDU), Benno Zierer (CSU), Helmut Lippelt (Grüne), Klaus Kinkel (FDP), Fred Gebhardt (PDS).
Zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte wurde eine Bundesregierung in einer Wahl abgelöst. Der neue Bundestag nahm seine Arbeit auf, reibungslos und ganz selbstverständlich. Eine Ära war zu Ende gegangen, die mit dem Namen von Kanzler Helmut Kohl verbunden bleiben wird. Der neue Bundeskanzler Gerhard Schröder zollte seinem Vorgänger mehrmals für dessen Lebensleistung seinen Respekt. Es war ein demokratischer und ein würdevoller Wechsel. Nun sind die Rollen neu verteilt. Der Wähler hat entschieden und die Gewählten haben das Wahlergebnis vollzogen. In einer Demokratie ein immer wieder spannender, aber ein selbstverständlicher Vorgang.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9804/9804006
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